Die Himbeerzüchtung gehört seit über 20 Jahren zu den grössten Züchtungsprogramen bei Lubera. Noch älter ist letztlich nur die Apfelzüchtung, die letztlich mit der Gründung der Firma 1993 begann. Das erste Ziel der Himbeerzüchtung war einfach und überfällig: Es ging darum, die dominante Herbsthimbeere Autumn Bliss durch bessere Sorten zu ersetzen. Dafür kreuzten wir zusammen mit Reto Neuweiler von der Forschungsanstalt Wädenswil Autumn Bliss mit Tulameen – daraus entstanden Autumn First®, Autumn Best® und Sugana®. Nie mehr haben wir seither eine solche produktive Kreuzungspopulation gehabt. Aber am Ende sind wir es ja auch selber, die die Hürde, die Schwelle für neue Sorten immer höher ansetzen, denn jede neue Sorte muss ihren Platz ja finden und ausfüllen. Unterdessen ist dank der Lubera Züchtung eine ganz neue Himbeerwelt entstanden, die den Anbau der Himbeeren im Garten nachhaltig verändert – und vor allem auch vereinfacht hat. Die Himbeere kann im Garten nicht mehr nur am Teppichstangen- oder am Drahtgerüst gezogen werden, sondern wächst in Töpfen und Kübeln, auf dem Balkon, auf der Terrasse, als kleine Pflanzengruppe in einer Staudenpflanzung, und natürlich auch noch immer klassisch in der Himbeerreihe.
Inhaltsverzeichnis
- Himbeerzüchtung – Zeithorizont und Umfang (Video)
- Himbeerzüchtung – Der Blick zurück
- Das Züchterleben und das Pflanzenleben
- Der Blick nach vorne: Wo steht die Himbeere in 20 Jahren
- Fruchtgrösse
- Fruchtfestigkeit/Grösse der Einzelfrüchte, der Drupelets
- Himbeerfarben
- Krankheitsresistenz
- Verwendungszwecke, Pflanzenarchitektur
- Soll man überhaupt noch Himbeeren pflanzen, wenn sie in Zukunft so viel besser werden?
Himbeerzüchtung – Zeithorizont und Umfang (Video)
Als Pflanzenzüchter schauen wir immer gleichzeitig nach vorne – und auch zurück. Was haben wir in den letzten 10 bis 15 Jahren geschafft und geschaffen (ein Jahr ist in der Züchtung kein Jahr), und welche Pflanzen, welche neuen Eigenschaften werden wir in den nächsten 20 Jahren kreieren. Sie staunen vielleicht ob der langen Zeit-Horizonte: 10 Jahre zurück und 20 Jahre voraus. Aber ein Kreuzungsjahrgang beispielsweise bei den Himbeeren dauert bis zur endgültigen Bearbeitung und bis zur Sorteneinführung 8-10 Jahre. Wir stellen in unseren Züchtungsprogrammen in East Malling und in Buchs jedes Jahr Kreuzungen her, bestäuben also die emaskulierten (entmannten) Blüten der Muttersorte mit den Pollen der Vatersorte. Daraus entstehen jährlich zwischen 2‘000 und 8‘000 Samen, wovon vielleicht die Hälfte bis zwei Drittel keimen. Also gigantische Mengen von Sämlingspflanzen, jede davon ein eigenes Individuum, die selektioniert und beurteilt, schliesslich dann als Sortenkandidaten vermehrt und wieder getestet werden müssen. Insgesamt investieren wir für unsere Züchtung und Produktentwicklung (also nicht nur bei den Himbeeren, sondern bei allen 25 sehr kleinen, mittleren und auch grösseren Züchtungsprogrammen) bei Lubera ca. 10% unseres Umsatzes. Sie, unsere Kunden ermöglichen unsere Sorteninnovation.
Video: Himbeerzüchtung – Himbeerselektion in East Malling (UK)
Himbeerzüchtung – Der Blick zurück
Was haben wir in den letzten Jahren an neuen Himbeersorten auf den Markt gebracht? Es ist uns gelungen, die Diversität der Gartenhimbeeren entscheidend zu vergrössern, es gibt jetzt mehr unterschiedliche Himbeerpflanzentypen und damit im Garten auch mehr mögliche Verwendungszwecke:
- Die Primeberries® verbessern die klassischen Herbsthimbeeren, z.B. mit dornenlosen Sorten wie 'Autumn Happy', mit sehr grossfrüchtigen Sorten wie 'Autumn Sun', oder mit der ersten purpurfarbenen Herbsthimbeere 'Autumn Passion'.
- Die Schlaraffia® Himbeeren bieten ein Sortiment von mittelhohen Himbeersträuchern, die nur zwischen 110 und 150 cm hoch werden, geeignet für den Topf, aber auch für informelle Pflanzungen, hier und dort im Garten, z.B. in einem Mixed Border, zum Naschen auf dem Gartenrundgang, für die Enkelkinder.
