Die eigentliche Feige, die Ur-Feige ist nicht unsere Fruchtfeige, sondern die sogenannte Bocksfeige. Nur sie ist mit allen Organen ausgestattet, die man von einer «funktionierenden» Pflanze erwarten würde. Sie als blosse Befruchterfeige oder gar als männliche Feige zu bezeichnen, ist vollkommen falsch.
Die Bocksfeige, die wohl auch die ursprünglichste Feige ist, verfügt über männliche und weibliche Blüten, wobei die männlichen Blüten nahe bei der letzten Freiluftöffnung, der Ostiole sitzen. Warum, werden wir später erfahren. Und wie bei den Fruchtfeigen und Kulturfeigen sehen auch die Blüten der Bocksfeige kaum je das Tageslicht, es sei denn ein Sonnenstrählchen würde sich schnurgerade in die Ostiole verirren.
Die Bocksfeigen bleiben sehr klein, gelten als ungeniessbar, wobei diese Ansicht nicht von allen geteilt wird: Einige Sorten und Sortengruppen sollen durchaus etwas Zucker entwickeln und unter vielen Tieren gelten sie als Delikatessen. Das reicht ja. Und weil sie den Ziegen besonders gut schmecken sollen, heissen sie auch Bocksfeigen.
Der Grund für die relative Unbeliebtheit beim Menschen liegt wohl in den kurzstieligen Blüten. Weil diese viel kürzer bleiben als bei den uns bekannten Frucht- und Kulturfeigen, bleibt der Anteil des sich aus den Blüten entwickelnden Fruchtfleischs an der Gesamtfrucht (relativ zum grünlichen Blütenboden) sehr klein. Und wer isst schon gerne Kuchenböden fast ohne Füllung und Belegung? Oder eine Pizza Calzone ohne Inhalt. Genau das ist das Manko der fast nur aus Blütenboden bestehenden Bocksfeigen.
Ein Manko? Der Urfeige war und ist das ziemlich egal; was braucht sie denn die Menschen, wenn sie genügend Tiere bezirzen und zur unentgeltlichen Verbreitung ihrer Samen bewegen kann. Und genauer besehen ist die Dienstleistung der Geissböcke auch nicht gratis, immerhin konnten sie ja die Feigenfrüchte vorher schmatzend geniessen. Den Samen verbreiten sie nur im verdauungsbedingten Nebenjob.
Markus Kobelt
Weitere spannende Feigen-Geschichten finden Sie hier:
Die Geschichte und Biologie der Feige, Teil 1
Die Geschichte und Biologie der Feige: Auftritt Feigenwespe, Teil 3
Die Geschichte und Biologie der Feige: Die Smyrna-Fruchtfeige, Teil 4
Die Geschichte und Biologie der Feige: Die Caprifikation, Teil 5
Die Geschichte und Biologie der Feige: Die Kulturfeige, Teil 6
Die Geschichte und Biologie der Feige: Der Mensch als Feigensklave, Teil 7
Wer’s lieber etwas sachlich und botanisch haben möchte, der kann sich noch meinen Beitrag zu den verschiedenen Feigentypen anschauen. Der erklärt schon vieles. Aber halt eben nicht alles.
Ganz kurz und knapp habe ich das Thema “Wie und wo Feigen blühen und befruchtet werden”, in meinem Facebook Live-Video geschildert (speziell über die Feigen geht es ab der 28. Minute):
Meine Quelle: Ira J. Condit, The Fig, Boston USA 1947
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