Der Garten als Lehrmeister: Ranka hat ihm gelauscht und Geduld gelernt – auch wenn es schwer fiel – und wird nun im Februar mit Pflanzen-Nomaden und Vitamin-Vagabunden belohnt
Wenn man wie ich sein Leben damit verbracht hat, Kinderzimmer aufzuräumen, in denen man vor lauter Legosteinen nicht mehr treten konnte, Schlafzimmer zu ordnen, in denen der Göttergatte ständig alte und neue Wäsche in liebenswertes Chaos durcheinanderwirbelt, Küchenfussböden zu schrubben, auf denen schmutzige Kinderstiefel, Kekskrümel und Bratenfett ihre täglichen Spuren hinterlassen haben und nicht zuletzt für Ordnung in einem Büro zu sorgen hatte, in denen zahlreiche "echte" Manager und ihre dienstbeflissenen Möchtegern-Nachwuchs-Manager täglich aufs Neue ein grandioses Computer- und Terminchaos veranstalten, das die Sekretärin (ja, damals hiess es noch nicht "Assistentin" so wie heute) dann zu entwirren hatte, dann neigt man dazu, den Garten genauso preussisch korrekt zu führen wie den Rest des Lebens auch. Und wenn dann noch eine erbliche Vorbelastung dazu kommt (die eigene Mutter – ständig und immer: Was sollen die Nachbarn denn denken?), dann artet das schnell in einen gärtnerischen Ordnungsfimmel aus, der das heimische grüne Paradies zu einem Mini-Versailles verkommen lässt. Ja, verkommen, denn gerade Linien, akkurat gestutzte Hecken und knallige Geranien- und Begonien-Soldaten in Reih und Glied in blitzeblanken Beeten mit sauber gestochenen Kanten im Stile der sechziger Jahre sind doch eigentlich ziemlich langweilig, und vor allem anstrengend, stimmt's?
Bild: Vagabunden im Garten Bronzefenchel und Schnittsellerie in Ritzen und Fugen
Aber die Gärtnerin selbst muss sich ja erstmal dran gewöhnen, an mehr Chaos und mehr Leichtigkeit im Garten. Alles, was einem als Kind eingetrichtert wurde, sitzt verdammt fest. Und der Lernprozess tut (manchmal) weh. Gute Nachricht vorweg: Wenn man heute meinen Garten sieht, dann könnte man denken, hier wohnt ein oberfauler Gärtner, einer, der nur im Liegestuhl unter dem Sonnenschirm liegt und einen Cocktail nach dem anderen schlürft.
Weitgefehlt! Das Chaos im Garten will auch ab und zu gepflegt werden, oder zumindest geplant und liebevoll gelenkt, bis der entspannende Teil des Gärtnerdaseins genossen werden kann – mit Kaffee und selbstgebackenem Obstkuchen in meinem Fall, der schmeckt im Garten nun mal am besten. Und wenn ich eines gelernt habe, dann dies: Ein etwas wilderer Garten führt unweigerlich zu mehr Kaffee-und-Kuchen-Zeit und ein paar mehr Pfunden. Aber die sind redlich verdient, nach allem, was war, bevor das ruhige Gärtner-Gewissen dauerhaft etabliert werden konnte.
Bild: Der Lubera Schnittknoblauch darf auch jetzt ins Beet. Ob er auch wandern mag Vielleicht sorgt er ja für leckere Überraschungen wenn man ihn versamen lässt...
Wie ich das Chaos lieben lernte
- Lernstufe 1: Unordnung aushalten können! Bei mir war es sehr hilfreich, als ich vor vielen Jahren alleinerziehende Mutter mit zwei Kleinkindern und anstrengendem Bürojob wurde (Kinder und Manager betüddeln ist gar nicht so unterschiedlich bzw. gleich anstrengend). Das war der Zeitpunkt, wo ich den Garten in seiner Ursprünglichkeit und natürlichen Schönheit akzeptieren lernte, so sehr, dass eines Tages mein Vermieter vor der Tür stand, und wütend und laut verlangte, dass ich endlich den Vorgarten in Schuss bringen solle (ja was sollen denn sonst auch die Nachbarn denken? Dass ich den ganzen Tag auf der faulen Haut liege? Klar doch! Machen Mehrfach-Mütter mit Fulltimejob doch so oft).
