Säulenobst ist ganz offensichtlich in, und das seit Jahren. Und geschäftstüchtige Baumschulen (da gehören wir hoffentlich mit dazu;-) suchen natürlich alle möglichen und manchmal auch unmöglichen Produkte, die man als Säulen-XY oder konkret als Säulenobst verkaufen könnte. Und dabei werden auch Pflanzen zu Säulenpflanzen, die die Bezeichnung nicht wirklich verdienen. In diesem Artikel versuche ich zunächst zu definieren, was ein Säulenobstbaum sein sollte, wie der Säulenobstwuchs zustande kommt und was es an echten Säulenobstbäumen hier im Lubera® Gartenshop, aber auch auf dem Markt gibt.
Was erwarten wir vom Säulenobst?
Vielleicht macht es Sinn, sich einmal eine Säule physisch-bildlich zu vergegenwärtigen: Sie ist nun mal schmal, und zwar unten ungefähr gleich schmal wie oben, vielleicht mit einer ganz leichten Verjüngung gegen oben. Sehr illustrativ sind die Bilder, auf denen Säulenheilige gezeigt werden: Säulenheilige waren in der frühchristlichen Kirche Mönche und fromme Menschen, die ihr Leben gottgeweiht auf den Kapitellen von Säulen, auf den Köpfen der Säulen sozusagen verbrachten. Darauf gibt es wahrlich nicht allzu viel Platz. Und um nochmals die architektonische Säule zu bemühen. Sie macht eigentlich keine Seitenäste oder Seitensäulen, sondern strebt einzeln und gerade nach oben. Bei einigen Säulenarten kann man vielleicht ganz oben eine etwas breitere, abstützende Funktion erkennen…
Was ist der Unterschied zwischen einem Schnurobstbaum und einem Säulenobstbaum?
Nach diesem Ausflug in die Antike Architektur zurück zum Obstanbau: Über Schnurbäume, ihre Erziehung und Verwendung haben wir schon einen ausführlichen Artikel geschrieben. Der Schnurbaum - ob flach als Spalier gezogen, ob diagonal oder vertikal – bleibt aufgrund des Schnitts und der Erziehung ganz schmal. Die Seitentriebe werden so lange pinziert und zurückgeschnitten, bis sie, der Zurückschneiderei müde und fast wie unter Todesfurcht, zu fruchten beginnen. Später dann werden sie durch den Fruchtertrag so geschwächt, dass sie auch nicht mehr allzu viele Seitentriebe ausbilden. Solche Schurbäume setzen wir beispielsweise zur Erziehung eines (Non) Stepover-Spaliers ein.
Video: Wie man ein Stepover Spalier erzieht
Video: Ein Stepover Spalier im dritten Jahr
Und der Säulenobstbaum? Nun, er ist keine Baumart, keine Erziehungsform, er hat im Gegensatz zum Schnurbaum genetisch definierte Sorteneigenschaften, die zum schmalen, seitentriebarmen, stark nach oben gerichteten Wachstum führen. Schurobstbäume kann ich fast mit allen Sorten, sowohl Steinobst als auch Kernobst erziehen. Sicher ist es mit Äpfeln und Birnen einfacher, aber auch mit Kirschen und Zwetschgen ist es leicht möglich. Säulenobstbäume und –Sorten dagegen sind speziell gezüchtete Sorten mit kolumnarem Wuchs.
Wollen wir Säulenobst schneiden?
Vielleicht überrascht diese Frage jetzt einigermassen… aber sie ist entscheidend. Denn wenn wir Säulenobstbäume schneiden wollen, dann kann fast alles unter diese Kategorie gepackt werden (und sie ist dann fast gleichbedeutend mit Schnurobstbaum). „Ja klar, das ist ein Säulenbaum, Sie müssen ihn halt regelmässig schneiden, dass er auch so aussieht…“
Aber bleiben wir bitteschön ganz nah am Bild, das dem Begriff Säulenobst zugrunde liegt: Wollen Sie eine Säule schneiden? Hat eine Säule Abzweigungen und Seitentriebe? Die Antwort ist ziemlich eindeutig: NEIN, und damit gewinnt die Definition des Säulenobstbaums schon einiges an Inhalt und Profil: Schmal, nach oben strebend, fruchttragend und ohne Seitentriebe bzw. mit möglichst wenigen bzw. kurzen Seitentrieben…
Und kann ein Säulenobstbaum unendlich in den Himmel wachsen?
