Ich habe am vergangenen Freitag neugierig und eben auch ein bisschen ‘gierig’ die Fruchtansätze an meinem Pawpaw-Baum (Sorte Prima) gezählt: 80 Fruchtansätze, entstanden aus vielleicht 160 Blüten. Obwohl die Blüten der Pawpaw aufgrund ihrer mangelnden Attraktivität (braun und – na ja – leicht stinkend) manchmal etwas Mühe mit der Befruchtung haben, hat die Selbstbefruchtung hier extrem gut geklappt. Zur Befruchtungsbiologie und zu den Befruchtungsproblemen der Pawpaw-Bäume habe ich schon einmal einen ausführlichen Artikel geschrieben, hier dazu nur so viel: Prima ist eine selbstfruchtbare Sorte, ihr Pollen kann die Blüten der gleichen Sorte befruchten (sozusagen Inzucht mit Erlaubnis…).
Inhaltsverzeichnis
Geduld bringt Rosen... und Pawpaw-Früchte
Dabei bin ich davon überzeugt, dass der diesjährige exorbitante Befruchtungserfolg meines Prima-Baums nicht nur mit der Sorte zu tun hat, sondern auch mit dem Lebensalter und der Fitness des Baums, er ist jetzt 7 oder 8 Jahr alt und voll im Zug. Pawpaws brauchen einfach Zeit, um genügend stark zu werden, dann blühen sie auch ausgiebig und setzen eine Unmenge von Früchten an. Ja, und es sind eher die unansehnlichen Fliegen und die hässlichen Käfer, die sich auf den Blüten der Pawpaws verlustieren, Bienen sieht man da ganz selten. Ich selber habe dieses Jahr darauf verzichtet, mit künstlicher Pinselbefruchtung nachzuhelfen, etwas was ich in den ersten Jahren des Baums regelmässig getan habe, um den armen Baum zum Fruchten zu zwingen. Irgendwie wollte er aber lange nicht begreifen, dass er meine Früchte produzieren muss…
Aber zurück zur versprochenen Ernte: 80 Fruchtansätze ergeben letztlich 240 Früchte; im Blütenboden der Pawpaw-Blüte stecken mehrere Fruchtknoten, die alle bei gelungener Befruchtung zu wachsen beginnen und ein fast bananenartiges Fruchtbündel bilden. 240 Früchte wiederum würden mindesten 1200 Samen ausbilden, die ihrerseits den Baum aufgrund ihres hohen Energiebedarfes bis zum Letzten und darüber hinaus fordern würden. 1200 Samen – eine ziemlich übertriebene Vermehrungsrate für einen Baum, der ja nur sein Überleben sichern will. Ist da jemandem eine Fehlkalkulation unterlaufen?
Bild: Fruchtansätze an meinem Pawpawbaum 'Prima', Ende Mai 2022
Impertinente Arbeitsverweigerung
Aber wetten, dass es nicht 240 Früchte und nie 1200 Samen geben wird. Das sieht jetzt so aus, aber das wird in Kürze korrigiert werden. Fast jede Baumobstart und auch viele Beerenarten kennen so etwas wie einen Junifruchtfall, der beim Apfel beispielsweise sehr deutlich ist: Plötzlich im Juni fällt ein Grossteil der Früchte auf den Boden, je nach Obstart 1-4 Monate vor ihrer Reife, meist noch so klein (daumennagelgross oder noch kleiner), dass diese impertinente Arbeitsverweigerung des Baums gar nicht auffällt. Von wegen "nicht auffallen": Jedes Jahr erreichen uns bei Lubera aber auch Dutzende von verängstigten, verzweifelten, manchmal auch erbosten Mails, was denn mit dem Baum los sei, dass er so plötzlich und so radikal die Früchte fallen lasse. Nicht selten ist natürlich auch der der Hobby- oder Profi-Gärtner der verdächtigte Mörder. Was habe ich falsch gemacht? Oder: Was haben Sie mir nur für einen untauglichen Baum verkauft?!
Was da los ist? Wohl aufgrund der entstehenden Samen nimmt der Baum wahr, wie viele Früchte da heranwachsen, die seine Reifungskapazität bei weitem übersteigen. Dazu werden im intelligenten und über Millionen von Jahren entstandenen Pflanzendenksystem auch andere Daten miteinbezogen: Der Verlauf der Frühlingssaison, der Ernährungszustand, die Blattanzahl und Blattgesundheit, Wasserverfügbarkeit etc. Und aufgrund all dieser Informationen entschliesst sich das System ‘Baum’ (oder wollen wir vielleicht doch beim Individuum und Lebewesen 'Baum' verbleiben?), auf einen grossen Teil der möglichen Ernte zu verzichten. Natürlich laufen diese Prozesse weitgehend biochemisch und hormonell ab – aber das tun sie ja bei Tieren wie dem Menschen ebenfalls… Intelligenz ist sehr häufig die vernünftige Erklärung intuitiver oder autonom-vegetativer Entscheidungen im Nachhinein.
Wir bleiben also dabei: Der Pawpaw-Baum ist ebenso wie der Apfelbaum im Junifruchtfall hochintelligent, wenn er auf einen Teil seiner Früchte verzichtet. Wie bei allen Intelligenzleistungen ist es natürlich auch möglich, dass es zu Fehlern und Fehlkalkulationen, Fehlüberlegungen kommen kann. Es fallen viel zu viele Früchte herunter, oder es bleiben viel zu viele Früchte, die den Baum überlasten und dann im nächsten Jahr dazu zwingen, kürzer zu treten…
Hier greift jetzt kurz meine Gärtnergier ein: "Aber ist es wirklich intelligent, so viele Blüten zu produzieren, so viele Insektenangebote zu machen und dann auch so viele Früchte mindestens ansatzweise zu entwickeln, nur um sie schliesslich sang-, klang- und chancenlos dem Bodenkompost zu übergeben? Das ist doch vollkommen ineffizient!"
Die intelligente Strategie der Übertreibung
Um dies zu überprüfen, müssen wir nur den umgekehrten Fall durchdenken und mit einer fast allgemeingültigen Lebenserfahrung rechnen: Im Leben, das würden wir alle (Bäume und Menschen!) unterschreiben, muss immer mit Verlusten gerechnet werden. Das Leben tendiert nun mal zum Tod. Blüten können erfrieren, Äste können abreissen, frische Triebe können von Mitessern verspeist werden. Wären jetzt die Blütenanzahl (weit über 100), die Fruchtansätze (80) sowie die entstehenden Einzelfrüchte (240) viel knapper bemessen, so würde immer die Gefahr eines Totalausfalls bestehen. Beispielsweise nur 10 Blüten und 8 Fruchtansätze, das heisst später 24 Einzelfrüchte mit 120 Samen würden zwar mit Leichtigkeit im Erfolgsfall für das Überleben des Baums sorgen, aber es wäre ganz einfach eine viel zu kleine Chancenmenge, als dass man den Totalverlust (fast) vollständig ausschliessen könnte.
Es ist eine intelligente Strategie, möglichst viele Chancen zu produzieren. Viel zu viele. So früh wie möglich. Ein fast schon lächerlich anmutender Chancenüberschuss, der nur auf den ersten Blick wie sinnlose Verschwendung aussieht. Die Chancen werden dann wie von selber weniger…
Wie im Leben.
Gärtnern Sie weiter.
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt
Fruchtfall