“Aua! Ich habe doch so wunderschöne Zitruspflanzen bestellt. Und jetzt muss ich feststellen, dass es mehr Dornen als Früchte hat, viel mehr!” Solches und Ähnliches hören wir manchmal von unseren neuen Zitruskunden. Wie kann es sein, dass etwas so Schönes und Gutes so hässliche Dornen haben kann? Das passt doch nicht zusammen …
Aber natürlich passt das. Keine, ja jedenfalls fast keine Rose ohne Dornen (wobei das da Stacheln sind), kein Erfolg ohne Wiederstand, ohne Fleiss kein Preis und so weiter und so fort. In der Botanik wie im Leben. Schönheit ohne Widerständigkeit wäre zu einfach, Begehrenswertes muss sich schützen, um nicht mit Haut und Haaren, mit Laub, Trieb und Früchten aufgefressen zu werden. Aber wir wollten ja eigentlich über die Dornen der Zitrusbäume reden …
Was genau sind eigentlich Dornen?
Dornen sind voll verholzte Triebteile, Stacheln dagegen sitzen dem Trieb nur auf, sind oberflächliche Ausstülpungen, Aufsätze, die in der Regel auch leicht abgestreift werden können. Das bekannteste Beispiel für Stacheln bieten die Rosen; die Rosenstacheln, die eben darum keine Dornen sind, werden auch in der Schnittrosenproduktion und von Floristen mit einem speziellen Handwerkzeug einfach weggeschabt.
Meist sind Dornen viel hartnäckiger, sie sind umgebildete Kurzsprosse, kleine Seitentriebe, die aber nicht mehr weiterwachsen, sondern vorne spitz und ohne Endknospe auf ein stechendes Ende zulaufen. Es ist fast so, als würde der Spross mal ebenso vorsichtig wie misstrauisch die Umgebung checken und sozusagen als Bodyguard das Wachstum des Haupttriebs absichern. Denn das ist die Hauptfunktion der Dornen: Die Abwehr von Fressfeinden, sekundär manchmal auch die Hilfe beim Klettern. Einige ganz bösartig bedornte Pflanzen, z.B. der Kreuzdorn (Rhamnus cathartica), bilden sogar an der Hauptsprossachse, am Ende der Seitentriebe Dornen aus. Sie gehen in der Abwehr von möglichen Feinden noch etwas weiter und möchten sie präventiv auf Abstand halten.
Als Schweizer mit prägendem Geschichtsunterricht in den 70er Jahren verstehe ich genau, um was es den Kreuzdornen geht: Ich erinnere mich da gleich an den mittelalterlichen Konflikt zwischen den Eidgenossen und den Österreichern. Letztere hatten sich schlachttechnisch einen grossen Vorteil verschafft, indem ihre Truppen gegen aussen mit extrem langen scharfen Spiessen auftraten. Dieser Reichweite hatten die Schweizer Kriegsgurgeln nichts entgegen zu setzen, und so musste sich einer der Ihren, Winkelried opfern, indem er sich mit ausgebreiteten Armen in die Speerspitzen stürzte, sie nach unten zwang, und so eine Bresche in die Phalanx des Gegners schlug. Das Resultat kennen Sie: Österreich und die Schweiz sind heute beides friedfertige Kleinstaaten Und natürlich hat das auf den ersten Blick absurd anmutende Kriegsbeispiel auch mit der Natur, mit den Pflanzen zu tun: Im täglichen Naturschauspiel und auf der Zeitachse in der Evolution herrscht so etwas wie ein permanenter Krieg, ein Kampf ums Überleben, den frei nach Darwin nur die fittesten und am besten Gerüsteten überleben.
Warum haben Zitruspflanzen Dornen?
Zurück zu den Dornen und zu den Zitruspflanzen. Warum haben Zitruspflanzen Dornen und warum haben sie so viele Dornen? Ganz offensichtlich, weil sie sich gegen Fressfeinde schützen mussten und müssen, dies umso mehr, als sie sehr attraktiv sind, was sicher vor uns Menschen auch schon andere Tiere gelernt haben müssen. Die Herkunft aus tropischen und subtropischen Regionen: Hier ist der Druck der Fressfeinde noch grösser, sie finden vorteilhafte Umstände vor, haben das ganze Jahr über – eben ohne Winter und Vegetationsruhe – einen gedeckten Tisch und vermehren sich auch entsprechend. Natürlich führt dieser Vorteil beim Wettrüsten auch auf der anderen Seite des epischen Überlebenskampfes wieder zur Aufrüstung: Mehr Dornen müssen her! Worauf das hungrige Gegenüber wieder schärfere Zähne entwickelt.
Juvenilität und Dornen
Bei vielen Pflanzen, z.B. auch bei Apfel und Birne, sind die Dornen an die Juvenilität, an die Jugendlichkeit und Ungeschlechtlichkeit der Pflanze gebunden. Der junge Sämling ist noch klein und ungeschützt, wäre den am Boden agierenden Fressfeinden wehrlos ausgesetzt. Also bildet er im Jugendalter schnell Dornen aus, bis er dann irgendwann eine bestimmte, als sicher empfundene Höhe, beim Apfel so ungefähr 200 cm, erreicht hat. Dann ist der juvenile Sämling der Gefahr entwachsen, wird erwachsen, beginnt konsequenterweise auch Blüten und Früchte auszubilden. Jetzt geht es nicht mehr primär darum, das eigene Überleben zu sichern (das ist ja erfolgreich geschehen), sondern mit der Weitervermehrung das Überleben der Art zu sichern. Warum aber bleiben im Gegensatz zum Apfel und zur Birne bei den dornigen Zitrussorten die Dornen meist auch im adulten Stadium erhalten (wenn auch meist etwas schwächer ausgebildet), so dass ich mir beim Griff nach der leckeren Frucht gleich den Arm zerkratze? Die Erklärung kennen Sie jetzt eigentlich schon: Der Druck der Fressfeinde auf der einen Seite und die Attraktivität der Pflanze auf der anderen Seite sind so gross, dass auch die adulte Pflanze sich schützen muss, wenn sie sich erfolgreich fortpflanzen will. Jedenfalls sollten Früchte von den Fressfeinden erst verzehrt werden, wenn sie auf den Boden fallen und die Samen physiologisch reif sind.
Welche Faktoren können die Dornigkeit von Zitruspflanzen beeinflussen
Die Dornigkeit und auch die Freiheit von Dornen sind bei den Zitruspflanzen genetisch festgelegt und auch relativ stabil, sie ändern sich also wie oben geschildert nicht so stark im Prozess des Erwachsen-Werdens. Dennoch haben ältere, fruchtende Zitrusbäume weniger und schwächere Dornen als junge, noch nicht ausgewachsene Bäume. Beim Veredeln der Zitrusbäume wird daher auch besonders darauf geachtet, dass das Vermehrungsmaterial von erwachsenen, früchtetragenden Bäumen stammt, so dass bereits zweijährige Zitruspflanzen sofort mit Blüten- und Fruchtansatz beginnen können. Auch bildet ein überstarker, steil aufwachsender Trieb mehr Dornen aus als ein flacher und schwacher Ast. Das heisst aber auch, dass ein zu starker und zu häufiger Schnitt, der ja immer auch das vegetative Wachstum anregt, zu mehr Dornen führt. Von daher ist der in Nordeuropa so beliebte Bubikopfschnitt für Zitrus, der sie einfach immer wieder in Form schneidet und so kompakt hält, vielleicht doch nicht ganz das Richtige. Eine offene Krone, bei der die inneren Triebe ganz entfernt werden, während den äusseren Leitästen mehr freien Lauf gelassen wird (eine Art offene Vasenform) führt tendenziell auch zu weniger Dornen.
So einfach ist die Gleichung: Stärker schneiden – mehr düngen – mehr Wachstum – steileres Wachstum – mehr Dornen. Aber wie gesagt: Dornen sind bei den meisten Zitrusarten nur in einem beschränkten Masse (also nicht vollständig) über die Kulturmassnahmen steuerbar, die Dornen bleiben im Gegensatz zu einigen blattabwerfenden Laubfruchtarten wie Apfel und Birne meist über das ganze Pflanzenleben auf der Pflanze, mal etwas weniger und kleiner, mal intensiver und bösartiger.
Zitrussorten, die keine Dornen ausbilden
Aber selbstverständlich gibt es auch äusserst friedfertige Zitrussorten ganz ohne Dornen. Wie aber kann das sein? Wahrscheinlich spielen dabei wiederum die Fressfeinde eine Rolle: Man könnte sich gut vorstellen, dass diese unter Umständen als Fruchtliebhaber dornenlose Individuen bevorzugen und dann auch – über ihren Verdauungstrakt und dank ihrer Bewegungsfähigkeit, die ja den Pflanzen abgeht – die Samen und damit auch die Gene der dornenlosen Zitrussorten stärker verbreitet haben. Aus dem Nachteil würde dann ein Vorteil, aus den Fressfeinden würden Fressfreunde. Aber wahrscheinlich ist das etwas zu sehr um die Ecke gedacht: Den grössten Einfluss auf die Dornenlosigkeit der Zitruspflanzen hat wohl der grösste und einflussreichste aller Fressfeinde und Fressfreunde, der Mensch, der ganz sicher dornenlose Sorten auswählt und weitervermehrt, wenn er denn die Auswahl hat.
Zitrussorten, die keine Dornen haben
- Alle Bitterorangen ausser komischerweise die weidenblättrige Bitterorange. Die panaschierte weidenblättrige Bitterorange aber ist ebenfalls dornenlos. Hier kann man sich gut vorstellen, dass die grössten Promotoren der Bitterorange, die Araber, ihren beliebten Zier- und Gartenpflanzen früh schon die dornigen Flausen ausgetrieben bzw. die Dornen weggezüchtet haben.
- Die römische Limette ‘Pursha‘
- Die meisten Mandarinen, die Mittelmeermandarine, die frühe Clementine ‘Commune‘, die Satsuma Mandarine, die frühe Mandarine ‘Avena apirena‘, die Tardivo Clementine sind alle dornenlos.Ob hier wiederum die Jahrtausende alte Kultur durch den Menschen in China eine Rolle gespielt hat, so dass den begehrten Mandarinen schon früh die Dornen wegselektioniert wurden? Dass die neugezüchtete grossfrüchtige und rotfleischige Sorte Mandared Dornen hat, erklärt sich daraus, dass es sich dabei um eine Hybride zwischen Mandarine und Orange handelt.
- Calamondin ist auch dornenlos. Das prädestiniert die Sorte noch mehr als Indoorpflanze. Die Dornenlosigkeit ist übrigens auch nicht überraschend, da Calamondin ja eine Hybride aus Kumquat und Mandarine ist, die beide ebenfalls ohne Dornen auskommen.
- Alle Kumquats ausser die Minikumquat sind dornenlos. Die Minikumquat sind dafür gleich umso heftiger bewehrt. Warum ist ein Stückweit ein Rätsel: So begehrenswert können doch die kleinen Früchte gar nicht sein. Aber die Pflanze ist ja allgemein sehr schwach wachsend, da mag es sich schon gelohnt haben, Dornen auszubilden, wenn man überleben wollte.
- Chinotto, eine meiner Lieblingszitrussorten, ist ebenfalls dornenlos.
Zitrussorten, die wenig Dornen haben
Achtung, wenig Dornen heisst nicht ungefährlich. Bei einer voll bedornten Sorte weiss ich, dass ich vorsichtig sein muss, bei wenig bedornten Zitrusarten kann Unvorsichtigkeit schon mal zu dem einen oder anderen Aua führen.
Wenig Dornen haben folgende Sorten aus unserem Sortiment:
- Rote Grapefruit ‘Rubra‘
- Bergamotte ‘Fantastico‘
- Pampelmuse ‘Marsh‘
- Grapefruit ‘Marsh Seedless‘
- Rote Rangpur-Limette
- Limequat ‘Tavares‘
- Neapolitanische Limette
- Mexikanische Limette (das ist genau so ein Fall, wo die eher wenigen Dornen gerne übersehen werden und dann umso erbarmungsloser zustechen). Dafür kann man sich dann zur Belohnung einen Caipirinha-Drink genehmigen
- Kaffirlimette
- alle Süssorangen, nur die Ovale Orange ist stark bedornt, ebenfalls die panaschierte Orange
- Meyerzitrone
Wenn man sich diese Liste anschaut, so kommt man gerade bei den Sorten und Arten mit wenig Dornen nicht umhin, hier den Einfluss des Menschen zu vermuten: Bei den für ihn attraktivsten Zitrusbäumen hat er über Selektion und neuerer Zeit über Züchtung kontinuierlich den Dornenansatz reduziert. Aber keine Angst, es gibt immer noch mehr als genug davon.
Zitrussorten, die sehr viel Dornen haben
Natürlich führen wir in unserem Sortiment noch mehr Zitrussorten als die oben aufgeführten – und die haben alle Dornen, in der Regel sogar viele Dornen. Hier möchte ich aber nochmals einige Sorten herausstellen, die extrem viele Dornen haben und die wir in unserem Bedornungsindex mit 10 (0 = keine Dornen, 10 = Dornen sind riesig oder extrem stark vertreten und ähneln mittelalterlichen Waffen) eingeteilt haben. Und hier sind sie, die Wehrhaftesten unter den Dornenhelden:
- Die panaschierte Orange
- Dreiblättrige Bitterorange
- Flying Dragon, die gedreht wachsende dreiblättrige Bitterorange
- Yuzu
- Minikumquat
- Beide Fingerlimetten, die weissfleischige und die pinkfleischige
- Clementine Mandared
Herr Eigner Gerald
Nun, das ist bei Zitronen, welche aus Kernen gezogen wurden immer schwierig abzuschätzen. Man kann das Wachstum bei generativ vermehrten (aus Semen gezogenen) Pflanzen nicht genau bestimmen. Ich würde sagen, dass die Dornen wohl nächsten Sommer kommen werden. Die Verästelung können Sie beschleunigen in dem Sie den Trieb zurückschneiden. Sonst neigen die Zitrus relativ lange zu einem Wachstum ohne Verästelu8ng.
Freundliche Grüsse
Ihr Lubera-Team