Inhaltsverzeichnis
- Die Kulturgeschichte der Maulbeere – eine uralte Kulturpflanze im Wandel der Zeit
- Die vielfältigen Nutzungsarten der Maulbeere
- Die Früchte des Maulbeerbaums – Nahrung und Heilmittel
- Schwarze Maulbeere (Morus nigra) – die Fruchtmaulbeere
- Morus nigra in der Mythologie
- Rote Maulbeere (Morus rubra) – die amerikanische Maulbeere
- Die Blätter des Maulbeerbaums – Die Grundlage der Seidenkultur
- Die Weisse Maulbeere (Morus alba) – der Baum der Seidenkultur
- Die Legende von der Entdeckung der Seide
- Die frühe Seidenkultur in China
- Die Ausbreitung der Seidenkultur
- Die Seidenproduktion in Mitteleuropa: Versuche und Scheitern
- Genetischer Fingerabdruck von Morus alba in der Seidenraupe
- Weitere Nutzungsarten der Maulbeerblätter
- Die Rinde und Wurzeln – Traditionelle Heilpflanze
- Das Holz des Maulbeerbaums – vom Alltagsgerät zum Luxusgut
- Die Maulbeere als Klimabaum
- Der Maulbeerbaum in der Polykultur
- Aquakultur mit Maulbeeren
- Fazit
Zusammenfassung
Der Maulbeerbaum (Morus spp.) zählt zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. In der Kulturgeschichte der Maulbeere wurden Früchte, Rinde und Blätter in unterschiedlichen Kulturen als Nahrungs- und Heilmittel verwendet. Die aus Persien stammende Schwarze Maulbeere (Morus nigra) wurde schon in der Antike von Griechen und Römern kultiviert und wegen ihrer süssen, aromatischen Früchte geschätzt. In der Mythologie galt sie als Symbol für Liebe, Fruchtbarkeit und Klugheit. Die Rote Maulbeere (Morus rubra) stammt aus Nordamerika, wo sie von indigenen Völkern genutzt wurde; heute sind reine Bestände selten, da sie leicht mit der Weissen Maulbeeren hybridisiert. Die Weisse Maulbeere (Morus alba) dagegen gewann vor allem durch ihre Blätter Bedeutung: Sie sind die einzige Nahrung der Seidenraupe (Bombyx mori). Damit wurde sie in China zur Grundlage der Seidenkultur, die in China seit über 4500 Jahren betrieben wird. Zahlreiche Versuche, Seidenproduktion auch in Europa zu etablieren, scheiterten an Klima, Krankheiten und billigerer Konkurrenz aus Asien.
Praxis-Tipps:
Die Maulbeere als Klimabaum: Dank tiefer Wurzeln, ledriger Blätter und Trockenheitstoleranz ist die Maulbeere ein idealer Klimabaum. In Polykulturen lässt sie sich mit Feldfrüchten kombinieren oder als Windschutz pflanzen.
Blätter in der Küche verwenden: Junge Blätter können wie Spinat zubereitet oder getrocknet zu einem mild-aromatischen Tee aufgegossen werden – eine gesunde und traditionsreiche Ergänzung im Speiseplan.
Vielseitige Fruchtnutzung: Maulbeeren frisch geniessen – im Müsli oder Joghurt – trocknen oder zu Saft, Sirup und Desserts verarbeiten.
Die Kulturgeschichte der Maulbeere – eine uralte Kulturpflanze im Wandel der Zeit
Der Maulbeerbaum (Morus spp.) gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheitsgeschichte. Seit Jahrtausenden wird er in unterschiedlichen Regionen der Welt kultiviert und genutzt – und das in ganz verschiedenen Formen. Die folgenden Arten haben wichtige Bedeutung in der Kulturgeschichte der Maulbeere erlangt: die Schwarze Maulbeere (Morus nigra), die Rote Maulbeere (Morus rubra) und die Weisse Maulbeere (Morus alba). Die meisten neueren Fruchtsorten gehören zu Morus alba und ihren Unterarten, die Früchte können alle Farben von Weiss über Rosa bis Dunkelrot haben.
