Hülsenfrüchtler (Leguminosen), die einen hohen Anteil an Protein produzieren, werden immer wichtiger, um die Menschheit zu ernähren. In der Lubera Züchtung wird ausprobiert, wie wir diese wertvollen Nahrungspflanzen in nachhaltiger, ressourcenschonender Art verbessern können – vor allem auch, indem wir sie wieder mehrjährig kultivieren. Ewige Proteinpflanzen also. Der Garten ist offen für solche neuen Pflanzen und kann vielleicht sogar als Labor für eine zukünftige Landwirtschaft dienen…
Inhaltsverzeichnis
- Warum Proteinpflanzen wichtig sind…
- Stickstoff, der Wuchsstoff der Pflanzen – Und der Trick der Hülsenfrüchtler
- Leguminosen als Superpflanzen
- Die Frage des Pflanzenzüchters: Gibt es auch ewige, mehrjährige Proteinpflanzen und Leguminosen?
- Back to the roots: Die Prunkbohne
- Eine mehrjährige knollige Platterbse
- Knollen mit potentieller Süsse
Warum Proteinpflanzen wichtig sind…
Eigentlich sollte ich das in einem Pflanzenbuch nicht gestehen und manche Leserin (auch mancher Leser) wird die Nase rümpfen: Ich esse gerne und mit Genuss Fleisch. Und ehrlich gesagt schlage ich mit meiner Fleischeslust manchmal auch über die Stränge… Dabei erwähne ich natürlich gerne, dass die tierischen Proteine etwas besser auf den menschlichen Körper zugeschnitten sind als die pflanzlichen Eiweisse. Immerhin ist der Mensch ja definitiv auch ein Tier… Dennoch darf ich, dürfen wir nicht ausser Acht lassen, dass die pflanzlichen Proteine (aus Samen, Früchten, Wurzeln und anderen Pflanzenorganen) viel direkter und energieeffizienter zu produzieren sind als die Eiweisse, die in tierischen Produkten zu finden sind. Wenn wir etwas vereinfachend davon ausgehen, dass im Fleisch und in den besten Proteinpflanzen (meist Leguminosen) bzw. ihren Organen ein Eiweissgehalt von ca. 20% erreicht werden kann, so ist die pflanzliche Proteinproduktion doch viel produktiver und nachhaltiger: Bei der Produktion von 1kg Fleisch werden ca. 12-13kg CO2 abgegeben, bei der Proteinpflanze Linse beispielsweise ist der CO2-Abgabe fast 20 x kleiner. Da werden dann auch meine Fleischeslust und ihre Rechtfertigung etwas kleinlauter.
Aber warum sind die Proteine für die menschliche Ernährung so wichtig? Proteine bestehen aus Aminosäuren und diese Aminosäuren braucht der menschliche (und tierische) Körper, um die Zellen wachsen zu lassen, sie zu teilen und zu erneuern. Plakativ formuliert: Kein tierisches und kein menschliches Leben ohne Aminosäuren, ohne Proteine!
Stickstoff, der Wuchsstoff der Pflanzen – Und der Trick der Hülsenfrüchtler
Wenn damit die Wichtigkeit der Proteinpflanzen geklärt wäre, so muss jetzt noch ein zweites, dieses Mal rein pflanzliches Wunder der Natur erwähnt werden. Stickstoff, (N) ist der wichtigste Pflanzennährstoff und zufälligerweise – oder eben nicht zufälligerweise – auch der wichtigste Baustoff der Aminosäuren (und damit der Proteine). In der Luft haben wir mehr als genug davon, 78% unserer Atemluft besteht aus Stickstoff. Das ist aber im wahrsten Sinne des Wortes eine regelrechte Luftnummer. Im Boden nämlich, in und auf dem die Pflanzen wachsen, ist Stickstoff Mangelware. Er kommt (vor und neben der neuzeitlichen menschlichen Düngung mit Kunstdünger) eigentlich nur über zwei Prozesse in den Boden: Erstens über zerfallendes organisches Material. Dieses wiederum ist grossmehrheitlich pflanzlicher Natur. Dazu müssen uns vor Augen halten, dass 85% des Lebens auf dieser Erde aus Pflanzen besteht und nur 3% aus Tieren, wozu ich – du hast es schon bemerkt – selbstverständlich auch den Minderheitsbewohner der Erde, den Menschen zähle.
