Als ich kürzlich mit unserer Züchtungspraktikantin Eline von einer Apfeltour auf unseren Versuchsfeldern zurückfuhr, meinte sie: "Auf der Universität hören wir immer, dass Züchtung so kompliziert sei. Und du sagst mir jetzt, dass es eigentlich ganz einfach ist." Wir können noch ein paar Monate abwarten, wie sich Eline entscheiden wird, ob sie eher dem Uniprofessor glaubt oder meiner Wenigkeit. Ich bleibe aber dabei: Züchtung ist ganz einfach, man braucht dazu etwas Geduld, viel Hartnäckigkeit und das Problem mit der Zeit löst man am besten, indem man sie stiehlt. Raphael Maier wird in den nächsten Wochen ein oder zwei Artikel für den Gartenbrief und das Lubera Gartenbuch schreiben, in denen er zeigt, wie einfach du auch selber in deinem Garten züchten kannst. Das Problem mit der Zeit, ja das musst du halt selber regeln…
Inhaltsverzeichnis
Teilen und Schenken
Es gibt aber eine andere extrem wichtige Voraussetzung für erfolgreiche praktische Züchtung, bei euch zuhause im Garten ebenso wie bei uns bei Lubera. Es ist eine menschliche Eigenschaft, vielleicht auch eine menschliche Tugend, die schwer zu beschreiben ist: Nennen wir sie mal 'Teilen und Schenken' oder vielleicht auch Grosszügigkeit, immer auf Gegenseitigkeit, die aber zeitlich entkoppelt ist. Wenn ich schenke, erwarte ich das Gegengeschenk nicht gleich…. aber vielleicht doch irgendwann einmal. Man könnte vielleicht auch von einer Tauschmentalität sprechen. Kinder machen das ganz natürlich (gibt es eigentlich noch Sammelkarten oder Briefmarken, die man tauschen kann?) und in bäuerlichen ländlichen Gesellschaften ist es ganz normal, dass sich ein Layer von 'Teilen- und Schenken'-Beziehungen über das soziale Netz legt und es verstärkt. Der eine Nachbar bringt mir den Salat, ich bezahle mit Lob und Liebe; oder meine Frau bringt ein paar Pflanzen, dafür schaut ein anderer Nachbar nach der Heizung, wenn sie spukt. Abgerechnet wird langfristig, und ganz sicher nicht nach Heller und Pfennig, sondern einzig und allein nach Gefühl.
Und was hat die Züchtung damit zu tun? Ich hätte die Lubera Züchtungsprogramme weder beginnen noch ausbauen können, ohne diese Tausch-Mentalität, die zum guten Glück viele Züchter freiwillig an den Tag legen – und dabei häufig sogar in grosse Vorleistungen gehen. Aber was heisst schon 'freiwillig'? Eigentlich lohnen sich solche Tauschbeziehung über längere Zeiträume eben auch, weil man sendet und erhält, was knapp und begehrt ist: Wissen und allenfalls auch genetische Ressourcen, Samen, Stecklinge, Jungpflanzen. Es braucht da keinen Gewinn nach Heller und Pfennig, es reicht, dass man erhält, was man selber nicht hat, und gibt was man hat.
Von den Grossen lernen
Als ich mein erstes Züchtungsprogramm, das Apfelzüchtungsprogramm startete, waren es Prof. Christa und Manfred Fischer aus Dresden-Pillnitz, die mir freiwillig und ganz bewusst Apfelzüchtungsmaterial und auch Know-How zur Verfügung stellten. Züchtung steht immer auf der Schulter von Riesen, von unseren Züchtungsvorgängern, ohne die wir unsere Arbeit nicht leisten können. Vor über 20 Jahren war ich in Arkansas und bewunderte die Brombeerzüchtungsarbeit von Jim Moore und John Clark, und letztlich war sowohl mir als auch meinen Gastgebern klar, dass ich früher oder später selber Brombeeren züchten würde… Das neue Kartoffelzüchtungsprogramm starteten wir mit Hilfe des Sarpo-Trusts und von David Shaw in England.