- Die Lowberry® Himbeeren bleiben unter 80cm Höhe, sind also ideal für kleine Gärten, für Kinder-Gärten und für die Topfkultur.
- Die Chef® Himbeeren regieren nicht etwa unsere Himbeerfamilien, bieten aber den besten und intensivsten Himbeergeschmack. Schlichtweg die bestschmeckenden Herbsthimbeeren und Sommerhimbeeren
- Die Twotimer® Himbeeren bringen einen doppelten Ertrag, einmal an den letztjährigen Ruten (die im ersten Jahr vor allem apikal, also an der Spitze gefruchtet haben) und dann später wieder an den Spitzen der diesjährigen Ruten.
Das Züchterleben und das Pflanzenleben
Was wäre in der Züchtung noch möglich, was können wir in den nächsten Jahren noch erreichen. Zuerst vielleicht ein Disclaimer: Ich bin jetzt 58 Jahre alt, die Züchtungsperspektive beginnt meine aktive Berufsperspektive zu transzendieren, das heisst ich kann jetzt ziemlich frei über die Zukunft der Züchtung schwadronieren, weil ich selber nicht mehr alles liefern muss. Diese Freiheit ist aber nur eine scheinbare: Wir machen JETZT die Kreuzungen, die in 10 Jahren Sorten darstellen werden, und wir machen JETZT die strategischen Weichenstellungen, damit wir in 20 Jahren, also nach meiner aktiven Berufsperspektive die gesetzten Züchtungsziele erreichen können. Zum guten Glück kann ich schon jüngere Leute, unseren Junior Breeder Moritz Köhle und Frederik Vollert den Pflanzentwickler bei unserer Jungpflanzenfirma Lubera Edibles in die Züchtungsplanung miteinbeziehen. Aber auch gemeinsam sind wir, ich und die nächste Züchtergeneration, nur ein Wimpernschlag in der langen Geschichte, der langen Reise der Himbeeren.
Der Blick nach vorne: Wo steht die Himbeere in 20 Jahren
Es ist schon ziemlich beeindruckend auch für mich, der ich die Himbeerreise in den letzten Jahren begleitet habe, wie sich die Beerenpflanze verändert hat. Und wie wird sie sich in Zukunft entwickeln? Welche Entwicklungslinien der Vergangenheit lassen sich verlängern, was kommt neu dazu?
Fruchtgrösse
Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber Fruchtgrösse ist ein entscheidender Faktor der Qualität. Grössere Früchte bedeuten mehr Fruchtfleisch, mehr zu beissen, mehr Saft, der auf Ihre Geschmacksknospen trifft, mehr Erlebnis. Aber: Das Grössenwachstum hat Grenzen. Einerseits ist genau hier die physikalische Schwachstelle der Himbeere: Sie lässt ja den Blütenboden an der Pflanze, der Zapfen gehört nicht wie bei der Brombeere zur Frucht, die Himbeere stellt sich also als eine Art Fingerhut dar, wobei die Einzelfrüchte, die sogenannten Drupelets nur lose aneinanderkleben. So etwas kann nie ganz stabil sein, und irgendwann wird die Himbeere auch am eigenen Gewicht scheitern und zusammenbrechen. Die Grössenzunahme ist auch durch einen anderen Faktor begrenzt: Grössere Himbeeren bringen solange mehr Erlebnis für den Himbeergeniesser, als er die Himbeere ganz, unter einmal essen kann; sobald die Himbeere mehrere Bisse erfordert, mehrere Maulvoll hergibt, wird sich dies vor allem bei einer saftenden und unstabilen Fruchtart wie bei der Himbeere eher negativ auswirken. Niemand in dieser reinlichen Welt will den Saft und das Mus einer angebissenen Himbeere an den Händen kleben haben. Also: In 20 Jahren sollten alle Himbeeren ca. 7-9g wiegen, nicht mehr. Schauen wir mal ;-).
Bilder: Sorten selektionieren....
...auf der Suche nach der Grössten, Besten und Schönsten.
Fruchtfestigkeit/Grösse der Einzelfrüchte, der Drupelets
Vor allem bei der Himbeerzüchtung für den Erwerbsanbau steht die Fruchtfestigkeit im Fokus. Nur sehr feste und mit einer dicken aber doch elastischen Haut geschützte Himbeeren können in Spanien geerntet, nach England transportiert, gelagert, und dann 2 Tage im Supermarkt verkauft und vom Konsumenten innerhalb der nächsten Tage gegessen werden. Die Züchtung tendiert hier zu sehr stabilen Himbeeren, mit einer optisch sehr schönen Struktur aus kleinen, damit stabilen und dadurch sehr festen Einzelfrüchtchen. Solche Erwerbsanbaufrüchte werden dann meist sehr früh, knapp hellrosa geerntet, so dass sie die Strapazen der Reise aushalten können. In der Textur sind sie dann meist eher zäh, was ich als eher negativ erlebe. Für die Himbeere der Zukunft sehe ich grosse Früchte mit grossen Drupelets, die aber eine feste Fruchthaut besitzen, prall gefüllt sind. Das verbessert das Esserlebnis, der Biss lässt die grossen Einzelfrüchte platzen, der Saft verbreitet sich im Mund, das Verhältnis Saft/Fruchtfleisch versus Samen verbessert sich. Himbeeressen wird von einer zähen und ziemlich neutralen Angelegenheit (was esse ich da eigentlich?) zu einem explosiv-dynamischen Erlebnis.
Himbeerfarben
Himbeeren sind aktuell rot, andersfarbige Himbeeren haben nur einen kleinen Marktanteil. Ich sehe, dass wir in den nächsten 20 Jahren die Farbpalette der Himbeeren entscheidend verändern und vergrössern können:
- alle Farbschattierungen von Hellrosa bis Purpur-dunkelrot
- mit einem extravaganten Glanz oder ohne
- echte orange Himbeeren
- grössere und bessere, vor allem auch dornenlose schwarze, violette und purpurne Himbeeren
Bild: Warum nicht mal eine andere Farbe?
Krankheitsresistenz
Aufgrund unserer ausgedehnten Tests auf unseren Züchtungsflächen stellen wir sicher, dass die Himbeersorten von Generation zu Generation etwas robuster und resistenter werden. Es ist unser Ziel, eine genetisch definierte und stabil funktionierende Phytophthora-Resistenz in die meisten unserer neuen Sorten einzubauen; das wird aber umfassend erst gegen das Ende der 20 Jahre-Periode erreicht sein, die ich hoffentlich miterleben darf.
Verwendungszwecke, Pflanzenarchitektur
Hier haben wir in den letzten 20 Jahren sicher die grössten Fortschritte gemacht: Wer hätte schon vor 10 Jahren gedacht, dass wir Himbeersorten mit einer Wuchshöhe von unter 100cm haben würden. Ich glaube, dass hier in den nächsten 20 Jahren noch sehr viel mehr möglich sein wird:
- Ausbau der Schlaraffia® Familie, Himbeeren, die möglichst ohne Stütze als Sträucher in informellen Pflanzungen gigantische Mengen von Früchten tragen.
- Grossfrüchtigere und mehr diverse Sorten unter 100cm; hier haben wir z.B. echte orange Sorten in der Pipeline.
- Himbeersorten unter 50cm, Himbeeren vielleicht auch als Bodendecker, als Himbeerwiese.
- Hängende Himbeersorten gibt es leider noch nicht; was von einigen Versendern so angepriesen wird, wächst zuverlässig nach oben. Durch die Verwendung der Genetik von Rubus occidentalis wäre es allerdings möglich, hängende Herbsthimbeeren, also für Brüstungen, für Kistchen und Hanging Baskets zu züchten. Stay tuned…
- Eine echte dauertragende Himbeere, die von Mitte Juni bis Oktober Früchte trägt: Wir haben zweimaltragende Twotimer®-Himbeeren, aber eine kontinuierlich nachproduzierende Sorte fehlt. Hier müssen wir Sorten finden, wohl eher halbkompakt wachsende, die nicht nur sehr früh am untersten Drittel der letztjährigen Triebe fruchten, sondern schnell und dann über den Sommer kontinuierlich neue Basistriebe ausbilden, die laufend reife Früchte produzieren.
Bild: Kreuzungspopulation mit Schlaraffia® Himbeeren
Bild: Vielleicht eine neue Lowberry® Himbeere?
Bild: Ein anderer Lowberry® Kandidat, selektioniert im 2019 und jetzt im 2021 in der zweiten Sichtungsstufe.
Soll man überhaupt noch Himbeeren pflanzen, wenn sie in Zukunft so viel besser werden?
Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich nach dieser lebhaften Aussicht auf das Himbeerparadies ernsthaft überlegen, ob Sie nicht mit Ihrer Pflanzung auf die neuen Sorten warten sollen, die ja auf jeden Fall – Züchterehrenwort! – nochmals viel interessanter und besser sein werden als die aktuellen Himbis.
Dazu sind zwei Dinge zu sagen: Erstens werden auch bei der Himbeerzüchtung nicht alle Träume wahr. Und zweitens machen wir auch Fehler, gehen falsche Züchtungswege, müssen ganze Populationen abschreiben. Ganz so ideal wird es wohl in 20 Jahren nicht werden, aber vielleicht doch deutlich besser.
Der entscheidende Punkt für Sie aber ist: Himbeeren mögen für mich als Züchter Gedankenspiele, Träume, Visionen sein, für Sie im Garten sind sie zum guten Glück fast ausschliesslich physische Realität. Wer keine Himbeeren pflanzt, nur von ihnen träumt, wird nie die Früchte ernten und geniessen. Der Züchter dagegen träumt deutlich mehr, als er isst. Satt hat man ja auch keine Visionen ;-).
Bild: Ein schöner Job – der Himbeerzüchter bei der Arbeit
Bild: Züchtungsfeld mit Himbeersämlingen in der Baumschule in Buchs (Schweiz)