Breit und gross steht Tom?s Sauergrauech in einer Gartenecke. Viel zu schön, als dass man auf den Baum verzichten könnte; aber auch viel zu viele saure Äpfel, als dass man in sie alle beissen könnte … Tom hatte also gute Gründe, wenn er mich in diesem Winter mehrfach auf den umzuveredelnden Baum ansprach und dabei durchaus bewusst an meinen Berufsstolz appellierte. Er musste es mir gar nicht explizit sagen; ich sagte es mir schon selber: Dafür gäbe es die perfekte Lösung: Umpfropfen! Und natürlich dazu gleich noch einige Videos drehen …
Damit können wir hier die Beschreibung des Vorgangs ausnahmsweise aufs absolute Minimum beschränken, zählt ein Video – linear vom Bild hochgerechnet, das mehr sagen soll als 1000 Worte – mindestens so viel wie ein ganzer Roman …
So also wird ein alter Obstbaum umveredelt:
1. Die Vorbereitung des Baums
Die zu veredelnden Äste werden stark zurückgesetzt; letztlich soll der alte Baumast nur mehr das Gerüst abgeben, selber an den umgepfropften Haupttrieben nicht mehr viele Früchte tragen. Allerdings ist darauf zu achten, dass am zurückgeschnittenen Gerüstast noch einige grüne Seitentriebe, die sogenannten Zugäste, bleiben; sie stellen sicher, dass der zurückgeschnittene Ast bis zur Veredelungsstelle weiterhin mit den notwendigen Lebenssäften versorgt wird. Beim Umpfropfen eines alten Obstbaum sollen pro Jahr nicht mehr als 1-2 grössere Gerüstäste bearbeitet werden; pro Hauptgerüsttrieb können es dann durchaus auch 2-3 einzelne verzweigte Aste sein, die umveredelt werden. Soll der ganze Baum systematisch auf neue Sorten umgepolt werden, wird der Vorgang einfach jedes Jahr oder besser noch jedes zweite Jahr wiederholt. Der richtige Zeitpunkt des Umpfropfens ist in der zweiten Hälfte April oder im Mai; der Baum soll voll im Saft sein, so dass das aufgepfropfte ?fremde? Edelreis möglichst schnell von Gewebebrücken erreicht und an den Saftstrom des Baums angeschlossen werden kann.
2. Die Vorbereitung der Edelreiser
Die Edelreiser müssen beim Zeitpunkt des Pfropfens absolut ruhig, in tiefer Winterruhe sein. Das ist am besten zu erreichen, indem man die Edelreiser rund um Weihnachten schneidet und danach kühl lagert. Ideal dazu ist ein Kühlraum bei 0.5°C, aber auch ein normaler Kühlschrank leistet gute Dienste; die Edelreiser sollten allerdings in einen Plastiksack eingepackt sein, um allzu grossen Feuchtigkeitsverlust zu verhindern. Stellt man vor der Pfropfarbeit fest, dass die Reiser etwas eingefallen sind, so dass sich auf der Rinde leichte Längsrillen abzeichnen, werden die Reiser am dickeren Ende neu angeschnitten und 3-4 Stunden in frisches Wasser gestellt, damit sie den Wasserverlust ausgleichen können.
3. Pfropfen unter die Rinde
Das Pfropfen unter die Rinde ist die einfachste und auch effizienteste Veredelungsart, obwohl Berufsschulen und alte Baumschulmeister ihre Lehrlinge noch immer mit dem viel komplizierteren Geissfusspfropfen plagen. Am umzuveredelnden Ast wird ein 3-5cm langer Längsschnitt, dem Ast entlang bis zur Schnittstelle, ausgeführt, danach werden die beidseitigen Rindenlappen mit dem Messer leicht gelockert und aufgestossen. Das Edelreis wird mit dem Veredelungsmesser am dickeren, älteren Ende mit einem 3-4cm langen Längsschnitt beschnitten, so dass hier ein langer Keil übrig bleibt, auf der einen Seite die Rinde und auf der andere Seite die lange Schnittfläche. Auf der ?jüngeren? und dünneren Seite wird das Edelreis mit der Schere so abgeschnitten, dass nach der Schnittfläche 1-2 Knospen stehen bleiben. Aus ihnen wird bei erfolgreicher Pfropfung die neue Sorte wachsen. Danach wird das solcherart zugeschnittene Pfropfreis mittig unter die beiden rechts und links gelockerten Rindenlappen geschoben, bis die Schnittfläche ganz im alten Ast verschwunden ist. Beim Reinschieben läuft die Schnittfläche des Pfropfreises auf dem Holzkern des alten Astes.
4. Die Versorgung der Pfropfstelle
Der alte Ast, der solcherart umveredelt worden ist, wird über die ganze Schnittstelle verbunden, mit einem elastischen Veredelungsband oder auch ganz einfach mit einem Abdeckband für Malerarbeiten. Dabei geht es nur darum, das ?untergeschobene? Edelreis mechanisch zu sichern und etwas Druck auf die Veredelungstelle zu geben, um das schnelle Anwachsen zu befördern. Anschliessend werden alle offenen Wund- und Schnittstellen mit Wundverschlussmittel oder noch besser mit Baumwachs verstrichen; so soll das Eindringen von Krankheitskeimen verhindert werden und gleichzeitig werden auch die offenen Triebstellen vor dem Austrocknen geschützt.