Tomaten anbinden? Ist das überhaupt nötig, können sich die Tomaten nicht selber aufrecht halten? Ist das Tomaten anbinden nicht eine unnötige Verkomplizierung der Tomatenkultur, extra erfunden, um das Tomaten-Expertentum zu stärken?
Inhaltsverzeichnis
- Tomatenkultur ohne 'Tomaten anbinden' - die Wildtomaten
- Warum Tomaten anbinden notwendig ist
- Der Trick mit der Schnur
- Tomaten anbinden und Schnurerziehung im Gartenanbau
- Aber wie geht das Anbinden von Freilandtomaten?
- Tomaten anbinden mit dem Tomatengerüst von Hampton Court Palace
- Tomaten anbinden leicht gemacht: Das schönste Tomatengerüst für Freilandtomaten
- Tomaten anbinden: geht auch ein Pfahl oder Bambus?
- Die technische Variante mit dem vertikalen Blumennetz – und die Folgen im Herbst
- Muss man Strauchtomaten auch anbinden?
- Tomaten, die man nicht anbinden muss
Bild: Die Tomatenzüchtungsanlage bei Lubera: ein ziemlich aufwändiges Gerüst zum Anbinden
Wie kamen dann die Tomaten irgendwann ganz ohne die Hilfe des Menschen zurecht? Das alles sind Fragen, die sich beim Thema 'Tomaten anbinden' stellen und die wir in diesem Artikel zu beantworten versuchen. Ein wichtiges Resultat aber können wir schon vorausnehmen: Tomaten anbinden ist leichter und einfacher als man erwarten könnte; dennoch wird eine Tomatenkultur ganz ohne Anbinden und ohne Stützen nur in wenigen Fällen funktionieren.
Tomatenkultur ohne 'Tomaten anbinden' - die Wildtomaten
Wie Tomaten ganz ohne Anbinden funktionieren können, lässt sich am besten am urtümlichen Wuchs der Wildtomaten erahnen: Hier werden immer wieder neue, sehr lange, peitschenartige Neutriebe gebildet, die zunächst in den Himmel wachsen, sich dann aber unter dem Gewicht der sich entwickelnden Früchte und des Triebes nach und nach neigen – und schliesslich Halt an benachbarten Bäumen und Sträuchern suchen, sich diese also ungefragt zu Diensten nehmen.
Bild: Wildtomaten im Garten letztes Jahr: Die Wildtomaten machen lange Ruten, die an benachbarten Pflanzen Halt finden
Die Kombination von immerwährender Verzweigung, neuer Triebbildung und starkem Wachstum funktioniert aber nur, so lange die Früchte klein und leicht sind: Die durch menschliche Einflussnahmen und Selektion grösser werdenden Früchte, verstärken nicht nur den Einfluss der Schwerkraft (die Triebe landen ganz einfach am Boden), sondern reduzieren auch die urtümliche Wuchsstärke – und so sind die meisten anderen Tomatengruppen (neben den Wildtomaten) auf menschliche Hilfe und mechanische Stütze, eben aufs 'Tomaten anbinden' angewiesen, wenn sie nicht einfach als Bodendecker-Gemüsepflanzen wachsen wollen oder können.
Warum Tomaten anbinden notwendig ist
Am Boden ist es ganz einfach zu feucht, dies führt zu Fäulnis an Blatt, Trieben und Früchten. Und schliesslich überlebt der grösste Feind der Tomate, die sogenannte Braun- und Krautfäule vor allem im Boden und wird dann mithilfe von Wassertropfen auf die Tomatenblätter übertragen, die so nahe am Boden diesen Feinden (dem Pilz, der Feuchtigkeit und der Fäulnis) fast schutzlos ausgeliefert sind. Dies gilt sogar, wenn man Strauchtomaten ohne Stützung und ohne Anbinden im Freiland auf einer Mulchfolie oder biologischen Mulchschicht kultiviert: Unter der ebenso schlichten wie unausweichlichen Wirkung der grösser werdenden Früchte und damit der Schwerkraft, fallen die Strauchtomaten ab Mitte August in sich zusammen. Dies allein hätte dank der Mulchschicht und aufgrund der Resistenzeigenschaften einiger Sorten wie Lizzano und Losetto noch keine allzu schwerwiegenden Folgen – aber die Pflanze liegt dann in 3-5 Pflanzenschichten so dicht aufeinander, dass die Blattmasse, die Stängel und Früchte gar nicht mehr abtrocknen können – ein wahres Tomatenparadies für alle Arten von Pilzen und Insekten.
Der Trick mit der Schnur
Am anderen Ende des Entwicklungs-Strangs der Tomatenpflanzen, im industriellen Tomatenanbau hat man die vielleicht einfachste Art der Tomatenkultur, des Tomaten Anbindens entwickelt. Von der Decke hängende Schnüre werden unter dem ersten vollentwickelten Tomatenblatt locker mit einer Schlaufe festgemacht, die Tomate wächst der Schnur entlang; sobald sie sich nicht natürlich um die Schnur wickelt, wird diese halt von fleissigen Arbeiterhänden schlangenartig mit der Schnur verbunden, und wenn die fruchtende und unendlich nach oben wachsende indeterminierte Erwerbsanbautomate den Gipfel, das Ende der Fahnenstange und der Schnur erreicht hat, wird diese einfach wieder etwas runtergelassen, der abgeerntete grüne und nackte Tomatentrieb legt sich in einem lockeren Kreis auf den Boden – und die weiter wachsende Tomatenspitze findet oben wieder neuen Raum, gen Himmel zu streben.
Bild: Der Trick mit der Schnur - hier im Gewächshaus der Tomatenzüchtung von Lubera
In der industriellen Gewächshauskultur gibt es eben keinen Winter, die Urheimat der Tomate wird klimatisch simuliert, und sie kann mindestens theoretisch immer weiterwachsen.
Tomaten anbinden und Schnurerziehung im Gartenanbau
Eigentlich führt der Trick mit der Schnur dazu, dass die Tomaten gar nicht mehr angebunden werden müssen, sie werden einfach laufend mit etwas menschlicher Nachhilfe um die Schnur gedreht (oder vice versa die Schnur um die Tomate) und schon macht sich die Tomate wie eine seit jeher gelernte Kletterkünstlerin. Entsprechend kann man diese Methode natürlich auch im Hausgartenanbau anwenden: Im Tomatenhaus, im Gartengewächshaus, unter dem Vordach, in einem behelfsmässigen Tomatenhäuschen gibt es fast immer ein Gerüst, eine physische Baustruktur, an der auf ca. 2m Höhe die Schnüre festgemacht werden können, so dass die Tomate das Klettern erlernen kann…
Im Gegensatz zum Erwerbsanbau findet in unseren Gärten die Vegetation auch in den Tomatenhäusern irgendwann ein Ende, so dass eine 2m lange Schnur meist ausrecht. Wenn nicht, wird die Schnur oben einfach etwas verlängert, der alte und nun nackte Basistrieb wird zu Boden gelassen und die Tomate hat auch im Garten oder Tomatenhaus nochmals etwas Platz, nach oben zu wachsen. Viel häufiger aber stutzt man im Herbst die letzten Spitzentriebe, um noch möglichst alle grünen Früchte zur Reife zu bringen.
Aber wie geht das Anbinden von Freilandtomaten?
Aber wie soll dieses so praktische Tomatenanbinden mit der vertikalen Schnur im Freiland gelingen? Wo bitte kann man da die Schnur oben befestigen. Der Himmel – wir ahnen es – ist dafür entweder zu weit weg oder zu wenig solide. Am ehestens noch schlägt man 2 oder mehrere Pfähle von 250cm Höhe ein, spannt zwischen ihnen einen Draht auf 2 bis 2,5 m Höhe und bindet daran dann die vertikalen Tomatenschnüre an… Diese Lösung kann praktisch sein, ist aber nicht besonders elegant…
Tomaten anbinden mit dem Tomatengerüst von Hampton Court Palace
Die schönste und eleganteste Lösung des Problems 'Freilandtomaten anbinden und stützen' habe ich kürzlich im Küchengarten des Hampton Court Palace in London gesehen.
Bild: Der Tomatengarten im Küchengarten von Hampton Court Palace
4 Stangen werden im Viereck und im Abstand von 100 – 150cm in den Boden gesteckt, leicht einander zugeneigt, so dass sie sich ca. in der Mitte ihrer Höhe von insgesamt 2 bis 2,5m kreuzen.
Bei starken Windverhältnissen können die einzelnen Stangen auch etwas eingeschlagen werden. Ebenso hat es sicher einen stabilisierenden Effekt, wenn die Stangen etwas weiter auseinander platziert werden. Benutzt werden die jungen Äste diverser Holzarten, Haselruten sind sicher gut, aber auch Tannenstickel gehen, selbst mit dünnen gekauften Pfählen ist es machbar (aber natürlich lange nicht so malerisch aussehend wie mit natürlichen Stangen und Stickeln).
Bilder: In der Mitte, wo die Stangen sich kreuzen, werden sie robust mit einer Schnur, am besten mit einem starken Kokosseil zusammengebunden…
Tomaten anbinden leicht gemacht: Das schönste Tomatengerüst für Freilandtomaten
Und das wär‘s dann eigentlich auch schon. An den Enden der Pfähle oder Stangen können jetzt die Tomatenschnüre befestigt werden, im Bodenviereck können vier himmelstrebende Tomatenpflanzen, meist Stabtomaten mit ihrem indeterminierten Aufwärtswuchs, gepflanzt werden.
Bild: Tomatenpflanze am Tipi
Die Schnur wird dann an den Tomatenpflanzen, unterhalb des ersten starken Blattpaars der Jungpflanze locker befestigt, und die Tomate beginnt, leicht unterstützt von Gärtner, ihren Weg nach oben… wahrlich ein wunderschönes Bild...
Tomaten anbinden: geht auch ein Pfahl oder Bambus?
Natürlich kann man sowohl im Gewächshaus, im Tomatenhaus oder auch im Freiland Stabtomaten auch an Stäben, Pfählen oder Ähnlichem anbinden – da muss man aber pro Meter Wuchshöhe gut und gerne 2-3x anbinden. Und hier zeigen sich dann schnell die Probleme dieser Anbinde-Methode: Bindet man zu eng, kann das in Stürmen oder auch aufgrund des Dickenwachstums die Stängel der Tomate verletzten; bindet man vorsichtig und zu locker, rutschen die Anbinde-Schlaufen nach unten und sehr häufig fällt die Tomate unter dem Gewicht der von oben drückenden Tomaten einfach in sich zusammen, geht sozusagen in die Knie… Die cleverste Weiterentwicklung der Pfahlstütze stellt sicher der gedrehte, spiralige Tomatenstab dar, der die Tomate am besten hält und der mit seiner Drehung das Zusammenfallen verhindert. Wirklich schön ist so ein Tomatenstab aus Stahl oder Plastik aber nicht – vor allem wenn man ihn mit dem ebenso eleganten wie einfachen Tipi aus Hampton Court vergleicht.
Die technische Variante mit dem vertikalen Blumennetz – und die Folgen im Herbst
Für unsere grosse Tomatenzüchtungsanlage hat sich unser Betriebsleiter Robert Maierhofer noch eine andere Gerüstvariante einfallen lassen: Das grobmaschige Schnittblumennetz, das er im Gegensatz zum Blumenanbau nicht horizontal aufgespannt hat, sondern vertikal. Die an dieses vertikale Netz gepflanzten Tomatenjungpflanzen müssen nun von Zeit zu Zeit nur durch die weiten Maschen des Netzes geschläuft werden.
Bild: Tomatenpflanze am vertikal aufgespannten Schnittblumennetz
Von weitem ist das Netz auch kaum zu sehen, so dass man meinen könnten, die Tomaten würden wie durch ein Wunder selbst geleitet und stabil nach oben wachsen.
Auch beim Blumennetz wie auch bei anderen Hilfsmaterialien zum Stützen und Anbinden der Tomaten wird sich nach einjährigem Gebrauch die Frage stellen, ob man die Infrastruktur und die Materialien ein weiteres Mal gebrauchen kann… Das ist natürlich technisch ganz leicht möglich, die Gefahr der Übertragung von Krankheiten von einer Tomatenvegetation auf die andere ist jedoch relativ gross. Plastik und Stahlmaterialien können nach dem Gebrauch relativ einfach gewaschen und am besten mit einem Hochdruckreingier abgedampft werden, bei natürlichen Materialien ist das weniger gut möglich – hier ist bei natürlichen Schnüren aus Bast und Kokosfaser das Kompostieren zusammen mit den herbstlichen Tomatenpflanzen-Überresten vorzuziehen.
Muss man Strauchtomaten auch anbinden?
Ja auch halb indeterminierte, gut und stabil verzweigende Strauchtomaten wie unser Sorten Lizzano und Losetto muss man stabilisieren. Wir haben es oben erwähnt: Macht man es nicht, dann brechen sie spätestens Mitte August unter der Last der eigenen Früchte zusammen und liegen dann – die Triebe, Blätter und Früchte mehrlagig übereinander, auf einem traurigen Haufen, der bei aller Resistenz dann doch zu faulen beginnt, weil die Blätter und Triebe und Früchte ganz einfach keine Chance mehr haben, abzutrocknen.
Aber auch bei den Strauchtomaten gibt es eine ganz clevere Methode: sie tragen sich sozusagen selber – wenn man das richtige Hilfsgerüst einsetzt. Dazu werden die Strauchtomaten in einen ca. 100-150cm hohen Metallkäfig gepflanzt.
Bild: Strauchtomate im Tomatenkäfig, aus dem sie langsam herauswächst; im Bild hier ein in den USA im Handel angebotenes Tomatengerüst; das gleiche kann aber auch leicht mit einem weitmaschigen Drahtgitter erreicht werden, das zu einer hochgestellten Säule mit Durchmesser von ca. 50-70cm geformt und an einem Pfahl zusammengebunden und stabilisiert wird.
Dieser kann z.B. aus einem ca. 50-80cm Durchmesser messenden Ring eines groben Maschendrahtgitters bestehen, das an einem stabilen Pfahl zu einem Ring zusammengebunden wird. Innerhalb dieses Käfigs wächst die Strauchtomate (es kann auch eine starkwachsende Stabtomate oder eine Wildtomate sein) frisch und fröhlich nach oben, sie beginnt sich typischerweise zu verzweigen, die Verzweigungen wachsen durch das Maschendrahtgitter nach draussen, und so stabilisiert sich die Tomate sozusagen selber, und kann noch die eine oder andere Etage höher wachsen. Wieder ein 'Tomaten anbinden', dass ganz ohne anbinden funktioniert….
Tomaten, die man nicht anbinden muss
Aber es gibt sie tatsächlich, Tomatensorten und Tomatenarten, die auch ohne Rankhilfe, ohne Gerüst kultiviert werden können und auch sollen. Die Wildtomaten habe ich schon erwähnt, dazu sind neben der Peruanischen Wildtomate die Johannisbeertomaten und auch die Humboldt-Tomate zu zählen.
Bild: Peruanische Wildtomate - die schönste und kleinste Wildtomate
Bild: Die Humboldt-Tomate, Wildtomate 'Humboldtii' - die Urstrauchtomate mit dem feinen Himbeeraroma
Bild: Wildtomate 'Rote Murmel' - die kompakte, robuste Wildtomate
Soll diese stützlose Freilandkultur auch wirklich funktionieren, dürfen die ursprünglichen Tomatensorten nicht im freien Garten gepflanzt werden, sondern dort wo es ganz natürlichen Halt und Stütze gibt. Die technische Variante dieser möglichen Stützen sind Zäune und Zaunkonstruktionen, die natürlichen Alternativen stellen ganz einfach andere Pflanzen dar, vor allem Sträucher, kleine Bäume, zur Not auch Stauden. Auf sie können sich die langen Wildtomatentriebe legen, auf ihrem Rücken sozusagen können sie im Verlauf der Vegetation zu immer neuen Wuchseskapaden ausholen, ohne je den Boden zu küssen. Und ja, natürlich ist auch etwas gärtnerische Hilfe erlaubt, wenn der eine oder andere Trieb nach einem Sturm am Boden liegt…
Selbstverständlich auch ohne anbinden kommen natürlich die Hänge- und Ampeltomaten aus: Hier wird der Nachteil, der leicht biegsame und zu schwache Trieb bei unendlich grossem Fruchtertrag ins Positive gekehrt - die Triebe sollen sich ja neigen, nach unten hängen, um den Ampeleffekt zu verstärken! Die Schwerkraft wird hier zum Hilfsgärtner, auch superkompakte Zwerg- und Balkontomaten kommen weitgehend und lange ohne Stütze und ohne das 'Tomaten anbinden' aus: Ihre Internodien sind kurz, ihre Stängel dick und stark, und teilweise können sie die ganze schwere Last ohne Hilfe tragen.
Bild: kompakte Tomaten im Lubera Versuchsfeld, ganz ohne Stütze
Wenn‘s dann gegen Ende der Saison etwas kritisch wird, kann gerne noch mit einem kleinen Bambusstab nachgeholfen werden.
Danke!!