Eigentlich fühle ich mich als Apfel vollkommen ungerecht behandelt. Gilt für mich nicht auch das Gleichheitsgebot der Egalité? Alle Äpfel sind gleich! Vor unseren Züchtern sind wir es jedenfalls gar nicht. Nach einigen Jahren in der Obstanlage der Lubera Züchtung kann ich mehr als nur ein Liedchen davon singen. Die Züchter, ha, die sind mir eigentlich so was von egal, das sind einfach unkultivierte Kost- und Apfelverächter, eingebildete Weintrinker und Fleischesser!
Der eine, ich glaube sie nennen ihn Beat, fährt gerne mit einem stinkenden Quad durch meine Reihe. Und was bitte ist mit meinem Klima? Und nix da, mit Gleichheit und allenfalls Brüderlichkeit. Er beisst ausschliesslich in seine süssen Lieblinge – und ab und zu – so ist es mir zu Ohren gekommen – vergreift er sich auch an einem neuen Schönlingsapfel – fast vollkommen ohne Ansehen der inneren Werte. Was ist das für ein apfelfremder Cretin!
Und Markus, der andere Züchter ist definitiv die personifizierte Scheinheiligkeit. Kein Wunder, dass er gerne in die USA, äh nach Hypokrisien reist. Wenn er Besucher durch die Obstanlage führt, predigt er gerne und lautstark Diversität und kann nicht aufhören, seine vorgebliche Apfelvielfalt in den Himmel zu loben... Aber in der Realität? Da werden nur die Schönsten und Süssesten und allenfalls die leicht Süss-säuerlichen berücksichtigt. Und was bitte ist mit mir? Ich schlage den Zuckergehalt meiner etikettierten und selektionierten Nachbarn zur Rechten und zur Linken um Längen, nur dass ich auch ein gehöriges und dominierendes Mass an Säure habe. Kurz: Ich habe mehr von allem, aber trotzdem wird mir die geschuldete Anerkennung verweigert. Es herrscht hier die Diktatur der Apfel-Mediokrität. Durchschnitt ersetzt die Vielfalt.
Und dann das Aussehen. Wie wenn das so wichtig wäre! Ich weiss von meinen Vorfahren väterlicherseits (Onkel Cox) aus England, dass im Mutterland sowohl der Gartenkultur als auch des schrägen Humors Russet Apples geradezu gezüchtet wurden. Voll braune Äpfel, jeder Farbe ausser Grau und Braun und ein wenig Grün abhold, anzufühlen wie Schmirgelpapier, eine Garantie für Schüttelfrost schon beim ersten taktilen Kontakt. Eigentlich wären ja die Franzosen für die Gleichheit auch der Äpfel zuständig, aber die Angelsachsen lebten sie wirklich – wenn auch diese gute alte Zeit weitgehend vorbei ist. Nur bei vollberosteter Schale war damals guter Inhalt zu erwarten. Understatement auf die ganz feine Englische Art: aussen pfui, innen hui.
Aber heute und erst recht auf dem Kontinent: Von der edlen Missachtung des zufälligen Äusseren, für das kein Apfel etwas kann, ist ja gar nichts mehr geblieben. Das schlechte oder sagen wir mal etwas rustikale Aussehen wird verdammt, steht gebrandmarkt und verfemt ganz alleine da. Unschöne Äpfel werden keines Blickes gewürdigt. Diversität ist nur ein scheinheiliges Lippenbekenntnis. Solche Ungerechtigkeit schreit doch einfach gen' Himmel.
Kurz und heftig – aber wohl ohne Aussicht auf definitive Besserung – keimte diese Woche etwas Hoffnung auf: Die beiden grummligen Herren, der eine eher langsam und schleppend laufend (wohl mit Übergewicht), der andere leicht hinkend (so viel zu ihrer Schönheit und Diversität) tauchten plötzlich mit 2 Frauen auf, deren Schritte ich auch als erfahrener Apfelbaum kaum wahrnehmen kann. Also wohl jung und eher leichtfüssig. Sie scheinen auch deutlich systematischer zu arbeiten als die beiden alten Züchter mit all ihren eingefleischten Vorurteilen, die sie nicht nur nicht hinterfragen, sondern längst schon als sachlich feststehende Tatsachen etabliert haben. Könnte eine diversere Züchtertruppe unser trauriges Schicksal irgendwie verbessern? Würden die 4 Züchter/innen vielleicht sogar echt demokratisch vorgehen, und uns allen eine Chance geben?
Na ja, die Hoffnung stirbt ja zuletzt – aber sie stirbt. Insgesamt ist da nicht sehr viel Demokratie. Obwohl wir notabene Schweizer Äpfel sind und unsere Geschichte aufs Engste mit dem Schweizer Nationalhelden verwoben ist. Ich jedenfalls bleibe weiter unbeachtet, auch die Apfelzüchterinnen würdigen mich keines Blickes, nicht mal eine Hand wurde nach mir ausgestreckt.
Ich bleibe also bei meiner Grundforderung: Gleichheit für alle Äpfel dieser Welt! Ansonsten… ja ansonsten sorgen wir dafür, dass ihr euch dereinst blutig beissen werdet.
Noch eine Nebenbemerkung zu den Philosophen, die vor allem in Frankreich offensichtlich an jeder Strassenecke stehen. Liberté, fraternité, egalité. Diese hochgeistigen Traktatverfasser, die ja in Tat und Wahrheit das ganze Jahr keinen Apfel essen, wollen gerne die gute alte Gleichheit mit Solidarität ersetzen, jedenfalls wurde das diskutiert. Hey, das könnte den verwöhnten Franzmännern so passen: Ich soll also auf meinen Status als hässlich und sauer, anders und ungleich verzichten, aus Solidarität zu meinen mediokren Artgenossen, nur weil wir zufällig ja alle nur Äpfel sind. Da mache ich nicht mit, da schreie ich auf. Da klage ich an! Wer in einem Apfel nur einen Apfel sieht, ist des Apfels nicht wert.
Was ich jetzt unternehme? Ja genau das hier! Ich prokamiere die Gleichheit der Äpfel (vor dem Menschen) unabhängig von Farbe, Form und Inhalt. Nieder mit der Scheinheiligkeit der Züchter, die mit wissenschaftlicher Objektivität ihren individuellen Vorlieben und Vorurteilen frönen.
Es lebe mein Apfel!
Der missachtete Apfel