Bundesamt für Umwelt BAFU
Gian-Reto Walther, Abteilung Arten, Ökosysteme, Landschaften
Papiermühlestrasse 172
3063 Ittigen
Buchs, den 23. August 2019
Stellungnahme zum Vorschlag des Bundesrates zur Abänderung des Bundesgesetzes über den Umweltschutz (vor allem Artikel 29f, Abschnitt 1 bis 5) und zur Bekämpfung invasiver gebietsfremder Organismen
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Damen und Herren
Die vorgeschlagene Gesetzesänderung zur Bekämpfung invasiver gebietsfremder Organismen beruht auf falschen Vorannahmen, bedient gefährliche fremdenfeindliche psychosoziale Vorurteile, führt zu einer ausufernden Bürokratie und Verbotsunkultur, verletzt das Gebot der Subsidiarität und unterhöhlt das wichtige Freiheitsrecht des Eigentums.
Mit der vorliegenden Gesetzes-Änderung und -Ergänzung, die die Möglichkeit schafft, Pflanzen zu verbieten und die Bekämpfung vorzuschreiben (bei angedrohten Strafen bis zu 3 Jahren Gefängnis bei Zuwiderhandlung), werden Kanton und Gemeinden vor letztlich systematisch unlösbare Aufgaben gestellt, und die Bürgerinnen und Bürger selber tragen am Schluss als Landwirte, als Garten- und Hausbesitzerinnen und auch als Mieter die Kosten der untauglichen Massnahmen und der ausufernden Bürokratie.
Demensprechend ist auf die vorgeschlagene Gesetzesänderung ersatzlos zu verzichten. Für allfällige, auch heute schon mögliche Vertriebsverbote von Pflanzen reichen die bisherigen gesetzlichen und verordnungsmässigen Grundlagen aus (Stichwort: Freisetzungsverordnung).
Gerne legen wir die wichtigsten Argumente gegen die Gesetzesvorlage im Überblick und zu handen der Vernehmlassung dar.
- Grundlagenirrtum: Die Gesetzesvorlage geht – wie im erläuternden Bericht ausführlich dargestellt – davon aus, dass im Zuge der Klimaerwärmung mehr Arten einwandern und auch erfolgreich sein werden. Diese seien zu bekämpfen, um die heimische Natur zu erhalten und um eine Verarmung der Artenvielfalt zu verhindern. Die Beschreibung des Problems ist richtig: Die Klimaveränderung findet statt und deswegen werden ‚naturgemäss‘ sowohl Pflanzen verschwinden und auch Pflanzen einwandern. Gerade in dieser Situation brauchen wir aber einwandernde erfolgreiche Pflanzen, denen die sich rapide verändernden Rahmenbedingungen behagen; wir brauchen sie, um die Diversität zu erhalten und zu steigern. Alle Studien zu Inselsituationen zeigen, dass durch einwandernde Arten die Artenvielfalt einer Insel nicht etwa vermindert, sondern in der Regel ungefähr verdoppelt wird. Dazu kommt: In den meisten Fällen setzen sich erfolgreiche einwandernde Pflanzen da fest, wo es (meist von Menschen geschaffene) Freiräume oder eher Leerräume gibt: Brachen aller Art, übrigens auch in der Landwirtschaft, neue Nischen in Beton, Asphalt und Kies, unwirtliche städtische Einöden, Verkehrswege, Bahntrassees. Von den 1750 Arten, die sich in den letzten 2000 Jahren auf den britischen Inseln naturalisiert haben, ist kein einziger Fall bekannt, wo dadurch eine andere Art ausgelöscht wurde. Zur Situation in der Schweiz gibt es bis jetzt keine solchen Untersuchungen, und es gibt auch keinen einzigen Beweis, dass irgendeine Pflanze in der Schweiz durch eine neue Pflanze verdrängt worden wäre.
- Gebietsfremde Organismen: Die Behandlung der Pflanzen und der Pflanzenverbote zusammen mit Viren, Insekten, Tieren und Bakterien im vorgeschlagenen Gesetzestext, ist unsachgemäss und selber ein Grund für die ersatzlose Streichung des Vorschlags. Der im Gesetzestext systematisch vorausgesetzte Verdacht, dass Gebietsfremdes grundsätzlich negativ sei, entbehrt überdies jeder sachlichen Grundlage.
- Ethisch-moralische Fragwürdigkeit: Das Verbot von Pflanzen, die die eigentliche Quelle des Lebens auf unserem Planten darstellen (wir und die Tiere essen sie nicht nur, wir atmen ihren Atem), ist ethisch äusserst fragwürdig. Zudem werden mit der Bekämpfungspflicht für erfolgreiche fremde Pflanzen psychosoziale Vorurteile bedient, die wir in anderen Lebensbereichen mit gutem Grund bekämpfen. Fremdenfeindlichkeit fängt nicht bei fremden Menschen an.
- Ein bürokratisches Ungeheuer: Die Verbotsmöglichkeit auf Bundesebene, die Erarbeitung, Überwachung und Aktualisierung der entsprechenden zentralstaatlichen Vorschriften sowie die Umsetzung auf Kantons- und Gemeindeebene führen zu einem gigantischen bürokratischen Apparat und zu unabsehbaren finanziellen und auch politischen Kosten.
- Subsidiaritätsgebot und Verhältnismässigkeit verletzt: Probleme sollten auf möglichst tiefer Ebene gelöst werden. Hier werden im Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip auf Bundesebene unsachgemässe und unverhältnismässige Vorschriften gemacht, die Umsetzung obliegt den überforderten Kantonen und Gemeinden, und die Bürgerinnen und Bürger, die Mieter, die Landbesitzer, Haus- und Gartenbesitzerinnen dürfen dann die Kosten von Massnahmen tragen, die in sich selber mindestens tendenziell kontraproduktiv sind.
- Eigentum und Freiheit sind hohe Werte, die unser friedliches Zusammenleben und letztlich auch die Demokratie erst ermöglichen. Mit diesem Gesetzesvorschlag werden Freiheit und Eigentum empfindlich eingeschränkt. Da sowohl die Massnahmen selber (sind Pflanzenverbote überhaupt erfolgreich durchzusetzen?) als auch Ziele und Zielerreichung vorsichtig ausgedrückt äusserst fragwürdig sind, sind die Voraussetzungen für die Einschränkungen wichtiger und hoher Grundrechte nicht gegeben.
- Die bestehenden Gesetzesgrundlagen und Verordnungen reichen aus: Falls es einen biologischen, wissenschaftlichen und einen gesellschaftlichen Konsens über die Gefährlichkeit von bestimmten Pflanzen gibt, sind die bestehenden Gesetze und verordnungsmässigen Grundlagen ausreichend. Auch können wie schon bisher problemlos Vertriebsverbote erlassen werden, die keinen so negativen Einfluss aufs demokratische und freiheitliche Gesamtsystem haben wie die Pflanzenverbote.
- Ausblick: Vielfalt und neue Pflanzen fördern. Angesichts des dominierenden und vielfach negativen Einflusses des Menschen auf unsere Umwelt und auf die sogenannte Natur (von der wir selber ein Teil sind) werden unsere Lebensgrundlagen bedroht. Die wichtigste Lebensgrundlage auf diesem Planeten sind die Pflanzen, von denen wir leben und deren Luft wir atmen. Es macht mehr als nur Sinn, in Wissenschaft, Züchtung, Landwirtschaft, Naturbiologie und Gartenbau die Artenvielfalt und die Integration geeigneter neuer, meist gebietsfremder Pflanzen in eine sich verändernde Umwelt auch aktiv und wissenschaftlich begleitet zu fördern. Zu dieser Umwelt und neuen Pflanzenheimat gehören unsere Häuser, Wohnungen und Gebäude, unsere Strassen und Plätze, unsere Städte, unsere Einkaufszentren, unsere Bahnen, unsere Gärten, unsere Felder und Äcker, unsere Seen, Alpen, Berge und Wälder. Sie alle sind unsere Menschen-gemachte Natur. Und ohne mehr und neue Pflanzen werden sie zur Wüste.
Wir hoffen, dass Sie aufgrund der in diesem Schreiben dargelegten Gründe und aufgrund der beigelegten Darstellungen einzelner Aspekte (Biologie, Ethik und Politik) auf die geplante Gesetzes-Änderung und -Ergänzung verzichten.
Mit freundlichen Grüssen
Sabine Reber, Gartenautorin
Markus Kobelt, Pflanzenzüchter
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