Frederik Vollert, Moritz Köhle und Maja Pfund vom Lubera Züchterteam nehmen jetzt, Ende April, gerade die Lubera-Küche in Beschlag – um Rhabarber zu kochen und zu degustieren. Ein ziemlich ungewöhnliches Bild: Dutzende von Rahberberschalen auf dem Tisch, Männer und eine Frau, die um den Rhabarbertisch herumstehen und die Feinheiten des Rhabarbergeschmacks diskutieren. Was bitte ist da los? Die Lubera Redaktion wollte es genauer wissen und hat die säuremutigen Rhabarberkünstler und den Rhabarber-Chefkoch Frederik Vollert nach ihrem etwas befremdlichen Tun befragt: Kann man Rhabarber wirklich degustieren wie einen Wein und wie schmeckt der Rhabarber eigentlich? Interessieren Sie sich für den Anbau der leckeren Frühlingsboten? In unserem Gartenshop können Sie Rhabarber kaufen und direkt in Ihrem Garten anpflanzen.
Frederik, sag mal bitte, was macht ihr hier eigentlich?
Ganz einfach, wir degustieren neue Rhabarbersorten aus der Lubera Züchtung.
Wie viele Rhabarbersorten degustiert ihr?
Es werden ca. 50 Selektionen sein, die wir in die engere Auswahl genommen haben, die wir intensiv und über mehrere Jahre auf dem Feld selektioniert haben, und die wir nun auch degustativ testen wollen. Das ist natürlich einerseits pures Vergnügen, die Diversität der Farben und Geschmackstöne begeistert uns, aber es bedeutet auch harte Arbeit: Am Ende sind es ja doch Rhabarber und die bleiben insgesamt ziemlich sauer ;-). Wir müssen über 50 Sorten hin aufmerksam bleiben, offen für Neues, kreativ in unseren Vergleichen (der Rhabarber schmeckt wie…) und natürlich gleichzeitig möglichst objektiv. Daher haben wir die Degustation unterteilt in mehrere Gruppen, wir versuchen jeweils ca. 10 Sorten miteinander zu vergleichen. Und an einem Tag kommen wir da nicht durch, das würde uns und unsere Geschmacksnerven überfordern.
Bild: Morgens um 7:00 Uhr Rhabarber degustieren? Kein Problem für Chefkoch Frederik Vollert...
Habt ihr neben den Lubera Züchtungen auch Referenzsorten?
Ja natürlich. Wir haben ein breites Standardsortiment zum Vergleich, gegenüber dem wir dann auch die neuen Sorten einordnen, aber auch unterscheiden können. Letztlich sind wir ja auch beim Geschmack auf der Suche nach mehr Diversität, nach Unterschiedlichkeit.
Wie habt ihr die Rhabarber gekocht?
Wir kochen jeweils 100 g ungefähr gleich gross geschnittene Rhabarberwürfel, zusammen mit 25ml Wasser und mit einem Teelöffel Zucker. Wir kochen Rhabarberstücke nicht ganz zu Mus, sondern so, dass sie noch teilweise erhalten bleiben.
Zucker? Das ist ja heute fast schon ein Schimpfwort…. ist das zulässig? Verfälscht ihr damit nicht den Geschmack?
Rhabarber ist ohne Zucker kaum denkbar. Rhabarber als Stängel-Gemüse und Frucht wurde erst im frühen 19. Jahrhundert – nach 1800 – ein Thema, als genügend industriell hergestellter Zucker zur Verfügung stand – und den vorher unbekannten Rhabarber als Frucht geniessbar machte. Vorher waren Rhabarber nur in der Medizin – und eingesetzt wurden nicht etwa die Stängel oder Blätter, sondern die Wurzeln und Rhizome. Sie sollten unter anderem gegen Verstopfung helfen… Wir glauben also, Zucker gehört unbedingt dazu, aber nur in relativ kleinen Mengen, so dass er Eigengeschmack zur Geltung kommt und nicht überdeckt wird.
Bild: Die ungefähr gleich gross geschnittenen Rhabarberwürfel, werden in die davor vorgesehenen Schalen verteilt.
Bild: Portionenweise werden die verschiedenen Rhabarberselektionen mit Wasser und ganz wenig Zucker gekocht und dann degustiert.
Was bonitiert und diskutiert ihr zuerst?
