Die Gojibeere, lateinisch Lycium barbarum, deutsch auch Bocksdorn oder Wolfsbeere genannt, hat in Europa eine sehr wechselvolle Geschichte hinter sich. Einst als Giftpflanze verdammt, wird sie nach 2000 zu einer In-Pflanze schlechthin. Nachdem aber die ersten Goji-Sorten, basierend auf den in Europa vorkommenden Wildformen, fast keine Früchte trugen, kommen jetzt extrem fruchtbare und vor allem auch süsse Sorten chinesischer Herkunft auf den Markt. Die süsse und grossfruchtige Goji-Beere Turgidus ist dabei die beste von allen.
Die wechselvolle Geschichte der Goji in Europa
Was haben wir mit den Goji nicht schon alles erlebt! Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als sie in einer Dissertation zum ersten Mal als hochgiftig beschrieben worden war, galt Lycium barbarum, deutsch auch Wolfsbeere oder Bocksdorn genannt, als gefährliche Giftpflanze, die ähnliche Symptome hervorrufe wie die Tollkirsche. Und diese Falschmeldung, mehrfach wiederlegt, ist auch heute noch nicht ganz ausgerottet, vegetiert weiter in Nachschlagewerken und Lexika und wird auch immer mal wieder abgeschrieben. Bei der Zuweisung zu den Giftpflanzen mag auch die Zugehörigkeit der Goji zu den Nachtschattengewächsen eine Rolle gespielt haben. Die Behauptung, Lycium barbarum sei giftig wurde auch in neueren Untersuchungen widerlegt: Der Wirkstoff Hyposcyamin, dem die giftige Wirkung zu verdanken wäre, wurde nur in kleinster Menge gefunden, die toxikologisch nicht relevant ist.
Ab den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Goji-Beere in der ehemaligen DDR aufgrund ihrer Widerstandskraft als Pionier- und Befestigungspflanze zur Rekultivierung von Tagebaugeländen eingesetzt, und auch bei uns im Westen fand sie als unverwüstliche Heckenpflanze im Mittelstreifen und neben Autobahnen Verwendung. Dass man der Pflanze aber die ganze Zeit nicht ganz traute, zeigt sich auch in weiteren Übernamen: Die heutige Goji wurde auch Teufelszwirn genannt.
Unser Betriebsleiter Robert Maierhofer las von der Verwendung an Autobahnen und sah sich vor einigen Jahren in der Nähe der in den 70er und 80er Jahren gebauten Rheintaler Autobahn hier in Buchs um. Und siehe da: Er fand auch sehr schnell wilde Lycium barbarum-Pflanzen, sogar mit einigen Früchten dran. Es gelang aber nicht, diese Pflanzen in der Kultur zu einem regelmässigen Ertrag zu bringen. Der entscheidende Grund liegt wohl ganz einfach darin, dass diese “europäischen” Goji oder Wolfsbeeren nie auf Ertrag und Frucht selektioniert worden sind. Hinzu kommt die Vermehrung über Sämlinge, die einen juvenilen Status haben, also weniger und später fruchten. Manchmal ist an diesen wilden Pflanzen auch die Fähigkeit, am diesjährigen Holz zu fruchten, weniger stark entwickelt. Letztlich aber müssen gemäss unseren Beobachtungen auch Befruchtungsprobleme eine Rolle spielen: Immer wieder beobachten wir in den wilden Beständen Pflanzen, die zwar blühen, aber keine Früchte tragen …
Aber folgen wir weiter der fast schon tragischen neueren Geschichte der Goji: Ab 2000 entstand, noch gar nicht lang ist es her, der Hype der chinesischen Wunderpflanze Goji, den ich zu Beginn gar nicht mitbekam. Bis Norbert, unser damaliger Fahrer, ca. 2005 nach einer langen Liefertour ziemlich aufgeregt in mein Büro kam und mich fragte, ob ich denn auch schon von der neuen Beere gehört habe, die alles menschliche Leid ein für alle Mal zum Verschwinden bringe. Er war jedenfalls stolz, von einer Beere gehört zu haben, die wir bei Lubera noch nicht hatten und von der der Chef noch nicht gehört hatte. Ungläubig, aber auch ziemlich neugierig, wie ich nun mal bin, besorgten wir uns in den folgenden Jahren Versuchspflanzen unterschiedlichster Herkunft. Das Resultat war niederschmetternd: Riesige dornige Triebe, Wuchs ohne Ende, ganze Teppichstangen voll von grau-grünen mit Mehltau belegten Trieben – und das allerschlimmste: Es gab vor allem fast keine Früchte. Bei uns, und wahrscheinlich nicht nur bei uns, kam ein neuer Name auf: Das Gojimonster. Einzige Ausnahme, mit sicherem Ertrag am diesjährigen Trieb und sehr kompakt wachsend: Goji ‘Instant Success‘!
