Wir Alemannen sind ja pragmatisch und stehen mit mindestens 4 Füssen auf dem Boden. Auch haben wir es nicht wirklich mit der Feinheit der Wörter, der Bedeutungen und Formulierungen. Jedenfalls ist eine Marmelade eigentlich eine Konfitüre, und damit ist so ungefähr das gemeint, was wir nach der Butter (oder neuerdings gesundheitsbedingt auch ganz ohne Butter) aufs Brot schmieren. Vor der Erfindung des Birchermüeslis (auch wieder ein Alemanne, der sich einfachheitshalber gleich selber zur Sache erklärte) hat man sich frühmorgens so – eben mit Brot, Butter und Marmelade – ernährt… und ist wohl auch nicht so schlecht damit gefahren.
Dabei waren ja die Zuckerköche und Wortklauber schon viel weiter: Eine Marmelade bestünde demnach aus mit Zucker eingekochten Früchte, deren Fruchtstücke nicht mehr einzeln sichtbar sind. Den Beamten der EU (die kommen ja nicht ganz alle aus Alemannien) ging das viel zu wenig weit; und das war auch viel zu ungenau, als dass sie ruhig hätten weiterschlafen können. So entschieden sie aus Gründen der Lebensmittelsicherheit und der …. naja allgemeinen Ordnungsliebe, dass Marmelade fortan nur noch für Citrus-wie-soll-ich-dem-jetzt-sagen-eben-Marmeladen verwendet werden dürfe, wobei bei diesen naturgemäss Fruchtteile und vor allem aromatisierende Schalenteile sichtbar sein dürfen (z.B. Bitterorangen-Konfi äh Marmelade).
Natürlich ist dieser Unsinn schon vor langer Zeit wieder durch eine Ausnahmeregelung ergänzt und verbessert worden, die es auch Idioten wie mir erlaubt, alles fast nach eigenem Gusto so zu benennen, wie mir der Schnabel gewachsen ist und die Eingebung gerade diktiert. (Ich muss mich ja mit dem Editorial wieder mal beeilen, wir haben jetzt 15.53 und um 17.15 muss/müsste der Newsletter raus; nur gut dass Nadja nicht aus Brüssel stammt…). Damit hier keine falschen Vorstellungen aufkommen mögen: Die Bürokratie liebt Ausnahmeregelungen, nicht etwa, weil sie sich damit selber dementieren kann, sondern vor allem, weil man sich damit aufs schönste und vor allen auf längste selber beschäftigen kann.
Aber keine Angst, ich bin mit der Geschichte noch nicht fertig, sie hat nämlich eine unerwartete Pointe, die auch der mehrsprachigen EU entging: Marmelade stammt nämlich als Wort vom portugiesischen 'marmelo' und dieses Wort bedeutet nun mal genau das, was mit Marmelade nach EU-Dekret nicht mehr bezeichnet werden dürfte: Quitte und davon abgeleitet allerhöchstens eine simple Fruchtkonfitüre. Von Zitrus weit und breit keine Spur. Das zugrundeliegende lateinische Wort heisst melimelum – Honigapfel. Und so, mit Umschreibungen rund um den Apfel, als Goldapfel oder auch als Honigapfel wurde die Quitte bezeichnet, als sie von Mittelasien, von Iran bis Kasachstan, über den Balkan, über die Türkei und über Palästina in die griechisch-römische Welt einwanderte. Die Sprache weiss sich ja auch ohne Beamtenhilfe zu helfen, wenn sie etwas Neues mit alten Wörtern beschreiben muss…
So können wir das Zwischenresultat – nein, sorry ich bin noch immer nicht am Ende – zusammenfassen: Gemäss EU dürfte das Wort 'Marmelade' nicht mehr für gewöhnliche Fruchtkonfitüren verwendet werden, obwohl es mindestens etymologisch genau das bedeutet: Quitte. War das jetzt zu kompliziert formuliert? Dann nochmals einfacher: Quitte = Marmelade und Marmelade = Quitte. So ungefähr haben wir es nämlich alle gespeichert.
Und genauso verhalte ich mich, wenn ich zu Beginn meiner Aufenthalte in unserer norddeutschen Baumschule für die knappe Woche im Combi einkaufe: Mit dem Einkaufswagen rein, vorbei an den schrecklichen Live-Kräutern, die hier im Glashäuschen dahinvegetieren (Vertical Farming?), kurz durch die Früchte Abteilung und dann zum Konfitürengestell. Oder sind es jetzt doch wieder Marmeladen? Jedenfalls kaufe ich unausweichlich für jeden Norddeutschland-Aufenthalt eine Quittenmarmelade. Böse Zungen behaupten: Um das Sonnendefizit auszugleichen. Ganz sicher jedoch keine andere Marmelade. Denn auch für mich ist Marmelade zuerst Quitte – und dann lange nichts mehr. Es sei denn, sie sei von meiner Frau gekocht…
Was ich aber eigentlich sagen wollte, und damit komme ich schon zum Ende meiner fast nicht mehr enden wollenden Einleitung: Marmelade ist weitgehend Quittenmarmelade, und Quitten sind eigentlich nur für Marmelade gut. Nie waren Quitten für mich Früchte zum Frischessen. Und immer habe ich mich ein bisschen gewundert, wie eine Apfel- und Birnen-ähnliche Baumfrucht ohne Begabung zum Frischgenuss doch relativ erfolgreich und vor allem nachhaltig mindestens 3000 Jahre Domestikationsgeschichte überleben konnte. War das nicht viel zu kompliziert, die Quitte immer zu kochen, um das spezielle Aroma geniessen zu können? Und war das Pektin wirklich so wertvoll, dass man immer den Umweg über die nicht unkomplizierte Quitte zu nehmen bereit war? Aber ja, könnte schon sein, immerhin gehe ich ja im Kombi lange vor Fleisch und Käse zum Marmeladengestell – nur und ausschliesslich für die Quittenmarmelade….
Video: Roh essbare Quitten
Unterdessen habe ich aber gelernt, dass einige Quitten, die ich gerne Ananasquitten nennen möchte, auch wundervoll in rohem Zustand schmecken. Im Oktober 2018 degustierte ich (siehe Video) zum ersten Mal diese Aroma-Frischquitten aus Moldawien, und ab sofort (jetzt 2022) können wir auch Bäume dieser wundervollen Aromaquitten anbieten, die man nicht anders als frisch geniessen möchte. Übrigens gibt es ähnliche Sorten für den Frischgenuss auch aus anderen osteuropäischen Ländern, aus dem Balkan und aus der Türkei. Mir schmecken aber die moldawischen Ananasquitten weiterhin und bei weitem am besten!
Ob wir sie aber wirklich noch Quitten nenne dürfen, obwohl sie keine einfachen Marmeladenbäume mehr sind? Aber in diese Falle wollen wir nicht tappen, deshalb nennen wir sie ja…Ananasquitten.
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt