Die Geschichte der Birnensorte Conference erzählt auch die Geschichte einer Zeitenwende (nicht nur im Obstbau). Der Obstanbau in England fand bis ins 20. Jahrhundert, ja bis in die Zwischenkriegszeit hinein vor allem in den Houses, auf den Herrschaftssitzen statt. Heerscharen von Gärtnern produzierten die begehrenswertesten Früchte, allen voran Birnen, Pfirsiche, Aprikosen, Feigen, Südländisches bis hin zu Ananas. Berühmt sind auch die wunderschönen viktorianischen Glashäuser, die solches erst möglich machten.
Obstanbau war also im Wesentlichen eine Angelegenheit der obere Klassen, der entstehenden Arbeiter- und Angestelltenklasse in einer sich industrialisierenden Gesellschaft blieben nur die minderen Früchte, unter anderem interessanterweise die Stachelbeeren (siehe Spezialartikel). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber gelangten immer mehr Fruchtimporte auf den wachsenden englischen Markt, vor allem aus Frankreich, Belgien und Holland, aber auch aus den USA. In England entstand bei der arbeitenden und angestellten Bevölkerung eine Nachfrage nach Früchten auch ausserhalb der Herrschaftshäuser, und diese Nachfrage wollte gestillt sein ?
Das nagte natürlich am englischen Nationalstolz, und so machte die Royal Horticultural Society (RHS) das, was man fast immer macht, wenn man nicht mehr weiter weiss: Sie berief Konferenzen (davor sicher unzählige Sitzungen) ein, um den industriellen Obstbau (für eine sich industrialisierende Gesellschaft) zu befördern. Nach dem erfolgreichen National Apple Congress von 1883 lud man 1885 zur National Pear Conference in Chiswick ein, dem damaligen Sitz der RHS. Der Kongress selbst und die begleitende Ausstellung von 615 verschiedenen Birnensorten war leider ein ziemlicher Misserfolg. Gardener’s Cronicle schreibt dazu: “It has been a matter for regret that quite one half the days the show of Pears was open were wet ones, thus seriously affecting the attendance of the public. It is evident that Pears have entirely failed to create the interest which attached to the Apples two years since“. Es war also ? das britische Wetter. Immerhin, ein kleiner Lichtblick im trüben Ausstellungswetter, einer einzigen neuen ausgestellten Sorte konnte das First-Class Certificate verliehen werden. Und ihr Name war: Conference.
Die neue Birne mit dem sprechenden Namen Conference war vom Baumschuler und Züchter T. Francis Rivers selektioniert und eingereicht worden. Die Namenswahl – Conference schon Conference vor der Conference zu nennen – war dabei sicher ein ziemlich geschickter Marketingtrick. T. Francis und sein Vater, Thomas Rivers, führten damals eine der bekanntesten Obstbaumschulen Englands, und sie beschränkten sich im Gegensatz zu ihren Mitbewerbern, z.B. Bunyard in Maidstone, nicht auf den Import von französischen und belgischen Sorten und auf die Wiederentdeckung älterer Sorten, sondern brachten auch regelmässig selbst gezüchtete und selektionierte Neuheiten auf den Markt. Rivers hatte Conference aus einer Sämlingspopulation ausgelesen, die aus frei abgeblühten Samen der Sorte Léon Leclerc de Laval entstanden war. Immerhin zeigt sich da auch noch bei dieser englischen Sorte der dominierende Einfluss der belgischen und französischen Birnenkultur des 19. Jahrhunderts: Leon Leclerc de Laval ist eine Züchtung des belgischen Baumschulers JB Van Mons, gewidmet dem französischen Pomologen und Züchter Léon Leclerc aus Laval.
Mit ihren bahnbrechenden Eigenschaften – regelmässige und grosse Erträge, gute Lagerfähigkeit, gute Qualität auch im nördlichen Europa, Fähigkeit zum Fruchtansatz ohne Bestäubung, wichtig in Frostjahren- setzte sich Conference im Gartenmarkt, aber auch in industriellen Anbau schnell durch: Schon 1895 stand die erste grosse Plantage in Maidstone, in Kent. Aber der Erfolg schwappte auch schnell wieder aufs europäische Birnenmutterland hinüber, Conference wurde im 20. Jahrhundert die dominierende Birnensorte in West- und Nordeuropa mit einem starken Schwerpunkt in Holland und – natürlich! – Belgien. 90% der belgischen Birnen, die im Wesentlichen aus Conference bestehen, werden exportiert. Und raten Sie, welches der wichtigste Exportmarkt ist: Natürlich England, heute aber auch Russland und Asien.
Die Birne Conference steht mit ihrer Geschichte symptomatisch für den Beginn des industriellen Obstanbaus, für die Weiterentwicklung des länderübergreifenden Obsthandels, und natürlich auch, auf eine bestimmte Weise, für die Demokratisierung der aristokratischen Birnenfrucht. Wenn aber die Konferenz und ihre Birne dazu bestimmt waren, den Anbau in England zu fördern, so erreichten sie das letztlich noch viel eindrücklicher auf dem europäischen Festland. England selber ist bis heute eine grosse Frucht-Importnation geblieben. ?Buy British?, das gerade bei den Früchten als Slogan sehr präsent ist, ist letztlich nur Ausdruck des Mangels, nicht des Überflusses. Der Britische Birnenanbau kann den Bedarf bei weitem nicht stillen, auch wenn Conference ebenfalls auf der Insel die wichtigste Sorte darstellt. Ob dafür – wieder einmal – das Wetter verantwortlich ist?