Wildformen anstatt Kultursorten
Was war passiert: Ganz offensichtlich hatte der Hype, aber auch die Schwemme von importierten getrockneten Beeren aus China, dazu geführt, dass alles, was irgendwie nach Lycium barbarum aussah, vermehrt wurde, in gigantischen Stückzahlen. So als ob wir unsere am Rand der Autobahn gefundenen Pflanzen blind vermehrt hätten! Und die wunderbereiten und von dem Gerücht der Superfrucht Goji angelockten Kunden kauften und kauften und wurden gigantisch enttäuscht: Anstatt Superfrüchte im täglichen Müsli hatten sie ein Monster im Garten. Wir sehen den Effekt gut in unseren Goji-Verkaufszahlen, die auf ca. 20% der höchsten Menge zurückgefallen sind. Eigentlich eine ironische Entwicklung, wenn man bedenkt, dass jetzt zwar viel bessere Sorten vorhanden sind, aber das Interesse daran ist weitgehend verschwunden.
Eine neue Chance für die Goji
Aber zurück zur Goji-Saga. Gibt es genügend Gründe, sie einer Neubewertung zu unterziehen, macht ein Berufungsprozess Sinn? Ich denke ja, ganz bestimmt. Letztlich waren die Pflanzenvermehrer – angelockt vom Versprechen der Superfrucht – den in Europa verbreiteten wilden Sämlingen von Lycium barbarum, wohl auch von Lycium chinense, auf den Leim gekrochen, anstatt am Ursprung dieser traditionellen Pflanze der TCM, der traditionellen Chinesischen Medizin, nach Kultursorten und besserer Genetik zu suchen. Direkt aus China, oder basierend auf Selektionen aus chinesischem Pflanzenmaterial, sind in den letzten Jahren viele neue Sorten nach Europa gekommen, die wenigstens eine Mindestbedingung erfüllen: Sie tragen schnell und regelmässig Früchte!
Die “schlechten” und die “guten” Goji
Grob und einer vielleicht allzu menschlichen Einteilung folgend, könnte man die neueren fruchtbaren Sorten in zwei Gruppen einteilen: Die Guten und die Schlechten, oder auch: die Süssen und die Bitteren.
Dabei dominieren auf dem Markt weiterhin die “Schlechten”. Unsere Goji ‘Instant Success‘ gehört dazu, wie die meisten anderen Marktsorten auch. Sie tragen zwar regelmässig Früchte, aber die schmecken halt genauso, wie man es von einem gesunden Medikament erwartet: Medizinisch herb, eher wie eine unreife Tomate oder Paprika, als wie eine Beerenfrucht. Manchmal, und das nimmt man dann schon fast als kulinarischen Hoffnungsschimmer wahr, meint man auch einen Pfefferton zu erspüren. Die Früchte dieser – sorry – “schlechten” Sorten sind meist eher rot als orange, eher gefüllt als hohl und ziemlich gleichmässig geformt. Meist sind sie auch etwas kleiner als die Früchte der zweiten, guten Gruppe.
Ist “schlecht” vielleicht doch besser?
Aus der “schlechten”, bitteren Gruppe können wir nur noch ‘Instant Success” empfehlen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens aufgrund ihres kompakten Wuchses, sie bleibt viel kleiner als alle anderen Sorten, und ist daher besser für kleinere Gärten, für den Topf, als Zierpflanze geeignet. Und zweitens haben wir bezüglich des Geschmacks noch die leise Vermutung, dass “schlecht” vielleicht auch “besser” sein könnte … Der bittere Geschmack verweist auf grosse Mengen an Polyphenolen, den Stoffen, denen genau die antioxidative Wirkung nachgesagt wird, für die die Gojibeere gerühmt wird. Können denn die süssen neuen Sorten gleich gesund sein? Eine Analogie dazu: Alte bittere Mostapfelsorten haben ein viel höheres antioxidatives Potential als unsere schon säuerlichen, aber schmackhaften Redloves, und diese wiederum sind noch immer viel antioxidativer als die Äpfel im Supermarkt (die ihrerseits immer noch in der Lage sind, den Doktor fernzuhalten). Der Gojizüchter Klaus Umbach, den ich dazu befragt habe, argumentiert anders: Der Geschmack und der Zucker der “guten” Sorten überdeckt die Polyphenole, die immer noch da sind, vielleicht sogar zusammen mit dem Zucker in verstärktem Masse. Auch diesen letzteren Effekt gibt es nämlich manchmal bei Früchten: Der Zucker als eine Art Leitstoff zieht andere Inhaltsstoffe gleichsam mit. Und mit Klaus Umbach könnte man auch noch ganz anders, grundsätzlicher argumentieren: Was kann eine “schlecht” schmeckende Sorte nützen, wenn sie gar nicht gegessen wird? Da wäre er dann wieder, der Medikamenten-Effekt? Sie werden nur unter Leidensdruck eingenommen, wenn es einem wieder gut geht, vergisst man sie nur allzu gern und allzu schnell …
Alles wird gut: Die süsse und grosse Goji ‘Turgidus’
Jetzt aber schleunigst zu den Guten Goji! Auftritt Goji ‘Turgidus‘. Hier kommt die Beere der Beeren! Tuuurgiiiduuus! Turgidus heisst lateinisch so viel wie bombastisch, geschwollen, aufgebläht. Der Züchter Klaus Umbach erzählt, dass der Name von seinen ersten italienischen Kunden gewählt worden sei – wir nehmen ihn aber als ein Zeichen des gesunden Selbstbewusstseins: So wie sich Goji ‘Turgidus’ von den schlechten, aber auch von den anderen süsslichen Sorten unterschiedet, darf die neue Sorte schon mal etwas bombastisch, aufgebrezelt daherkommen. Macht Platz! Jetzt komme ich! Ein neues europäisches Goji-Zeitalter bricht an. (Meine einzige leise Kritik: Mir persönlich hätte der Name Turgida für eine Beere besser gefallen;-))
‘Turgidus’ ist wie die meisten andere guten Sorten innen meist hohl (vielleicht auch ein Grund für die lateinische Benennung!), leuchtend orange, länglich zylindrisch, sicher grösser als alle “schlechten” Sorten. Und schon wieder eine Ironie: ‘Turgidus’ sieht ziemlich genau so aus wie eine Paprika en minature, aber im Gegensatz zur Erwartung ist sie jetzt eindeutig süss! Hat man aber bei den anderen Sorten der süsslichen, orangen Gruppe immer noch das Gefühl, ein Medikament zu essen, das für den Patientengeschmack oberflächlich getarnt, etwas süsser gemacht worden ist, so hat Turgidus eine breite, fruchtiger Süsse. Hier hat man – zum ersten Mal – nicht mehr die hintergründige Angst, der Genuss breche gleich ab, und die Bitterkeit entstehe aufs Neue …
Fazit: Nach der Giftpflanze des 19. Jahrhunderts, nach der Pionierpflanze auf Abraumhalden und an Autobahnen, nach dem spektakulären Gerücht des Jahres 2000, nach all den Hundertausenden von Gojimonstern, nach den bitteren Sorten (die aber vielleicht doch ganz gesund sind?) kommt jetzt ‘Thurgidus’. Macht Platz! Und alles wird gut!
Nachtrag: Und wie gut ist Gooji ‘Turgidus’ wirklich?
Goji ‘Turgidus’ ist aktuell die beste aller Gojisorten, sie ist aber nicht die Beste aller Beeren. Wenn es um Genuss und Esserlebnis geht, ziehe ist selbstverständlich weiterhin meine Lieblinge, den Apfel, die Stachel- beere und Himbeeren oder Erdbeeren um Längen vor. Diese haben ja auch nur nebenher den Anspruch, gesundheitsförderlich zu sein, und wollen zunächst einmal nur ernähren und allerhöchstens noch erfreuen. Auch diese “freiwillige” Beschränkung der bekannten Kulturpflanzen hat etwas für sich! So müssen sie auch nicht so “geschwollen” daherkommen;-)
Bei Goji aber braucht man sicher die zusätzliche Gesundheitsmotivation, mit 20 Gramm pro Tag (ja das wäre die angeratene Dosierung!) unzählige positive Inhaltsstoffe in einigermassen angenehmer Verpackung zu sich zu nehmen. Insofern hat Goji noch immer etwas Medikamentenhaftes … (auch wenn es im Geschmack von ‘Turgidus’ nicht mehr unmittelbar zu spüren ist). Was der Gojibeere zum absoluten Genuss noch fehlt? Etwas mehr Säure, die dem Esserlebnis erst Körper verleiht, und eine Prise mehr Aroma, das zum Beispiel ins Vanilleartige oder exotisch Gewürzte gehen könnte. Warten wir ab, was die Züchtung an neuen Überraschungen zu bieten haben wird. Aber meine Wunschliste habe ich nun deponiert.
Mehr über Goji in unseren Videos.
Video: Die Goji-Sorte Turgidus