Kurze Anmerkung der Redaktion: Markus hat diese Woche viel zu wenig geschlafen und ist zusätzlich auf dem Spartripp. Und er ärgert sich über alles und jeden. Da ist es am besten, wenn man ihn für den Newsletter einen Artikel schreiben lässt, dann geht es nachher wieder. Zu was für unglaublich grossen Problemchen Sparen, wenig Schlaf und ein bisschen Stress führen können, lesen Sie im nachfolgenden Artikel. Ach ja, und ein bisschen um Himbeeren Züchtung geht es auch noch. Sie möchten lieber Himbeerpflanzen kaufen? Dann ab in den Lubera Shop.
Das Leben ist ja grundsätzlich nicht einfach. Und wenn es einfach erscheint (und wahrscheinlich auch wirklich ziemlich einfach ist), dann türmen sich beim Näherhinschauen die Probleme geradezu auf. Probleme sind immer billig und problemlos zu haben. Probleme? Na ja, ich meine die Stolpersteine des Alltags, die man gemeinhin ja einfach übersieht und weitergeht. Aber für einmal möchte ich Ihnen ein paar solche weltbewegend kleine Katastrophen erzählen. Geteiltes Leid. Lachen ist natürlich erlaubt. Hilft meistens.
Also gestern ging das schon viel zu früh los, um 03.30, eine Stunde später hätte im Nachhinein auch gereicht, dann von Bad Zwischenahn nach Bremen, gut dass der Volvo fast von alleine fährt, Ryanair schlafend gut überstanden, erschrocken aufgewacht, als die Ryanair-Fanfare ertönt, pünktlich um 7 schon in London. Ich wollte und sollte wieder - wie drei- oder viermal Mal jeden Sommer - Herbsthimbeeren in East Malling degustieren und selektionieren, also die Himbeeren Züchtung anschauen.
Um Ihnen die Vielseitigkeit meiner englischen Problemgemengelage möglichst eindrücklich vor Augen zu führen, habe ich meine kleinen Episödchen aus einem Tag durchnummeriert. Bei 5 aber dann auch erschöpft aufgehört. Ja, 6 wäre nur noch eine Wiederholung gewesen, und ich wäre mir selber - und ehrlich gesagt Ihnen wohl auch - so langsam auf den Wecker gegangen. Also zu Eins.
Der Trip zu der Himbeeren Züchtung
- Nachdem ich in den letzten Monaten bei den Autovermietstationen meist der Versuchung nach einem Upgrading erlegen war, hatte ich mir für dieses Mal absolute Härte vorgenommen und auch schon bei einem Billigvermieter (auto-europe, easirent) gebucht. Passt ja, so dachte ich, ganz gut, wenn man von Bremen nach London mit Ryanair fliegt. Also das Flugerlebnis war wie gesagt ganz gut. Wobei, wenn ich es mir richtig überlege: Die Dame rechts von mir, also auf dem Zwischensitz, brauchte naturgegeben etwas mehr Platz als ihr eigentlich von Ryanair zugestanden wäre. Und ich hatte ja auch nichts abzugeben. Wie der Kollege am Fenster reagierte, weiss ich nicht. Ich aber verlagerte meinen Oberkörper im Halbschlaf einfach etwas mehr in den Gang hinein, um dann - langsam kommt es mir wieder in den Sinn - in regelmässigen Abständen etwas sanfter (Stewardessen) oder etwas weniger sanft (Stahlwägelchen) zurückgestossen zu werden. Im Halbschlaf ist ja alles nur halb so schlimm, was soll's, man ist ja auch sonst nur ein Spielball fremder Mächte.
- Richtig wach war ich aber, als ich im Shuttle von Stanstead zur Vermietstation durchgeschüttelt wurde. Jedenfalls suchte ich schwitzend den Sicherheitsgurt, den es offenbar nicht gab. Oder haben die Briten den auch immer auf der anderen Seite? Kein Wunder, dass ich pickelhart blieb, als ich nach einer weiteren halben Stunde Warten endlich zur Vermietungstheke vorgedrungen war: Nein, keine Zusatzversicherung, ja 1500 Pfund Selbstbehalt, kein Upgrading, nein, ein Kindersitz für nur 12 Pfund pro Tag brauche ich nicht. Zu den vielen Kinder hinter mir habe ich nichts beigetragen.
