Sabine Reber hat schon viele grosse und kleine Gärten angelegt und über die Jahrzehnte tonnenweise eigenes Gemüse selbst angebaut, auf dem Land, auf dem Balkon und im Stadtgarten. Über ihre Erfahrungen hat sie in zahlreichen Kolumnen und in preisgekrönten Gartenbüchern wie auch auf unserer Videoplattform gartenvideo.com berichtet. Zudem hat sie 2016 das Selbstversorger-Buch "Vom Beet in die Küche" veröffentlicht, welches wir in unserem Gartenbuch als Serie erneut publizieren werden. Eine Einsicht zieht sich wie ein roter Faden durch ihre gärtnerischen und selbstversorgerischen Ambitionen, und heute mit 52 Jahren ist sie sich sicher: Man kann immer nur so weit gehen, wie der Körper mitmacht. Eigenes Gemüse ist super, aber man sollte bei all der Selbstversorgung nicht vergessen, auf seine Grenzen zu achten.
Inhaltsverzeichnis
Selbst anbauen macht Mut
Seien wir gleich zu Beginn ganz ehrlich: Gärtnern und Selbstversorgung ist anstrengend. Und im Garten gibt es immer was zu tun. Wer etwas anderes behauptet, der lügt. Obst, Gemüse und Kräuter selbst anbauen macht dreckige Hände, es macht die Kleider schmutzig, man bekommt Muskelkater und Rückenweh. Dornen und Stacheln zerkratzen einem die Arme, Schnecken fressen den Salat schon bevor er gross ist, und gelegentlich hat man sowieso genug von dem ganzen Zauber. Aber gilt das nicht für alle Bereiche des Lebens? Für mich ist der Garten trotzdem der Ort, an dem ich wieder neue Kraft schöpfe, wenn sonst gerade gar nichts mehr geht.
Bild (Stöh Grünig): Reiche Ernte beim Ausbuddeln der Topinamburknollen.
Bild (Stöh Grünig): Bei der Oca-Ernte macht man sich ordentlich die Hände schmutzig.
Neulich war ich wieder mal an einem Punkt, an dem gar nichts mehr ging. Draussen goss es wochenlang wie aus Eimern, der Ententeich war nur noch eine trübe Brühe, der Schnittlauch moderte in seinem Topf auf dem Balkon vor sich hin und an den Heidelbeerbüschen faulten die Knospen und ich stand vor einem grossen schwarzen Loch. In welche Richtung ich auch schaute nichts als Probleme. Der Arzt empfahl mir eine Therapie. Ich steckte die Telefonnummer ein - und tat erst einmal gar nichts.
Am nächsten Tag schien die Sonne und die ersten Narzissen öffneten ihre Blüten. Drei Tage lang ging ich nicht mehr ans Telefon, ich versteckte mein Mobiltelefon, schaltete den Laptop nicht mehr ein und gärtnerte, was mein Rücken hielt. Im Garten weiss man immer, was als Nächstes zu tun ist. Ich jätete die Kräuterbeete, räumte die Töpfe im Gewächshaus auf, arrangierte die Terrasse neu und grub zum Schluss noch den Gemüsegarten um. Ist eine Arbeit geschafft, ist auch der Erfolg klar ersichtlich: So viel habe ich heute gejätet, das alles habe ich heute umgegraben? Solche Erfolgserlebnisse machen Mut. Nicht nur die frische Luft und die körperliche Anstrengung, sondern vielmehr die Gartenarbeit als solche half mir, meine Gedanken wieder zu ordnen, das Gute und Positive wieder zu sehen und nicht mehr zu verzweifeln. Ja, auch dazu ist ein Garten da: er lehrt einem, mit dem Leben zurechtzukommen.
Bild (Stöh Grünig): Beeren, Zucchini, Tomaten und allerlei Kräuter. Das ergibt ein buntes Bild im Beet.
Bild (Stöh Grünig): Grosse Pflanzen schaffen Schatten im Garten, ein Sonnenschirm sorgt zusätzlich für ein kühles Plätzchen.
Eine Woche später war ich wieder beim Arzt, der feststellte, dass es mir offensichtlich wieder ganz gut gehe. Ein Garten vollbringt mitunter wahre Wunder, nichts weniger. Er hat die Macht, einem das Leben zu retten. Alle, die ernsthaft gärtnern, wissen solche Erfahrungen zu berichten. Und alle, die noch nie gegärtnert haben, sollten es einmal ausprobieren. Denn jeder Mensch braucht ein bisschen Boden unter den Füssen. Und zwar nicht Asphalt, sondern fruchtbare Gartenerde. Humus. Jeder Mensch braucht ein bisschen frisches Gemüse, eine Handvoll Beeren aus eigenem Anbau, jeder Mensch sollte einmal einen Apfel von einem selbst gepflanzten Baum ernten.
Bild (Stöh Grünig): An den ersten Apfel aus dem eigenen Garten erinnert sich wohl jeder Gärtner und jede Gärtnerin gerne zurück.
Den richtigen Selbstversorgergarten finden
Wer keinen eigenen Garten hat, versuche einen zu finden. Denn zum Selbstversorgergärtnern muss man nicht unbedingt Grundbesitzer sein. Oft reicht schon ein Balkon oder ein Fensterbrett, um sich ein kleines grünes Paradies zu schaffen und Essbares anzubauen. Vielleicht gibt es eine vernachlässigte Ecke hinter dem Haus, wo sich etwas anpflanzen lässt. Wem das zu wenig ist, der bemüht sich um einen Familiengarten, was aber oft mit längeren Wartezeiten verbunden ist. Ich weiss genau, wie es ist, wenn man keinen Garten hat. Ich musste einen grossen Selbstversorgergarten in Irland zurücklassen und hatte das Glück, dass mir nachher jemand sein Gärtchen am Bielersee ausgeliehen hat. Ohne dieses Fleckchen Erde hätte ich die schwierige Zeit meiner Scheidung kaum heil überstanden.
Bild (Stöh Grünig): Es braucht nicht viel, um mit dem Gärtnern anzufangen: Schaufeln, Schnur, Scheren, Töpfe, Stecken und ein paar Samen genügen.
Einen Selbstversorger-Garten anlegen, und sich mit essbaren Pflanzen umgeben kann man immer und überall. Zeitweise hatte ich nur ein paar Kräuterkistchen auf dem Fenstersims, und ein Zitrusbäumchen in der Wohnung. Doch hier und dort habe ich immer wieder ein paar Samenkörner über den Zaun eines vernachlässigten Gartens gestreut, habe im Wald Bärlauch und Pilze gesammelt oder wildes Obst aufgelesen, das niemand haben wollte. Was zählt ist doch, etwas zum Wachsen zu bringen, etwas zu Ernten oder auch zu finden, und das Gute zu sehen. Was sonst sollte man auch tun, wenn man sich aus der Welt herausgerissen fühlt?
Bilder (Stöh Grünig): In einem Hinterhof ist auch Platz für einen kleinen Ateliergarten.
Garten als Zuhause
Gerade wer oft umzieht und mitunter nicht weiss, wo er hingehört, braucht einen Garten oder zumindest einige prächtige Kübelpflanzen, die zum Haushalt gehören und jeweils mit umziehen. Zur Not tut es auch ein stattlicher Zitrusbaum, wenn man mal dringend was Grünes braucht, um sich festzuhalten. Oder ein Miniatur-Apfelbaum. Diese sehen in Zinkwannen oder modernen Edelstahlkübeln prächtig aus, und sie gedeihen jahrelang im Topf auf dem Stadtbalkon. Die meisten Gemüsearten fühlen sich in Gefässen auch recht wohl, und auch ein kleiner Balkon lässt sich damit in eine Selbstversorger-Naschparadies verwandeln. Von der Brüstung hängen Kirschtomaten und Erdbeeren herab und aus einem alten Seemannskoffer wächst Salat. Und warum sollte ein moderner Stadtnomade sein Gemüse nicht gleich im Lieferwagen ziehen? Das wäre dann der ultimative Selbstversorger-Garten für alle, die sich nirgends richtig zu Hause fühlen. In Frankreich habe ich einmal sogar einen Autogarten gesehen: Tomaten und Melonen rankten fröhlich an den mit Schnüren bespannten Scheiben eines ausgedienten VW-Busses empor. Auch Auberginen und Gurken liessen sich so ziehen.
Bilder (Stöh Grünig): Viele Gemüsearten lassen sich wunderbar in Kübeln, Kästen oder Kisten anbauen.
Wozu eigentlich die ganze Arbeit mit der Selbstversorgung?
Im Zusammenhang mit Entwurzelung und Heimatlosigkeitsgefühlen ist die Frage nach dem Sinn des Selbstversorger-Gärtnerns etwa so müssig wie die Frage nach dem Sinn des Lebens. Ich gärtnere, ich baue Gemüse und Früchte an, also lebe ich. Und umgekehrt. Das eine geht nicht ohne das andere. Die eigene Ernte erinnert uns daran, dass wir Teil des Grossen und Ganzen sind. Manchmal braucht man einen Baum, an dem man sich festhalten kann, man braucht Pflanzen, die man dabei beobachten kann, wie sie Wurzeln schlagen und aufblühen. Es gibt nichts Hoffnungsvolleres als einen Bauerngarten voller Kräuter, Beeren und Gemüse. Und man muss ihn weiss Gott nicht besitzen. Gärten gehören einem eh nie wirklich, zu gross ist der Einfluss der Witterung und der Natur. Was heute noch ganz zauberhaft aussieht, ist bereits morgen vom Winde verweht oder vom Hagel zerstört. Wir sind nur ein Teil des grossen Ganzen, sei der Garten nun ausgeliehen, gemietet oder im eigenen Besitz.
Bild (Stöh Grünig): Ein richtiges grünes Schlaraffenland. Die quadratischen Holzkästen verschwinden unter den üppig wachsenden Pflanzen.
Selbst anbauen macht glücklich!
Und wie kommt man nun also am besten an einen Selbstversorger-Garten heran? Tatsächlich gibt es nicht wenige Gartenbesitzer, die weder die Zeit noch die Lust haben, sich um ihren Garten zu kümmern. Wenn man die Besitzer eines offensichtlich vernachlässigten Gartens fragt, besteht eine gewisse Chance, dass sie einem vielleicht einige Quadratmeter leihweise abtreten. Wer jemanden kennt, der seinen Garten eigentlich nicht braucht, kann ihn ermuntern, den Garten an jemanden zwecks Selbstversorgung auszuleihen. Ältere Menschen, die einfach nicht mehr die Kraft haben, alles selbst zu machen, freuen sich vielleicht über die tatkräftige Unterstützung einer jungen Familie, den den Garten mitnutzen möchte, um eigenes Obst und Gemüse anzubauen. Denn gerade diejenigen, die ein Leben lang gegärtnert haben, müssten es am besten wissen: buddeln und selbst anbauen macht glücklich!
Seit ich das Selbstversorger-Gärtnern für mich entdeckt habe, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, wie man ohne Garten leben kann. Durch den Garten schaffen wir uns eine Verbindung zur Erde, wir pflegen den Kontakt zur Natur, und zugleich beinhaltet er die Möglichkeit, etwas Ureigenes zu schaffen, und seien es ein paar Töpfchen auf dem Balkon. Sie sind ein kleines Abbild unserer Vorstellung vom Paradies und vielleicht ein Zitat von etwas Grösserem. Ohne diese Vision von einer schöneren, gesünderen und nachhaltigeren Welt wäre das Leben unerträglich. Und nicht zuletzt tragen die Selbstversorger-Gärten, die wir schaffen, tatsächlich dazu bei, dass unsere Welt ein klein wenig besser wird.
Bild (Stöh Grünig): Selbst anbauen und ernten macht Sabine Reber glücklich.