Ein Schulgarten ist ein Lernort, an dem sich Theorie und Praxis verbinden. Er bringt Schüler und Lehrkräfte aus der digitalen Welt in die reale und bietet sensorische Erfahrung statt abstrakter Vorstellung. In einem Schulgarten können Schüler die Natur mit allen Sinnen erleben, Tiere und Pflanzen erforschen und ihre Beobachtungen dokumentieren. Ein Garten lässt sich für alle Schulfächer nutzen und in alle Lehrpläne integrieren. Er liefert Anschauungsmaterial und ist gleichzeitig grünes Klassenzimmer und Präsentationsfläche. Wie vielfältig die Einflüsse auf die Entwicklung von Schülern sind, zeigt sich bei einem Blick auf die Geschichte des Schulgartens, die in den vergangenen 300 Jahren eng mit sich weiterentwickelnden pädagogischen Grundsätzen und Lehrkonzepten verbunden ist.
Inhaltsverzeichnis
Die Geschichte der Schulgärten in Europa
Die Bedeutung von Schulgärten hat sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Bereits in der Antike waren Gärten Treffpunkte für Lehrer und Schüler. Sie inspirierten Philosophen, Mathematiker und Theologen. Im Mittelalter dienten Klostergärten der Selbstversorgung der Klöster, als Orte der Einkehr, aber auch in Form von Kräutergärten und Apothekergärten der Weiterbildung für Mönche, Apotheker und Ärzte. 1698 liess August Hermann Francke am "Königlichen Pädagogium" in Halle einen Schulgarten nach den Vorbildern von botanischen Gärten und Apothekergärten anlegen, um seinen Schülern im Botanik-Unterricht die bekannten Heilpflanzen nahezubringen. Ab dem 17. Jahrhundert entwickelten sich verschiedene Lehrkonzepte mit philosophisch-theologischen, theoretischen und praktischen Ansätzen parallel, die sich ihrer Vorstellung vom Schulgarten und seinem Nutzen stark unterscheiden.
Bild: Es gibt verschiedene Möglichkeiten wie Schulen einen eigenen Schulgarten anlegen können. Auf dem Bild siehst du einen Teil des Schulgartens der Schule in Sevelen (Schweiz/St. Gallen).
Schulgärten als Ort der Demut und Besinnung
Joseph von Furtenbach errichtete um 1650 die Schule in der Eich in Ulm. Zu deren damals völlig neuen pädagogischen Konzept gehörte ein Schulgarten, der als Raum zur Besinnung auf christliche und gesellschaftliche Werte und dazu gedacht war in den "Kindern gute Gedanken zu erwecken".
Die ersten Schulgärten, die unserem heutigen Verständnis eines Schulgartens entsprechen entstanden Ende des 17. Jahrhunderts. August Hermann Francke gründete mehrere Waisenhäuser und Lehranstalten in Halle. Er erwarb dafür Gartenland und baute die ersten Schulgärten auf, die zur naturwissenschaftlichen Erziehung dienten und in denen die Kinder den praktischen Anbau von Pflanzen erlernten. Allgemeine Verbreitung fand dieses Lehrkonzept aber nicht, weil die schulische Erziehung durch kirchliche und gesellschaftliche Vorgaben geprägt war und vornehmlich zur Bibeltreue und Sittsamkeit erzog. Für naturwissenschaftliche Lehren war kein Platz.
Praktischer Gartenbau
Etwa 1750 liess Johann Julius Hecker an der von ihm gegründeten praxisorientierten „Ökonomisch-Mathematischen Realschule“ in Berlin einen Schulgarten anlegen, damit die Schüler praktische Erfahrungen im Gartenbau und in der Seidenraupenzucht sammeln konnten.
Im 18. Jahrhundert setzte auch die Industrieschulbewegung ein: Um die Gesellschaft voranzubringen, sollten Kinder von Armen und Bettlern früh daran gewöhnt werden zu Arbeiten. Vor allem im ländlichen Raum boten Schulgärten dazu eine gute Gelegenheit. Ein bekanntes Beispiel ist die Schule, die der Theologe und Priester Ferdinand Kindermann um 1770 in Österreich gründete und in der es auch einen Schulgarten für praktische Unterweisungen im modernen Landbau gab. 1774/75 richtete der Schweizer Johann Heinrich Pestalozzi auf seinem eigenen Landgut eine Anstalt für arme, verwahrloste und verlassene Kinder ein und 1799 in Stans eine Armen- und Industrieschule für Waisen- und Bettelkinder. Der Schulgarten war wichtiger Bestandteil seines Bildungskonzepts.
In München wurde 1895 Georg Michael Anton Kerschensteiner Stadtschulrat. Er richtete ab 1900 Arbeitsschulen, die Vorläufer der heutigen berufsbildenden Schulen, ein und stattete sie mit Werkräumen und Schulgärten für den Praxisunterricht aus.
