Ich gebe es zu, Selbstversorgung ist mir zumindest als Begriff ziemlich suspekt. Das Wort trägt den Stempel der Beamtensprache, atmet den Geist des ‘Absoluten’ und vergisst vorsätzlich den Genuss, den Stolz und die Freude. Dennoch beschreibt Selbstversorgung einen guten Teil dessen, was wir bei Lubera mit unserem Schwerpunkt bei essbaren Pflanzen und mit unseren Neuzüchtungen erreichen wollen: Selbstversorgung aus dem eigenen Garten, Balkon, Terrasse – möglichst einfach und genussreich, dank Vielfalt und besserer Sorten. Bevor wir uns also daran machen, mit einer umfassenden Artikelserie die Selbstversorgung von allen Seiten zu beleuchten und wenn möglich zu erhellen, möchte ich in dieser kleinen Begriffskorrektur mein Unbehagen formulieren und versuchen, Selbstversorgung mit neuen Inhalten auszustatten, wenigstens mal als Ziel. Begriffe sind nur schwer zu ändern, aber ihre Inhalte und Konzepte sind formbar.
Inhaltsverzeichnis
- Selbstversorgung im Wikipedia-Orakel
- Selbstversorgung und Kriegswirtschaft
- Selbstversorgung und Zivilschutzkeller
- SELBSTversorgung – Wo bleibt der (Aus-)Tausch?
- Selbstversorgungs-Porn
- Selbstversorgung und Grow your own
- Selbstversorgung – bei Pflanzen?
- Selbstversorgung – Krisenreaktion UND Luxus
- Selbstversorgung – Das Gefühl
- Fazit der kleinen grossen Begriffskorrektur zur Selbstversorgung
Selbstversorgung im Wikipedia-Orakel
Was genau bedeutet denn Selbstversorgung? Wie fast immer richtet sich unser hoffnungsvoller Blick auf Wikipedia (um sich dann meist wieder irritiert abzuwenden): "Um Selbstversorgung handelt es sich (…), wenn Wirtschaftssubjekte ihren Bedarf an Agrarprodukten, Gebrauchsgegenständen, sonstigen Nahrungsmitteln oder Energie aus eigener Produktion vollständig decken."
Sorry, aber das ist ganz einfach zu viel. So verstanden, wird Selbstversorgung nie funktionieren, weil sie zu viel will. Der Absolutheitsanspruch trägt das Scheitern schon in sich. Mehr noch: so eine ganzheitliche und absolute Selbstversorgung will gar nicht probiert sein. Sie wird zwar bewundert (siehe unten den Abschnitt zum Selbstversorger-Porn), aber nicht selber gemacht.
In unserer Lubera-Selbstversorgung streichen wir ganz einfach das ‘vollständig’ und meinen vor allem die Selbstversorgung aus dem eigenen Garten, vor allem mit Früchten, Beeren und Gemüse. Ja, auch Hühner darf es da geben, aber davon verstehen wir nur wenig. ‘Sonstige Nahrungsmittel’ in der Wikipedia-Definition meint wohl verarbeitete Nahrungsmittel. Damit sind wir natürlich einverstanden, würden es aber nie so benennen: Kochen gehört zur Selbstversorgung, aber nicht als blosse Herstellung und Verarbeitung, sondern als Freude und Genuss.
Selbstversorgung und Kriegswirtschaft
Selbstversorgung als Begriff atmet den Geist des Merkantilismus und der Kriegswirtschaft. Wir versorgen uns selber mit Rohstoffen und Grundnahrungsmitteln, damit können wir für den Export veredelte Güter produzieren, ein Handelsbilanzüberschuss erzielen und damit reich werden und natürlich auch – historisch vielfach belegt – Kriege führen. Worauf dann der gleiche Mechanismus von vorne beginnt… Damit verwandt ist Selbstversorgung als Element der Kriegswirtschaft: Die vor allem von Frauen geleistete Selbstversorgung ermöglicht es, den Krieg zu überstehen. Noch heute werden zumindest in der Schweiz alljährlich für alles Mögliche und auch Unmögliche die Selbstversorgungsgrade erhoben – bei den Lebensmitteln ist das seit 80 Jahren Usus, bei der Energie offensichtlich ziemlich neu. Die Selbstversorgung, die wir meinen, ist kein Krampf und kein Kampf, und sie will auch nicht auf Teufel komm raus den Selbstversorgungsgrad anheben. Dennoch gibt uns Selbstversorgung ein gutes und sicheres Gefühl – und ist auch global für die dezentrale und zukünftige Ernährung gerade von Megastädten nicht zu unterschätzen.