Und zweitens wird der Boden über spezielle Pflanzen mit Stickstoff angereichert, vor allem durch die Hülsenfrüchtler oder Leguminosen. Diese haben in Symbiose mit den sogenannten Knöllchenbakterien die einzigartige Fähigkeit erlangt, Stickstoff aus der Luft zu binden und pflanzenverfügbar zu machen, zunächst für die Wirtspflanze selber und zweitens natürlich auch für ihre Nachbarn und Nachfolgepflanzen. Selbstverständlich gibt es über die Leguminosen hinaus auch noch einige weitere wertvolle Pflanzen, die die 'Luftnummer' beherrschen: Darunter sind auch einige wertvolle Beeren- und Wildobststräucher, etwa der Sanddorn oder die Ölweide (die beide zu den Ölweidengewächsen, den Elaeagnaceae gehören).
Bild: Die Ölweide 'Fortunella' – bei Lubera nennen wir sie Pointilla® (Pünktchenbeere) 'Fortunella' – ist eine milde, wohlschmeckende und goldige Beere mit weissen Pünktchen.
Leguminosen als Superpflanzen
Aber zurück zu unseren Eiweisspflanzen, den Leguminosen. Hier schliesst sich jetzt nämlich der Kreis: Die Hülsenfrüchtler gehen mit den Knöllchenbakterien eine Symbiose ein und bieten ihnen mit den Wurzelknöllchen eine Heimat für die Stickstoffbindung und Reifung. Die Bakterien ernähren sich vom produzierten Zucker der Pflanze und liefern pflichtschuldigst Stickstoff zurück. Unsere Superpflanzen, die Leguminosen sind damit Selbstversorger beim Stickstoff, der den essentiellen Baustein für Aminosäuren darstellt. Und Proteine wiederum sind aus Aminosäuren zusammengesetzt… Die Sache mit den Eisweissen, die Leguminosen produzieren können, ist übrigens nochmals einen Zacken vielfältiger und schöner: Die Leguminosen produzieren zugunsten der Rhizobien nämlich auch noch ein ganz spezielles Eiweiss, das seinerseits den Bakterien bei der Reifung und beim Einfangen des Stickstoffs aus der Luft hilft. Pflanze und Bakterien agieren fast wie EIN Organismus – eben das ist mit Symbiose gemeint.
Die Frage des Pflanzenzüchters: Gibt es auch ewige, mehrjährige Proteinpflanzen und Leguminosen?
Natürlich sollte ich mir ob all diesen Pflanzen- und Bakterienwundern (denn nichts anderes ist diese Symbiose: ein Wunder!) meine Fleischeslust nochmals überlegen… Aber vielleicht sei auch dem Pflanzenzüchter eine kleine Sünde erlaubt (oder halt auch nicht…). Als Pflanzenzüchter haben wir uns aber bei Lubera mit immer grösserer Dringlichkeit die Eingangsfrage gestellt: Gibt es 'ewige', mehrere Jahre ausdauernde Proteinpflanzen, die gleichzeitig auch Stickstoff aus der Luft binden können? Denn eines ist auch dem Fleischfresser in mir sonnenklar: Die eiweissproduzierenden Pflanzen werden aufgrund der dargestellten Energieeffizienz für die menschliche Ernährung immer wichtiger werden.
Wir stellen uns unsere ideale Proteinpflanze ganz naiv als eine Art 'Perpetuum mobile' in Pflanzengestalt vor: Eine Pflanze, die mit Hilfe der Rhizobien nachhaltig über Jahre Stickstoff akkumuliert, für sich selber und ihre Pflanznachbarn und Nachfolger, und die gleichzeitig als Proteinlieferant für den immer hungrigen Menschen geeignet ist…
Der Lubera-Züchter und Pflanzenzauberer Raphael Maier hat uns verschiedene 'Perpetuum mobile'-Projekte vorgeschlagen, von denen wir aktuell zwei näher verfolgen: Die knollige Platterbse (Latyrus tuberosus) und die Prunkbohne, die häufig wegen der farbigen, sehr grossen Bohnen auch Käferbohnen genannt wird (Phaseolus coccineus).