Weitere Informationen zu den Maulbeer-Arten findest du in unserem Artikel «Maulbeerbaum: Welche Arten gibt es?».
Die vielfältigen Nutzungsarten der Maulbeere
Kaum ein anderer Baum ist so vielseitig genutzt worden wie die Maulbeere. Sie diente den Menschen in ganz unterschiedlichen Bereichen – als Nahrungsquelle, Heilpflanze, Rohstofflieferant und Futterbaum.
Als Nahrung standen in Europa und Nordamerika die süssen, aromatischen Früchte im Vordergrund, die frisch verzehrt, getrocknet oder zu Sirup verarbeitet wurden. In der Kulturgeschichte der Maulbeere übernimmt sie ausserdem in vielen Kulturen eine feste Rolle als Heilmittel: Blätter, Früchte, Rinde, Wurzeln und Zweige wurden traditionell gegen Fieber, Husten, Entzündungen oder Diabetes eingesetzt. Auch als Rohstoff war der Baum unentbehrlich: Der Bast der jungen Triebe diente indigenen Völkern Nordamerikas, etwa den Choctaw, zur Herstellung von Kleidung, während die elastischen Zweige der Roten Maulbeere für die Bogenherstellung geschätzt wurden. Schliesslich war die Maulbeere auch ein wertvoller Futterbaum: In Ostasien bildeten die Blätter der Weissen Maulbeere die Grundlage der Seidenproduktion, da sie die einzige Nahrung der Seidenraupe sind; in Europa und Asien wurden die Blätter zudem gelegentlich als Viehfutter, etwa für Schweine, genutzt.
Bild: Die Blätter von Morus alba sind die einzige Nahrungsquelle der Seidenraupe.
So lassen sich in der Kulturgeschichte der Maulbeere zwei zentrale Nutzungsschienen unterscheiden: die Fruchtnutzung im Westen und die Blätternutzung für die Seidenraupenzucht im Osten.
Tabelle: Die Kulturgeschichte der Maulbeere: Überblick über die Nutzung der einzelnen Pflanzenteile
|
Pflanzenteil |
Art |
Nutzungskategorie |
Region |
Anwendung |
Nutzen / Wirkung |
|
Früchte |
M. nigra, M. rubra, weniger M. alba |
Nahrung & Heilmittel |
Europa, Naher Osten, Nordamerika, Ostasien |
Frischverzehr, getrocknet, Sirup, Reiseproviant |
Energiereich, Vitamine & Mineralstoffe, antioxidativ (Anthocyane, Resveratrol), verdauungsfördernd, entzündungshemmend |
|
Blätter |
M. alba |
Tierfutter (Seidenraupen) |
Ostasien (China, Korea, Japan) |
Seidenkultur |
Grundlage der Seidenproduktion |
|
Blätter |
M. alba |
Tierfutter (Ziegen, Schafe, Schweine) |
Asien, Europa |
Ziegen, Schafe, Schweine |
Protein- und mineralstoffreich, hochwertiges Futter |
|
Blätter |
M. alba |
Gemüse & Tee |
Ostasien |
Blattgemüse (ähnlich Spinat) |
Protein- und mineralstoffreich |
|
Blätter |
M. alba |
Heilmittel |
China (Traditionelle Chinesische Medizin) |
Fieber/Husten, Bluthochdruck, Diabetes |
Senkt Blutzucker, entzündungshemmend, antioxidativ |
|
Rinde / Wurzelrinde |
M. alba |
Heilmittel |
China, Nordamerika |
Gegen Husten, Asthma |
Entzündungshemmend, harntreibend, blutdrucksenkend, möglicherweise krebshemmend |
|
Wurzeln |
M. alba |
Heilmittel |
China, Nordamerika |
Krämpfe, Bluthochdruck, Harnleiden |
Neuroprotektiv, krampflösend, diuretisch |
|
Zweige |
M. alba |
Heilmittel |
China, Nordamerika |
Rheuma/Arthritis |
Entzündungshemmend |
|
Zweige |
M. rubra |
Rohstoff |
Nordamerika |
Bögen |
elastisches Material für Bogenbau |
|
Holz |
M. alba |
Rohstoff |
Indien, Japan, Nordamerika, Europa |
Möbel, landwirtschaftliche Geräte, Instrumente der Teezeremonie, Räucherholz |
Dauerhaft, fein gemasert, aromatischer Rauch |
|
Bast (junger Triebe) |
M. rubra |
Rohstoff |
Nordamerika |
Geflochtene Stoffe, Textilien |
Strapazierfähige Fasern, Kleidung |
Die Früchte des Maulbeerbaums – Nahrung und Heilmittel
In der Kulturgeschichte der Maulbeere standen vor allem in Europa, im Nahen Osten und in Nordamerika die Früchte der Maulbeere im Mittelpunkt. Die aromatischen Früchte der Schwarzen Maulbeere (Morus nigra) und der Roten Maulbeere (Morus rubra) wurden seit der Antike geschätzt – als frisches Obst, aber auch in verarbeiteter Form, etwa als Saft, Sirup oder getrocknet. Die Früchte galten nicht nur als Delikatesse, sondern hatten auch heilkundliche Bedeutung. In der antiken und mittelalterlichen Medizin setzte man sie etwa gegen Fieber oder Magenbeschwerden ein.
Bild: Maulbeeren (hier die besonders ertragreiche Maulbeere 'Galicja') lassen sich vielfältig verwenden.
Wie schmecken Maulbeeren? Das erfährst du in unserem Artikel «Maulbeere Geschmack – so vielfältig schmecken Maulbeeren».
Schwarze Maulbeere (Morus nigra) – die Fruchtmaulbeere
Die Schwarze Maulbeere stammt aus Persien und wurde von den Griechen in den Mittelmeerraum gebracht und dort vor allem wegen ihrer aromatischen, tiefvioletten Früchte geschätzt. In Klöstern und Gärten des Mittelalters fand sie weite Verbreitung, oft als Schattenspender und Obstbaum. Für die Seidenzucht spielte sie jedoch keine Rolle, da ihre Blätter für die Raupen weniger geeignet sind. Zudem ist Morus nigra weniger frosthart, was die Verbreitung in Mitteleuropa einschränkte.
Wie winterhart sind Maulbeeren? Dieser Frage gehen wir in unserem Artikel «Ist der Maulbeerbaum winterhart?» nach.
Bild: Morus nigra wurde häufig in Klöstern gepflanzt, hier sieht man einen alten Baum in der Klosterruine Lesnes Abbey in der Nähe von London. (Ethan Doyle White/Wikipedia)
Morus nigra in der Mythologie
Die Schwarze Maulbeere hat in Mythen und Geschichten unterschiedlicher Kulturen ihren festen Platz. In der persischen Mythologie symbolisierte sie Fruchtbarkeit; bei den Griechen und Römern wurden sie als Götterspeise verehrt. Besonders bekannt ist die tragische Liebesgeschichte von Pyramus und Thisbe, die Ovid in den Metamorphosen erzählt. Dort erklärt er, wie die ursprünglich weissen Früchte der Maulbeere durch das vergossene Blut der Liebenden ihre dunkle, rote bis schwarze Farbe erhielten – ein poetischer Ursprung für die Färbung der Früchte, der das Motiv von Liebe und Tod mit dem Baum verknüpft. Pyramus und Thisbe liebten sich heimlich, doch ein tragisches Missverständnis führte zu ihrem Tod unter einem Maulbeerbaum. Ihr Blut soll, so Ovid, die einst weissen Früchte für immer dunkel gefärbt haben.
Bild: Das Blut der Geliebten Pyramus und Thisbe soll die ursprünglich hellen Maulbeerfrüchte dunkel gefärbt haben.
Der Universalgelehrte Plinius der Ältere beschreibt den Maulbeerbaum in seiner Naturalis historia als „weisen Baum“, weil er besonders spät austreibt und so zuverlässig Spätfröste meidet. Die Römer liebten Morus nigra nicht nur wegen ihrer aromatischen Früchte, sondern nutzten auch Blätter, Rinde und Früchte als Heilmittel gegen Entzündungen, Fieber oder Verdauungsprobleme – ein schönes Beispiel für die reiche Kulturgeschichte der Maulbeere.
