Die Familie meiner Mutter hiess in Buchs im ST. Galler Rheintal schon seit über 100 Jahren ‚Bommzüchters‘. Mein Urgrossvater hatte schon in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts auf seinem Bauernbetrieb begonnen, Obstbäume zu veredeln und dann in den umliegenden Dörfern zu verkaufen. Der Name blieb hängen, das Flair für Obstbäume ebenfalls, auch die nachfolgenden Generationen veredelten über mehr als 100 Jahre Apfelbäume und anderes Obst, wenn auch in relativ bescheidenem Umfang, einige Hundert bis einige Tausend Obsthochstämme pro Jahr. Meine Mutter war übrigens Handarbeitslehrerin. Trotzdem hiess sie im Dorf Bommzüchter‘s Betty.
Ich nahm den Familienauftrag und den Namen ernst. Vor 30 Jahren sass ich mit den Dresdner Apfelzüchtern Christa und Manfred Fischer in einem Restaurant in Pillnitz und stellte die rhetorische Frage: Warum beginnen wir bei Lubera nicht einfach auch damit, Apfelsorten, neue Apfelsorten zu züchten? Die Antwort meiner geduldigen Lehrmeister war überraschend eindeutig: Natürlich solltest du das machen! In nächsten Winter stratifizierte ich schon die ersten Samen, von frei abgeblühten Früchten einiger Dresdner Sorten. Aus diesen Samen sollten unsere ersten Sorten entstehen, allen voran Paradis Werdenberg, benannt nach dem trutzigen Schloss in meiner Region, dem Werdenberg. Die Muttersorte war übrigens Regia.
Als ich meiner Familie, Freunden und Mitarbeitern (es waren gerade mal 2) damals von meinem Vorhaben erzählte, tönte es nicht ganz so positiv zurück. Solltest du nicht vielleicht mal zuerst Deine Baumschule fertig aufbauen? Insgeheim hielten mich die meisten für verrückt, schwiegen aber dezent, wie man das bei Verrückten halt so macht – und dachten insgeheim: Wie kann man ein Projekt beginnen, von dem die ersten Resultate in 10 bis 20 Jahren zu erwarten sind, und das zu einem Zeitpunkt, wo die meisten Insignien tüchtiger Baumschulkunst – Traktoren, Topfmaschinen, Gewächshäuser und Hallen – noch weitgehend fehlten. Die meisten meinten es natürlich nur gut und hofften wohl, die Zeit würde mich eines Besseren belehren und ich würde früher oder später wieder auf alte Apfelsorten und auf die Apfelsorten anderer Züchter zurückgreifen… eben endlich vernünftig werden.
Jetzt, 30 Jahre später bin ich noch nicht viel vernünftiger geworden. Wir züchten weiter neue Apfelsorten, im letzten Newsletter habe ich gerade ausführlich über unser Marsflugprojekt ‚Samenlose Äpfel‘ berichtet; immerhin sind wir da schon mal auf dem Mond gelandet und konnten die allerersten selbst gezüchteten Äpfel ohne Samen ernten und selektionieren. Es werden nochmals ca. 10 Jahre ins Land und über die Felder gehen, bis wir ein samenloses Sortiment lancieren können, so wie es mir ‚vorschwebt‘
Sie sehen, ich liebe die Zukunft, das noch Unerforschte, das was kommen mag (oder schlimmstenfalls halt auch nicht). Immerhin schwebt es mir ja irgendwie vor… Unterdessen weiss ich auch fast sicher, dass es kommen wird, irgendwann, vielleicht auch ein bisschen anders, als ursprünglich vorgestellt – was soll‘s…
Auch die letzten 2 Monate habe ich immer wieder in der Zukunft zugebracht: In der Apfelzüchtung mache ich fast alle Primärselektionen (das Auswählen der besten Sämlinge, die dann weitervermehrt und weiter getestet werden) selber, das heisst, ich gehe fast jeden Tag für einige Stunden aufs Apfelzüchtungsfeld. Ich bin dann mal weg - Äpfel essen, sage ich dann jedem, der es hören will. Gemeint ist, dass ich durch die Sämlingsreihen – jeder Baum eine andere Sorte – spaziere, lustwandle und Apfel nach Apfel probiere. So schnell und so effizient es eben geht, ein Apfel gepflückt, ein Schnitz geschnitten, ein Bissen gekaut, dann wird zwangsweise entschieden, meist wird der Rest wieder ausgespien. Von wegen ‚lustwandeln‘… Nur mit dem Genussverzicht kann ich sicherstellen, dass wir 1-2 Stunden Apfelessen durchhalten, ich, meine Schleimhäute und mein Magen. Ehrlich gesagt ist das Schöne an dieser grundlegenden Züchterarbeit nicht das Essen (obwohl mir das alle unterstellen) , sondern das Schwelgen in Zukunft. Könnte dieser Apfel, einer von Zigtausenden, etwas haben, das noch fehlt, könnte dieser Apfel ein neues, besseres und unterschiedliches Apfelerlebnis bieten? Niemand weiss die definitive Antwort, nach Tausenden von Äpfeln ich sowieso nicht, trotzdem ich muss hier und jetzt entscheiden. Das macht das Apfelessen übrigens ziemlich anstrengend.
Bevor ich mich wieder und weiter in der Zukunft verliere, ist vielleicht auch einmal ein Blick zurück angebracht: Auf das Apfelsortiment für den Garten, das wir in den letzten 30 Jahren, eigentlich erst in den letzten 20 Jahren, aufgebaut haben und das in Umfang und Anspruch weltweit ziemlich einzigartig ist. Das darf ich ja sagen, wer´s nicht glaubt und probiert, der mag mich halt wieder für ein bisschen verrückt halten.😉 Der erste Apfel wurde irgendwann in den ersten 2000er Jahr getauft, dann folgten Apfel auf Apfel über 40 weitere neue Sorten… Sind das nicht zu viele, fragen Sie? Meine Antwort: Noch lange nicht genug.😉
Aber was unterscheidet unsere Gartensorten vom aktuellen Marktsortiment, was macht den entscheidenden Unterschied aus?