Natürlich zuerst eher die Farbe, das Offensichtlichste und wohl auch Einfachste. Auch beim Rhabarber isst ja das Auge mit.
Gibt es beim gekochten Rhabarber unterschiedliche Texturen?
Nein, das haben wir nicht wirklich festgestellt, ausser dass Rhabarber natürlich je nach Sorte etwas unterschiedlich schnell verkochen.
Welche Rhabarber verkochen besser, welche brauchen mehr Zeit?
Grosse, dicke und breite Rhabarberstiele verkochen etwas schneller, sie sind lockerer aufgebaut, etwas weniger kompakt.
Wie ist das jetzt mit der Säure, gibt es wirklich mildere und saurere Rhabarber, oder ist ein Rhabarber halt… ein Rhabarber?
Ja, natürlich ist die Säure und die Intensität der Säure das Erste, was auffällt – und da gibt es zwischen den Sortenkandidaten auch deutliche Unterschiede. Deshalb setzen wir ja bei allen Proben die gleiche Menge Zucker ein. Köchin und Koch würden das im Haushalt wohl mit mehr (oder weniger?) Zucker ausgleichen. Dennoch ist es sicher erstrebenswert, auch Rhabarber zu selektionieren, die weniger Säure aufweisen und deshalb für den Genuss auch weniger Zucker brauchen.
Bild: Ganz nach dem Motto "sauer macht lustig" warten diese gekochten Rhabarber darauf, verkostet zu werden.
Rhabarber wirken ja pelzig, führen zu einem etwas speziellen Belag auf den Zähnen, ist dieses Erlebnis ja nach Sorte unterschiedlich stark, oder kann man das nach Dutzenden von Sorten gar nicht mehr beurteilen?
Kurz gesagt: Ja, die einzelnen Rhabarber-Selektionen unterscheiden sich zum Teil schon sehr darin, wie stark dieses pelzige Gefühl ausgeprägt ist. Zwar kann es sein, dass sich einzelne Selektionen recht ähnlich sind, allerdings ist es nicht gesagt, dass diese ähnlichen Typen auch direkt hintereinander verkostet werden. Es ist also umso spannender, da wir uns vor jedem neuen Schälchen nicht sicher sein können, was uns erwartet.
Natürlich müssen unsere Geschmacksnerven hier in kürzester Zeit Höchstleistungen vollbringen und da kann man vor lauter Rhabarber schon mal überfordert sein. Allerdings degustieren wir nicht alle Rhabarber-Selektionen auf einmal sondern immer nur etwa ein Dutzend Selektionen am Stück und dann gibt es eine Unterbrechung von einigen Stunden. Die Unterbrechung ist zwar gut für die Geschmacksnerven doch nutzen wir die Zeit um die nächsten dutzend Selektionen vorzubereiten und zu kochen.
Wie alldiejenigen wissen, die schon mal Rhabarber gegessen haben, verliert sich dieses pelzige Gefühl im Mund nach einer Weile von ganz alleine. Und da wir im Team die Degustation absolvieren und wir uns nach jeder Selektion auch eine gemeinsame Bewertung zu einigen haben, bleibt uns auch genügend Zeit, damit der Pelz bis zur nächsten Selektion wieder weitestgehend weg ist und unsere Beurteilungen somit nicht weiter behindert.
Haben Rhabarber überhaupt ein Aroma?
Sicher, da gibt es sicher einmal das typische, frische grüne Rhabarberaroma, das einem Rhabarbersirup oder Rhabarber-Saft (Rhabarber-Schorle!) die unvergleichliche Frische verleiht. Wäre durchaus auch als morgendlicher Wachmacher geeignet und weckt die Lebensgeister. Dieses schwer zu beschreibende, 'grüne', widerständige und doch gleichzeitig auch angenehme, wiedererkennbare und 'gelernte' Aroma kann dann gepaart sein mit zitronigen Zusatznuancen oder auch fruchtige oder sogar florale Akzente aufweisen. Das versuchen wir herauszuschmecken und dann zu beschreiben. Das geht dann nicht mehr digital oder mit skalierenden Bonitierungen von 1-5 oder 1-9, sondern nur mit textlichen Umschreibungen. Genau wie beim Wein. Und wie beim Wein spielt auch die Nase eine entscheidende Rolle, also das, was wir nach dem Ess-Genuss und der Wahrnehmung der Geschmacksknospen (süss/sauer, Adstringenz, Bitterkeit) über den Geruchssinn retronasal wahrnehmen.