Selbstversorgung und Zivilschutzkeller
Von der Kriegswirtschaft ist es nicht sehr weit zum Luftschutzkeller in meinem Elternhaus in den 60er und 70er Jahren: Nur mit Mühe und auf den Zehenspitzen konnte ich die schweren und doppelten Türfallen hochdrücke (ja die verdammten Hebel mussten hoch und nicht runter!) und danach die schwere, wahrscheinlich mindestens atombombensichere Türe aufstossen: Und im Zivilschutzkeller, der fast schon ein Bunker war, fand man (fast) alles, was man zur Selbstversorgung braucht: Eine ganze Batterie von aufgestapelten Süssmost Flaschen, in den Holzgestellen feinsäuberlich aufgereihte selbergemachte Konserven, Obst, Beerenkonfitüren. Dazu dann der vorgeschriebene Vorrat an Mehl, Zucker, Teigwaren, ein Sack mit Kartoffeln und – besonders lecker – unendlich viele Konservenbüchsen mit Ravioli – mir läuft bis heute das Wasser im Mund zusammen. Noch die besten Fertigteigwaren und delikat gefüllten Tortellini können das Gefühl der ebenso effizienten wie genussvollen Hungerstillung nicht toppen, das eine Raviolibüchse bis heute bei mir hervorrufen kann. Allerdings ist es doch erstaunlich, wie viel mehr mich die Raviolibüchsen faszinierten als die Früchtekonserven… Ganz offensichtlich war ich damals weit entfernt von der politisch korrekten und wehrhaften Selbstversorgungsmentalität, die meine Mutter als Hauswirtschaftslehrerin ziemlich ernst nahm. Und noch etwas: Ich habe nie davon gehört, dass wir Ravioli wegwerfen mussten, bei den selbstgemachten, überjährigen Konserven und Konfitüren war das alle paar Jahre dringend notwendig…
Und wie sieht es heute mit Selbstversorgung und Kriegswirtschaft aus? Vielleicht sind die Themen aktueller, oder mindestens gleich aktuell wie damals in den 60er Jahren. Damals war es die Angst vor der Atombombe – heute ist es wieder …fast die gleiche Angst. Wir wissen unterdessen, dass die Russen kommen möchten, vermuten aber auch, dass sie das wahrscheinlich gar nicht können. Und gerade deshalb gewinnt die Angst vor der Bombe, vor einem Missgeschick oder einer Verzweiflungstat an Substanz. Jedenfalls hat meine Frau noch nie so viele Konfitüren und Einmachgläser produziert wie dieses Jahr. Einige dazu notwenigen Techniken hat sie gerade erst wieder gelernt.
Ich glaube heute wie damals in den 70er Jahren, dass das alles – nennen wir es halt wieder Selbstversorgung – sachlich wenig bis nichts nützt, aber zumindest den Notvorrat an Raviolidosen sicherstellt… Aber es gibt ein gutes Gefühl, ein Gefühl der Sicherheit. Sicherheit ist ja nie eine festmachbare Tatsache, sondern immer zu fast 100% ein Gefühl…
Selbstversorgung als Notvorrat und für den Notvorrat – nach mindestens 30 Jahren Irrelevanz hat das wieder eine Bedeutung, die wir anerkennen müssen. Es wäre aber ziemlich hilfreich, die Produktion von Marmeladen und Konserven dem mutmasslichen und historischen Verbrauch anzupassen. Oder aber die Köstlichkeiten freigiebig zu verschenken. Womit wir schon beim nächsten Kapitelchen angekommen sind…
Bild (Stöh Grünig): Ein Fetthennensalat mit Ziegenfrischkäse und Feigen schmeckt vorzüglich.
SELBSTversorgung – Wo bleibt der (Aus-)Tausch?
Das vielleicht grösste Problem des Begriffs Selbstversorgung ist das SELBST. Das ist übrigens auch im Englischen dominant: Self sufficiency. Self sufficiency könnte man ein wenig bösartig auch als Selbstgenügsamkeit übersetzen. Genügen wir Gartenselbstversorger uns selber? Horten wir und werfen wir dann weg? Kommen wir so dem Selbstversorger-Foodwaste auf die Spur?
Natürlich bin ich weit davon entfernt, meine Familie und mich als Selbstversorger zu bezeichnen. Wir profitieren von den Züchtungsfeldern von Lubera (und auch die sind für die Familie und die Mitarbeiter nur ganz selten offen, da wir ja testen und messen müssen), aber wir geniessen vor allem auch die Dienste, die fast täglichen Gemüselieferungen von Selbstversorger Robi. Im hohen Südtirol aufgewachsen, erntet er alles und noch mehr, was der fruchtbare Rheinboden so hergibt. Er produziert – auch als purer Freude am Produzieren. Und dann verschenkt er einen Gutteil seiner Ernte – unter anderem an uns. Das ökonomische Modell dahinter ist ziemlich aus der Mode gekommen, so dass ich es hier kurz auffrischen möchte: Da ist zunächst der Tausch. Natürlich versuchen wir, Korrektur: versucht meine Frau, das Geschenkte so gut wie möglich mit eigenen Lieferungen auszugleichen, aber das reicht bei weitem nicht. Mit Robis Produktivität können wir es trotz Baumschule im Hintergrund (Setzlinge, Bäume, Samen als Gegengaben) bei weitem nicht aufnehmen. Aber zur bäuerlichen und dörflichen Tauschwirtschaft gehören auch zwei Elemente einer Art Schattenwirtschaft, die vielfach nicht beachtet werden: Liebe und Schuld(en). Ich sage manchmal zum Spass und durchaus im Ernst, dass wir Robis Köstlichkeiten mit Liebe bezahlen, mit Hochachtung, Dankbarkeit und noch etwas mehr. Jedes Mal, wenn er hinter unser Haus kommt und seine Körbe oder Kübel deponiert, die dann fein säuberlich getauscht werden, versuchen wir mit Zeit zu zahlen, mit einem Kaffee oder einem Schwatz. Und wir wissen trotzdem, dass das alles nicht reicht. Dazu kommt, dass Robi meistens gar keine Zeit hat: Selbstversorger Robi ist immer auf dem Sprung, die nächsten Gemüselieferungen müssen deponiert werden, noch ist nicht alles ausgesät, ein Gewitter steht bevor, und bald wird es schon dunkel.
Und das zweite Element der Schattenwirtschaft, die man vielleicht auch als eine doppelte emotionale Buchhaltung bezeichnen könnte? Das sind Schulden. Wir bauen Schulden gegenüber Robi auf. Wir wissen das, Robi auch, obwohl wir alle das nie so nennen würden. Schulden und Guthaben sind ein wichtiges soziales Bindemittel zwischen Menschen. Robi weiss, dass er in was für Situationen auch immer auf uns zählen könnte. Er könnte uns fragen, und wenn immer möglich würden wir mit JA antworten. Aber – aus seiner Sicht – im allerbesten Fall wird er uns nie fragen müssen. Wir andererseits hoffen eigentlich auf Rückzahlungsmöglichkeiten, damit wir unser Schuldenkonto wenigstens einigermassen ausgleichen könnten.
Der langen Geschichte kurzer Sinn: Selbstversorgung macht ohne Tausch und Austausch keinen Sinn. Tauschen Sie, was das Zeugs hält. Und ja, machen Sie auch Schulden. Menschen und Gärtner im Besonderen sind keine Monaden, sondern soziale Wesen.
Bild (Stöh Grünig): Mit frisch geernteten Ocaknollen lässt sich ein köstliches Oca-Tsatsiki herstellen.
Selbstversorgungs-Porn
Das ist natürlich ein hartes Wort, entsprechend muss ich etwas ausholen, sauber begründen und dann den Schock besänftigen. Zunächst aber zum Offensichtlichen: Porn ist etwas, dem man zuschaut, das man aber nicht selber macht (meistens jedenfalls).