Rote Maulbeere (Morus rubra) – die amerikanische Maulbeere
Die Rote Maulbeere ist in Nordamerika heimisch und war für indigene Völker über viele Jahrhunderte hinweg eine wertvolle Kulturpflanze. Ihre Früchte wurden nicht nur frisch gegessen, sondern auch getrocknet, zu Brot verarbeitet oder in Mischungen mit Mais und Fleisch zu einem haltbaren Reiseproviant verarbeitet. Schon im 16. Jahrhundert berichtete der spanische Conquistador Hernando de Soto, dass die Muscogee im Südosten der USA getrocknete Maulbeeren verzehrten. Darüber hinaus nutzten indigene Gruppen den Saft der Früchte als Farbstoff und setzten die elastischen Zweige für die Bogenherstellung ein. Auch medizinisch hatte die Rote Maulbeere Bedeutung: Rinde und Wurzeln fanden in der traditionellen Heilkunde Anwendung, etwa gegen Durchfallerkrankungen oder als Brechmittel.
Bild: Die Maulbeere 'Illinois Everbearing' ist aus einer Kreuzung zwischen Morus alba und Morus rubra entstanden.
Mit der Einführung der Weissen Maulbeere durch europäische Siedler im 17.–19. Jahrhundert kam es zu zahlreichen Hybriden zwischen Morus rubra und Morus alba. Reine Bestände der Roten Maulbeere sind heute selten. In der Kulturgeschichte der Maulbeere ist sie weniger bedeutsam als ihre asiatischen Verwandten, doch einige Hybride zwischen Morus alba und Morus rubra, wie die berühmte Sorte 'Illinois Everbearing', verbinden die Süsse und Säure der Roten mit der Frosthärte der Weissen Maulbeere und sind sehr populär.
Die Blätter des Maulbeerbaums – Die Grundlage der Seidenkultur
In Ostasien hingegen entwickelte sich eine ganz andere Tradition. Hier war es die Weisse Maulbeere (Morus alba), deren Blätter zur unentbehrlichen Grundlage der Seidenkultur wurden. Da die Seidenraupe (Bombyx mori) ausschliesslich Maulbeerblätter frisst, selektierte man möglichst blattreiche, schnittverträgliche Bäume. Ganze Landschaften wurden mit Maulbeerhainen bepflanzt, deren Blätter über Generationen hinweg die Rohstoffe für eines der wertvollsten Luxusgüter der Menschheitsgeschichte lieferten: die Seide.
Die Weisse Maulbeere (Morus alba) – der Baum der Seidenkultur
Mit der Seidenkultur eröffnet sich ein neues Kapitel in der Kulturgeschichte der Maulbeere. Die Weisse Maulbeere stammt aus China und wird seit Jahrtausenden für die Seidenproduktion genutzt. Bereits um 2800 v. Chr. erkannten die Chinesen, dass die Blätter dieses Baumes die einzige Nahrungsquelle der Seidenraupe (Bombyx mori) sind. Die Früchte von Morus alba spielten dagegen lange eine untergeordnete Rolle: Viele Bäume wurden so kultiviert, dass sie maximalen Blattwuchs, aber kaum Fruchtansatz zeigten. Mit der Seidenkultur gelangte die Weisse Maulbeere ab dem 16. und 17. Jahrhundert nach Europa – wo sie jedoch nie die gleiche Bedeutung erlangte wie in Asien.
Bild: Der Seidenspinner ist auf Morus alba als Nahrungsquelle angewiesen.
Die Legende von der Entdeckung der Seide
Einer alten chinesischen Legende zufolge entdeckte Kaiserin Hsi Ling Shi, die Gemahlin des sagenhaften Gelben Kaisers Huang Ti (ca. 3000 v. Chr.), die Seide durch einen Zufall: Während sie unter einem Maulbeerbaum Tee trank, fiel ein Kokon in ihre Tasse und begann sich in feine Fäden aufzulösen. Gebannt vom schimmernden Glanz dieser Fäden ging sie ihrem Ursprung nach, erkannte die enge Verbindung zwischen der Weissen Maulbeere und der Seidenraupe (Bombyx mori) und entwickelte daraufhin die Kunst der Serikultur. Sie soll Spindel und Webrahmen erfunden haben – und hat damit den Grundstein für die jahrtausendealte Geschichte der Seide gelegt.
Die frühe Seidenkultur in China
Archäologische Funde konnten Nachweise für die frühe Seidenproduktion finden. Bei Ausgrabungen in den Siedlungen der Liangzhu-Kultur (3300–2200 v. Chr.) wurden Seidenreste gefunden, die den Beginn dieser Tradition und der Kulturgeschichte der Maulbeere belegen. Damit hatte China für sehr lange Zeit das weltweite Monopol auf die Seidenherstellung.
Bild: Traditionelle Seidenproduktion.
Die Ausbreitung der Seidenkultur
Erst ab dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. begann Seide, das „geheime Gold Chinas“, auch nach aussen zu gelangen – teils durch Plünderungen nomadischer Stämme, teils als diplomatische Geschenke chinesischer Herrscher. Bald etablierte sich ein Netz von Karawanenwegen, das später als Seidenstrasse berühmt werden sollte. Diese rund 4000 km lange Route verband Ostasien mit Persien und dem Mittelmeerraum.
Schon um 200 v. Chr. entstanden in Korea erste eigene Seidenzentren, getragen von eingewanderten Chinesen. Um 300 n. Chr. war die Seidenkultur auch in Indien, Japan und Persien verbreitet. 550 n. Chr. erreichte sie Europa: Nach einer Legende schmuggelten zwei Mönche im Auftrag Kaiser Justinians Seidenraupeneier in Bambusrohren nach Konstantinopel. Wie zuvor in China wurde auch im Byzantinischen Reich die Herstellung von Seide als Staatsgeheimnis gehütet.
Im 7. Jahrhundert verbreiteten die Araber die Seidenkultur nach ihrer Eroberung Persiens bis nach Nordafrika, Sizilien und Spanien. Im 10. Jahrhundert war Andalusien das bedeutendste europäische Seidenzentrum, im 13. Jahrhundert übernahm Italien die Vorherrschaft: Vor allem Venedig baute seinen Reichtum auf dem Seidenhandel auf. Später gründete Franz I. von Frankreich eine eigene Seidenindustrie in Lyon, die rasch florierte.
Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert setzte jedoch der Niedergang der europäischen Seidenproduktion ein: Billige Seidenimporte aus Japan, die Eröffnung des Suezkanals, die Entwicklung von Kunstfasern wie Nylon und die Zerstörungen der beiden Weltkriege ruinierten die europäische Seidenindustrie. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg Japans Seidenproduktion kurzzeitig stark an, ehe das Land in den 1970er Jahren von China abgelöst wurde. Heute ist China wieder die weltweit dominierende Seidennation – und damit hat sich der Kreis gewissermassen geschlossen.
Die Seidenproduktion in Mitteleuropa: Versuche und Scheitern
Erste Versuche, Maulbeerbäume in Mitteleuropa für die Seidenzucht zu nutzen, gab es bereits im 16. Jahrhundert, blieben jedoch ohne Erfolg. Im 17. und 18. Jahrhundert intensivierten sich die Bemühungen: Mächtige Herrscher wie Friedrich der Grosse oder Napoleon versuchten durch Verordnungen und Anbauzwänge eine Seidenindustrie aufzubauen. In Preussen standen zeitweise rund eine Million Maulbeerbäume, in Bayern liess König Ludwig I. im 19. Jahrhundert grosse Haine pflanzen, organisierte eine Blätter-Allmende und band sogar Schulen und Kirchen in die Seidenzucht ein.
Bild: Die Weisse Maulbeere – hier sieht man die Maulbeere 'Zuckersüss' – wurde für die Seidenproduktion im 16. Jahrhundert nach Europa gebracht.
Trotz dieser massiven Förderung konnte sich die Seidenproduktion in Europa nicht etablieren.
- Klima: In den Tropen bzw. Subtropen sind bis zu zehn Raupenzyklen jährlich möglich, in Mitteleuropa verhindert der Winter eine kontinuierliche Blattproduktion.
