Wir werden häufig gefragt, warum wir keine klassischen Apfelsorten verkaufen, warum wir mit einem gigantischen Züchtungsaufwand eine ganze neue Apfelwelt erschaffen, obwohl es ja zu vielen unserer neuen Sorten durchaus auch Entsprechungen im klassischen Sortiment gibt. Jedenfalls greifen auch wir bei unseren Sortenbeschreibungen gerne auf die entsprechenden Analogien zurück, um schnell zu zeigen, wo ungefähr eine neue Sorte anzusiedeln ist. Paradis Werdenberg etwa ist dann der resistente Gravensteiner, mit viel besserem Shelve Live (Kurzlagerverhalten in der Fruchschale) als die alte Sorte, auch mit einem kompakteren Wuchs …
Unsere generelle Antwort auf die Alte-Sorten-Frage (Garteneignung, mehr Resistenz, besserer Geschmack, schneller Ertragseintritt, neue Anforderungen) ist zwar verständlich, aber bleibt ohne konkretes Beispiel viel zu theoretisch.
Warum also bieten wir Boskoop nicht in unserem Sortiment an?
Der Schöne von/aus Boskoop oder Belle de Boskoop, wie er genannt wurde, hat ja durchaus Einiges zu bieten. Nicht zuletzt den Namen, der heute geradezu ironisch anmutet. Denn schön ist der Boskoop im aktuellen Apfelvergleich ganz sicher nicht. Damals aber, Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Sorte im holländischen Boskoop vom Pomologen Kornelis Johannes Wilhelm Ottolander auf einem Zufallssämling entdeckt wurde, könnte der Name wohl noch beschreibend gemeint gewesen sein: eine geschmacksintensive Renette oder eher Reinette (von Königin), mit hohen Zucker- und Säuregehalten, mit intensivem Aroma, äusserlich deutlich schöner als die Untergruppe der Lederapfel, die gänzlich berostet sind und deren Schale sich anfühlt wie Schmirgelpapier. Aber Hand aufs Pomologenherz: Würde ich heute einen Apfel mit dem Aussehen des Boskoop selektionieren und schliesslich gar in den Sortenstand erheben? Ganz sicher nicht.
Auch wenn Boskoop auf den ersten Biss als sauer erscheint, hat er im Vergleich zu den meisten anderen historischen Apfelsorten hohe Zuckergehalte, aber halt auch sehr viel Säure. Der Gesamteindruck bleibt: ein säuerlicher Apfel. Was ihn wohl damals bis heute wertvoll macht: Im Naturlager wird er nicht mehlig und faulig, nur mürbe. Die festen Zellwände bleiben bestehen, brechen nicht auseinander, trocknen nicht aus. Aussen wird er leicht schrumpelig, innen bleibt er aber einigermassen frisch und leicht essbar. Was uns heute als viel zu weich erscheint, war damals angesichts des durchschnittlichen Zustands der Zahnapparate in der erwachsenen Bevölkerung sicher eine Wohltat. Und was meine Frau noch heute für den Boskoop ins Feld führt: er verkocht ganz schnell und leicht, und der Apfelschnitz wird zum Apfelmus ganz ohne Zutun eines Mixers. Letztlich aber ist es wohl die Säure, die den Boskoop bis heute noch knapp in den Sortimenten der Supermärkte und des Erwerbsanbaus überleben lässt: Mit wenigen Äpfeln kann man so gut kochen und so gute Kuchen machen, wie mit Boskoop. Ja, das war halt noch vor der (Er-)Findung der Redloves® ;-)
So, und jetzt, nach Andeutungen zu Textur, Festigkeit und Aussehen, die allesamt nicht mehr ganz den aktuellen Anforderungen an einen Gartenapfel entsprechen, die 6 wichtigsten Gründe, warum Boskoop nicht in unserem Sortiment ist:
- Boskoop ist eine triploide Apfelsorte. Dadurch ist er nicht als Befruchter brauchbar, kann also andere Apfelbäume nicht befruchten. Da Äpfel grundsätzlich selbstunfruchtbar sind, ist es gerade in der Gartenumgebung wichtig, Sorten zu pflanzen, die fruchtbaren Pollen ausbilden.
- Auch aufgrund der triploiden Genstruktur ist Boskoop sehr starkwüchsig. Dadurch tendiert er auch viel stärker als andere schwächer wachsende Sorten zur Alternanz: Er ist viel schwieriger in ein Gleichgewicht zwischen generativem und vegetativem Wachstum zu bringen als ruhiger wachsende Sorten, und neigt gerne abwechslungsweise in dem einen Jahr auf die vegetative Seite (Triebwachstum) und im anderen Jahr auf die generative Seite (Früchteansatz).
- Boskoop blüht sehr früh bis früh und ist empfindlich auf Frühfröste. Wenn dies einmal geschieht, ist er sofort in Alternanz, trägt also nur noch jedes zweite Jahr voll.
- Die Früchte sind sehr goss, für heutige Verhältnisse zu gross. Auch das hängt mit der triploiden Genstruktur zusammen. Das schwankende Ertragsverhalten führt in den Jahren mit minderem Ertrag zusätzlich dazu, dass dann die Früchte noch grösser werden, eher Waffen sind als Äpfel – jedenfalls haben wir sie als Kinder als beides benutzt.
- Boskoop neigt zu physiologischen Problemen. Auch wieder aufgrund des starken Wachstums kommt es bei Boskoop schnell zu einer Ca-Unterversorgung und dann brechen die Zellwände verfrüht zusammen. Der Effekt: braun-graue Flecken unter der Schale und später auch im Fruchtinnern, in der Fachsprache Stippe oder ?bitter pit? genannt.
- Wir möchten Apfelbäume anbieten, die garantiert im 2. Standjahr (1 Jahr nach der Pflanzung) einen schönen Ertrag bringen. Ist dies mit Boskoop einmal der Fall, kann man fast sicher sein, dass man dann im 3. Jahr fast nichts ernten wird.
Aber Achtung: Wir suchen durchaus nach neuen Sorten mit diesem Profil: sauer bis sehr sauer, dahinter mit sehr hohen Zuckergehalten, ideal für?s Backen und Kochen, aber auch als Erfrischungsapfel für die seltener werdenden Liebhaber wirklich saurer Äpfel. Am nächsten bei diesem Profil ist heute Paradis New Year, der allerding erst nach einer längeren Lagerperiode sein ganzes Potential einlöst. Müsste ich New Year einem aktuellen Sortimentsapfel zuordnen, dann eher Braeburn als Boskoop. Gegenüber Braeburn hat New Year den Vorteil eines einfacheren und furchtbareren Wuchses, der Schorfresistenz und eines besseren Geschmacks (der bei Braeburn manchmal vorhandene, leicht bittere Touch ist verschwunden).
Jedenfalls habe ich seit letztem Jahr einen Kandidaten im Auge, eine Apfelselektion, die erst in der zweiten Selektionsstufe aufgefallen ist, auf dem Züchtungsfeld bei Tommi Hungerbühler in Egnach am Bodensee. Ein hochgebauter Apfel, wunderschön dunkelrot. Pflückreif so sauer, dass ihn dann nur wirkliche Säureliebhaber mögen werden, aber mit so viel Zucker im Hintergrund ausgestattet, dass er schnell (entweder eine Woche länger am Baum hängend, oder nach kurzer Lagerung) auch breiter akzeptiert wird. Dieses Jahr werden wir den potentiellen Boskoop-Nachfolger einigen Kochtests unterziehen. Und vielleicht wird er irgendwann in unserem Sortiment erscheinen, mit einem ganz und gar unironischen Namen: Belle Du Lac, Schöner vom See.
Bild von Sandstein (Eigenes Werk) [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons
Ode an Boskop
Guten Tag
vielen Dank für dein Feedback zu dem Boscoop Apfel.
Heerzliche Grüsse
dein Lubera Team