Als unser Sohn Lukas zu plappern, dann zu reden begann, da nahm er aus gegebenem Anlass einige Vereinfachungen vor. Er hatte ja gleichzeitig Deutsch (Dialekt und Hochsprache) von seinem Vater und Polnisch von seiner Mutter zu lernen. Da war es naheliegend, die Welt der Dinge und Pflanzen etwas zu vereinfachen. Fast überall, wo wir hingingen, gab es Rosen, im ganzen Garten standen Rosen, die stachen nicht nur, die musste man auch eher in Ruhe lassen, wenn man es mit den Altvorderen nicht verderben wollte. Rosen allüberall. Und von da an waren für Lukas alle Blumen für einige Jahre ganz einfach…Rosen. Eigentlich fast alle Pflanzen. Warum die Welt komplizierter machen, als sie effektiv ist?
Inhaltsverzeichnis
Die Rose als Symbol und Fusion von Kulturen
Die Rosen prägten aber nicht nur Lukas' Kindheit, so dass er für einige Jahre gar nicht mehr zwischen verschiedenen Blumen und Pflanzen differenzieren mochte, auch in unsere Kultur ist die Rose eingewoben, wie fast keine andere Pflanze und wie keine andere Blume. Die Rose als Symbol der Welt, als rosa mundi, die Rose als Symbol von Adelshäusern, die sich – rote und weisse Rose – auch gerne mal über Jahrzehnte bekämpfen. Die Rose als die Botschafterin der Liebe. Und schliesslich und endlich auch die Rose, die mit ihren Dornen daran erinnert, dass fast alles Gute und Schöne auch eine andere Seite haben kann. Auch an dieser Ambiguität muss etwas sein, was uns nicht los lässt: Warum sonst haben sich dornenlose Rosen nie so wirklich durchsetzen können?
Die Vielfältige Geschichte der Rose
Wir nehmen die Rose widerstandslos und selbstverständlich als Teil unserer Kultur wahr, auch wenn wir – wie Lukas – lieber einen grösseren Fussballplatz gehabt hätten.
Dabei geht häufig vergessen, dass die Rose wie nur wenige Pflanzen gleichzeitig und seit Tausenden von Jahren in West und Ost, in ganz unterschiedlichen Kulturkreisen ein hohes, ja von fast keiner anderen Pflanze erreichtes Ansehen geniesst. Wir sehen nur immer UNSERE Rosen. Wem sonst könnten sie noch gehören?
Die Fusion von Ost und West: Eine Revolution in der Rosenzucht
Dabei ist die moderne Gartenrose nicht denkbar ohne die Fusion zwischen Ost und West. Die alten europäischen Rosen brachten Wuchskraft, Widerstandfähigkeit, Blütenfülle, auch mal Blüten mit sehr vielen Blütenblättern; die chinesischen Rosen schenkten unserer Rose, der internationalen Rose, der Weltrose, die Fähigkeit andauernd und wiederholt zu blühen. Dies wird übrigens immer so nebenbei erwähnt, aber aus der Sicht der Pflanze ist das eine regelrechte Revolution: Die europäische Rose hielt es in der Evolution, in ihrer Entwicklung für zu gefährlich, schon im ersten Jahr, am diesjährigen Holz Blüten und Früchte und Samen zu bilden. Das Klima war zu harsch, die Gefahr, dass die Früchte und Samen (und damit der eigene Nachwuchs) nicht reif würden, war zu gross. Da schien es eine erfolgreichere Strategie (wie wir sie auch von vielen westlichen und nördlichen Obstarten kennen), die Blütenknospen zwar zeitig im ersten Wuchsjahr des Holzes auszubilden, dann aber deren Entwicklung zu stoppen und erst nach der kalten Jahreszeit den Blütenknospen ihren freien und nun sehr frühen Lauf zu lassen. Die chinesische Rose dagegen (Rosa sinensis, auch mal fehlerhaft Rosa indica genannt) war zwar etwas anfälliger und schwächer, dafür waren ihre Petalen feiner und seidenartiger, ihre Knospen edler. Vor allem aber entwickelten sie sich unter leicht vorteilhafteren klimatischen Bedingungen und hatten so früh schon gelernt, gleich schon im ersten Jahr, am diesjährigen Rosentrieb zu blühen und zu fruchten, komme was da wolle. Offenbar war die Gefahr des Erfrierens und nicht-Ausreifens geringer, als der Vorteil der schnelleren und grösseren Produktivität und Fertilität (ganz offensichtlich haben Pflanzen in der Evolution nicht gelernt, dass sie gerade ihre Überlebensfähigkeit, ihre Fertilität bei bestimmten Menschen grundsätzlich verdächtig macht…). Um es auf den Punkt zu bringen: Ohne die im 18. und richtig erst im 19. Jahrhundert erfolgten Importe der Teerose, der Rosa chinensis und anderen chinesischen Rosenarten, wäre die moderne dauerblühende Rose nicht möglich geworden.
Die farbige Vielfalt der Rose
Mit den östlichen Rosen, Rosa chinensis und auch anderen Arten kamen auch neue, in Europa ungesehene Rosen-Farben ins Sortiment: ein leuchtendes Rot (bekannt waren bisher nur Weiss, Rosa, Dunkelrosa und Violett), dann aber vor allem auch Gelb und alle mit Gelb erreichbaren Mischfarben von Kupfer über Orange bis Peach und Apricot. Rosophile Cineasten könnten die alten europäischen Rosen vielleicht ganz passend mit einem Schwarzweissfilm, am Anfang sogar noch stumm, vergleichen. Was für Möglichkeiten bietet dagegen der Farbfilm, was aber nicht ausschliesst, dass man von Zeit zu Zeit – überwältigt von der Rosenvielfalt – nicht auch wieder einmal einen Ausflug in die alte Einfachheit der europäischen Wildrosen und alten Kulturrosen machen könnte. Cineasten machen es ja ganz ähnlich…
Die Herausforderung der Überpräsenz
Von hier ist es nicht mehr weit zum letzten Gedanken von Heute: Vielleicht besteht die einzige Gefahr der modernen Gartenrose darin, zu umfassend, zu farbig, zu allgegenwärtig zu sein. Zu schön und zu vielfältig. Vielleicht sind die Rosen auch einfach viel zu selbstverständlich. Wem ist der Rosenverkäufer in der abendlichen Stadt, im Restaurant nicht auch schon auf den Wecker gegangen? Und braucht es wirklich in jedem Park, auf jedem Schloss einen Rosengarten?
Eine Aufforderung zur Wertschätzung
Damit wir aber nicht wie der junge Lukas resigniert abwinken ('eh alles nur Rosen…'), müssen wir die Einzigartigkeit jeder einzelnen Rose wieder erkennen oder zumindest suchen. Oder wir müssen die Rosen besonders schätzen, die etwas anders sind, aus der Reihe tanzen, vielleicht auch etwas weniger perfekt sind. Perfektion scheint mir der grösste anzunehmende Unfall, der Gau für die Rose zu sein. Oder vielleicht müsste mal jemand versuchen, uns die allgegenwärtigen Rosen wegzunehmen, sie uns zu stehlen? Aber davon mehr im nächsten Editorial.
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt