Lubera bringt die ersten vier von Lubera selber gezüchteten resistenten Freilandtomatensorten auf den Markt: Die Open Sky® Freilandtomaten. Diese neuen Stabtomaten sind resistent gegen Phytophthora und Alternaria und können ohne Witterungsschutz, ohne Haube und Tomatenhaus im Freiland angebaut werden. Natürlich haben wir Markus gefragt, wie es dazu kam und ob man in Zukunft von Lubera eher Tomaten als Äpfel erwarten kann…
Inhaltsverzeichnis
- Wirst du dem Apfel, dem Paradiesapfel untreu, Markus Kobelt?
- Warum genau Tomaten, was hat dich bewogen, Tomaten zu züchten?
- Wie bitte ist es möglich, in nur 4 Jahren eine neue Serie Tomaten zu züchten?
- Hat das Folgen für den praktischen Tomatenanbau, für den Käufer der Open Sky® Freilandtomaten?
- Züchtest du die Tomaten wirklich selber, wie ist das zeitlich noch möglich?
- Wie stabil ist die Resistenz der neuen Open Sky® Freilandtomaten gegen die wichtigsten Tomatenkrankheiten, Phytophthora (Braunfäule, late blight) und Alternaria (Dürrfleckenkrankheit, early blight)?
- Was für ein Resistenzziel habt ihr, wann ist eine Tomate resistent?
- Wie geht es mit der Tomatenzüchtung weiter?
Wirst du dem Apfel, dem Paradiesapfel untreu, Markus Kobelt?
Na ja, es ist schon lustig, dass wir unsere selber gezüchteten Dessertäpfel 'Paradis-Äpfel' nennen – und jetzt tatsächlich Paradeiser züchten und auf dem Markt einführen. Das hätte ich bei der Züchtung der ersten Lubera® Apfelsorten vor 30 Jahren ganz sicher nicht gedacht. Aber untreu? Eigentlich bleibe ich mir selber ziemlich treu: Mich interessieren vor allem Pflanzen, Pflanzen-Erlebnisse, die durch den Magen gehen. Beides, Tomaten und Äpfel sind Früchte, und auch gegessen werden sie nicht ganz unterschiedlich, jedenfalls wenn man sie als ganze Früchte geniesst. Eine Tomate gehört zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen, und ich bin nicht sicher, ob ich sie wirklich anders als einen Apfel wahrgenommen haben. Eine Tomate ist wie ein Apfel, nur viel viel schöner! Ich war mit meinen Eltern im Tessin in den Ferien, noch ohne Schwester, von daher muss ich gut zwei oder gut drei Jahre alt gewesen sein. Es regnete ununterbrochen, Mutter und Sohn sassen ängstlich im Zelt, der Vater grub einen Burggraben rund ums Zelt, um die Wassermassen aufzufangen… Dann Filmschnitt: ein Italienischer Markt, Sonnenschein, Lärm, Freude, Lachen – ein Markthändler schenkt mir eine Tomate, die so schön ist, dass ich sie nicht zu essen wage, sie liegt neben meinem Bettchen, wunderschön, rot, verführerisch, aber ich kann sie nicht essen, sie ist viel zu schön dafür. Der Paradeiser hat mich also schon früh in Versuchung geführt, es war nur eine Frage der Zeit, bis ich vom Apfel auf die Tomate kam.
Warum genau Tomaten, was hat dich bewogen, Tomaten zu züchten?
Habe ich dazu nicht schon alles gesagt? Nein, es gibt noch ein Erlebnis, das ich doch etwas besser erinnern kann ;-). Vor einigen Jahren besuchte ich den Feldtag des ökologischen Tomatenzüchtungsprojekts der Uni Göttingen von Dr. Bernd Horneburg (jetzt Uni Kassel) – und ich wusste sofort, das müssen wir auch machen, in diese Richtung müssen wir Tomaten züchten. Freilandtomaten, ohne Schutz den ganzen Sommer der Witterung ausgesetzt, und dennoch ein schöner, gesunder Ertrag. Tomaten würden wieder so sein wie in meiner Kindheitserinnerung: wunderschön, unbefleckt – nur im Unterschied zu damals auch problemlos essbar ;-). Und sie würden nicht mehr das sein, was ich von Zuhause kannte: Ein Tummelfeld für meinen bastlerisch begabten Vater, der das schönste Tomatenhaus aus Antennenresten baute und die Tomaten sozusagen als angenehmen Begleiteffekt nahm.
Wie bitte ist es möglich, in nur 4 Jahren eine neue Serie Tomaten zu züchten?
Zuerst einmal haben wir natürlich auf der phantastischen Züchtungsarbeit vieler Tomatenzüchter weltweit aufbauen können, vor allem auch der Gruppe um Dr. Bernd Horneburg (jetzt Uni Kassel, Culinaris). Viele dieser Züchter teilen auch bereitwillig ihre Ergebnisse, unter der Voraussetzung, dass wir sie selber auch wieder weitergeben. Aber zusätzlich haben wir etwas Entscheidendes geändert: Wir züchten Tomaten nicht wie eine samenvermehrte Kultur, sondern wie eine vegetativ vermehrbare Obstart. Wir züchten Tomaten wie Äpfel – der Vergleich oben mit den Paradiesäpfeln und den Paradeisern war schon richtig. Wir selektionieren unsere Sortenkandidaten in der zweiten Züchtungsgeneration, und wir vermehren sie dann nicht etwa generativ, über Samen, sondern vegetativ über Stecklinge und Gewebekulturvermehrung.
Bild: Über Gewebekultur vermehrte Tomatenpflänzchen, hier eine unserer neuen Sorten der Open Sky® Serie. Diese kleinen Mikropflänzchen werden jetzt Anfang April, in den 1.3 Liter Topf getopft und sind dann ab Mai für die Hobbygärtner verfügbar.
Entsprechend können wir schon sehr schnell Sortenkandidaten testen (2-3 Jahre) und schliesslich kommerziell vermehren. Setzt man wie die herkömmliche Tomatenzüchtung auf die generative Vermehrung über Samen, so müssen 7-9 Generationen (= Jahre) lang Selbstungen (Kreuzungen mit sich selber) durchgeführt werden, jede gefolgt von einer weiteren Selektion der besten Individuen, bis dann die Tomatensorte samenfest ist, also bis es sozusagen keine Unterschiede zwischen den Sämlingen mehr gibt. Dann erst ist das Saatgut so weit, dass es kommerziell eingesetzt und auch verkauft werden kann. Alternativ ist es dann auch möglich, solche Inzuchtlinien miteinander zu kreuzen und F1 Hybriden herzustellen. Mit unserer Methode haben wir die Züchtungszeit von 10-12 Jahren auf ca. 4 Jahre reduziert. Parallel zur vegetativen Vermehrung verfolgen wir aber auch den Samenweg weiter, selbsten also alle Zuchtlinien (Sortenlinien) jedes Jahr (kreuzen sie mit sich selber), um irgendwann auch über Samen vermehren zu können.
Hat das Folgen für den praktischen Tomatenanbau, für den Käufer der Open Sky® Freilandtomaten?
Ja. Wenn er oder sie aus den eigenen Tomaten Samen gewinnt und aussät, wird das Resultat nicht ganz stabil sein; viele Sämlinge werden ähnlich sein, die meisten werden auch eine ähnliche Resistenz aufweisen, aber sie werden nicht wie bei anderen samenfesten Tomatensorten 100% oder 99.9% identisch sein. Man kann dies aber auch als Vorteil sehen: Letztlich bietet das Raum, selber weiter zu züchten, selber neue Sorten oder Sortenvarianten zu züchten, indem man jedes Jahr wieder die beste Sorte, den besten Tomatenstock auswählt, von dem man Samen nimmt. Selbstverständlich ist es aber auch erlaubt, bei uns jedes Jahr neue Tomatenpflanzen zu kaufen ;-). Diese sind dann wieder genau gleich und identisch wie im letzten Jahr, da wir ja über Stecklinge vermehren.
Züchtest du die Tomaten wirklich selber, wie ist das zeitlich noch möglich?
Nein, zum guten Glück für die Tomaten mache ich das nicht. Die Züchtung bei Lubera ist unteressen ein Teamwork. Ich gebe höchstens noch die Ziele vor und manchmal auch die mehr oder weniger guten Ratschläge, aber es ist das Züchtungsteam, das die harte und geduldige Arbeit macht. Der eigentliche Züchter der neuen Tomatensorten ist Moritz Köhle, der in seinem Praktikumsemester bei uns mit der Testung von einigen 100 Tomatensorten die Basis fürs Zuchtprogramm gelegt hat, und der in den nachfolgenden Jahren als Lubera Züchter über Dutzende von Kreuzungen Tausende von Sämlingen angebaut und getestet hat.
Bilder: Der Züchter der Open Sky® Tomaten, Moritz Köhle, zusammen mit den ersten kommerziell vermehrten Open Sky® Mikrojungpflanzen.
Zum Züchtungsteam gehört ebenfalls Frederik Vollert, von unserer Schwesterfirma Lubera Edibles; er bringt eine eher industrielle Perspektive mit ein, weil er dann dafür verantwortlich ist, dass die neuen Sorten auch vermehrt werden können. Frederik ist aber auch ein begnadeter Testesser. Wenn man sich über Geschmack und Aroma mal unsicher ist, Frederik fällt sicher das richtige Wort, die passende Assoziation ein.
Wie stabil ist die Resistenz der neuen Open Sky® Freilandtomaten gegen die wichtigsten Tomatenkrankheiten, Phytophthora (Braunfäule, late blight) und Alternaria (Dürrfleckenkrankheit, early blight)?
Das ist eine gute Frage. Es ist in der Vergangenheit immer wieder geschehen, dass eine Resistenz, die gerade noch gut funktionierte, plötzlich durchbrochen wurde. So sind von den bekannten monogenetischen Resistenten Ph1, Ph2 und Ph3 nur noch Ph2 und Ph3 funktionsfähig. Die Braunfäule, die gefürchtetste Tomatenkrankheit ist besonders bekannt dafür, sich sehr schnell anzupassen und zu wandeln und so den Schutz der Pflanze zu umgehen, um sie parasitieren zu können. Dagegen setzen wir auf folgende Züchtungsstrategie: Wir versuchen verschiedene Resistenzen zu kombinieren, gerne auch Teilresistenzen, die dann in der Summe und zusammengefasst das Hindernis für die Phytophthora unüberwindbar machen. Insbesondere versuchen wir in unseren Sorten diese monogenetischen Resistenzen Ph1 bis 3 mit der polygenetischen Resistenz zu verbinden, die wir in vielen Sorten des erwähnten Tomatenzuchtprojekts von Dr. Bernd Horneburg finden. Zusätzlich haben wir eine weitere Teilresistenz bei schwarzen Tomaten entdeckt, die wir ebenfalls zu addieren suchen. Alleine kann diese Schwarze-Tomaten-Resistenz die Phytophthora und auch die Alternaria höchstens bis zum August fernhalten, aber in Kombination mit anderen Resistenzen verstärkt sie deren Sicherheit deutlich.
Was für ein Resistenzziel habt ihr, wann ist eine Tomate resistent?
Wir konzentrieren uns wie gesagt auf die in unserem Klima wichtigsten und gefährlichsten Krankheiten, auf die Phytophthora (Braunfäule, late blight) und die Alternaria (Dürrfleckenkrankheit, early blight). Selbstverständlich schauen wir auch auf allgemeine Kriterien, also die allgemeine Gesundheit der Pflanze, aber auch auf die Platzfestigkeit der Früchte und einige andere Krankheiten und physiologischen Defekte. Für uns ist eine Tomatenselektion dann genügend resistent, wenn Mitte September noch 70-80% aller Blätter gesund und intakt sind, ohne Anzeichen von Krankheitsinfektionen. Und das ohne jeglichen Witterungsschutz im Freiland! An unserem Züchtungsstandort im St. Galler Rheintal in der Schweiz verzeichnen wir pro Jahr 1300 mm Niederschlag, und das gerne auch im Sommer. Das Jahr 2021 war ein extremer Härtetest, da der Sommer total verregnet war. Was bei uns gesund über jeden Sommer kommt, wird auch an allen anderen Standorten in Mitteleuropa den Sommer überleben und eine reiche Fruchternte bringen.
Video: Open Sky® Tomaten – das Freilandtomatensortiment
Wie geht es mit der Tomatenzüchtung weiter?
So, wie halt Züchtung weitergeht, vorwärtsschreitet, mit ganz kleinen Schritten, kaum wahrnehmbar. In diesem Jahr 2022 werden wir versuchen, ein weiteres Mal unsere Züchtungsbasis zu verbreitern. Wir haben eine Vielzahl von Sorten gesammelt, die Resistenzeigenschaften haben sollen, und werden sie geduldig testen. Die besten werden wir dann wieder in unserer Züchtung verwenden. Und natürlich möchten wir die Resistenz auf weitere Tomatentypen erweitern: Strauchtomaten, Balkontomaten, grossfrüchtige Tomaten etc. Aber Geduld bringt nicht nur Rosen, sondern auch Tomaten. Bis zum nächsten Sortenschub aus unserer Tomatenküche wird es einige Jahre dauern. Aber es ging ja auch fast 55 Jahre von meinem ersten Tomatenerlebnis bis zu den ersten Lubera-Sorten ;-).
Und im Gewächshaus?