Was sind Kulturheidelbeeren und wie wurden sie, was sie sind? Als ich vor 30 Jahren begann, mich für Kulturheidelbeeren zu interessieren, waren sie eine Spezialität. Man kannte die zwei oder drei Schweizer Heidelbeerpioniere beim Namen, im Supermarkt tauchten sie nur sporadisch und in kleinen Mengen auf. Und als ich im Garten meiner Eltern ein Minimoorbeet anlegte und zwei Kulturheidelbeeren pflanzte (die fast 25 Jahre lang beste Früchte trugen), waren das wohl die ersten Gartenheidelbeeren an der Strasse. Und Heute: Kulturheidelbeeren allüberall, im Supermarkt 365 Tage, und gäbe es noch mehr Tage im Jahr, wäre auch das sicher kein Problem! Kulturheidelbeeren von hier, ja, die gibt es auch - aber dann aus Südamerika, aus Nordamerika, aus Spanien und Italien, aus Neuseeland und Australien. Die Kulturheidelbeere ist in kürzester Zeit zu einer globalen Frucht geworden, die in Sachen Ubiquität und Verfügbarkeit dem Apfel, der Orange oder der Erdbeere in nichts nachsteht. Eigentlich hat die Kulturheidelbeere gegenüber anderen globalen Früchten nur Vorteile: Sie kann ganz offensichtlich letztlich in fast allen Klimagebieten angebaut werden (vielleicht ausser in den Tropen), sie ist weniger an bestimmte Klimavoraussetzungen (Winterkälte) gebunden als zum Beispiel der Apfel. - Aber warum? Warum ist die Kulturheidelbeere so erfolgreich? Auch in unseren Gärten und im Angebot von Lubera® hat sie in einer Generation alle Beeren ausser vielleicht die Himbeere und die Erdbeere überholt. Warum ist das so?
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Kulturheidelbeeren - was bitte bedeutet 'Kultur'?
Haben Sie schon etwas von Kulturhimbeeren, oder Kulturerdbeeren oder Kulturbrombeeren gehört? Ist Ihnen der 'Kulturmais' ein Begriff? Nein? Der Spezialfall der Kulturheidelbeeren erklärt sich ganz einfach dadurch, dass die Domestizierung der Heidelbeeren gerade mal gut 100 Jahre her ist. Und der erste Züchter und Pionier, Frederic Vernon Coville hatte natürlich - als Amerikaner und guter Verkäufer - allen Grund, diese Pioniertat auch gebührend zu betonen: In seinem grossen Artikel im National Geographic 1912 sprach er gar von der Zähmung der wilden Heidelbeere: The Taming of the Wild Blueberries. Der Widerspenstigen Zähmung sozusagen... KULTURheidelbeeren heben sich also von den in verschiedenen Kontinenten jeweils unterschiedlichen Wildheidelbeeren ab - auch da ist die Heidelbeere ganz besonders, weil sie nicht weniger als 350 Arten umfasst und fast überall wild präsent ist. Und weil man die neuen Dicken Blauen Amerikanischen Heidelbeeren, zuerst und bis heute vor allem auf der Basis von Vaccinium corymbosum gezüchtet, von den einheimischen Wildfrüchten abheben wollte, waren es halt dann in Deutschland die KULTURheidelbeeren.
Kulturheidelbeeren sind eine amerikanische Erfindung
Wie gesagt: Kulturheidelbeeren sind eine durch und durch amerikanische Erfindung. Und das 20. Jahrhundert, in dem die Kulturheidelbeeren entstanden und sich verbreitet haben, ist das Amerikanische Jahrhundert. 1906 begann der Botaniker des Washingtoner Agrarministeriums, Frederic Vernon Coville (1867-1937) fast aus Zufall, sich mit Heidelbeeren zu beschäftigen. Er hatte sich für die Sommermonate mit Familie und Kindern eine Farm in New Hampshire gekauft, und als drumherum überall wilde Heidelbeeren wuchsen, war die Aufmerksamkeit des Botanikers und Agronomen schnell geweckt. Als sich dann aus Covilles Ferienprojekt in den 10er und 20er Jahren des 20. Jahrhunderts langsam aber sicher "die Zähmung der wilden Heidelbeeren" entwickelte (so der Titel eines Berichts von Coville im National Geographic, Nov. 1911 ) und die ersten gezüchteten Sorten entstanden, wurden sie vom amerikanischen Agrarministerium, der USDA, bei der Coville arbeitete, ganz schnell und ohne Hindernisse (kein Sortenschutz, kein Markenschutz, keine Gebühren) auch an die Bundesstaaten und