Back to the roots: Die Prunkbohne
Die Prunkbohnen oder Feuerbohnen gehören zu den interessantesten Leguminosen, die mehrjährig wachsen können. Sie sind rekordschnell, und sie erfreuen uns mit bunten Blüten ebenso wie mit ihren nährreichen Samen, die sich in der Küche sehr vielseitig verwenden lassen.
Die Prunkbohne (Phaseolus coccineus) weist ein ungestümes Wachstum auf, das ihr nicht viele andere Pflanzen nachmachen. Nach der Aussaat kann sie in nur sechs Wochen zwei bis vier Meter hoch klettern! Ihre jungen grün essbaren Bohnenschoten und später die getrockneten grossen Käferbohnen (Samen) haben einen hohen Nähr- und Verwendungswert. Zusätzlich begeistern die farbigen Blüten, die je nach Sorte alle Schattierungen von Rot bis Orange, gemischt Rotweiss, Rosa bis Reinweiss annehmen können. Die Käferbohne ist definitiv eine Zier-Nahrungspflanze, sie triggert unsere Pflanzenliebe durchs Auge und über den Magen.
Die Prunkbohne, die wie alle Hülsenfrüchtler Knöllchenbakterien aushält und von ihnen profitiert, stammt ursprünglich aus Mexiko und Mittelamerika, kommt da auch in höheren Lagen vor und hat von Haus aus eine bessere Kältetoleranz als die Buschbohne. Überhaupt ist sie sehr gesund und wurde bei der Weiterzüchtung der Buschbohnen auch schon zur Resistenzverbesserung eingesetzt. Aber jetzt kommt die eigentliche Überraschung: Sie ist in ihren Ursprungsgebieten eine mehrjährige ausdauernde Staude, sie bildet grosse, dicke und fleischig-feste Wurzeln aus, die im Boden überdauern, einiges an Kälte ertragen und im Frühling in den Ursprungsgebieten zuverlässig wieder austreiben! Fast unnötig zu erwähnen, dass auch die Wurzeln Protein-haltig und essbar sind. Voilà, da wäre also die ersehnte 'Ewige' Proteinpflanze, die Ewige Bohne… Wenn da nur nicht der Mensch gewesen wäre, der sie in der weiteren Domestikation, vor allem nach der Umpflanzung und Einführung nach Europa zur einjährigen Pflanze weiterentwickelt hat, weil das halt besser zur immer schneller und industrieller werdenden Landwirtschaft passte.
Bei Lubera wurden nun aus diversen Genbanken über 100 Phaseolus coccineus verschiedener Herkünfte und Linien besorgt. Diese wurden alle auf den Züchtungsfeldern ausgepflanzt, und diejenigen Pflanzen ausgewählt, die den Winter in Mitteleuropa am besten überleben. In einem ersten Durchgang waren das immerhin fünf bis zehn Prozent! Diese werden nun weiter getestet, und die ausdauerndsten Pflanzen werden auch miteinander gekreuzt, um die Feuerbohne zu dem zurückzuentwickeln, was sie schon einmal war: eine ausdauernde Staude!
Bild: Die Feuerbohne auf dem Züchtungs- und Versuchsfeld bei Lubera in Buchs, Schweiz.
Tipp: Eigener Versuch
Säe die Bohnen aus, kultiviere sie an einem Gerüst wie Stangenbohnen, ernte die grünen unreifen Bohnenschoten oder die getrockneten Bohnenkerne und lass die Pflanze ungestört über den Winter stehen… Zum Schutz der Wurzeln bringst du im Herbst eine Isolationsschicht aus Kompost oder Laub über der Wurzelzone aus, die du im März wieder entfernst. Und siehe da: Mit etwas Glück wird die Prunkbohne wieder zu wachsen beginnen.
Eine mehrjährige knollige Platterbse
Besonders viel Protein enthalten die Wurzelknollen von bestimmten Platterbsen – die bei uns wild wachsen. Diese züchterisch zu veredeln, ist ein Leuchtturmprojekt von Lubera, das aber noch viel Arbeit verlangt. Wer weiss – eines Tages gibt es vielleicht auch mehrjährige Erbsen!