Natürlich hat für Baumliebhaber und wahrscheinlich auch für Kinder das Bild eines unendlich und unstopbar in den Himmel wachsenden Baums auch etwas Faszinierendes, fast so wie eine biologische Himmelstreppe. Aber auch hier ist es angezeigt, der Metapher der Säule zu folgen: Eine Säule hat ein Ende, sie hört definitiv irgendwo auf, sie hat Grenzen. Sie werden sehen, dass diese Definition im Lichte der Pflanzenwuchsgesetze (siehe unten) und des Säulenbaums, der ja auch irgendwo zu einem Ende kommen muss, gar nicht so unwichtig ist.
So kommt beim Säulenobst der Säulenwuchs zustande!
Wir können hier nicht auf den physiologischen und hormonellen Regelungsprozess eingehen, die den Wuchs eines Säulenobstbaums steuern. Aber so viel kann gesagt werden: Der Säulenobstwuchs ist die Kombination zweier Eigenschaften, die beide vorhanden sein müssen, um den echten Säulenobstbaum auszumachen:
- Extrem starke Apikaldominanz, Spitzenförderung: Hormonell gesteuert hat der Säulenobstbaum einen extrem starken Drang, gerade nach oben zu wachsen. Gerade dadurch wird die Bildung der Seitentriebe stark eingeschränkt, alles Streben des Säulenobstbaums geht nach oben. Und ja, gäbe es keinen zweiten Regelmechanismus, würde der Baum ungebremst den Raketen von Elon Musk Konkurrenz machen, wenn auch auf eine noch viel nachhaltigere Art;-)
- Kurze Internodien: Das ist der zweite Regelmechanismus, oder eher Kontrollmechanismus: Um die Apikaldominanz, das Wachstum nach oben zu begrenzen, müssen Säulenobstbäume auch kürzere Internodien haben als normal wachsende Sorten. Damit kann ihr Wachstum doch einigermassen eingeschränkt bleiben.
Was gibt es überhaupt an echtem Säulenobst?
Wenn wir nun soweit einig sind, dass die obigen Wuchseigenschaften bei einem Säulenobstbaum vorhanden sein müssen, dann werden diese Bedingungen eigentlich nur von den echten Säulenäpfeln eingehalten, die alle ursprünglich von einer McIntosh-Mutation namens Wijcik abstammen. Im Lubera®-Sortiment finden Sie unteressen eine Vielzahl von verbessern Säulenapfelsorten, die wir Malini®
Bild: Säulenapfelbäume Malini® Dulcessa®
nennen, und die neben der Schorfresistenz auch verbesserte Fruchtqualitätseigenschaften und weniger Alternanz zeigen. - Bei den Birnen wird es schon viel schwieriger. Zwar haben Birnen von Haus aus eine starke Apikaldominanz, und mit genügend geduldigem Schneiden kann man aus jeder Birne leicht einen Schnurbaum machen. Aber wirklicher Säulenobstwuchs? In der Vergangenheit sind verschiedentlich normale Birnensorten als Säulenbirnen auf den Markt gebracht worden, die ganz einfach eine etwas stärkere Apikaldominanz haben als normal (wie z.B. Conference und Conference-Abkömmlinge wie Concorde, Decora, aber echte Säulenbirnen sind das nicht. Mit der Sorte Pirini® MyWay® ist es uns gelungen, eine der ersten echten Säulenbirnen einzuführen, die beides vereint: Die Apikaldominanz mit einer guten Unterdrückung der Seitentriebbildung plus kurze Internodien. Die Kompaktheit dieser Sorte ist so stark, dass wir Myway® sogar auf die starkwachsenden Birnensämlinge veredeln können, und auch dann noch geht es 2-3 Jahre, bis das Bäumchen in unserer Baumschule nur mal 50-70cm erreicht. Hier ist also die Gefahr, dass der Baum je den Himmel berühren könnte, äusserst klein…