Das Züchterprivileg
Natürlich gibt es zu jeder Tugend auch eine Untugend. Das Gegenteil von 'Teilen und Schenken' könnte Geiz oder Neid sein. Und im Geschäftsleben gibt es noch eine andere gegenläufige Tendenz: Jede geschäftliche Aktivität, die möglichst erfolgreich sein will, tendiert zum Monopol. Der Geschäftsmann (in mir) möchte im Gegensatz zum Kind und zum Züchter keineswegs teilen. Er möchte alles haben. Dafür hat aber unsere Kultur und auch unsere Gesetzgebung Bremsen eingebaut. Bei der Züchtung ist es das sogenannte Züchterprivileg. Es ist in fast allen Ländern der westlichen Welt erlaubt, auch geschützte neue Sorten selber wieder zu neuen Züchtungen, neuer Kreativität, neuem Fortschritt zu benutzen. Dafür kann man um Erlaubnis fragen, muss es aber nicht. Unsere neuen Herbstbrombeeren, die wir aktuell testen, und die schon Mitte August reif sind, stammen von Samen aus Driscoll-Früchten, die ich in den USA im Supermarkt gekauft habe. Habe ich übrigens schon das Glück erwähnt, das man in der Pflanzenzüchtung auch braucht?
Auf den Schultern der Riesen
Fortschritt wird gerne mit dem Bild beschrieben, dass wir auf den Schultern von Riesen sitzen, auf der Arbeit unserer Vorgänger aufbauen, wenn wir weiterkommen möchten. Der Riese, auf dessen Schultern wir sitzen, verlangt also weder Zoll- noch Wegelagerergebühren, und kann das auch gar nicht. Er kann allerhöchstens einen Marktpreis für einen etwas schnelleren Zugang zu den erwünschten Ressourcen verlangen. Und wenn wir ihn etwas streicheln und loben, dann hilft er uns manchmal sogar freiwillig bei der mühsamen Kletterarbeit, bis wir auf gleicher Höhe mit ihm sind und selbständig weitergehen können.
Dranbleiben
Gestern hatten wir Samuel zu Besuch, einen Gartenfreund, der sich vor allem für Permakultur und essbare Waldgärten interessiert und der vielleicht für uns mehr Texte auf Französisch übersetzen wird. Er ist ausgebildeter Ingenieur und fasziniert von der Pflanzenwelt, die so ganz anders funktioniert. Ich nahm ihn mit in die Apfel- und Birnenzüchtung und der Vorführeffekt schlug voll zu. Die Äpfel in den zu testenden Linien waren entweder überreif oder ungeniessbar und die Birnen (Kreuzungen für rotes und rötliches Fruchtfleisch) vollendeten die Katastrophe – sie waren so bitter, dass wir bald nichts mehr essen konnten. Aber zum Abschluss sagte Samuel, er würde jetzt ganz sicher in seinem Waldgarten mit Apfelzüchtung oder mit Kakizüchtung beginnen….
Genau so muss es sein.
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt
PS: Warum ich auf das obige Thema komme? Ich bereite gerade eine Podiumsdiskussion beim Eidg. Institut für Geistiges Eigentum vor, an der es um Patente auf Pflanzen geht… Dazu habe ich mir überlegt, was die entscheidenden Voraussetzungen sind, dass kleine Züchtungsprogramme immer wieder entstehen und auch grösser werden können. Natürlich braucht es – ich wiederhole mich – Geld, Zeit und Arbeit, oder alternativ viel Engagement und Begeisterung. Am besten alles davon. Aber es braucht auch ein intaktes Regelsystem, das tendenziell den natürlichen 'Aus-Tausch' fördert und Monopolisierungen möglichst früh verhindert. Dafür leistet das Züchterprivileg, über das ich oben geschrieben habe und das von diversen Seiten stark unter Druck steht, einen entscheidenden Beitrag.
Mal schauen, was ich an der Tagung und von der Diskussion lerne…