- Lernstufe 2: Nicht auf andere Leute hören, weder den Vermieter, noch die preussische Mutter, noch die lieben Nachbarn mit ihren akkuraten Vorgärten. Einfach auf Durchzug zwischen den Ohren stellen. Auch hier gilt: Ein sehr schwieriger Lernprozess, aber dieses "Ihr-könnt-mich-alle-mal-gern-haben-Gefühl" ist auch erlernbar und medizinisch gesehen oftmals absolut notwendig.
- Lernstufe 3: Argumentieren lernen! Auch sich selbst gegenüber. Unkräuter kennen und lieben lernen und sie dann bei entsprechender Eignung in Smoothies, in Suppen, Salaten und Smoothies verarbeiten. Da schliesst man auf einmal sogar die sich stetig ausbreitenden Brennnesseln und den obligatorischen Löwenzahn mit der meterlangen Pfahlwurzel ins Herz. Und der Klee im Rasen macht die Hummeln glücklich. Ganz ehrlich, wer tut mehr für uns, die Nachbarn oder die Bienen? 😉
- Lernstufe 4: Entdecke das Kind in dir und staune statt zu jäten! Wer nicht gleich alles rausrupft, was unerlaubterweise an ihm nicht zugewiesenen Plätzen grünt, erlebt jedes Jahr wieder neue Überraschungen, weil der Garten sich verändert, einfach nur, weil neue Gäste hinzukommen. Klar, vieles muss immer noch ausgerissen werden, wer will denn schon, dass seine Stauden und Gemüsepflanzen von Gräsern erstickt werden, aber ab und zu mal was Unbekanntes stehen zu lassen, kann ein paar Wochen später das Herz aufgehen lassen. So ist z.B. eines Tages eine Königskerze zu mir in den Garten gehuscht, einfach so. Und vom Acker in der Ferne sind ein paar Rapskörner rübergeweht und ich hatte zwei leuchtend gelbe Raps-Schönheiten im Blumenbeet. Letztes Jahr wuchs ein Lattich im Himbeerbeet und war einfach entzückend anmutig.
- Lernstufe 5: Man wird älter und weiser. Nun ja, man sollte vielleicht ehrlicherweise sagen, man wird kränker und lernt (langsam) zu akzeptieren, dass man nicht mehr wie ein Wirbelwind durch den Garten toben kann und in Nullkommanix alles gewuppt bekommt. Die Zipperlein beruhigen den nicht mehr ganz so taufrischen Gärtner und sorgen für ein gemässigteres Tempo, das für mehr wilde Ecken im Garten sorgt Win-Win-Situation.
Bild: Im Topf mit der Stachelbeere Nibbling fühlt sich die Rote Taubnessel wohl, die den ersten erwachenden Hummelköniginnen bald als Schmaus dienen wird.
Beerensträucher lieben ein bisschen wilde Gesellschaft
Am besten funktioniert der wilde Hippie-Garten natürlich am Gartenrand, da wo alle meine Lubera-Beerensträucher wachsen. Auch sie stehen in Beeten, nicht einfach so im Rasen, denn – nicht wahr, das wissen wir alle – auch die schnöden (im Sinne von unverwüstlichen) Johannisbeeren und Stachelbeeren brauchen Nährstoffe und die bekommen sie am besten, wenn man die Erde um sie herum frei lässt und diese regelmässig mit ein paar Schaufeln Kompost versorgt. Ich mulche meine Beerenbeete ja jeden Winter mit angeschwemmtem Seegras von der nahen Ostsee und weil dieses lange am Strand liegt, sind auch Samen drin von Wildkräutern am Strand-Rand, wo sich der salzige Sand mit dem Humus der Wiesen mischt. Diese Unkräuter sind salztolerant und gedeihen dann im nächsten Sommer im Mulch unter den Beeren – einfach hübsch hier und da. Manchmal mulche ich auch mit Holzschredder unter den Sträuchern und wenn dieser verrottet, erscheinen manchmal die schönsten (Zier-) Pilze! Staunen statt zu jäten bekommt so eine ganz neue Dimension.
