Ökologie und Nachhaltigkeit sind komplexe Themen, die in enger Beziehung zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Überlegungen stehen. Bildung für nachhaltige Entwicklung soll dazu beitragen diese Komplexität zu verstehen, tragfähige Zukunftsmodelle vorzustellen und das persönliche Handeln der Schülerinnen und Schüler positiv zu beeinflussen. Dabei kann der Schulgarten als Model fungieren, dessen Elemente die regionalen und globalen Umwelt widerspiegeln. Gleichzeitig kann auf der Fläche praktisch umgesetzt werden, was ökologisch und gesellschaftlich sinnvoll ist.
Inhaltsverzeichnis
Der Schulgarten im Unterricht
In der Sekundarstufe II verfügen Schülerinnen und Schüler über ein umfangreiches Allgemeinwissen und bilden sich selbstständig eine eigene Meinung. Sie können auf Erfahrungen zurückgreifen, um komplexe Aufgabenstellungen selbstständig zu lösen. Im Schulgarten sind aufwändigere Projekte möglich. Zum Beispiel können Pflanzen veredelt werden, um ihren Ertrag zu erhöhen oder durch gezielte Kreuzungen die mendelschen Regeln der Vererbungslehre nachvollzogen werden. Denkbar ist auch eine Beurteilung der ökologischen Wertigkeit von Gartenhecken im Vergleich zu Wildhecken (Unterschlupf, Nahrungsquelle, Nistmöglichkeit, Überwinterung) oder die Wirkung von Hecken als Schallschutz, Wind- und Temperaturpuffer im Gelände. Gleichzeitig ist der Schulgarten ein Musterbeispiel für das Spannungsfeld zwischen Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung.
Weitere Gartenbuchtexte zum Thema Schulgarten:
- Schulgarten Teil 1: Geschichte, Praxis und Zukunft
- Schulgarten Teil 2: Der Nutzen von Schulgärten
- Schulgarten Teil 3: Ganz einfach und flexibel
- Schulgarten Teil 4: Schulgärten für Kindergärten und Grundschulen
- Schulgarten Teil 5: Schulgärten für die Sekundarstufe II
Besondere Anbaumethoden im Schulgarten
Lokale Produktion, Upcycling und Recycling von anfallenden Resten lassen sich im Schulgarten praktisch umsetzen. Komplexe Anbauverfahren wie Intercropping, Milpa, Agroforstsysteme und Permakultur sind nachhaltige Anbaumethoden, die im Schulgarten ausprobiert werden können. Dadurch werden Berührungsängste mit solchen seit Jahrhunderten bewährten, in Mitteleuropa aber bisher wenig bekannten, nachhaltigen Anbausystemen abgebaut werden.
Mischkultur (Intercropping)
In einer Mischkultur werden Pflanzenarten gemeinsam angebaut, die sich gegenseitig im Wachstum fördern und Schädlinge voneinander fernhalten. Vor allem im Ökolandbau und im Hausgarten werden Arten kombiniert, die sich als gute Partner gegenseitig positiv beeinflussen. Sie werden in Reihen nebeneinander ausgesät oder gepflanzt. Beispielsweise vertreibt der Geruch von Zwiebeln Wurzelläuse und Möhrenfliegen. Darum wirken sie sich positiv auf die Gesundheit von Möhren und Salat aus, während die Möhren ihrerseits Zwiebelfliegen fernhalten. Die Studentenblume (Tagetes) vertreibt Weisse Fliege von Gurken und Tomaten und tötet gleichzeitig schädliche Bodenälchen (Nematoden), die dem Fruchtgemüse zusetzen können. Mischkulturen sind die Grundlage für einen nachhaltigen, ökologischen Gemüsebau und sollten allen Schülern in Grundzügen vertraut sein.
Bild: In einem Schulgarten können viele verschiedene Pflanzen miteinander kombiniert werden. Hier in der Schulgemeinde Sevelen (Schweiz/St. Gallen) haben die Schüler unterschiedliche Stauden gepflanzt.
Drei Schwestern und Milpa
Mais, Bohnen und Kürbisse sind die drei wichtigsten Nahrungsmittel der amerikanischen Ureinwohner. Eine Ackerbaumethode bei der diese drei Kulturen zusammen als Mischkultur angebaut werden hiess in Nordamerika bei den Haudenosaunee und den Pueblo-Völkern „drei Schwestern“ und bei den Maya in Mittelamerika „Milpa“. In ein vorbereitetes Beet werden zuerst einige Maissamen ausgesät. Ist der Mais etwa 15 cm hoch, werden um diese Pflanzen herum Kürbisse und Bohnen ausgesät. Die drei Pflanzenarten fördern sich in dieser Kombination gegenseitig. Die Bohnen nutzen den Mais als Kletterhilfe. Durch die Symbiose mit den Knöllchenbakterien an ihren Wurzeln reichern sie im Boden Stickstoff an, der von Mais und Kürbis als Nährstoff genutzt wird. Die Kürbisse bedecken mit ihren langen Ranken und den grossen Blättern den Boden und unterdrücken unerwünschte Wildkräuter. Gleichzeitig beschatten sie den Boden, verhindern das Austrocknen und Auswaschungen durch Starkregen.
Die Kombination von Bohnen, Kürbis und Mais liefert die Grundlage für eine ausgewogene Ernährung. Ausser Vitamin B12 werden alle für den Menschen notwendigen Vitamine und Mineralstoffe von dieser Pflanzenkombination bereitgestellt. Gleichzeitig ist der Ertrag pro Fläche höher als bei anderen Anbausystemen. Im Schulgarten können die drei Schwestern als Mischkultur und in Monokultur angebaut werden. Die Schüler und Schülerinnen können Arbeitsaufwand, Wasserbedarf, Pflanzengesundheit und Ertrag vergleichen.
Etagenanbau
Beim Etagenanbau werden Pflanzen verschiedener Wuchshöhen kombiniert. Auf diese Weise beschatten grössere Pflanzen kleinere und auf der Fläche wird mehr Ertrag erzielt. Traditionell wird der Etagenanbau in den Subtropen und Tropen angewandt. Dort werden geschützt unter Paranussbäumen und Kokospalmen zum Beispiel Bananen, Kakao, Kaffee oder Papayas angebaut. Am Boden wachsen darunter Erdnüsse, Süsskartoffeln, Yams und anderes Gemüse. In den gemässigten Breiten ist eine Kombination aus Stangen- oder Feuerbohnen mit Kopfsalat, Mangold und Spinat denkbar. Die Bohnen sorgen für Beschattung verhindern, dass der Salat in der Sommerhitze zu schnell in Blüte schiesst. Auch das Unterpflanzen von Nussbäumen und Obstgehölzen ist möglich. Im Schulgarten können verschiedene Kombinationen geplant und ausprobiert werden. Der Etagenanbau mit Gehölzen ist ein Element von Agroforstsystemen.
Agroforstsysteme
Die europäischen Agroforstsysteme oder Waldgärten gehen auf Ideen des Engländers Robert Hart (1913–2000) zurück, der in seinem Obstgarten verschiedene Methoden der Pflanzenproduktion ausprobierte. Das von ihm entwickelte Anbaumodell ahmt die Pflanzenschichten eines Waldes nach und wurde darum von ihm als „Waldgarten“ bezeichnet. Es gelang ihm Obst, Nüsse, Kräuter und Gemüse so zu kombinieren, dass sich dieses System über mehrere Jahre ohne Zugabe von Dünger von aussen selbst erhielt. Unter Obstbäumen pflanzte Hart Beerensträucher, am Boden Kräuter und Gemüse. Eine Agroforstwirtschaft kann wie die Variante von Hart vegan sein und nur aus Bäumen und Ackerbau (silvoarables System) bestehen. Die Eichelmast der Ibérico-Schweine in den lichten Wäldern aus Stein- und Korkeichen in Spanien ist ein silvopastorales Agroforstsystem aus Wald und Tierhaltung. Werden Bäume, Ackerkulturen und Tierhaltung kombiniert handelt es sich um ein agrosilvopastorales Systeme. Waldgärten sind Teil der Permakultur.
Permakultur
Permakultur ist ein Kofferwort aus „permanent“ und „agriculture“. Ursprünglich handelte es sich um ein Anbausystem, das in den 1970er Jahren in Australien entwickelt wurde. Heute hat sie sich zu einer weltweiten ökologischen Bewegung entwickelt. Permakultur ist ein Lebensstil mit einer nachhaltigen Landnutzung und Lebensweise. Sie wird in Hausgärten und in manchen ökologischen landwirtschaftlichen Betrieben gelebt. Durch den Einsatz traditioneller und experimenteller Methoden wird eine Agrarlandschaft erschaffen, die einem Ökosystem nachempfunden ist und in dem Menschen, Tiere und Pflanzen so kombiniert sind, dass sie gemeinsam ohne Eingriffe von aussen auf unbestimmte Zeit existieren können. Das Konzept der Permakultur lässt sich nicht losgelöst vom allgemeinen Lebensstil umsetzen und ist in einem Schulgarten darum kaum zu verwirklichen. Kenntnisse über die verschiedenen Anbauverfahren (Milpa, Etagenanbau, Waldgarten) erlauben es den Schülerinnen und Schülern aber ihre eigenen Grenzen auszutesten und gemäss ihrer Möglichkeiten einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten.
Ziele für nachhaltige Entwicklung
Die Ressourcen der Erde sind begrenzt und jedes Jahr verbrauchen die Menschen mehr als die Erde in einem Jahr regenerieren kann. Der globale Erdüberlastungstag oder Earth Overshoot Day ist ein Massstab dafür, wann die ökologischen Grenzen der Erde erreicht sind. Er markiert den Tag, an dem rechnerisch alle regenerativen Ressourcen eines Jahres verbraucht sind. 2022 fiel er auf den 28. Juli. Besonders die Industrieländer gehen verschwenderisch mit Wasser, Nahrung und Energie um und stossen mehr Schadstoffe aus, als die Natur verkraften kann. Diese Ausbeutung stellt eine Bedrohung für die Umwelt und den Menschen dar. Mit der Agenda 2030 haben die Vereinten Nationen 17 Ziele (Global Goals) für eine nach haltige Entwicklung formuliert. Sie sollen ein dauerhaftes Gleichgewicht zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem herstellen. Nachhaltiges Handeln soll den heutigen und folgenden Generationen vergleichbare oder bessere Lebensbedingungen sichern. Obwohl Schülerinnen und Schüler theoretisch wissen, wie sie die Umwelt schützen und Ressourcen sparen können, werden im Alltag Entscheidungen nicht danach ausgerichtet.
In Studien konnte nachgewiesen werden, dass persönliche Erfahrungen beim Anbau von Obst und Gemüse einen positiven Einfluss auf das Wissen über sie, ihren Verzehr und die Akzeptanz haben. Schülerinnen und Schüler, die Erfahrung im Anbau von Nutzpflanzen haben, verfügen über mehr Kenntnisse bezüglich des Wachstums und der Entwicklung dieser Pflanzen. Dieses Verständnis bildet eine wichtige Grundlage, um Ernährungsgerechtigkeit zu verstehen und Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.
Bild: Nicht nur Obst und Gemüse können als Nutzpflanzen kultiviert werden, auch Kräuter eignen sich dafür und brauchen zudem weniger Platz.
Der Schulgarten als Model für Nachhaltigkeit
Im Schulgarten lernen Schülerinnen und Schüler die natürlichen Grenzen kennen. Sie erleben bewusst, welche Fläche notwendig ist, um einen Kohlrabi oder ein Kilogramm Möhren anzubauen. Sie erfahren, welcher Aufwand an Zeit, Wasser und Dünger erforderlich ist, um Kartoffeln für Pommes Frites anzubauen. Dadurch steigt die Wertschätzung für diese Lebensmittel und ihre Erzeuger. Ideen zur nachhaltigen Nutzung des Gartens bzw. des Schulgeländes lassen sich vor Ort umsetzen. Zum Beispiel haben Wiesen einen höheren ökologischen Nutzen als kurzgemähte Rasenflächen. Bäume auf dem Schulgelände reinigen die Luft und sorgen im Sommer für Kühlung. Sitzgelegenheiten in ihrem Schatten haben einen sozialen Wert. Ein Regenwasserspeicher und eine mit Solar- oder Windenergie betriebene Grundwasserpumpe sind ökonomisch sinnvoll und schonen Ressourcen. Ausgehend von solchen eigenen Erfahrungen können Erkenntnisse auf die direkte Umgebung und die globale Situation übertragen werden.
Jedes Element im Schulgarten kann nach Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit betrachtet und mit einem lokalen oder globalen Gegenstück verglichen werden. Zum Beispiel ist ein Komposthaufen im Schulgarten in seiner Funktion vergleichbar mit einem Recyclinghof, eine Grundwasserpumpe mit einem Wasserwerk, ein Beet mit landwirtschaftlicher Fläche, eine Hecke mit einem Wald, ein Fussballplatz mit einem Stadion, eine Sitzecke mit einer Terrasse im Park und so weiter.
Bild: Aus einer alten Dose und Flaschendeckeln können Schüler ein süsses und sinnvolles Insektenhotel basteln.
Die Schülerinnen und Schüler können Konzepte zur Nachhaltigkeit entwickeln und im Schulgarten umsetzen. Wie lässt sich die Nachhaltigkeit des Schulgeländes oder des Grundstücks zu Hause erhöhen? Pflanzgefässe können durch Recycling und Upcycling gewonnen werden. Zweige, Laub und Rasenschnitt aus der Pflege des Schulgeländes können für Hügelbeete und Hochbeete bzw. zum Mulchen eingesetzt werden. Torffreie Substrate aus einem lokalen Erdenwerk schonen Ressourcen, sparen CO2 ein und fördern die lokale Wirtschaft. Durch die Gestaltung der eigenen Umgebung zu einem nachhaltigeren Lebensraum erleben die Kinder die Vorteile täglich und tragen die positiven Erfahrungen in ihre Familien.