direkt zu den Farmern verteilt. Dabei konnte die Kulturheidelbeere, die nun entstand, auf einer Basis aufbauen, die schon bestand: Mindestens in den Oststaaten, in New England gab es eine bestehende Struktur von professionellen Früchtesammlern und Händlern, die in New Hampshire, New York oder New Jersey wildwachsenden Früchte sammelten und für die städtischen Märkte aufbereiteten. Der amerikanische Markt hatte nur auf diese Früchte gewartet, an die man sich aus den Kindheitstagen (viele Stadtbewohner waren ja auf dem Land, auf einer Farm aufgewachsen) erinnern konnte. Damit war der Erfolgsweg vorgezeichnet, der auch weiterhin ganz amerikanisch-dynamisch verlief: Nach den Oststaaten in New England begann der Anbau der Kulturheidelbeeren in Oregon und in Washington State, nach der Einzüchtung der kälteresistenten Vaccinium angustifolium (Northern Lowbush Blueberries) konnte die Kultur im Mittleren Westen expandieren (Michigan, Minnesota), und nach dem Vorbild Covilles in Washington DC begannen Agronomen in südlichen Bundesstaaten, vor allem im Florida die dort heimischen Southern Highbush, vor allem die Rabbiteye Blueberries (Vacciunium ashei) züchterisch zu bearbeiten - voilà, jetzt konnten auch Heidelbeeren in Klimazonen mit weniger Winterkälte angebaut werden - schlussendlich in den Südstaaten, in Südamerika, in Ozeanien und in Südeuropa bis Nordafrika.
Bild: Kulturheidelbeere 'Rubel' - eine der ersten Kulturheidelbeeren mit wunderschöner Herbstfärbung
Kulturheidelbeeren sind eine MODERNE (amerikanische) Erfindung
Kulturheidelbeeren, wie wir sie kennen und wie gesagt 12 Monate lang im Supermarkt sehen, sind eine sehr moderne Erfindung. Den Kulturapfel gibt es in Europa seit vielleicht 2500 Jahren, sogar der Rhabarber ist als Gartenkulturpflanze schon über 200 Jahre alt und Johannisbeeren werden seit dem 16. oder 17. Jahrhundert kultiviert und gezielt ausgelesen und angebaut. Die Gartenerdbeere, die aus einer mehr oder weniger bewussten Kreuzung einer nordamerikanischen und einer chilenischen Erdbeerart entstanden ist, hat ihrerseits schon über 250 Jahre auf dem Buckel.
Frederic Vernon Coville begann 1906, in den Sommermonaten mit der Familie in New Hampshire, sich mit Heidelbeeren zu beschäftigen. Die Domestizierung der wilden Heidelbeeren zur Kulturheidelbeere fand erst und ausschliesslich im 20. Jahrhundert statt, die ersten in der Natur selektionierten Sorten gibt es seit 1908. Die Sorte Brooks ist die allererste benannte und in einer wilden Population ausgelesen Sorte (übrigens eine Vaccinium corymbosum), 1909 folgte Russel (Vaccinium angustifolium), beide benannt nach den Farmbesitzern, bei denen sie gefunden worden waren. 1909 und 1910 machte Coville Selbstbefruchtungsversuche mit Brooks (nicht sehr erfolgreich); aber schon 1911 kreuzte er die Sorten Brooks und Russel, 1912 oder 1913 folgte schon die nächste Kreuzung zwischen den Wildselektionen Brooks und Sooy (Vaccinium corymbosum x Vaccinium corymbosum), woraus dann die ersten gezüchteten Sorten Pioneer und Katherine 1920 auf den Markt kamen - vor gerade mal 100 Jahren! Seine letzte Sorte, Dixi, benannte Coville in seiner letzten Publikation von 1937, kurz vor seiner Pensionierung als Chefbotaniker der USDA. Und mit Dixi bezog er sich nicht etwas auf den Süden der USA, sondern ganz bewusst auf den Ausspruch der lateinischen Rhetoriker: Dixi, ich habe es gesagt, ich habe gesprochen, alles ist gesagt. Der Name und die Begründung Covilles muten fast hellseherisch an, und sie waren vielleicht auch wissend gewählt: Der grosse Botaniker und Züchter, der übrigens auch berühmte botanische Expeditionsberichte verfasst und gleichsam nebenbei den Nationalen Botanischen Garten in der amerikanischen Hauptstadt gegründet hatte, verstarb noch im gleichen Jahr 1937, vor der Publikation seinen grossen wissenschaftlichen Abschlussartikels 'Improving the Wild Blueberry'.