Essqualität, Geschmackserlebnis: Da wir zunächst mal primär für den Garten züchten, müssen wir keine falschen Kompromisse mit dem vermeintlichen Durchschnitts- oder Massengeschmack machen, wir wollen überhaupt keine Kompromisse machen. Wir können den Apfelgeschmack so weit ausdifferenzieren, wie es der Apfel eben hergibt: süss und fast ohne Säure, Süssaromatisch, ausgeglichen, säuerlich erfrischend mit Parfüm, extrem parfümierte oder sogar gewürzte Sorten etc. pp.. Da kommt mir gerade ein Zukunftsapfel aus diesem Jahr in den Sinn, den ich sofort Nelkenapfel getauft habe, ein Apfel mit einem deutliche Nelkengeschmack/Duft. Unsere Apfelsorten sind individuell, nicht einheitlich. Darum sind sie anders.
Resistenz: Wir möchten keine Kränklinge im Garten und unsere Kunden möchten keinen Pflanzenschutz machen. So bringen wir nur Sorten auf dem Markt, die gegenüber Pilzkrankheiten sehr robust, meist sogar schorfresistent sind.
Saisonalität: Wir müssen keine Apfelsorten züchten, die einmal geerntet 2 Jahre gelagert werden können. Die Reifezeit und Genusszeit unserer Apfelsorten beginnt im Juli und dauert bis in den Frühling, auch ohne dass die Winteräpfel in einem künstlich hergestellten Luftgemisch gelagert werden müssen. Fast die gesamt Apfelzüchtungswelt zielt dagegen auf Äpfel ab, die mindestens ein Jahr gelagert und zweimal um die Erde geschippt werden können – das geht nicht ohne Kompromisse ab.
Einfachheit der Kultur: Die Gärten sind kleiner geworden, wer einen Apfelbaum pflanzen möchte, hat in der Regel nur einen beschränkten Platz, vielleicht reicht es dann vielleicht für sogar für mehrere Bäumchen… Wir selektionieren bewusst eher schwachwachsende, kompakte Sorten. Einen besonderen Schwerpunkt haben wir auch auf Säulenapfelbäume und Miniapfelbäume gelegt, die genetisch kontrolliert nur eine sehr reduzierte Krone bilden. Ebenso wichtig ist für uns, dass wir nur Sorten auswählen, die schnell und regelmässig Früchte tragen, (fast) niemand möchte wie zum Beispiel bei den alten Sorten Gravensteiner oder auch Boskoop jahrelang auf die ersten Äpfel warten, währenddessen der Baum blütenlos dem Himmel entgegenwächst.
Diversität, Wuchsformen: Wie schon erwähnt, züchten wir ganz bewusst verschiedene natürliche Apfel-Wuchstypen, die normal verzweigenden Paradis-Delikatessäpfel, dann aber auch die Säulenapfelbäume Malini und die Miniapfelbäume Maloni, die eine Krone bilden, die nur 30-50% eines normalen Apfelbaums auf gleicher Unterlage umfasst. Und weil die Zukunft bei mir nie fehlen darf: Für die nächsten Jahre züchten wir auch kleine Snackäpfelchen an hängend wachsenden Kronen, wir möchten den Apfelbaum damit zu einer Art Beerenstrauch machen, dessen Höhe begrenzt ist und dessen Fruchtäste… nach unten wachsen. Habe ich noch etwas vergessen? Ach ja, die Redloves, die ersten rotfleischigen Tafeläpfel, die vor über 10 Jahren auf dem Markt kamen. Die Redloves züchten wir wie die weissen Gartenäpfel immer weiter; ich bin persönlich nach wie vor überzeugt, dass sie geschmacklich mehr Nuancen und auch Überraschungen zu bieten haben als die weissen Traditionsäpfel…
Baumformen: In den letzten 2 Jahren haben wir dann das Apfelsortiment nochmals weiter aufgefaltet, wir führen jetzt in unserem Shop 129 verschiedene Apfelbäume… Schon wieder so eine Verrücktheit… DA besteht zugegebenermassen schon die Gefahr, vor lauter Äpfeln den Baum nicht mehr zu finden… Neben den Paradis-Delikatesssorten und den Redloves als Gartenbäume (auf schwachwachsenden Unterlagen), bieten wir neu unser Apfelsortiment und zusätzlich viele historische Sorten auch als starkwachsende und ewiglanglebende Hoch- und Halbstämme an, so dass Sie in Ihrem Garten auch einen Apfelbaum als Hausbaum, oder gar eine ganze Apfel-Alleebaumreihe pflanzen können. Immerhin habe ich auf einem Boskoop-Hochstammbaum zu klettern und zu denken begonnen. Da war es mir in meiner Kindheit ziemlich egal, dass der Kletterbaum in seiner Jugend (in meinem damaligen Alter) noch keine Äpfel getragen hatte. Alle unsere Apfelhochstämme sind ganz bewusst auf starkwachsenden Apfelunterlagen veredelt, in diesem Falle auf Apfelsämlingen der Sorte Bittenfelder. Nur so können wir sicherstellen, dass aus der Stammrute oder aus dem leichten Hochstamm mit junger Krone (so wie wir die Jungpflanzen anbieten) bei ihnen im Garten oder in der Landschaft ein grosser Baum mit einer Lebenserwartung von 50-150 Jahren heranwachsen kann.
Womit wir – schon wieder – in der Zukunft angelangt wären.