- Pflanzenmaterial: Weisse Maulbeeren waren selten und mussten erst importiert und akklimatisiert werden; oft griff man daher auf Schwarze Maulbeeren zurück, die nicht optimal für die Ernährung der Seidenraupen sind.
- Krankheiten der Raupen und Fehler in der Aufzucht: Viele Seidenraupen fielen Krankheiten durch fehlende Hygiene in den Betrieben zum Opfer…
- Konkurrenz: Asiatische Seide blieb günstiger und in höherer Qualität verfügbar.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gaben selbst engagierte Staaten wie Bayern ihre Programme wieder auf. Ein letzter Versuch während des Zweiten Weltkriegs, Seide für Fallschirme zu produzieren, scheiterte ebenfalls. Durch den Siegeszug von Nylon und billigen Seidenimporten aus Ostasien wurde die europäische Seidenproduktion endgültig abgelöst. So blieb die Seidenkultur in Europa ein faszinierendes, aber letztlich erfolgloses Kapitel – und der Maulbeerbaum ein Symbol für den wiederholten, gescheiterten Versuch, ein fernöstliches Luxusgut in Mitteleuropa heimisch zu machen.
Genetischer Fingerabdruck von Morus alba in der Seidenraupe
Die enge Beziehung zwischen Maulbeerbaum und Seidenraupe ist nicht nur historisch und wirtschaftlich bedeutsam, sondern hat auch biologische Spuren hinterlassen. Moderne genetische Untersuchungen des Seidenspinners (Bombyx mori) zeigen Hinweise auf horizontale Genübertragung – also einen natürlichen Gentransfer – von der Maulbeere auf die Raupe. Konkret wurde im Erbgut der domestizierten Seidenraupe mindestens ein Gen identifiziert, das seinen Ursprung in der DNA von Morus alba hat.
Bild: Der Seidenspinner ist auf Morus alba spezialisiert.
Die Präsenz eines Maulbeer-Genfragments im Insektengenom ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Ko-Evolution von Nutzpflanze und Nutztier. Über viele Jahrtausende des intensiven Kontakts – die Raupen ernähren sich ausschliesslich von Maulbeerblättern – könnten Viren oder andere Vektoren genetisches Material übertragen haben. Dieser natürliche Gentransfer verschaffte der Seidenraupe sogar einen entscheidenden Vorteil: Einige der horizontal übernommenen Gene verbessern ihre Fähigkeit, die pflanzlichen Abwehrstoffe der Maulbeerblätter – etwa Flavonoide und Phenole, die für andere Insekten giftig sind – abzubauen. So wurde im Erbgut von Bombyx mori ein Gen nachgewiesen, das ursprünglich aus der Maulbeere stammt und genau diesen Abbau erleichtert. Damit erklärt sich ihre strikte Spezialisierung auf Maulbeerblätter.
Weitere Nutzungsarten der Maulbeerblätter
Neben ihrer zentralen Rolle in der Seidenkultur wurden Maulbeerblätter auch in vielen anderen Kontexten genutzt. In der Viehwirtschaft dienten sie als Futter für Ziegen, Schafe oder Schweine. In Ostasien fanden sie zudem Eingang in die Küche: Junge Blätter wurden ähnlich wie Spinat als Gemüse zubereitet, getrocknete Blätter zu einem mild-aromatischen Tee aufgegossen. Darüber hinaus haben die Blätter eine lange Tradition als Heilmittel. Kulinarik und Heilkunde greifen hier ineinander – ein Muster der Kulturgeschichte der Maulbeere. In der Traditionellen Chinesischen Medizin werden sie seit Jahrhunderten gegen Fieber, Erkältungen, Bluthochdruck und Diabetes eingesetzt – Anwendungen, die durch moderne Forschung teilweise bestätigt werden konnten.
Bild: Maulbeerblätter lassen sich zu einem aromatischen und zugleich wohltuenden Tee aufbrühen..
Weitere Informationen findest du in unserem Artikel «Deshalb sind Maulbeeren gesund: eine uralte Heilpflanze neu entdeckt».