Bild. Seegras sammeln am Ostseestrand zum Mulchen unter den Johannisbeeren
Heilsames Durcheinander mit Pflanzen-Nomaden
Am liebsten sind mit aber die Vagabunden und Nomaden, die in einem "aufgeräumten" Garten sonst nie eine Chance hätten: Wilder Mohn, Fingerhut, Borretsch, Dill, Königskerze, Mutterkraut, Schöllkraut, Schafgarbe, Ringelblume und was sich sonst noch so alles seinen Platz selbst aussucht. Der Breitblättrige Wegerich zum Beispiel wandert auch gerne und hilft mir immer bei kleinen Wunden (ich schneide mir öfters mal in die Finger, wenn ich in der Erde wühle und zerbrochene Miesmuscheln erwische, ein kleiner Nachteil von Mulchen mit Seegras).
Bild: Ein Fingerhut schmiegt sich an die Zwerg-Himbeere Baby Dwarf
Aber ganz ehrlich, wer mag schon Handschuhe anziehen, wenn man seine Hände in die kühle Erde steckt, diese mit beiden Händen greift, Pflanzlöcher für die zarten Hornveilchen gräbt und sie dann vorsichtig andrückt? Ah, dieser Duft von frischer Erde und reifem Kompost, dieses Gefühl von Spielen im Dreck, so wie in der Kindheit – wer kann das NICHT lieben? Für mich war das Pflanzen schon immer das Schönste an der Gartenarbeit, die Hände im Boden und der Duft nach Erde und Leben in der Nase. Nebenbei bemerkt, befinden sich in gesunder Erde auch Bakterien, die nachgewiesenermassen Glücksgefühle beim Menschen auslösen! Liegt es daran, dass ich mich im Frühling wie ein Maulwurf im Garten benehme und nicht wie eine Lady reiferen Alters?
Bild: Ein Mohn kuschelt sich an die Stachelbeere Darling
Immerhin sind meine rauen Hände im Sommer immer so – wie soll ich sagen – tja, von feinen, dunklen Erdpartikeln "vollgesogen", besonders auch unter den Fingernägeln, dass selbst die Nagelbürste nicht alles wegbekommt. Wen stört's? Mich schon lange nicht mehr (habe ja auch keine Manager in Schlips und Kragen mehr zu betüddeln, juchuuu). Aber letzten Herbst im Bioladen war es dann doch peinlich, als die Verkäuferin mir laut (sehr laut – so dass alle anderen es hören konnten!) eine Packung mit einer Duftkerze, die ich mir anschauen wollte, aus der Hand nahm und meinte, ich hätte schmutzige Hände, das sei unhygienisch und sie wolle lieber die Packung für mich öffnen. Oh je, da bekam ich doch rote Ohren. Ich schwöre, dass meine Hände gewaschen waren! Aber wer täglich mit Hingabe in der glücklichmachenden Erde hinter dem Haus wühlt, kann irgendwann schrubben und scheuern wie er will, man sieht IMMER, dass er ein Gärtner ist.
Flower-Power und Hippie-Gefühle
Lange Rede kurzer Sinn: Der Garten macht, was er will, er lehrt uns kleine Menschen Demut, weckt den wilden Flower-Power-Hippie in uns (wenn wir denn erstmal auf den Wildkräuter-Geschmack gekommen sind), lässt uns manchmal verzweifeln aber meistens immer staunen und schenkt uns überraschendes Grünzeug, das wir jetzt im Vorfrühling gut gebrauchen können, um unsere Abwehrkräfte auf Vordermann zu bringen. In diesem Sinne, liebe Gärtner, zieht euch warm am, geht raus, am besten sofort, schaufelt den Kompost um oder auf die Beete, kauft gute Blumenerde, füllt die Töpfe, pflanzt Frühlingsblüher, geniesst den gesunden Dreck an den Händen und vor allem: Begrüsst die wilden Wanderer und heimatlosen Vagabunden, die aus den Beeten lugen – und esst sie auf (Kauf eines Wildkräuter-Buches empfohlen). Pflanzen-Power wirkt gleichermassen bei mutigen Chaos-Gärtnern und aufgeräumten Ordnungsliebhabern. Alles ist gut! Macht es so, wie IHR es wollt und nicht die Nachbarn, der Vermieter oder ich! Seid wild oder preussisch, wie auch immer, aber geniesst den Garten und vor allem: Pflanzt was! Am besten was Neues und Überraschendes. Wie wär’s mit Erdnüssen für das Kind in dir? 😉