- Er fragte mich zwei Mal und schaut mir tief in die Augen: 1500, TAUSENDFÜNFHUNDERT Selbstbehalt, jeden Schaden, alles muss ich selber zahlen. Ja ja, nochmals ein tiefer Blick in die Augen, dann unterschreibe ich leicht entnervt auf dem elektronischen Bildschirm. Auch Billigvermieter gehen mit der Zeit. Ich fahre dann also los, und muss gleich an den eindringlichen Blick denken: Darf ich das Auto nicht mal dreckig machen? Jedenfalls liegt im Fussraum ein Karton, der wohl die Arbeit der Reinigungskräfte einfacher und billiger machen soll, aber für einen Moment das Drücken der Kupplung erschwert, als ich vor der ersten Strasse einen kurzen Stopp reisse, um mir die Sache mit dem Linksfahren nochmals kurz zu überlegen. Der Fahrstart am Morgen ist erfahrungsgemäss der gefährlichste Moment. Kaum bin ich auf der Autobahn, gebe Gas, da beginnt es links zu pfeifen: Durchzug! Ist das Fenster nicht ganz geschlossen? Es ist. Aber das Fenster lässt sich offenbar nicht mehr elektrisch anheben und ist deshalb mit Zeitungen unten und an der Seite notdürftig eingeklemmt worden, so dass es nicht runterfallen kann. Ein Vorteil hat die ganze Sache: Da, wo es pfeift, ist Links, beim Beifahrersitz. Und Links ist da, wo ich fahren muss. Wahrscheinlich vermieten Sie diesen SEAT ausschliesslich an kontinentale Mieter. Und heute Donnerstagmorgen bei der Rückgabe des Autos an der Vermietstation kommt bei der obligaten Kontrolle die erstaunte Frage des Kontrolleurs, was ich denn mit der Scheibe gemacht hätte. Ich erröte unschuldig und stammle wie ertappt, das sei schon bei der Autoübernahme so gewesen... Ich hätte es mir jedenfalls selber nicht geglaubt. Eine endgültige Auskunft über meine Glaubwürdigkeit wird die Kreditkartenabrechnung geben.
- Dann endlich Himbeeren Züchtung, also Himbeeren essen & degustieren. Scheint ja ganz einfach. Nur ist da die ewige Krux die Himbeeren Züchtung, gerade wenn die Sämlinge schön und wüchsig und die Früchte in Vielzahl gross und schmackhaft sind: Selektioniert man hart, so hat man Angst, das Beste zu verpassen; selektioniert man zu grosszügig, dann mindert man zwar die Verlustängste, führt aber das Prinzip der Selektion, der Auswahl ad absurdum. Peter Rühmkorf hat mal gedichtet: "Bleib erschütterbar, doch widerstehe!" War zwar in anderem Zusammenhang, aber stimmt auch beim Züchten. Man muss die Versuchung der Frucht, der Pflanze, ihre Sirenenklänge fühlen, ohne ihnen gleich nachzugeben, man muss sich distanzieren. Man wird zur fühlenden Maschine, eigentlich zum Seismographen: Ich reagiere nur noch auf grössere Erschütterungen. Fast nur.
- Aber da war beim Durchlaufen der Himbeerreihen, bei der Himbeeren Züchtung, noch ein anders Problem. Ob ich das erzählen darf? Jedenfalls war eine spanische Studentin damit beschäftigt, die Pflanzen mit Nummern zu versehen. Wir hatten gleich zu Beginn einen kurzen Smalltalk geführt, dazu hatte sie sogar ganz kurz die weissen Stöpsel aus den Ohren genommen. Habe ich übrigens schon erwähnt, dass sie ausnehmend hübsch war? Nun stelle man sich das vor, ich laufe die Reihen ab, sie auch, einige Reihen vor mir, ich schneller, ich darf ja nicht bei jeder Himbeere stehenbleiben ("bleib erschütterbar, doch wiedersteh!"), sie etwas langsamer, das Anbringen der Plaketten braucht Zeit.
Ob ich es will oder nicht, der Abstand wird immer kleiner, und ebenso unweigerlich treffen wir uns in jeder Reihe immer irgendwo auf gleicher Höhe. Nun kann ich selbstverständlich eine hübsche Studentin nicht 10-mal pro Stunde anlächeln. Habe ich trotzdem gemacht. Beim ersten Mal nimmt sie sogar - ein Missverständnis - beide weissen Stöpsel aus den Ohren. Bei der nächsten Reihe nur noch einen. Danach schauen wir angestrengt aneinander vorbei, wenn wir uns kreuzen.Immerhin habe ich ja noch die Himbeeren. Die lächeln immer. Aber natürlich bleibe ich auch da auf Distanz, bleibe "erschütterbar, doch widersteh."
Im Bild ist eine... nein, nicht die hübsche Studentin, sondern neue kompakte Himbeerselektion, die ich auf den Zuchtfeldern, bei der Himbeeren Züchtung, in East Malling entdeckt habe.