Bild: Säulenbirne Pirini® Myway®
Das Problem: Steinobst als Säulenobst
Säulensteinobst ist ein Problem! Steinobst erfüllt eigentlich nie die oben definierten Bedingungen für Säulenobst: schmal, begrenzt auch in der Höhe, wenig Schnitt. Einige Sorten haben zwar leicht kürzere bis kurze Internodien, aber zu wenig Apikaldominanz, andere wie zB. die Kirschsäulensorte Sylvia haben gar nur leicht kompaktere Internodien und unterscheiden sich in fast nichts von normalen Steinobstbäumen. Pflaumen- und Zwetschgen-Säulen zeigen vielfach über eine starke Apikaldominanz, streben aber unendlich nach oben, ohne dass dem Wachstum durch kürzere Nodienabstände enge Grenze gezeigt würden. Auch Pfirsich-, Nektarinen- und Aprikosen-Säulen sind letztlich ganz normale Obstbäume der entsprechenden Arten, nur dass sie einen eher pappelartigen Wuchs haben, also mit steil nach oben wachsenden Trieben. Die Apikaldominanz steuert da also nicht nur die Mitte, sondern auch die Seitentriebe. Ob das ewige Schneiden von Säulenobstbäumen zu akzeptieren wäre, haben wir ja schon oben diskutiert. Die Antwort war: Eigentlich nicht!
Die einzige Steinobstsorte, der meiner Meinung nach wirklich das Zeug hat, als Säulenobst bezeichnet zu werden, ist die Säulenkirsche Jachim.
Bild: Säulensauerkrische Fruttini® Jachim
Video: Die Säulensauerkirsche Fruttini® Jachim
Und was bedeutet das für den Käufer eines Säulenobstbaums?
Wenn Sie einen wirklichen echten Säulenobstbaum auswählen möchten, müssen Sie sich auf die Malini® Apfelsäulen und die Pirini® Birnensäulenbäume konzentrieren. Allenfalls können Sie vom Steinobst noch die Säulen-Sauerkirsche Jachim berücksichtigen. Wenn es aber doch Steinobst, Kirsche oder Zwetschge-Pflaume sein soll, machen Sie sich darauf gefasst, dass Sie in den meisten Fällen sehr hoch werden, dass sie auch viele oder bei Aprikosen/Pfirsichen auch mehr als genug Seitentriebe bilden und dass die Höhenbegrenzung zu noch mehr Seitentrieben führt... Wenn Sie diese sogenannten oder unechten Säulenobstsorten zu einem Säulenwuchs bringen wollen, müssen Sie sie regelmässig beschneiden wie die Schurbäume: Alle Triebe über 20cm Länge (Kernobst) oder über 40-50cm Länge (Steinobst) werden um den längsten Tag und im Februar auf die Standartlänge zurückgeschnitten. Ältere, schon abgetragene Fruchtäste werden nach einigen Jahren auf Stummel zurückgeschnitten, um wieder neue frische Seitentriebe und Fruchtholz hervorzukitzeln.
Ach ja und noch was: Wenn Sie im Netz oder im Baumarkt (meistens in letzterem) einen Säulenobstbaum finden, der den gleichen Namen wie eine klassische normalwachsende Sorte trägt (Säulenapfel Braeburn z.B.), lassen Sie ganz einfach die Finger davon...
Mehr zum Thema Säulenobstbaum finden Sie in unserem Dossier "Säulenapfel - alles Wissen über die schlanken und ranken Bäumchen"
Sehr guter und lehrreicher Bericht