Aber beginnen wir von vorne, und natürlich macht es mir Spass, irgendwo zu beginnen, wo nur schwer erkennbar ist, worauf ich hinaus will: Ich habe mir zunächst mal die monatlichen Suchen bei Google angeschaut…
Keyword | Anzahl monatliche Suchen, DACH-Raum |
selbstversorgung | 1300 |
selbstversorger | 4400 |
selbstversorger rigotti | 880 |
selbstversorger garten | 2400 |
Das sind natürlich schöne Zahlen. Auffällig ist, dass der personalisierte Selbstversorger fast das Vierfache an Aufrufen generiert wie der Begriff für das Konzept (Selbstversorgung). Das ist zwar noch einigermassen verständlich, da man sich wohl vom Selbstversorger mehr Auskunft und Wissen erhofft, als vom puren Konzept. Aber dass ein einzelner Selbstversorger mit einem extrem starken YouTube-Kanal – Selbstversorger Rigotti – dann auch schon 880 Suchen verursacht, überrascht doch ein wenig. Rigotti ist regelrecht zu einer suchbaren Marke geworden.
Insgesamt sind die Suchen auf Google nach Selbstversorgungsthemen aber ziemlich bescheiden. Fast jedes beliebige Gartenthema weist das Mehrfache an Suchen auf:
Keyword | Anzahl monatliche Suchen, DACH-Raum |
himbeeren | 60500 |
japanische weinbeere | 5400 |
gelbe himbeere | 2400 |
himbeeren pflanzen | 8100 |
Was folgern wir daraus? Die Gartenfreunde im deutschsprachigen Raum suchen im Netz nach allen möglichen und unmöglichen Information zu Gartenthemen und Pflanzen (die vielleicht indirekt auch etwas mit Selbstversorgung zu tun haben). Aber nach Selbstversorgung suchen sie vergleichsweise wenig bis gar nicht… Warum? Weil sie zwar Himbeerpflanzen pflanzen und Früchte geniessen, sich aber nicht unbedingt selber versorgen. Hier könnte der Selbstversorgung zum Nachteil gereichen, dass sie so absolut daherkommt…
Ist Selbstversorgung deshalb nicht relevant? Beileibe nicht, dazu muss man sich nur die einschlägigen YouTube Channels anschauen:
Das neueste Video auf dem Selbstversorgerkanal (Der ganz normale Selbstversorgerwahnsinn Nr. 90) hat nach 20 Stunden 116 Kommentare und 11281 Views. Insgesamt zählt der Kanal 251 000 Abonnenten und hat bis jetzt über 58 Mio. Aufrufe gesammelt.
Das neueste Video beim Selbstversorger Rigotti schlägt den Selbstversorgerkollegen oben um Längen: nach 9 Stunden schon 324 Kommentare und fast 42000 Views. Insgesamt 286000 Abonnenten und bislang fast 73 Mio. Aufrufe.
Und das alles im gefrorenen, unwirklichen Winter! Hier könnte man wirklich seufzen: Der ganz normale Selbstversorgerwahnsinn…
Nun bin ich weit davon entfernt, mit dem Finger oder gar dem grünen Daumen auf die Selbstversorger-Kollegen zu zeigen. Natürlich ist ihr Geschäftsmodell nicht mehr die Selbstversorgung selber (inklusive der beschriebenen Schattenwirtschaft), sondern das Reden und Filmen darüber (und die dadurch generierte Einnahmen). Man könnte vielleicht auch sagen, dass sie die Emotionen aus dem Schattenbereich ans Licht bringen…und verkaufen. Damit bewege ich mich übrigens auf der gleichen Stufe wie die Selbstversorger-Influencer: Ich rede und schreibe und filme ja nicht einfach für mich selber gärtnernd vor mich her, sondern versuche damit Pflanzen zu verkaufen.
Aber die Tatsache bleibt: Selbstversorgung findet zu einem Gutteil als Porn statt. Nicht selber machen ist gefragt, sondern zuschauen, wie es andere machen…
Just do it… und zwar yourself. Vielleicht hat also das SELBST in der SELBST-Versorgung doch seinen guten Sinn!
Bild (Stöh Grünig): Aller Anfang ist schwer... das Entstehen eines Selbstversorgergartens.
Selbstversorgung und Grow your own
Im Englischen gibt es für Selbstvermarkung auf den Garten runtergebrochen einen sehr schönen Begriff: selber anbauen, für dich selber anbauen, grow your own. Und obwohl sich der Begriff auf den Anbau beschränkt, gibt es gerade im angelsächsischen Raum eine eigene Gartenbuch-Literaturgattung, die sich ganz gezielt um den missing link zwischen Garten einerseits und Magen und Kopf andererseits kümmert. Die Autoren kommen dabei von beiden Seiten, aus der Kochliteratur und aus dem Gartenbau, aber sie versuchen das auf vielfältigste Weise zusammenzubringen.
Insofern ist hier natürlich der deutsche Begriff ‘SelbstVERSORGUNG’ für einmal etwas genauer, weil er auch diesen Sprung mitbeinhaltet: Selbstversorgung meint ja auch Ernährung. Nur wird diese Verbindung halt unendlich trostlos als ‘Versorgung’ formuliert und hergestellt. Wissen Sie übrigens, was im Schweizer Dialekt ‘Versorgen’ auch bedeuten kann? Jemanden ins Irrenhaus bringen, sozusagen entsorgen…
Die Selbstversorgung, die wir meinen, bedeutet immer auch ernten, (lagern), kochen, geniessen und dann ausführlich darüber reden. Genuss wird ja erst richtig, wenn man Wörter dafür findet. Wir sind deshalb Stolz, dass wir im Gartenbuch ab Februar/März das vergriffene Gartenbuch von Sabine Reber ‘Vom Beet in die Küche’ exklusiv und in Teilen neu überarbeitet online veröffentlichen können, vermutlich dann aufgeteilt in Dutzende von Einzelartikeln, inklusive der wunderschönen Bilder von Stöh Grünig, von denen wir schon in diesem Artikel ein paar zeigen.
Selbstversorgung – bei Pflanzen?
Sollen sich Selbstversorger selber mit Pflanzen versorgen? Hoppla, da bin ich natürlich nicht ganz unparteiisch. Aber es ist eine Tatsache, dass das Anziehen und das Selbervermehren von Pflanzen zu den gärtnerischen Urinstinkten gehört. Aus einer Pflanze viele Pflanzen machen, das hat wohl auch mich zum Gärtner und Baumschuler gemacht hat… Im Lubera Gartenbuch gibt es darum auch Hunderte von Artikel, die genau das thematisieren: Xy vermehren.
Aber natürlich verkaufen wir bei Lubera auch gerne Samen und Pflanzen, so ist es nicht… Dabei helfen uns zwei "Hilfsverkäufer", damit wir nicht daran zugrunde gehen, weil jetzt Gärtner und Selbstversorger plötzlich alles selber vermehren und uns überflüssig machen:
- Auch Kaufen ist Tauschen: Die Selbstversorgung, die wir meinen, ist kein absolutes und geschlossenes Konzept, schon gar keine Ideologie. Natürlich kann selber vermehrt werden und es macht auch unendlich viel Spass. Aber ebenso selbstverständlich können Pflanzen auch getauscht und gekauft werden.
- Hilfsverkäufer ‘Zeit’: Zeit ist rar und rarer, zumindest gefühlt. Die gilt auch für die Selbstversorgung, die wir meinen. Zwar kann Selbstversorgung die Zeit wertiger machen, aber sie kann sie nicht produzieren. Gekaufte Pflanzen und auch grössere Pflanzen anstatt kleinere verkürzen die Zeit bis zur Ernte und zum Genuss. Das ist letztlich das Angebot, das Lubera den Selbstversorgern macht. ;-)
- Hilfsverkäufer ‘Bequemlichkeit’: Dazu sage ich jetzt mal nichts.
Selbstversorgung – Krisenreaktion UND Luxus
Ganz offensichtlich hat Selbstversorgung fast immer Konjunktur, auch wenn der Begriff zunächst fast immer mit Mangel und Krise in Verbindung gebracht wird. Selbstversorgung hilft die Krise zu meistern. Dies kann ganz konkret praktisch der Fall sein (denken wir nur an den nahen Krieg in der Ukraine), funktioniert aber auch auf der Wahrnehmungsebene: Selbstversorgung vermittelt ein Gefühl der Sicherheit unabhängig von der Versorgungslage. Und Sicherheit ist wie schon weiter oben erwähnt immer ein Gefühl, real, aber nie Realität. Man weiss ja auch immer erst hinterher, ob man vorher effektiv sicher gewesen ist…
Bevor es jetzt aber zu kompliziert wird, möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass in guten Zeiten Selbstversorgung auch deshalb Konjunktur hat, weil neben der puren Existenzversorgung dann ein neuer Luxuslayer darüber möglich wird: Frische, Genuss, mehr Geschmack, Diversität. Selbstversorgung gibt in guten Zeiten ein Gefühl der Bereicherung (wieder ein Gefühl - unsere Realität besteht aus Gefühlen, Empfindungen). Wenn der Mensch auch das ist, was er isst, dann hängt dieses Gefühl der Bereicherung damit zusammen, dass wir in der Selbstversorgung Ernährung selber kontrollieren und unmittelbar erleben. Zubereiten und aus dem eigenen Teller essen, was vorher im Garten gewachsen ist, vermittelt vielleicht so etwas wie Ganzheitlichkeit, aber eigentlich kommt mir das richtige Wort dazu nicht in den Sinn… Natürlich bewegen wir uns da schon längst jenseits der Bedürfnisbefriedigung im Luxusbereich, aber irgendwie streben wir im menschlichen Leben und in der Menschengeschichte ja immer dahin und darüber…
Bild (Stöh Grünig): Mit selber geernteten Karotten schmeckt der Salat oder die Gemüsebeilage deutlich besser als mit gekauften Karotten.