Diese Modernheit, auch Zielgerichtetheit der agronomischen Wissenschaft ist sicher nicht nur ein Kennzeichen der Heidelbeerenexpansion, sie ist Teil Ihres Erfolgs. Kulturheidelbeeren: eine einheimische Amerikanische Superfrucht, von Amerikanern gezüchtet, für den grossen und einheitlichen amerikanischen Markt, der seinerseits das grosse Vorbild fast aller Märkte des 20. Jahrhunderts ist (zumindest im Westen). Und doch ist die moderne amerikanische Kulturheidelbeere ein Einzelfall: Die Kulturheidelbeere ist die einzige genuin amerikanische Frucht, die sich weltweit verbreitet hat, die unförmigen Pawpaw haben es nie geschafft und werden es wohl auch nie schaffen... Gleichzeitig profitierten die Kulturheidelbeeren bei ihrem Siegeszug aber auch davon, dass in allen Märkten zunächst in den USA, aber dann auch Overseas ein bestimmtes Vorverständnis von Heidelbeeren vorhanden war: Heidelbeeren waren und sind in Form der jeweils einheimischen Wildheidelbeeren fast überall schon bekannt. Kulturheidelbeeren sind keine exotischen Früchte, sondern mindestens 'entfernte Bekannte'. Das heisst, Heidelbeeren trafen und treffen überall, mindestens in den USA und Europa, auf ein gut vorbereitetes Feld, dass sie erobern können. Es überrascht aber doch, dass eigentlich nur amerikanische Arten Eingang in die kultivierten Heidelbeeren, die Kulturheidelbeeren gefunden haben. Versuche in Europa, die einheimischen wilden Heidelbeeren einzukreuzen, führten mindestens in den ersten 100 Jahren der Heidelbeer-Erfolgsstory nie zu wirklich kommerziellen Erfolgen. Die amerikanischen Vaccinium-Arten haben ganz offensichtlich die 'richtigen Gene' für das 20. und das 21. Jahrhundert...
Kulturheidelbeeren sind transportfähig und lagerbar
Die Transportfähigkeit der Kulturheidelbeeren und auch ihre Lagerbarkeit, die bis zu einigen Monaten verlängert werden kann, sind entscheidende Voraussetzungen für ihren weltweiten Erfolg. Und das begann bereits mit den ersten Züchtern: Elisabeth Coleman White, die bald schon den USDA-Züchter Frederic Coville von ihrer Farm in New Jersey aus unterstützte und fast alle Sämlinge und Kreuzungen Covilles aufgezogen und selektionierte, war wie ihr Vater eine bekannte Cranberry-Produzentin. Sie liess die dicken roten, ebenfalls uramerikanischen Früchte an Naturstandorten auf ihren Ländereien sammeln und verkaufte sie dann in die grossen Städte der Ostküste. Höchstwahrscheinlich machte sie das auch mit Wildheidelbeeren - und so waren die Initiatoren des Heidelbeerzüchtungsprojekts von allem Anfang daran gewöhnt, Früchte über weite Strecken zu verschicken. Übrigens gaben Coville, White und ihre Verbündeten in den 10er und 20er Jahren auch genaue Anleitungen an Wildsammler von Heidelbeeren ab, die besonders gute Heidelbeersträucher selektionieren und allenfalls Triebe und Früchte nach Washington DC ins Labor der USDA und zu Coville schicken sollten: Wieder eine ins Programm selber schon eingebaute Vorselektion auf Transport- und Lagerfähigkeit… Übrigens und by the way: Vielleicht könnte man neben den Heidelbeeren auch noch die Cranberries als amerikanischen Welterfolg bezeichnen, wenn sie auch als vor allem verarbeitete und nicht frisch gegessenen Früchte bei weitem nicht so einen starken Auftritt haben wie die Kulturheidelbeeren.
