Pflanzenzüchtung bei Lubera, Anfang April. Da suchen Sie vergeblich nach Labors und weissen Kitteln. Praktische Pflanzenzüchtung findet zuallererst auf dem Feld, dann im Gewächshaus, drittens recherchierend und auswertend am Computer und erst dann vielleicht noch im Labor statt. An einem Sonntagnachmittag (wann denn sonst?) mache ich mich auf einen Rundgang durch unsere Lubera-Züchtungsfelder in Buchs. Was fällt mir auf? Was gibt es Aktuelles zu berichten? Was ist Pflanzenzüchtung überhaupt, was verstehen wir darunter? Und mit welchen Projekten beschäftigen wir uns bei Lubera aktuell? Das und noch einiges mehr erfahren Sie in diesem Artikel.
Inhaltsverzeichnis
- Pflanzenzüchtung bei Lubera
- Züchtung im April
- Kontrollierte Kreuzungen bei Ribes
- Das Züchtungsfeld – Immer im Wandel
- Frisch gepflanzte Cassis-Selektionen – Bereit für die zweite Prüfungsstufe
- Pflanzen mit Maulkorb – Tests auf Selbstfruchtbarkeit
- Unfälle… und Züchtung: Neue Zierjohannsibeeren
- Birnenzüchtung – Eine Geduldsfrage
- Pfirsichsämlinge auf eigener Wurzel
- Die Zukunft der Felsenbirne?
- Sanddorn – Mit Zucker und ohne (?) Dornen
- Fazit am Sonntagnachmittag
Pflanzenzüchtung bei Lubera
Bezüglich der Pflanzenzüchtung – jedenfalls so, wie wir sie bei Lubera praktizieren und verstehen - gibt es ein doppeltes Missverständnis zu berichtigen.
Erstens: Pflanzenzüchtung – zumindest bei Lubera – ist weder Hightech noch Informatik (jedenfalls solange es nicht um Massenpflanzen wie Weizen, Mais, Kartoffeln usw. geht). Und zweitens: Pflanzenzüchtung ist entgegen der Meinung einiger Sortennostalgiker auch nicht das blosse Sammeln von bestehenden und alten Sorten. Pflanzenzüchtung produziert neue, bessere Sorten für HEUTE, für die aktuellen Konsum- und Gartentrends, und sie macht dies, indem der Pflanzensex gelenkt wird. Der Züchter bestimmt, welcher Pollen welche Blüte befruchtet und versucht so den Zufallsgenerator der freien Rekombination der Gene wenigstens einigermassen zu kontrollieren.
"Und was ist jetzt die Kunst, allenfalls die Wissenschaft dabei?" fragen Sie sich und mich zu Recht. Kunst, Intuition und natürlich auch Wissenschaft in der Pflanzenzüchtung braucht es, um schlussendlich aus der Vielzahl der Nachkommen der organsierten Pflanzenvermählung das beste Individuum, die beste Pflanzengruppe auszuwählen.
Aber jetzt reicht's mit dem Theoretisieren; wir wollten uns ja auf den Rundgang durch die Züchtung machen… Auf geht´s!
Züchtung im April
Der April macht auch in der Züchtung, was er will. Blütenfröste können befruchtete oder unbefruchtete Blüten zerstören, ein ganzes Züchtungsjahr kann verloren gehen. Dazu kommt, dass Äpfel grundsätzlich immer Ostern zu blühen scheinen. Und auch alle anderen frühen Arten, vor allen die Johannisbeeren tendieren bösartigerweise dazu, immer auf ein Wochenende hin zu blühen; jedenfalls habe ich mir schon öfter überlegt, ob dies vielleicht eine subtile Rache der Beerenpflanzen für die Manipulationsversuche der Züchter sein könnten...
Bild: Ribes aureum wie auch andere Johannisbeerarten sind relativ frostresistent, die Blüten halten einige Frostgrade aus
Bild: Pfirsichblüten dagegen sind extrem kältesensibel, 1 bis 2 Minusgrade bei offener Blüte machen die Ernte gleich schon zu Beginn zunichte; auch Kreuzungen können in so einem Jahr nicht erfolgreich durchgeführt werden. Bis jetzt sind wir jedoch vom Frost verschont geblieben...
Kontrollierte Kreuzungen bei Ribes
Ein Schwerpunkt in diesem frühen Frühjahr sind kontrollierte Kreuzungen bei Ribes, bei Johannisbeeren, Stachelbeeren, Zierjohannsibeeren, Josta und Vierbeeren. Die meisten domestizierten Ribes-Arten (Stachelbeeren, schwarze Johannisbeeren, rote Johannisbeeren) sind nämlich selbstfruchtbar. Wenn man also verhindern will, dass es zu Selbstbefruchtungen kommt, müssen die Blüten der Mutterpflanzen vor der Befruchtung mit dem Pinsel oder auch mit Hummeln emaskuliert, entmannt werden. Das heisst die männlichen Blütenorgane werden entfernt. Die Behauptung, dass nur Frauen dazu in der Lage seinen, entspricht einem alten züchterischen Vorurteil. Die feine Arbeit kann auch von unseren männlichen Züchtern perfekt ausgeführt werden.
Bilder: Züchtungszelte: Die Züchtungszelte verhindern den Zuflug von Insekten, die ja Pollen unbestimmter Herkunft auf sich tragen können. In den Zelten werden Hummeln ausgesetzt, die dann den Pollen von der Sorte A auf B und umgekehrt bringen. Sind die Blüten vorher emaskuliert, kann eine Selbstbefruchtung ausgeschlossen werden. Da ja nicht immer die richtigen Pflanzen auf dem Feld beieinanderstehen, werden zusätzlich grosse Kübelpflanzen eingesetzt, die gezielt zum richtigen Kreuzungspartner gestellt werden können.
Bild: Emaskulierte Blüten von Zierjohannisbeeren: Diese werden in diesem Jahr mit schwarzen Johannisbeeren befruchtet. Das Ziel: Eine essbare Zierjohannisbeere. Da nicht so ganz klar ist, ob so eine Kreuzung überhaupt erfolgsversprechend ist, machen wir sie auch reziprok, befruchten also auch emaskulierte schwarze Johannisbeeren mit dem Pollen von Zierjohannisbeeren.
Bild: Emaskulation von Blüten der Schwarzen Johannisbeere. Bei den noch geschlossenen Blüten werden die Blütenblätter und die Staubfäden entfernt. Meistens wird darauf gezielt mit dem Pinsel der gewünschte Pollen aufgetragen, da die Blüten ohne Blütenblätter für Hummeln zu wenig attraktiv sind.
Das Züchtungsfeld – Immer im Wandel
Neben unserem zentralen Züchtungsfeld in Buchs SG haben wir noch weitere Züchtungsflächen im Kanton Thurgau (in der Schweiz) und auch in Deutschland. In Bad Zwischenahn konzentrieren wir uns vor allem auf Heidelbeeren und andere säureliebende Pflanzen, da die Böden in dieser Region Norddeutschlands einen sehr tiefen sauren pH-Wert haben. Aber zurück zum Züchtungsfeld in Buchs: Es ist im steten Wandel, jedes Jahr wird ca. eine halbe Hektare gerodet - und gleichzeitig eine halbe Hektare neu gepflanzt. Wenn eine Züchtungspopulation selektioniert ist, wenn die beste Pflanze ausgelesen ist, können die Sämlingspflanzungen wieder gerodet werden, machen Platz für neue Sämlingspopulationen. Entscheidend für die Züchtung ist sicher die Auswahl, die positive Selektion von Pflanzen. Aber das rechtzeitige Wegwerfen von Pflanzen, die die Züchtungsziele nicht erreichen, ist ebenso wichtig. Da Züchter tendenziell auch Sammler sind, ist es gut, wenn die Platzknappheit den Druck aufs Wegwerfen und auf die Entscheidungsfindung erhöht.
Bild: Züchtungsfeld, jedes Jahr werden 5'000m2 gerodet und wieder frisch gepflanzt.
Frisch gepflanzte Cassis-Selektionen – Bereit für die zweite Prüfungsstufe
Was positiv in den Sämlingspopulationen ausgewählt worden ist, wird möglichst schnell auf ein neues Beet umgepflanzt, mit etwas mehr Raum, um dann weiter und genauer geprüft zu werden. Häufig werden dann auch bereits einige Pflanzen der einzelnen Selektionen vermehrt, um mehr Pflanzen für die Testung zur Verfügung zu haben. Daraus sollen nun wiederum die Besten ausgewählt werden. Schlussendlich bleibt dann eine Sorte übrig; es ist aber auch gut möglich, dass keine Sorteneinführung erfolgt. Aktuell versuchen wir, die Qualität und Fruchtgrösse von späten langtraubigen Cassissorten zu verbessern. Ebenfalls ein neues separates Zuchtziel ist die Verbesserung der Blattfarbe und der Fruchtbarkeit der rotblättrigen Black'n'Red® Johannisbeeren.
Bild: Frisch gepflanzte Cassis-Selektionen, 2. Prüfungsstufe: Diese Cassisselektionen sind 2021 auf dem Feld ausgelesen worden. Nun sind sie auf ein neues Beet umgepflanzt worden, wo sie genauer beobachtet werden können. In Zahlen heisst das: Aus ca. 2000 Sämlingen haben wir 150 Selektionen gewonnen.
Pflanzen mit Maulkorb – Tests auf Selbstfruchtbarkeit
Aus Sicht des Menschen ist Selbstfruchtbarkeit von Pflanzen ein Segen. Selbstunfruchtbarkeit dagegen ist ziemlich unpraktisch, da dann immer mindestens zwei Sorten gepflanzt werden müssen. Aus Sicht der Natur ist es umgekehrt: Selbstunfruchtbarkeit fördert die Diversität, Selbstfruchtbarkeit ist à la longue eine Sackgasse, führt zu genetischer Einheitlichkeit, zu weniger Diversität. Sehr häufig setzt sich bei Kulturpflanzen die Selbstfruchtbarkeit erst im Domestikationsprozess durch: Der Mensch selektioniert selbstfruchtbare Pflanzen entweder bewusst, weil er diese Eigenschaft für den professionellen Anbau vorzieht; in die gleiche Richtung geht aber auch die menschliche Selektion auf möglichst ertragreiche Sorten, da selbstfruchtbare Sorten meist zu mehr und regelmässigerem Ertrag tendieren.
Und die Pflanzen mit Maulkorb, mit dem Sack über dem Kopf? Hier testen wir neue Ribes aureum Sorten, die sogenannten Vierbeeren, auf Selbstfruchtbarkeit. Wir haben in den letzten Jahren ein ganz neues und auch superspannendes Sortiment an Vierbeeren selektioniert, mit größeren orangen Beeren, aber auch mit weinroten Beeren. Vor der endgültigen Markteinführung müssen wir aber nun testen, welche Sorten selbstfruchtbar sind und welche nicht…
Bild: Neue Ribes aureum-Sorten mit dem Sack über dem Kopf; der Sack verhindert den Zuflug von Befruchtungsinsekten. Setzen die eingesackten Blüten Früchte an, ist die entsprechende Sorte selbstfruchtbar; gibt es keine Früchte, besteht keine oder nur eine ungenügende Selbstfruchtbarkeit.
Bild: Tests auf Selbstfruchtbarkeit bei Ribes aureum und Ribes odorateum: Was so noch Früchte ansetzt, ist selbstfruchtbar.
Unfälle… und Züchtung: Neue Zierjohannsibeeren
Nicht selten sind es die Misserfolge, ja auch die Unfälle, die wie durch ein Wunder zu unverhofften Züchtungsergebnissen führen. Vor einigen Jahren haben wir versucht, schwarze Johannisbeeren und Zierjohannsibeeren zu kreuzen (das versuchen wir ja – wie oben schon erwähnt – immer noch): Damals leider ohne Erfolg ;-). Die Samen der Cassis-Mutterpflanzen ergaben nur wieder schwarze Johannisbeeren, die Samen der Zierjohannisbeeren entwickelten sich wieder zu... Zierjohannsibeeren. Aus Letzteren haben wir jetzt aber zwei schöne neue Sortenkandidaten selektioniert, die in wenigen Jahren eingeführt werden: Sehr schöne und schnell aufbauende Sträucher, von unten bis oben blühend, frühe intensive rote Blüte, höhere Pflanzengesundheit als bei Standartsorten...
Bilder: Neue Sortenkandidaten von rotblühenden Zierjohannisbeeren/Blutjohannisbeeren, ca. 2 Jahre vor der Sorteneinführung.
Birnenzüchtung – Eine Geduldsfrage
Etwas ungeduldig schaue ich die Reihen mit Birnenzüchtungen… Birnen brauchen wirklich Geduld: Auch im 4. und teilweise 5. Jahr nach der Pflanzung trägt nur eine kleine Minderheit der auf Quitte veredelten Sämlinge Blüten und dann hoffentlich auch Früchte. Es braucht einfach sehr lange, bis die Bäume aus der Juvenilität (sichtbar an den bedornten Trieben) rausgewachsen sind und dann meist an der Baumspitze zu blühen beginnen. Aber mit etwas Glück und ohne Frühlingsfrost können wir hier dieses Jahr die ersten Früchte degustieren, und uns so ein erstes Bild von den Züchtungskombinationen machen.
Bild: Birnensämlinge, die meisten noch ohne Blüten
Bild: Einige wenige Birnensämlinge beginnen an der Spitze zu blühen.
Bilder: Birnensämlinge die blühen, wir warten gespannt und geduldig auf den Herbst.
Pfirsichsämlinge auf eigener Wurzel
Viel schneller geht die Pfirsichzüchtung. Diese Sämlinge gehen jetzt hier auf dem Züchtungsfeld ins zweite Jahr (sind also insgesamt 3 Jahre alt) und zeigen doch schon die ersten Blüten. Spätestens im nächsten Jahr wird hier alles blühen – und mit etwas Glück wird wohl auch schon eine endgültige Selektion möglich sein. Sie wissen jetzt ja, der Züchtungsplatz ist knapp, muss auch knapp sein, sonst würden sich echte Züchter nie von ihren Pflanzen trennen… Die Selektion bei den Pfirsichen ist auch relativ einfach: Alles, was starken bis mittleren Kräuselkrankheitsbefall zeigt, wird konsequent wegselektioniert werden. Wir wollen uns bei der Pfirsichzüchtung auf Kräuselkrankheitstolerante Sorten mit einem sehr starken gesunden Wuchs konzentrieren.
Bild: Reihe mit Pfirsichsämlingen, Kreuzungen zwischen kräuselkrankheitstoleranten Sorten und Prunus mira-Zuchtlinien.
Bild: vereinzelt sind schon im 2. Jahr auf dem Feld die ersten Blüten zu sehen.
Die Zukunft der Felsenbirne?
Was ist denn das? Zugegeben, noch etwas zu früh fotografiert, noch sind die unzähligen Blütenrispen nicht fertig entwickelt…
Das sind die wohl interessantesten Amelanchier/Felsenbirnenzüchtungen in unserm Wildobstprogramm: Nicht nur sind die Pflanzen nur etwa halb so stark wachsend wie normale Amelanchier alnifolius Sorten (Saskatoonberries), sie sind auch viel fruchtbarer. Vermutlich hängen beide Eigenschaften auch eng zusammen. Falls es uns gelingt, die Fruchtgrösse und die Qualität der Beeren der kompakten Pflanzen auf das Niveau der besten aktuellen Sorten anzuheben (Niveau Sorte ‚Martin‘), werden sich für die Saskatoonbeere im Garten aufgrund des kompakten Wuchses ganze neue Möglichkeiten eröffnen. Da die Vögel die Saskatoonbeeren in unseren Züchtungsfeldern auch schätzen gelernt haben, wird es ohne Vogelschutznetz ab Farbumschlag (also ab ca. Mitte bis Ende Mai) nicht gehen.
Bilder: kompakte, superfruchtbare Amelanchiersämlige
Sanddorn – Mit Zucker und ohne (?) Dornen
Wir führen gerade aktuell die neuen Ukraine-Sanddornsorten ein (folgt im nächsten Gartenbrief). Gleichzeitig haben wir aber schon angefangen, mit diesen neuen Sorten selber weiter zu züchten. Hier sehen Sie eine Sanddornpopulation, die in diesem Jahr zum ersten Mal fruchten wird. Was uns interessiert: Fruchtgrösse +- 1g, idealerweise über 1g, kurze Stiele, hohe Zuckerwerte bei tiefen Säurewerten (Verhältnis Zucker/Säure 3-5) und kompakter, möglichst dornenloser Wuchs.
Fazit am Sonntagnachmittag
Wer mehr Wünsche hat, muss Pflanzen züchten.
Und die Wünsche?
Sie werden irgendwann an einem Sonntagnachmittag in Erfüllung gehen. Bis dahin gilt: Weiterzüchten!
Vielen Dank für die Einblicke