Die Rinde und Wurzeln – Traditionelle Heilpflanze
Auch andere Pflanzenteile der Maulbeere waren wichtige Heilmittel – alle Teile des Maulbeerbaumes wurden medizinisch genutzt. Besonders die Wurzelrinde von Morus alba galt als vielseitig wirksam: Sie wurde traditionell gegen Entzündungen, zur Unterstützung von Leber und Nieren, zur Senkung des Blutdrucks, als harntreibendes, hustenstillendes und schmerzlinderndes Mittel genutzt. Moderne pharmakologische Studien bestätigen viele dieser Effekte und weisen darüber hinaus auf ein antientzündliches und sogar krebshemmendes Potential hin – wenngleich die zugrundeliegenden Mechanismen noch nicht vollständig erforscht sind.
Bild: In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird Maulbeer-Rinde verwendet.
Auch Zweige und Früchte fanden in der Heilkunde Anwendung, insbesondere wegen ihrer blutzuckersenkenden Eigenschaften. Heute weiss man, dass dafür vor allem Alkaloide, Flavonoide und Polysaccharide verantwortlich sind. Tierstudien deuten zudem darauf hin, dass Maulbeerextrakte die Darmflora positiv beeinflussen und so günstig auf Insulinresistenz und Diabetes wirken können.
Weitere Informationen über die medizinische Nutzung von Maulbeeren findest du in unserem Artikel «https://www.lubera.com/ch/gartenbuch/deshalb-sind-maulbeeren-gesund-ein-uraltes-heilobst-neu-entdeckt-p5598».
Das Holz des Maulbeerbaums – vom Alltagsgerät zum Luxusgut
Das Holz der Maulbeere war und ist ein geschätzter Werkstoff. In Indien wird es für landwirtschaftliche Geräte, Möbel und Alltagsgegenstände genutzt, in Japan für hochwertige Möbel sowie Instrumente der Teezeremonie. In Nordamerika nutzten indigene Völker die elastischen Zweige von Morus rubra bevorzugt zur Herstellung von Bögen. Ihr Holz fand zudem Verwendung zum Räuchern von Fleisch. Aus dem Bast junger Triebe wurden strapazierfähige Stoffe geflochten.
Die Maulbeere als Klimabaum
Im Zuge des Klimawandels stehen Gärtner, Landwirte und Städteplaner vor der Herausforderung, neue Baumarten zu etablieren, die mit steigenden Temperaturen, längeren Trockenphasen und extremeren Wetterlagen zurechtkommen. Die Maulbeere rückt dabei zunehmend in den Fokus: Sie gilt als ausgesprochen hitze- und trockenheitstolerant und zeigt selbst auf ärmeren Böden noch erstaunlich gute Wuchsleistungen.
Bild: Maulbeerbäume sind hitze- und trockenheitstolerant. Die Maulbeere 'One Million Everbearing' liefert grosse Mengen aromatischer Früchte.
Ein entscheidender Grund dafür sind ihre dicken, ledrigen Blätter, die die Verdunstungsrate deutlich einschränken. Durch die robuste Blattstruktur verliert der Baum weniger Wasser als andere Gehölze und bleibt auch in heißen Sommermonaten vital. Studien zur Physiologie der Maulbeere weisen darauf hin, dass ihre Blätter eine reduzierte Transpiration aufweisen und zudem die Stomata (Spaltöffnungen) effizient regulieren können, sodass der Baum Wasser spart, ohne die Photosynthese zu stark einzuschränken.
Hinzu kommen weitere klimarelevante Eigenschaften:
- Tiefe Wurzeln erschliessen Wasserreserven im Unterboden.
- Schnittverträglichkeit und schnelle Regeneration erlauben eine flexible Nutzung, etwa als Schattenspender oder Futterlieferant.
- CO₂-Bindung und Luftfilterung durch große Blattmassen leisten einen Beitrag zur Verbesserung des Mikroklimas in Städten.
Damit vereint die Maulbeere Eigenschaften, die sie zu einem vielversprechenden Klimabaum machen – sowohl für die Stadtbegrünung als auch für landwirtschaftliche Nutzungssysteme. Sie zeigt, dass eine uralte Kulturpflanze auch in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen kann, wenn es darum geht, widerstandsfähige und nachhaltige Landschaften im Klimawandel zu gestalten. So wird die Kulturgeschichte der Maulbeere fortgeschrieben.