Bild: Cranberry 'Red Balloon' - Moosbeere (bot. Vaccinium macrocarpon) mit sehr gesunden Inhaltsstoffen
Die Frau hinter den Kulturheidelbeeren: Elisabeth Coleman White
Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass der Züchter Form und Farbe und Geschmack seiner Sorten stark beeinflusst. Natürlich kann der eine bestehende und selektionierte Sorte nicht verändern, aber seine Vorlieben, sein eigener Geschmack beeinflussen die Auswahl der Selektionen mehr als man meint. Züchtung ist nie objektiv (sie tut nur so), Züchtung ist immer eine subjektive Auswahl. Als ich zu Beginn meiner Apfelzüchtungskarriere die Apfelsorten von 4 oder 5 Züchtern auf meinen Feldern versammelt hatte, aber kunterbunt durcheinander, konnte ich nach zwei Jahren auf ohne Schild und Plan von jedem degustierten Apfel sagen, von welchem Züchter er stammt. Was meine eigenen Vorlieben bei der Züchtung sind, weiss ich allerdings nicht oder nur annäherungsweise: Das ist der tote Winkel, dem man nicht entkommt…
Aber zurück zu den Kulturheidelbeeren. Der Einfluss von Elisabeth White von der Whitesbog-Farm in New Jersey auf die Kulturheidelbeere kann nicht überschätzt werden. Wie schon oben erwähnt, führte sie das Cranberry-business ihres Vaters weiter und war überhaupt eine der bekanntesten Frauen im Agribusiness der Ostküste zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Allerdings wurde sie beim Ableben ihres Vaters nicht zum Chef der Familienfirma, der Mann ihrer jüngeren Schwester wurde ihr vorgezogen, was die prekäre Rolle der Frau im Geschäftsleben zu Beginn des 20. Jahrhunderts demonstriert. Elisabeth White hatte 1911 oder 12 einen Versuchsbericht zu Heidelbeeren von Coville gelesen und sich sofort bei ihm gemeldet: Sie würde gerne Felder und Arbeit zur Verfügung stellen, um die Entwicklung der Kulturheidelbeeren voranzubringen. In der Folge pflanzte Coville fast alle Sämlinge aus seinen Kreuzungen bei Elisabeth White auf der Whitesbog-Farm in New Jersey aus, wo sie auch gepflegt, geerntet, degustiert und selektioniert wurden. Stellen Sie sich die Züchtungsarbeit einfach mal praktisch vor und berücksichtigen Sie die Distanzen: Washington DC, New Jersey (mit der Züchtungsfarm von Elisabeth White) und New Hampshire (Ferien-Farm der Coville Familie) bilden ein Dreieck von ungefähr 200 Meilen Schenkellänge. Das war mindestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht einfach schnell in einem halben Tag zu überwinden... Was daraus folgt? Coville war der Stratege, machte die grundlegenden Untersuchungen, bestimmte wohl auch die Zuchteltern und liess die Kreuzungen durchführen. Aber die Züchtungsarbeit, die Selektion geschah auf der Whitesbog-Farm. Die eigentliche Züchterin war Elisabeth White (allenfalls mit Hilfe Ihrer Mitarbieter). Sie entschied in den die Kulturheidelbeeren prägenden 10er und 20er Jahren bis zum Tod Covilles 1937 letztlich über Charakter und Gesicht der Kulturheidelbeere. Wie den Züchtern Coville, Draper und Darrow ist auch Elisabeth White eine Sorte gewidmet, nach ihr benannt worden, die spätreifende Aromasorte Elisabeth. Wir haben vor 10 Jahren diverse Klone von Elisabeth gesammelt und beträchtliche Unterschiede festgestellt und schliesslich den besten als Blue Dessert® verkauft. Und wirklich: Blue Dessert® verkauft sich jetzt viel besser als früher Elisabeth - nicht nur wegen der besseren Selektion, sondern wohl auch wegen des sprechenderen Namens, der die Qualität schon mit sich trägt. Besser und fairer wäre aber wohl der Name: Elisabeth White's Bluedessert.
Bild: Kulturheidelbeere Blue Dessert® - spätblühende, aufrecht und starkwachsende Heidelbeere
Kulturheidelbeeren sind gross
Grösse! Und da denken Sie natürlich wieder am Amerika. Ich zugegebenermassen auch: Alles muss dort gross sein, oder besser: Noch grösser. Als ich vor bald 15 Jahren ein Brombeerzüchtungsprogramm in den USA besuchte, war es teilweise ein ziemlich einseitiges Gespräch: Ich fragte laufend nach besser schmeckenden Brombeeren, der Züchter zeigte mir immer noch grössere… - Dabei wurde bei der Grösse der Heidelbeerfrüchte der beste Fortschritt ganz am Anfang, bei der Selektion der ersten Sorten gemacht, die schon ca. 80% der Grösse der heute grössten Sorten erreichten: Brooks hatte schon einen Durchmesser von 1.27 cm, Russel mass für eine Vaccinium angustifolium überraschende 1.43cm (war vielleicht selber schon eine natürliche Hybride zwischen Vac. angustifolium und Vac. corymbosum) und die ersten zwei gezüchteten Sorten Pioneer und Katherine erreichten 19.7mm und 20mm respektive. Vaccinium corymbosum, die in Neuengland heimische Heidelbeeren-Wildart, die den wesentlichen Beitrag zur Kulturheidelbeere leistete, hatte ganz offensichtlich von allem Anfang an schon sehr grosse Früchte zu bieten - man musste nur hinschauen und auswählen.
Die Wildpflücker in New Hampshire und in News Jersey, die für White und auch Coville tätig waren, wurden selbstverständlich auch mit einer Lehre oder Schablone ausgerüstet, mit der die Früchte ganz schnell auf Grösse gemessen werden konnten. Die Begründung Covilles für den Fokus auf die Fruchtgrösse war ganz einfach und logisch: Grössere Früchte senken die Produktionskosten, weil sie schneller und damit billiger gepflückt werden können. Damit war auch gleich das zentrale Problem jeder professionellen Beerenproduktion bis heute beschrieben: Die Pflückkosten. Im Hausgarten spielt die Grösse auf den ersten Blick keine entscheidende Rolle, ich plädiere da aber schon seit längerer Zeit für eine Rehabilitation des amerikanischen Grössenwahns, mindestens was das Beerenobst anbelangt: Solange die Früchte sich unterhalb der Grösse eines Bisses darstellen, ist mehr immer auch mehr, bringt mehr Grösse auch zusätzlichen Mehrwert: Mehr Gefühl, mehr Textur, mehr Saft, mehr Aroma, mehr Erlebnis und natürlich immer auch ein besseres Verhältnis zwischen Samen und Fruchtfleisch.
Jedenfalls ist die Grösse zu einem wesentlichen Merkmal der Expansion der Heidelbeeren geworden; heute werden in fast allen Märkten die Früchte automatisch auf Grösse kalibriert und die besten Preise erhalten immer die grössten Früchte. Und mit der Grösse war auch die Überlegenheit der Kulturheidelbeeren gegenüber den jeweils heimischen Heidelbeeren zB. in Europa besiegelt. Zwar wurde es geradezu zum Gemeinplatz, die Qualität der einheimischen kleinen Blauen im Gegensatz zu den Kulturheidelbeeren zu besingen (was zu einem schönen Teil nicht zutreffend ist), aber letztlich setzten sich die grösseren ganz einfach durch! Wahrscheinlich gehöre ich mit Jahrgang 1963 zu einer der letzten Generationen von Mitteleuropäern, die zuallererst Heidelbeeren im Wald und mit kleinen blauen färbenden Früchten (süss, aber mit wenig Geschmack ;-) erlebten, und die nicht schon von Kindheit an von den Grossen Dicken Blauen geprägt sind.
Bild: Kulturheidelbeere Blueroma® - bestes Aroma und grösste Früchte
Kulturheidelbeeren haben die richtigen Gene
Gene sind Zufälle, die richtigen sowieso... In den Neuengland-Staaten waren nun mal die Vaccinium corymbosum , die Northern Highbush Blueberries stark verbreitet und auch von den Früchten her ziemlich gross. Kein Wunder, dass da Coville und seine Mitstreiter schnell zugriffen. Und dann war es ein weiterer Zufall, dass die ebenfalls hier bis in den mittleren Westen hinein heimischen Vaccinium angustifolium problemlos mit Corymbosum kreuzbar waren - gleich die erste Kreuzung von Coville war eine zwischen diesen beiden Arten. Bis heute ist in fast allen Kulturheidelbeeren zu einem kleinen Prozentsatz "angustifolium" vorhanden - aber ausser im mittleren Westen mit den extrem kalten Wintern (Minnesota, Michigan) konnten sie sich doch nie ganz durchsetzen: Die Sträucher sind eher klein, produzieren zu wenig Volumen und auch die Früchte sind tendenziell kleiner, süsser, aber auch säureärmer... Jedenfalls war Vaccinium corymbosum eine ganz guter Start für die Kulturheidelbeere, der bis heute dominierend geblieben ist; zwar tragen heute sehr viele Heidelbeere auch Gene anderer Arten in sich, aber Corymbosum dominiert in den gemässigten Klimazonen weiterhin. In den südlichen Klimazonen wird die Rolle der Vaccinium corymbosum als Ankerspezies von Vaccinium ashei, der Southern Highbush Blueberry übernommen, die ebenfalls sehr grosse Früchte hervorbringt, meist deutlich später reif wird und vor allem - das ist der Grund ihres Erfolgs in südlichen bis subtropischen Klimaten - wenig Winterkälte braucht.
Aber die Heidelbeeren haben auch im übertragenen Sinne, auf eine ganz andere Art und Weise von allem Anfang die richtigen Gene: Sie wurden ausgelesen und selektioniert für eine moderne Welt, sozusagen designed for the 20. Century! Das trifft sonst auf keine andere Beerenart so zu.
Kulturheidelbeeren saften nicht
Vom grossen Ganzen zurück zum Kleinen, zur Einzelheit: Schon in seinen ersten Schriften und Versuchsberichten, die jeweils als Bulletin der USDA in Washington DC veröffentlicht wurden, legte Frederic Coville Wert auf die Feststellung, dass nur Sorten ausgewählt und selektioniert werden sollten, die an der Kontaktstelle zwischen Frucht und Fruchtstiel nicht bluten. Voilà: Ein weiterer Baustein zum Erfolg - vor allem wenn man die Heidelbeeren mit ihren direkten Konkurrenten, den Himbeeren vergleicht, mit denen sie aktuell in der Rangliste der wichtigsten Beerenfrüchte wohl in vielen Märkten konkurrieren. Bei den Himbeeren muss man immer mit etwas Saften und Bluten rechnen; hier ist allerdings nicht der Stiel schuld, sondern die Feinheit der Einzelbeeren und ihrer Haut.
Kulturheidelbeeren sind einheitlich
Wie schon erwähnt war die erste Kreuzung Covilles eine zwischen einer Wildauslese von Vaccinium corymbosum und einer Selektion von Vaccinium angustifolium. Minutiös wertete der frühe Agronom die Population aus und berichtete prozentgenau über die Aufspaltung der Eigenschaften: So und soviel Prozent hatten fast schwarze Früchte, diese waren kleiner, die Grössten hatten folgendes Mass undsoweiterundsofort. Er konzentriert sich aber sofort - amerikanisch erzogen und ausgebildet - auf die Grössten und auf die Schönsten, mit den grossen hellblauen Früchten, am liebsten mit dem weiss-hellblauen Duft auf den Früchten. Just beautiful! Und folgerichtig unternahm er in der Folge vor allem Kreuzungen unter Corymbosum-dominierten Sorten. Coville war den richtigen Genen auf der Spur - mindestens für die Kulturheidelbeere. Aber als guter, wenn man seine Lebensleistung betrachtet sogar genialer Agronom sah und selektionierte Coville auch das Besondere: Schon unter den ersten 15 Sorten benannte er zwei Albino-Selektionen 'Redskin' und 'Catawba', die weisse, auf der Sonnenseite leicht rosa gefärbte Früchte hatten, ähnlich den vermeintlich modernen 'Erfindungen' wie Pink Popcorn oder Pink Lemonade®. Er notierte aber gleich dazu, dass er den Markt dieser Spezialitäten eher im Hausgarten sehen würde als im Fruchtgrosshandel. Er hatte wieder recht. Mindestens für die nächsten 100 bis 150 Jahre ;-)
Bild: Kulturheidelbeere 'Pink Lemonade'® - super Geschmack und eine tolle Zierde für jedes Moorbeet
Kulturheidelbeeren sind geschmacklich ausgewogen
Das ist jetzt ganz und gar kein Vorwurf. Züchter wie ich tendieren nun mal meist zu eher sauren Früchten, ganz einfach aufgrund des Gewöhnungseffekts. Heidelbeeren dagegen bewegen sich immer im goldenen Mittelmass, im goldenen Schnitt. Natürlich schmeckt es meiner individuellen Meinung nach besser, wenn etwas Säure der grundsätzlichen Süsse der Früchte Körper verleiht (das kann man übrigens eher von den Corymbosum-Genen erwarten und weniger von den Angustifolium), aber Heidelbeeren sind grundsätzlich in einem 'Sweet Spot' von Süsse und Säure angesiedelt, deutlich auf der süssen Seite, der fast allen Menschen schmeckt. Da gibt es kaum Extreme, im schlimmsten Fall sind einfach einige Sorten süsslich leer, aber aggressive Säure wird man kaum je erleben, jedenfalls nicht bei den bekannten Sorten. Und das goldene Mittelmass gilt auch für‘s Aroma: Natürlich gibt es da ein feines, fast vanilleartiges, und doch frisches Heidelbeeraroma. Aber es ist dezent, in keiner Weise aufdringlich, ja meist nicht mal besonders parfümiert (also mit einer Note, die vor allem über die Nase aufgenommen wird). Die Kulturheidelbeere ist keine schwärmerische Frucht, sie ist sachlich, rund, blau und gut, ohne weitausschweifend auszuholen. Sie stösst auch fast niemanden ab. Denken Sie nur kurz an das vergleichsweise extreme Cassisaroma der Schwarzen Johannisbeeren: Hier teilt sich dann das Publikum sofort in eine Minderheit, die das liebt und in eine Mehrheit, die es verabscheut. Bei den Heidelbeeren gibt es eigentlich nur milde Liebhaber und temperierte Zustimmung.
Kulturheidelbeeren sind blau (aber nicht zu blau)
Mit Früchten assoziieren wir Farbmuster von Gelb bis zu Rot. Aber eigentlich nicht Blau. Denken Sie sich eine assoziierte Farbe zum Wort 'Frucht', oder auch zu 'Beere': Es wird kaum je Blau sein... Von daher hat die blaue Heidelbeere wieder einen Sweet Spot besetzt, eine differenzierte Position, die sie von allen Konkurrenzfrüchten absetzt. Letztlich eine Marktlücke. Natürlich sind die Assoziationen zu Blau psychologisch wohl einiges kälter als zu Rot und Gelb - aber die fehlende Leidenschaft macht die Heidelbeere mit ihrem stromlinienförmigen Profil wett, das immer auf grossmehrheitliche Zustimmung trifft. Und doch ist die Kulturheidelbeere auch nicht zu blau: Zwar rufen alle gerne nach den durch und durch blauen Beeren der wilden europäischen Waldheidelbeeren. Aber so richtig durchdacht ist der Ruf nicht. Ich gehe jede Wette ein: Eine durch und durch gefärbte Heidelbeere hätte sich nie so durchgesetzt wie die moderne nur in der Schale gefärbte Kulturheidelbeere aus Nordamerika. Warum? Denken Sie nur an die Mütter, an all die Kleckserei an Fingern und Kleidern. Nie hätten besorgte Mütter zugelassen, dass so eine Frucht jeden Tag, jede Woche in die Hände ihrer Kinder und Männer käme! Im weissen reinlichen Amerika schon gar nicht! Und ohne Erfolg in Amerika hätte es die Grossen Blauen, eben moderat blaue Heidelbeeren auch sonst nirgendwo auf der Welt gegeben. Das behaupte ich jetzt einfach mal, den Beweis für meine These muss und kann ich natürlich nicht antreten ;-)
Kulturheidelbeeren sind gesund
Die Gesundheit ist letztendlich die Unterschrift unter das Erfolgszertifikat der Heidelbeere: Diese grosse wunderschöne und reinliche und saubere und transportfähige Frucht ist auch noch gesund. Zwar wahrscheinlich nicht ganz so gesund wie ihre wilden Cousins, Onkel und Tanten, aber lange genug gesund, um als Superfrüchte besungen zu werden. Zwar kann man fast die gleichen Eigenschaften gerne und ebenso gut begründet auch schwarzen Johannisbeeren, roten Himbeeren, schwarzen Himbeeren und Brombeeren zuschreiben - aber aus dem Kampf der gesunden Fruchtgiganten geht die Kulturheidelbeere ziemlich oft siegreich hervor. Weil sie einfach praktisch ist, weil sie in allen Belangen gut funktioniert. Zugespitzt formuliert: In der Heidelbeere gerinnt die Frucht zur Pille, rund und leicht einnehmbar. Aber das ist jetzt viel zu böse formuliert, und gar nicht so gemeint. Die Heidelbeere hat einfach verdammt viele Vorteile auf ihrer Seite, so viele, dass es gegenüber den anderen Früchten fast schon ungerecht erscheint.
Bild: Kulturheidelbeere Bluesbrothers - die kompakteste, buschigste und ertragsreichste Heidelbeere
Die Konkurrenz der Kulturheidelbeere: Himbeeren und Brombeeren
Ich sehe aktuell nicht, wie sich Himbeeren und Brombeeren in der globalen Hitliste der Früchte langfristig vor der Heidelbeere halten könnten. Sie haben einfach viel zu viele Nachteile. Vor allen anderen Dingen sind sie im Vergleich viel zu weich und die Zusammensetzung aus vielen Einzelfrüchten ist auch nicht gerade vorteilhaft. Bei einer Himbeere oder Brombeere haben wir es mit Dutzenden, ja manchmal Hunderten von Einzelfrüchtchen zu tun, die unterschiedlich reagieren und allenfalls auch unterschiedlich anfällig sind: Zu komplex für ein standardisiertes Produkt, zu fragil für lange Lagerung und weite Transportwege, und zu wenig stabil aufgrund des Aggregatszustands aus vielen Einzelfrüchtchen.
Haben Kulturheidelbeeren auch Nachteile?
Als Frederic Coville 1908 aufgrund seiner Experimente klar feststellte, dass Heidelbeeren auf saurem Boden kultiviert werden müssen, war das eine ziemliche Sensation, eine Neuheit. Bis anhin war man davon ausgegangen, dass letztlich alle Heidelbeeren Pflanzen in gut entwässernden, doch feuchten, mittelschweren und humusreichen Gartenerden gut wachsen würden... Aufgrund von vergleichenden Versuchen konnte Coville zeigen, dass dies im Falle der Heidelbeeren nicht der Fall war, sie bauchen 'arme' saure Böden, die bisher kaum Verwendung gefunden hatten, aber gerade in den Oststaaten genügend vorhanden waren. Das war ein Vorteil: Nun konnten auch wenig nützliche Böden sofort agronomisch belegt werden! Aber wie so häufig ist der Vorteil auch ein Nachteil: Global und in sehr vielen Anbaugebieten gibt es eher einen Mangel an geeigneten sauren Anbauflächen. Und trotzdem funktioniert die weltweite Expansion, scheint immer weiter zu gehen? Vielleicht kann man sich das folgendermassen erklären: Die Preise der Heidelbeeren bleiben bei immer mehr Menge doch einigermassen stabil, weil die Mengenexpansion begrenzt ist, nicht allzu viel schneller wächst als die Nachfrage. Und die Mengenexpansion ist zwar stürmisch, aber eben doch auch begrenzt, weil nur Heidelbeeren anbauen kann, wer entweder über saure Böden verfügt oder aber diese Bodenverhältnisse technologisch simulieren kann. Dennoch wird dieses fragile Gleichgewicht nicht ewig anhalten, jedenfalls nicht nochmals 100 Jahre ;-) Schon vor 10 Jahren erklärte mir der CEO eines der grössten Apfel- und Kirschenproduzenten Nordamerikas, dass sich seine Firma aus den Heidelbeeren zurückgezogen habe, eben weil sie davon ausgeht, dass der Markt irgendwann kollabiert und die Produzenten dann auf ihren relativ hohen Kosten sitzenbleiben. Was der Mann vor Augen hatte: Dass eine Kulturheidelbeere bei aller Grösse doch ziemlich viel kleiner ist als ein Apfel oder als eine Kirsche...
Kulturheidelbeeren: Das Werk von drei Züchtern
Meine persönliche Meinung zu Heidelbeeren ist eigentlich nicht sehr relevant. Die Dicken Blauen werden auch ohne uns erfolgreich bleiben, unabhängig von meinem Urteil. Als Gärtner und Züchter bin ich aber schon richtig begeistert über den Siegeszug der Heidelbeere in nur gut 100 Jahren, eine fast einzigartige Erfolgsgeschichte in der Agronomie und eine gigantische Leistung der involvierten Forscher, Züchter, Berater und Agronomen. Sicher geholfen hat die fast schon genial zu nennende schlafwandlerische Sicherheit, mit der Coville, der wie gesagt nur per Zufall zum Projekt gekommen war, die ersten Schritte unternahm. Sein Programm, ab 1906 bis in die 20er Jahre: Zuerst - in nur 2 Jahren - lernen, wie die Pflanze funktioniert, wie sie wächst, wie sie fruchtet, wie sie angebaut werden kann, wie sie befruchtet wird, welchen Boden sie baucht. Und dann gleich die ersten Kreuzungen mit in der freien Wildbahn ausgelesenen Bestträgern. Dann immer weiter züchten. Noch 1990 waren über 70% aller angebauten Kulturheidelbeeren von Coville gezüchtete Sorten. Nach Coville kamen noch zwei weitere grosse USDA Forscher, die die Kulturheidelbeere in seiner Nachfolge prägten und weiter ausbauten: Geroge Darrow (1889-1983), der vor allem die kollektive und kollaborative Züchtung zusammen mit den Bundesstaaten, mit Beratern, mit Privatfirmen weiter ausbaute (und so mehr Züchtungskapazitäten zum Ausbau der Kulturheidelbeere gewann), und Arlen Draper (geboren 1930), der ein eigentlicher Genmixer war und viele andere Arten in die Corymbosum, die ursprüngliche Northern Highbush Blueberry reinkreuzte... Es ist auch diese Kontinuität von nur drei Züchtern, die ein Jahrhundert umspannten, die die Erfolgsgeschichte der Heidelbeeren ermöglichte.
Kulturheidelbeeren für den Garten: Was gibt es für die Lubera® Züchtung noch zu tun?
Was gibt es da für uns, für den Garten und für die Lubera®-Züchtung noch zu tun? Ich glaube fest daran, dass es vor allem darum geht, die Kulturheidelbeere für den Garten vielfältiger und interessanter, individueller zu machen, Zierwerte reinzuzüchten, die den Nutzwert ergänzen: Andere Fruchtformen, frühere Reife und vor allem auch die Fähigkeit zum kontinuierlichen Blühen und Fruchten. Stellen Sie sich vor, dass im Hausgarten in Zukunft die Ernte einer Heidelbeersorte vom Juni bis zum August, oder alternativ vom Juli bis September am gleichen Strauch möglich wäre, der gleichzeitig reife Früchte trägt und am neu gewachsenen Holz schon wieder frische Blüten schiebt...
In unserem Heidelbeer-Dossier können Sie viel Wissenswertes über die Heidelbeeren lesen.
Der passende Film zum Text
BLUEBERRY How Does it Grow?
https://www.youtube.com/watch?v=aB9U1wTsx2c
Markus Kobelt