Jetzt beschreibt ihr ja euren geschmacklichen und geruchsmässigen Eindruck von den Rhabarberselektionen von Lubera…. Aber wertet ihr auch? Was ist besser, was ist schlechter?
Gut ist, was gefällt. Und ja: Über Geschmack und Geschmäcker lässt sich bekanntlich nur sehr schwer streiten. Aber letztlich geht es dann um die Intensität der einzelnen Komponenten. Ein Rhabarber kann relativ 'kurz' und langweilig schmecken, ist einfach ein Rhabarber, nicht mehr; oder er kann – um mit der Weinsprache zu reden – einen intensiveren oder weniger intensiven Höhepunkt haben oder auch einen längeren oder kürzeren Abgang. Natürlich interessieren uns vor allem Rhabarberselektionen mit einer grösseren Geschmacksintensität, die nicht allein auf einer mehr oder weniger intensiven Säure beruht.
Jetzt sind wir sehr lange beim Geschmack, beim Aroma verblieben, was ist denn sonst noch wichtig bei der Rhabarberzüchtung, was habt ihr in den letzten Jahren beim Rhabarber sonst noch angeschaut?
Wir versuchen, die Degustationsergebnisse zusammen mit den agronomischen Resultaten als Ganzes zu sehen und so zu einer Gesamtbewertung zu kommen. Was haben wir alles angeschaut und mit Daten erhoben:
- Die Farbe der Stängel innen und aussen
- Bei teilweise und ganz durchgefärbten Sorten geht es darum, wie stark sie durchgefärbt sind und wie früh sie im Entwicklungsprozess der Stängel durchfärben
- Die Länge und dicke der Stiele
- Die Anzahl Stängel je Pflanze, wir haben Sortenkandidaten, die absolute Massenträger sind und regelmässig bis zu 80 und mehr Stängel pro Rhabarberstock produzieren
- Der frühe Austrieb, die Frühzeitigkeit der Ernte
- Der Wuchscharakter, aufrecht, breit, das Verhältnis der Blätter und der Stiellänge, die Kompaktheit, die Stabilität der Stiele und Blätter
- Rhabarber, die keine Blüten oder nur wenig Blüten produzieren vs. Rhabarber, die sehr viele Blüten ausbilden und dennoch viele Stängel treiben.
- Wieviel Ernten sind möglich, sind im Frühling 2 Ernten möglich?
- Wie wächst der Rhabarber im Sommer und Herbst nach, kann er das ganze Jahr geerntet werden?
Und wie bringt ihr diese so unterschiedlichen Resultate und Daten zusammen?
Am Ende gruppieren wir Rhabarbertypen nach Stängelfarbe, Wuchscharakter, Blüten/keine Blüten/extrem viele Blüten, und dann versuchen wir innerhalb dieser Gruppen über die Degustation die besten Sortenkandidaten herauszufinden.
Bild: Ein klassischer Kandidat, der es in die Gruppe "extrem viele Blüten" schaffen könnte.
Was denkt ihr, wie viele verschiedene Sorten werden am Ende aus diesem Prozess herauskommen?
Über die letzten Jahre haben wir in der Rhabarberzüchtung gelernt, dass die Diversität beim Rhabarber grösser ist als ursprünglich gedacht. Zwar sind einige Sorten und Sortengruppen genetisch nahe beieinander, aber bei der Auswahl der Elternpflanzen für die Züchtung haben wir darauf geachtet, möglichst diverses Material einzubringen. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass am Ende 5 bis 10 neue Rhabarbersorten übrigbleiben, die auch im Vergleich zu Standardsorten neue und spannende Eigenschaften mitbringen:
- Kompakter Wuchs für Topf und Kübelkultur
- Mehr Ertrag für die Ernte und auch für den landwirtschaftlichen Anbau
- Mehr und farbstabilere rotfleischige Sorten
- Rhabarber mit Zierwert, die eine Vielzahl von Blüten ausbilden (bis zu 10 Blütenstängel) und trotzdem einen guten Ertrag bringen
- Rhabarber mit intensiverem Geschmack, milde Rhabarber, Aromarhabarber
Aber jetzt müssen wir mit dem Phantasieren aufhören und… weiter Rhabarber pflanzen und essen ;-)
Weil es so schön ist, zum Abschluss noch ein paar Sortenkandidaten: