Der Schnurbaum ist so etwas wie der Sieg des Gärtners über den Baum. Da drängt der domestizierte Baum nicht mehr selbstbestimmt dem Licht entgegen, sondern da diktiert der Gärtner, wo es langgeht.
Ha, endlich haben wir Gärtner auch mal etwas zu sagen! Da überrascht es nicht, das diese sehr formale, um nicht zu sagen «diktatorische» Art der Obstbaumerziehung zum ersten Mal in grossem Massstab von Andre le Nôtre, vom Gärtner des absolutistischen Sonnenkönigs Louis XIV, im Potager von Versailles praktiziert wurde. Das kann man natürlich auch als Vergewaltigung der Natur betrachten, aber eigentlich ist es eine Kulturleistung und ein leider fast vergessenes gärtnerisches Gestaltungselement. Der Schnurbaum zeigt – richtig eingesetzt – im Garten die Richtung an, er lenkt und leitet. Er ist ein pflanzliches do-not-step-over Schild. Dass er dazu noch blüht und fruchtet, nimmt man dabei gerne in Kauf ;-)
In Ippenburg haben unsere Gartenarchitekten Nicole Fischer und Daniel Auderset den Schnurbaum in der den Paradiesgärtchen vorgelagerten Rabatte eingesetzt: Diese Rabatte spielt das Obst- und Apfelthema schon vor den eigentlichen Paradies-Gärtchen durch. In der sich aus den Schnurbäumen ergebenden Hecke sind alle unsere ‘Paradis’- und ‘Redlove’-Sorten gepflanzt, und sie lenken die Besucher unaufdringlich, aber bestimmt zu den vorgesehenen Eingängen, die zu den Paradiesgärtlein führen. Wer wird denn schon über Bäume steigen, die Blüten und Früchte tragen? Das Beispiel zeigt, wie elegant der Schnurbaum Funktionalität (Abgrenzung, Lenkung) und Ästhetik verbinden kann.
Allein und in grosser Zahl eingesetzt, wirkt der Schnurbaum vielleicht etwas zu streng, zu nackt, zu bestimmend. Er erinnert dann wirklich stark an den Handlauf eines Geländers. Dem wachsen in unserem Beispiel in Ippenburg die untergepflanzten FruchtFreundinnen, die niedrigen Obstbegleitstauden entgegen, die den waagrechten Cordon umspielen. Das ist vielleicht der grosse Unterschied zum 19. Jahrhundert, der zweiten Hochzeit der Formobstbäume nach dem 17. Jahrhundert: Damals galt die strenge Form, die geometrische Vermessung der Natur selber als ästhetische Kulturleistung; heute bevorzugen wir ein Gleichgewicht oder sogar Gegenspiel zwischen Formalität und Freiheit, zwischen Kultur und Natur.
Eine einfache Baumform – schon im 19. Jahrhundert Nicolas Gauchers Handbuch der Obstkultur, Verlag Paul Parey, Berlin, 1889, ist das einzige Obstbaumbuch, das ich von meinem Urgrossvater geerbt habe, der als erster hier im St. Galler Rheintal, in Werdenberg, eine Obstbaumschule betrieb. Der neunte Abschnitt seines Handbuchs, das mehr als 900 Seiten umfasst und sehr schöne Bildtafeln und Abbildungen aufweist, ist der «Anzucht der künstlichen Baumformen» gewidmet.
Waagrechter Kordon – unser Schnurbaum
«Diese Form kann wegen der leichten Zucht, des geringen Raums, den sie einnimmt, der prachtvollen und zahlreichen Früchte, welche sie bei richtiger Behandlung liefert, und des zierlichen Anblicks, welchem diese langen Girlanden durch ihre Blüten, Blätter und Früchte gewähren, nicht genug empfohlen werden.» Dem ist nur zuzustimmen: Der waagrechte Kordon, der Schnurbaum (oder Schnürbaum, wie ihn Gaucher auch nennt) ist einfach im Aufbau und im Unterhalt. Letztlich ist die Erziehung sogar einfacher als bei der Spindel, da leicht nachvollziehbare Regeln ganz einfach konsequent einzuhalten sind.
Die richtige Jungpflanze und ein Gerüst
Als Startmaterial zum Schnurbaum braucht es einen nur einjährigen Baum, der eben noch leicht biegbar ist. Wir bieten als einjährige Bäume die sogenannten Easytrees an, die für diesen Zweck hervorragend geeignet sind. Ein Gerüst mit Pfosten und einem waagrechten Stahlseil oder auch einer festen Latte auf ca. 40 - 50 cm Höhe (auch höher ist möglich) kann auf die verschiedene Art gebaut werden. Wir bieten vom englischen Hersteller Harrod Horticultural das hochwertige Step-over-Gerüst an. Aber natürlich sind alle Varianten auch im Eigenbau möglich ;-)
Der Abstand der einzelnen Gerüstpfosten wird am besten nach dem gewünschten Baumabstand und damit nach der gewünschten Länge der Kordons, der waagrechten Schnuräste gewählt. Beim Harrod Stepover ist der Abstand 150 cm, was mir ideal erscheint. Gaucher wäre allerdings in dem Punkt gar nicht meiner Meinung. Er plädiert auf 2 – 3 m, um ein allzu starkes Wachstum auf dem seiner Meinung nach zu kurzen Kordon zu verhindern. Als Kompromiss mit meinem grossen Vorgänger biete ich an: Wer ohne Unterbepflanzung einen Schnurbaum erzieht, soll durchaus einen längeren, 2 – 3 m langen Kordon in Betracht ziehen; bei einer Unterbepflanzung ist der kürzere Abstand um 150 cm zu wählen. Vielleicht sind wir auch einfach nur ungeduldiger als unsere Vorgänger vor bald 150 Jahren: 150 cm sind nach einem Jahr, spätestens nach 2 Jahren schon ausgefüllt, der Kordon ist fertig. Grössere Abstände dauern länger.
Mögliche Obstarten: Apfel und Birne (und Rebe)
Hier können wir das Wort getrost wieder Gaucher überlassen: «Es können allerdings am Ende alle Obstgattungen als wagerechte Kordons gezogen werden, wir erkennen aber nur drei an, welche sich mit Erfolg dazu eignen, nämlich Äpfel, Birnen und Reben.» Ja, genau so ist es noch immer. Und natürlich sollten die Apfelbäume auf der schwachwachsenden Unterlage M9 und die Birnen auf Quittenunterlage stehen. Auch hier gehen wir wieder mit Gaucher einig: «In den meisten Fällen (beim Apfel) sollen auf Paradies veredelte Bäume gewählt werden, denn dieselben zeigen weniger Triebkraft, kommen früher in Ertrag und liefern schönere und grössere Früchte als auf den anderen Unterlagen.» Mit Paradies sind hier nicht die Lubera Apfelzüchtungen gemeint, sondern die Apfelunterlage Paradis Jaune de Metz, die identisch ist mit unserer heutigen Standardunterlage M9. Diese wurde schon im 19. Jahrhundert breit eingesetzt, auch von meinem Grossvater aus der Baumschulregion von Orléans im Loiretal in grossen Weidenkörben eingekauft, mehr als 30 Jahre bevor sie in East Malling als M9 wiederentdeckt und vereinheitlicht wurde.
Pflanzung und Kordonerziehung
Der Lubera Easytree® wird am Pfosten gepflanzt und auf der Höhe des Drahts, des Stahlseils oder der Querlatte möglichst im rechten Winkel gebogen und mit elastischem Bindematerial auch in dieser Stellung fixiert. Allerdings empfehle ich, im ersten Jahr den Kordon noch nicht ganz auf die Waagrechte runterzubinden, sondern noch einen 30° Winkel zu belassen. So hat der Baum mehr Zug, mehr Kraft und Saft geht ins gewünschte Längenwachstum, und weniger in die Bildung zu starker aufsetzender Seitentriebe. Nach 1 oder 2 Jahren, wenn die gewünschte Endlänge erreicht ist, kann dann der Schnurbaum auf die Waagrechte herunter gebunden werden.
Die Hohe Schule des Pinzierens
Die hohe Schule wäre natürlich das Pinzieren. Alle Seitentriebe am Schnurbaum, die mehr als 15 – 20 cm gewachsen sind, werden auf diese Länge entspitzt, indem die noch nicht ganz aufgefalteten Spitzenblättchen samt der inneren Wachstumsspitze, dem Meristem mit Zeigfinger und Daumen weggeklaubt werden. Wenn dann im Juli/August die Seitenäste nochmals durchtreiben, soll der frische Austrieb nochmals auf die alte Schnittstelle zurückpinziert werden. Natürlich eignet sich diese Erziehungsrat vor allem für kleinere und auch kürzere Schnurbäume. Der Effekt ist aber verblüffend: Die Fruchtbildung am kurzen Seitenholz beginnt schneller und schon im 2. Jahr gibt es da einen guten Fruchtansatz, der dann seinerseits das vegetative Wachstum schwächt.
Alternative: Der doppelte Fruchtholzschnitt
Wer aber seine Schnurbäumchen nicht laufend überwachen kann, der setzt besser den doppelten Fruchtholzschnitt ein, der denkbar einfach ist: Mitte bis Ende Juni werden alle Seitentriebe konsequent auf 15-20cm zurückgeschnitten. Im März des Folgejahres wird ebenso konsequent nochmals alles auf 15 – 20 cm zurückgeschnitten. Achtung: In der Regel wird kein Seitenast ganz entfernt. Das würde zu verkahlenden Stellen am Kordon führen – eine obstbauliche Sünde, die nicht mehr rückgängig zu machen ist.
Das ist alles?
Ja, genau. Das ist wirklich alles. Ausser vielleicht noch das eine: Alle diese einfachen Massnahmen, vor allem aber der Fruchtholzschnitt, muss absolut konsequent ausgeführt werden. Er ist ziemlich primitiv, und genau so muss er auch exekutiert werden. Zu viel Nachdenken, Nachlässigkeit oder Angst vor dem Schneiden verunstalten den Schnurbaum nur allzu schnell zur Unförmigkeit.
Übrigens
Der geometrisch-obstbaulichen Phantasie unserer Obstbaufreunde im 19. Jahrhundert waren fast keine Grenzen gesetzt…
Video: Wie werden die einjährigen Schnurbäume geschnitten?
Andere Bäumchen möglich?
Aber evtl gibts ja in dem Bereich Neuzüchtungen?
Mich würden vor allem auch Pfirsiche interessieren? Oder gäbe es andere Obstgehölze die vielleicht geeignet wären? Äpfel und Birnen haben wir im Grunde schon einige.
Oder wäre für Pfirsiche zb das Guyot-System dann besser geeignet?
Über eine Antwort würde ich mich freuen.
Liebe Grüße
Und danke für die immer wieder tollen Pflanzen die ihr versendet.