Im Verlauf ihrer langen Geschichte wird sich die Feige nicht selten herrlich amüsiert haben über all die Verwirrungen, die sie mit ihren unterschiedlichen Fruchttypen und ihrer komplizierten Befruchtungsbiologie stiftete. Mit am spannendsten ist der totale Misserfolg des kalifornischen Feigenanbaus in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts.
Dabei war das doch genau die Zeit, die das Bild vom Sonnenstaat und vom wahr gewordenen amerikanischen und kalifornischen Traum prägte. Man kann das wahrscheinlich am besten mit der heutigen Rolle des Silicon Valley vergleichen: So wie heute (fast) alle technischen Innovationen dort zu beginnen scheinen und alle Welt ins gelobte Tal pilgert, so herrschte damals die Goldgräberstimmung in der kalifornischen Landwirtschaft. Systematisch wurden neue wertvolle Kulturen aus den südlichen Ländern der alten Welt nach Kalifornien importiert und gleich zu richtigen Industrien ausgerollt.
Das Geld lag nicht auf der Strasse, es lag auf den Feldern und in den Pflanzen. Neben mutigen Unternehmertypen und auch Abenteurern spielte auch das amerikanische Landwirtschaftsdepartement mit ihren «Agricultural Explorers», die in alle Welt ausgeschickt wurden, eine entscheidende Rolle. Aber natürlich ging neben den von den Skandal- und Sensationsblättern verbreiteten Erfolgsgeschichten auch einiges schief: Luther Burbank scheiterte glorios mit seinen dornenlosen Fruchtkakteen - und die 1880 bis 1882 in grosser Anzahl importiert Smyrna-Feigen trugen einfach und stur während fast zweier Jahrzehnte keine Früchte.
Was das besonders Bösartige und regelrecht Aufreizende an der Geschichte war: Die importierten Feigenbäume trugen sehr wohl Früchte, kleine grüne Dinger, die dann aber jedes Jahr nach einer Anstandspause (in der sie vergeblich auf die Befruchtung warteten) einfach abfielen. Was lief da falsch, wer war schuld an dem Desaster? Natürlich die Türken, so vermutete man, die hätten ja alles Interesse daran, ihre Exportmärkte zu schützen und hätten darum sterile Feigen in die USA geschickt? Nur DAS könne der Grund sein, denn die alten Feigensorten, die seit dem 18. Jahrhundert in Kalifornien wuchsen (z.B. die Sorte Mission), trugen ja zuverlässig Früchte. Nur ganz Wenigen war klar, dass die Mission (als Kulturfeige) und die importierten Smyrnafeigen aus der Türkei ganz einfach unterschiedliche Feigentypen mit unterschiedlichen Befruchtungsanforderungen waren (lesen Sie den Artikel “Die 4 Feigentypen” in unserem Magazin).
Die Blastophagen-Blasphemie
Dabei war eigentlich alles notwendige Wissen vorhanden. Es war gute und altbekannte agronomische Praxis vor allem in Griechenland und in der Türkei, Feigenwespen, die sogenannten Blastophaga, zur Befruchtung der Smyrna-Feigen einzusetzen. Und den kalifornischen Anbauern war ja auch aus der Zitruskultur bekannt, dass einige Orangen, z.B. die Washington Navel, ohne Befruchtung Früchte ansetzen, andere aber ohne Befruchtung leer bleiben. Irgendwie konnte nicht wahr sein, was nicht wahr sein durfte: Ein Tier, ein Insekt, das in die kleinen Früchte schlüpft und dann da, im Dunkeln (!) das unziemliche Befruchtungswerk verrichtet, das war abartig, das war fremd, das wollte man nicht akzeptieren. Widerwärtig! Und nicht selten wurde die Caprifikation (die Befruchtung der Smyrna-Feigen durch die Feigenwespe) auch als Aberglaube «peasant superstition» der Bauern aus der Alten Welt verunglimpft. Was der türkische Bauer in seiner Zurückgebliebenheit machte, hatte die moderne kalifornische Feigenindustrie sicher nicht nötig. Früchte allerdings wären schon gut gewesen ?
Der Sieg der Wissenschaft
Und gerade als sich dann die Vernunft durchzusetzen begann, und die Ersten an die zu glauben wagten, kam ein weiterer Rückschlag: Eine 1892 veröffentlichte Übersetzung eines schon viel älteren wissenschaftlichen Textes des italienischen Professors Guglielmo Gasparrini machte die ganze Blastophagen-Aufklärung wieder zunichte. Er behauptete sogar, dass sich der Einsatz der Befruchterwespen negativ auf die Fruchtqualität auswirke.
Der Professor aber hatte zu seiner Zeit nur die in Italien viel weiter verbreiteten Kulturfeigen im Auge. Und natürlich war es auch ihm zutiefst zuwider, an die Insekten und allenfalls gar an ihre Exkremente denken zu müssen, wenn man in eine Feige biss? Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, und vor allem dank der Forschungen und Reisen von Walter T. Swingle, einem der produktivsten und erfolgreichsten «Agricultural Explorer» der USDA, kam sprichwörtlich Licht ins Dunkel der Caprifikation und wurden die inneren (ja inneren!) Widerstände bei Anbauern und Feigen überwunden. Vor allem der zweite grosse Import von Caprifeigen aus der Türkei 1898 war ausserordentlich erfolgreich: Die Smyrna-Feigenbäume, die vorher fast 20 Jahre lang stur gestreikt hatten, trugen riesige, saftige Feigen. Ja, vielleicht ging es halt wirklich nicht ohne die blasphemischen Blastophagen.
Ein Sieg der Feige
Die Feige aber, das schlaue Ding, lächelte verschmitzt und dachte ihres dabei. Wieder hatte sie Insekten und Menschen zu Höchstleistungen veranlasst, unzählige Zeitungsartikel, Übersetzungen und Pamphlete waren erschienen und sie hatte schlussendlich ein neues Territorium erobert. Wieder hatte sie den Menschen gezeigt, dass sie nicht vorhatte, sich ihren Vorlieben und Komplexen anzupassen. Nein, die Menschen sollten sich gefälligst den Anforderungen der Feige unterordnen!
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Weitere spannende Feigengeschichten in unserem Lubera-Magazin:
Die Geschichte und Biologie der Feige: Die Feige, der Mensch, die Wespe ? und ich, Einleitung
Die Geschichte und Biologie der Feige, Teil 1
Die Geschichte und Biologie der Feige: Die Ur-Feige, Teil 2
Die Geschichte und Biologie der Feige: Auftritt Feigenwespe, Teil 3
Die Geschichte und Biologie der Feige: Die Smyrna-Fruchtfeige, Teil 4
Die Geschichte und Biologie der Feige: Die Caprifikation, Teil 5
Die Geschichte und Biologie der Feige: Die Kulturfeige, Teil 6
Die Geschichte und Biologie der Feige: Der Mensch als Feigensklave, Teil 7