Die Knollige Platterbse (Lathyrus tuberosus) ist eine schöne, in leuchtendem Pink blühende Ackerrand- und Wegrandpflanze, die mehrjährig und staudig wächst. Hier ist das Objekt der züchterischen Begierde aber nicht die Erbse, sondern es geht um die Wurzelknollen, die Lathyrus tuberosus (tuberosus heisst so viel wie 'knollig') an den Verzweigungen der horizontal wachsenden Stolonen bildet. Diese wurden selbstverständlich schon sehr früh von den hungrigen Menschen entdeckt, weil sie schmackhaft und – na ja – einfach vorhanden waren. Heute wissen wir, dass sie einen Proteingehalt von 12 Prozent und mehr haben und darüber hinaus so viel Vitamin C, dass selbst Zitrusfrüchte vor Neid erblassen würden (doppelt so viel wie Zitronen!). Von dieser Pflanze gab es bis ins 19. Jahrhundert hinein auch so etwas wie eine frühe Domestikation: Die Knollige Platterbse wurde hier und da in Kultur genommen, die beispielsweise in der Lorraine vereinzelt bis heute gepflegt wird.
Die vielen Namen der Pflanze zeugen von ihrer Nahrungsbedeutung und ein bisschen auch von ihrem Geschmack, der natürlich auch von viel Stärke (20%) geprägt ist… Aardacker heissen die Lathyrus tuberosus im Niederländischen (so viel wie 'Erdeicheln', passend zu den Früchten der Eiche). Deutsche Namen sind Erdnuss, Feldnuss, Erdmandeln, sogar Erdfeigen und Erdbirnen. Diese Namen lassen zuverlässig darauf schliessen, dass die Erdfrüchte auf der Basis der Stärke auch einiges an Zucker entwickeln können. Die etwas weniger sympathische Bezeichnung 'Saubohne' weist darauf hin, dass Lathyrus tuberosus mit ihren oberirdischen und unterirdischen Organen auch anderen Tieren als nur dem Menschen zugutekam.
Bild: Der deutsche Trivialname Knollige Platterbse hat Lathyrus tuberosus wegen ihren Knöllchen, die an den Wurzeln ausgebildet werden.
Knollen mit potentieller Süsse
Verräterisch für das Schicksal unserer Knolligen Platterbse ist die Bezeichnung Erdbirne. Sie wird nämlich im alemannischen Raum und in gewissen Gebieten Österreichs parallel zur Bezeichnung 'Erdäpfel' (Herdöpfel, Hörpfel) auch für... Kartoffeln gebraucht. Die Kartoffel aber beendete in der frühen Neuzeit, zwischen 1600 und 1900 die Weiterentwicklung der knolligen Platterbse als Kulturpflanze fast endgültig: Auch wenn die Kartoffeln nur etwa zwei Prozent Protein enthalten und auch im Vitamin-C-Gehalt weit zurückliegen, waren sie aufgrund der viel höheren Erträge und aufgrund des hohen Stärkegehalts viel produktiver und damit sättigender als die kleinknollige Platterbse. Die Kartoffel ermöglichte zwischen 1700 und 1850 eine nie dagewesene Bevölkerungsexplosion in Mitteleuropa und in England und Irland – und die knollige Platterbse wurde dabei weitgehend vergessen (wie andere einheimische Wurzel- und Erdfrüchte auch).
Könnte man nun diese einheimische Staude mit den pinken Blüten fit machen für eine Zukunft im Garten und vielleicht auch irgendwann in der Landwirtschaft? Dazu wird es notwendig sein, das Ertragspotential von 300-400g pro m2 deutlich zu steigern, ebenfalls müssen die Knollen entschieden grösser werden (von 2-3 cm auf 5-8cm). Ebenfalls muss das ausgedehnte Wachstum der Stolonen eingedämmt werden, dass die Knollen weit entfernt von der Mutterpflanze wachsen lässt, denn wir Menschen wollen ja kein neues wucherndes Unkraut. Das alles sind Projekte für die Zukunft, die bei Lubera in den nächsten Jahren weiterentwickelt werden. Aufgrund der Tatsache, dass es in Genbanken und auch in der Natur eine breite Diversität an knolligen Platterbsen gibt und weil diese Pflanze Knöllchenbakterien zur eigenen Pflanzenstärkung beherbergt, sind die Aussichten gar nicht so schlecht.