Detaillierte Informationen, wie du einen Maulbeerbaum in der Garten pflanzen kannst, findest du in unserem Artikel «Maulbeere - alles über Pflanzung, Pflege und Schnitt».
Der Maulbeerbaum in der Polykultur
Die Maulbeere besitzt grosses Potenzial für den Einsatz in Agroforstsystemen. Ihr tiefreichendes Wurzelsystem und ihre Trockenheitstoleranz machen sie zu einem geeigneten Baum für Alley Cropping, bei dem zwischen den Baumreihen Getreide oder andere Feldfrüchte angebaut werden. Dank ihres schnellen Wachstums und ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber Wind eignet sie sich zudem hervorragend als Windschutzgehölz oder zur Anlage einer Hecke. Besonders wertvoll ist auch das hochwertige Tierfutter, das sich aus ihrem Laub gewinnen lässt. Damit ist die Maulbeere ein idealer Bestandteil Agroforstsyeme und so erhält die traditionsreiche Nutzung neue Relevanz in der Kulturgeschichte der Maulbeere.
Aquakultur mit Maulbeeren
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel der Kulturgeschichte der Maulbeere und ihrer Vielseitigkeit ist ein traditionelles Anbausystem in der chinesischen Provinz Zhejiang, in dem Maulbeerbäume auf Dämmen in Fischteichen kultiviert werden: das Maulbeer-Damm-Fischteich-System. Dieses jahrhundertealte Agrarsystem kombiniert Seidenraupenzucht, Fischerei und Maulbeeranbau auf geniale Weise. Historische Aufzeichnungen berichten, dass die ersten Anlagen bereits vor mehr als 2500 Jahren entstanden.
Die Grundidee: In den feuchten Niederungen, die regelmässig von Überschwemmungen bedroht waren, schufen Bauern durch Ausheben von Erde rechteckige Teiche. Den Aushub nutzten sie, um erhöhte Dämme zu errichten, auf denen Maulbeeren und andere Nutzpflanzen wuchsen. Damit entstand eine Landschaft, die sich wie ein Schachbrett horizontal und vertikal ausbreitete – ein frühes Beispiel für einen geschlossenen landwirtschaftlichen Nährstoffkreislauf.
Bild: Das traditionelle Maulbeer-Damm-Fischteich-System: Maulbeerbäume werden auf Dämmen in Fischteichen kultiviert.
In Huzhou wurde dieses Prinzip zur Perfektion gebracht:
- Maulbeerblätter auf den Dämmen dienen als Futter für die Seidenraupen.
- Exkremente und Kokonreste der Raupen gelangen in die Teiche und ernähren die Fische.
- Fischkot düngt das Wasser und reichert den Teichboden mit Nährstoffen an.
- Dieser nährstoffreiche Teichschlamm wird von den Bauern regelmässig auf die Dämme gehoben und als organischer Dünger für die Maulbeerbäume verwendet.
So entsteht ein vollständig geschlossener Stoffkreislauf ohne Abfall, der gleichzeitig Seide, Fisch, Obst und Dünger hervorbrachte. Das System reduzierte zudem Hochwasserrisiken, reinigte das Wasser und steigerte die landwirtschaftliche Produktivität. Heute gilt das Huzhou-Mulberry-Dyke & Fish-Pond-System als ein Modell für nachhaltige Landnutzung und wurde 2017 von der UNESCO als Global Important Agricultural Heritage System (GIAHS) ausgezeichnet.
Fazit
Wer heute Maulbeeren pflanzt, knüpft an eine reiche Tradition an– und setzt zugleich auf einen zukunftsfitten Baum, der bestens mit Hitze und Trockenheit zurechtkommt. Pflegeleicht und robust liefert der Maulbeerbaum Jahr für Jahr grosse Mengen köstlicher, gesunder Früchte. Entdecke jetzt die vielfältige Auswahl an Maulbeerbäumen im Lubera-Shop.
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