Weitere Gartenbuchtexte zum Thema Schulgarten:
- Schulgarten Teil 2: Der Nutzen von Schulgärten
- Schulgarten Teil 3: Ganz einfach und flexibel
- Schulgarten Teil 4: Schulgärten für Kindergärten und Grundschulen
- Schulgarten Teil 5: Shulgarten für die Sekundarstufe I
- Schulgarten Teil 6: Schulgärten für die Sekundarstufe II
Naturkunde im Schulgarten
Im 19. Jahrhundert gewannen die Lehren von Naturwissenschaftlern wie Darwin und Mendel an Einfluss. Während sich ihre Erkenntnisse durchsetzten, gewann die Natur- und Umweltbildung auch an den Schulen an Bedeutung. Zu den treibenden Kräften dieser neuen Schulgartenbewegung gehörte der Wiener Gymnasialdirektor Professor Dr. Erasmus Schwab. Er schrieb in seinem Buch: "Der Schulgarten ist eine Pflanzstätte für anschauliche Kenntnis der Natur, für edle Freude an derselben, für den Schönheitssinn, für den Gemeingeist, für bessere Sitten, endlich für erhöhten Volkswohlstand, überdies aber ein Mittel zur Heranziehung eines körperlich kräftigen Geschlechtes." 1873 präsentierte Schwab auf der Weltausstellung in Wien einen Schulgarten, für den er mehrere Auszeichnungen erhielt. Dieser Mustergarten legte den Grundstein für die Verbreitung des Schulgartens in Europa. Die Anlage von Schulgärten wurde in verschiedenen Ländern im Schulgesetz (z. B. Österreich, Belgien) festgeschrieben. In Österreich soll es 1899 etwa 18.000 Schulgärten gegeben haben. In der Schweiz hatte um 1900 etwa jede dritte Schule einen Lehrgarten. In Schweden sollen es zu der Zeit etwa 4700 gewesen sein. Auch in Deutschland wurden Schulgärten zu einem wichtigen Unterrichtsmittel im Naturkundeunterricht. 1896 fand auf der 2. internationalen Gartenbauausstellung in Dresden ein 1500 Quadratmeter grosser biologischer Schulgarten viel Beachtung. Er war als Lehr- und Beobachtungsgarten konzipiert, in dem die Schüler nur wenig praktische Gartenarbeit ausführten. Er lieferte hauptsächlich Anschauungsmaterial für den Naturkundeunterricht. Durch staatliche Förderung der Schulgärten, sollten alle Schulabgänger in die Lage versetzt werden einen Garten zu bewirtschaften. 1937 gab es in Preussen an 14 242 Volksschulen und Mittelschulen Schulgärten.
Bild: Ein Beet mit Wildgehölzen kann ebenfalls Bestandteil des Schulgartens sein.
Der Schulgarten als ganzheitlicher Lernort
1919 wurde in Stuttgart die erste Waldorfschule mit einem Schulgarten gegründet. Bei dem Schulkonzept von Rudolf Steiner lernen die Kinder praktische Gartenarbeit und bauen selbst Obst und Gemüse an. So gewinnen sie Erkenntnisse über die Zusammenhänge in der Natur. Gleichzeitig fördert die Arbeit ihre ganzheitliche Entwicklung und ihr individuelles Potenzial, indem ihre fein- und grobmotorischen Fähigkeiten, soziale Kompetenzen und Interesse an der Natur entwickelt werden.
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Gartenarbeit in der Schule für ideologische Zwecke instrumentalisiert und missbraucht. Die Folge war, dass die Schulgartenbewegung nach dem zweiten Weltkrieg im deutschsprachigen Raum fast zum Erliegen kam.
Nur in der Deutschen Demokratischen Republik wurde Gartenbau als eigenes Unterrichtsfach in der Grundschule unterrichtet. In Westdeutschland, Österreich und der Schweiz gewannen Schulgärten erst in den 1980er Jahren im Zusammenhang mit der Umweltbildung wieder grössere Bedeutung.
Schulgärten heute
Wie weit Schulgärten heute verbreitet sind und wie sie genutzt werden, ist schwer zu ermitteln. Es gibt keine zentrale Statistiken, wie viele und welche Schulen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz einen Schulgarten haben.
Umfragen und Statistiken
Es wurden verschiedene Umfragen in einzelnen deutschen Bundesländern und in Österreich durchgeführt.
In einer Studie aus dem Jahr 2018 gaben von 356 befragten allgemeinbildenden höheren Schulen in Österreich 94 an einen Schulgarten zu nutzen. Allerdings schickten nur etwa die Hälfte der Befragten vollständig ausgefüllte Fragebögen zurück, sodass sich aus dieser Umfrage nicht ableiten lässt, wie verbreitet die Nutzung von Schulgärten in Österreich tatsächlich ist.
Etwas detaillierter ist das Bild in Deutschland. 2022 hatten in Berlin 305 von 842 Schulen einen Schulgarten (36 %). In Sachsen verfügen aktuell etwa 64 % der Grund- und Förderschulen über einen solchen. In Thüringen gehört Gartenbau zum Lehrplan der Grundschulen und alle haben entweder einen eigenen Garten oder nutzen einen Garten ausserhalb der Schule.
In Bremen hatten 2013 laut einer Umfrage von 148 Schulen 43 (29 %) einen eigenen Garten und in Baden-Württemberg 2003 ca. 39,5 %. In einer anderen Studie aus dem Jahr 2003 wurde geschätzt, dass zwischen 30 und 35 % der Schulen in Nordrhein-Westfalen einen Schulgarten haben.
Je nach Region nutzen ein Drittel bis zwei Drittel aller Schulen Schulgärten. Besonders verbreitet sind sie an Grund- und Förderschulen, tendenziell stärker vertreten in den ostdeutschen Bundesländern. Bei den Waldorfschulen und den Montessori-Bildungseinrichtungen gehört die praktische Arbeit im Schulgarten zum Lehrkonzept.
Bild: In einem Asthaufen finden viele Lebewesen einen Unterschlupf.
Aus- und Fortbildung von Lehrkräften
Wie intensiv ein Schulgarten in den Unterricht eingebunden wird, hängt zum einen vom Lehrplan und zum anderen von der Qualifikation der Lehrkräfte ab. Das Fach "Schulgarten" ist nicht grundsätzlich ein Bestandteil der Lehrerausbildung.
An der Universität in Erfurt beinhaltet das Lehramtsstudium im Studienfach Primarpädagogik auch das Fach Schulgarten. An der Technischen Universität Berlin können angehende Lehrkräfte Land- und Gartenbauwissenschaft auf Lehramt studieren. Weitere Studienangebote richten sich an angehende Berufschullehrer/innen (z. B. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn). Von Waldorf-Akademien wird der Studiengang Diplom Gartenbaulehrer an Waldorfschulen und eine Weiterbildung für Quereinsteiger zum/zur Fachlehrer/innen für Gartenbau angeboten.
Es gibt ausserdem staatliche und private Initiativen zur Förderung von Schulgärten. 2002 wurde in Fulda die deutsche Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten gegründet. Seit 2011 ist sie als Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten e.V. als eigenständiger Verein tätig, der Fortbildungsmöglichkeiten und pädagogische Konzepte für Lehrer anbietet. In der Schweiz unterstützt die "Arbeitsgemeinschaft Bildungs- und Schulgärten Schweiz" unter der Leitung der Fachstelle "Lernorte in der Schulhausumgebung" der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz Lehrkräfte mit Informationen und Fortbildungen.
Bild: Eine Kräuterschnecke ist eine platzsparende Methode, um einen Kräutergarten anzulegen.
Der Schulgarten im schulischen Alltag
Während in Thüringer Grundschulen, Waldorf- und Montessori-Einrichtungen der Garten einen festen Platz im Stundenplan hat, hängt in den meisten anderen Schulen, die Nutzung des Schulgartens vom Engagement der Lehrer ab.
Lehrkräftemangel und Unterrichtsausfälle sorgen für Zeitdruck. Organisatorische Aufgaben (Vorbereitung und Korrekturen von Klassenarbeiten, Elternabend, Tag der offenen Tür), Klassenfahrten, Schulfeste und spezielle Projekte zur Berufsorientierung oder ähnliches binden viel Zeit von Lehrern und Lehrinnen.
Die Lehrpläne geben Inhalte vor, die den Kindern während eines Schuljahres vermittelt werden müssen. Jede Schulbuchreihe stellt dafür passende Arbeitsblätter und erleichtert den Lehrkräften die Arbeit. In den Sammlungen der Schulen sind zahlreiche Präparate und Modelle, auf die schnell und leicht zugegriffen werden können.
Steht ein gepflegter und gut strukturierter Schulgarten zur Verfügung, kann der Material liefern für das Mikroskopieren, Messen, Berechnen, Basteln, Zeichnen, Malen, Fotografieren und Probieren. Aber auch ohne Schulgarten gibt es Möglichkeiten mit der Schulgartenpädagogik zu beginnen. Anregungen dazu haben wir in dem Gartenbuchtext "Schulgarten ganz einfach und flexibel" zusammengefasst.
Schulgärten
Guten Tag
Vielen Dank für dein Erfahrungsaustausch. Wir freuen uns, dass wir mit unserem Beitrag so schöne Kindheitserinnerungen in dir wecken können. Und ja du hast recht, es ist sehr schade, dass vielen Kindern heutzutage der Wert der Natur nicht mehr beigebracht wird.
Wir werden noch eine ganze Serie über Schulgärten publizieren und hoffen, dass wir die Menschen und Lehrer/Lehrerinnen dafür sensibilisieren können, in ihren Schulen auch solche Gärten anzulegen.
Wir wünschen dir allzeit viel Freude beim Lesen und im Garten.
Herzliche Grüsse
Dein Lubera Team