Selbstversorgung – Das Gefühl
Wenn wir schon bei den Gefühlen und Empfindungen sind und uns die Worte fast fehlen: Wie fühlt sich Selbstversorgung als Ganzes an? Was macht Selbstversorgung attraktiv? Und was ist es, was uns beim Selbstversorgerporn bewegt? – Wahrscheinlich das Gleiche, das wir auch selber haben könnten, wenn wir es nur selber machen würden…
Vermutlich ist das ganz individuell und auch verschieden. Aber ich erinnere mich an die Zeit, als ich zum Pflanzenselbstversorger wurde. Während meines Gartenbaustudiums begann ich nach und nach mit der Baumschule, begann also damit, Pflanze selber zu machen, anstatt sie zu kaufen. Nicht immer zur Freude der Schule arbeitete ich von Semester zu Semester mehr in der kleinen Baumschule, 1 bis 3 Tage die Woche. Und ich erinnere mich genau an das Gefühl zu Beginn, wenn ich nach dem Arbeitseinsatz abends auf dem Bahnhof auf den letzten Zug wartete, der mich nach Zürich oder Wädenswil bringen sollte: Da waren Müdigkeit und häufig auch Muskelschmerzen, aber auch eine unendliche Kraft, ja vielleicht fast schon Allmachtsphantasien. Ich habe es wieder geschafft, die Pflanzen sind gepflanzt, die Steckhölzer gesteckt, die Wurzeln ausgelegt. Und dann die internen Kalkulationen und Hochrechnungen: Wie viele Pflanzen würde das geben, wie lange würden sie reichen, was würde als nächstes kommen? Und schliesslich auch ein zutiefst menschliches Gefühl, weil wir uns ja alle frischfröhlich und unberechtigt als Krone der Schöpfung wahrnehmen: Jetzt, da ich wieder zum Studienort fahre, würden die Pflanzen für mich arbeiten. Ein wahres Wunder, das auch dankbar macht. Natürlich war mein Gefühl zusätzlich von unternehmerischen Träumen überlagert, die vielleicht bei der Selbstversorgung nicht so wichtig sind. Aber andererseits ist Selbstversorgung auch Unternehmertum in eigener Sache, das sich zwar in vielen Fällen ökonomisch in Heller und Pfennig nicht lohnt, aber sich irgendwie doch auszahlt (siehe weiter oben die Schattenwirtschaft …).
Fazit der kleinen grossen Begriffskorrektur zur Selbstversorgung
Wie sich Selbstversorgung für Sie lohnt, müssen Sie selber herausfinden. Ein bisschen Selbstversorgungsporn gibt vielleicht eine gute Vorausschau. Aber echt wird es erst, wenn man es selber macht.
Und ja, bei der Selbstversorgung, die wir meinen, ist fast alles erlaubt. Da gibt es keine Gesetze und Zertifizierungen und gerne wird mindestens ein Auge zugedrückt.
Selbstversorgung, die wir meinen, kann und soll in einem Notfall die Existenz sichern; wenn wir es uns leisten können, darf sie aber gerne auch Luxus sein, der Sicherheit und Genuss und Gesundheit und noch mehr über die Existenzerhaltung hinaus gewährt.
Nennen wir das Kind doch einfach beim Namen: Die Selbstversorgung, die wir meinen, ist die LUSTVOLLE SELBSTVERSORGUNG.
Schnee liegt immer noch, es ist kalt hier oben....