Esst ihr auch gerne ausländisch? Na ja, ich meine jetzt nicht italienisch, spanisch oder in Deutschland auch griechisch. Jedenfalls stelle ich bei mir selber fest, dass die Essenstermine ausser Haus immer fremdländischer werden: mexikanisch, chinesisch in verschiedenen Spielformen, japanisch, koreanisch, indisch, mongolisch. Ganz sicher fällt dir noch eine weitere spannende kulinarische Ergänzung ein. Und nordamerikanisch essen wir ja sowieso schon lange, wenn wir Gummibrötchen mit gehacktem Rindfleisch in uns reinstopfen.
Inhaltsverzeichnis
Die Vielfalt internationaler Küche
Müssten wir uns da nicht fremdschämen, dass wir das einheimische Schaffen so rüde vernachlässigen? Aber nein, auch die ganz normale Küche, ebenso die vegetarische oder gar vegane Hausmannskost ist von fremdländischen Gewächsen geprägt: Fast alle Fruchtgemüse kommen von weither, Tomaten, Chili, Tomatillo aus Südamerika. Gurken wie Auberginen stammen aus Indien. Die gute alte Kartoffel (Härdöpfel, Erdapfel, Erdbirne) wurde ebenfalls aus Südamerika eingeführt, wohl aus Chile, und ermöglichte Europa im 17. bis 19. Jahrhundert ein ungekanntes Bevölkerungswachstum, letztlich den Aufstieg zur dominierenden Weltmacht. Ich habe allerdings den schon mehrfach geäusserten dringenden Verdacht, dass die wachhaltenden, leistungsfördernden psychoaktiven Pflanzengetränke Kaffee (aus Äthiopien) und Tee (aus China) dabei ebenfalls eine entscheidende Rolle spielten.
Die Wurzeln unserer Nahrung: Eine botanische Reise
Kommen wir zurück zu den Grundnahrungsmitteln: Mais stammt ebenfalls aus Südamerika, die Sonnenblumen dagegen aus Nordamerika, Weizen aus dem Fruchtbaren Halbmond. Bei den Beeren das gleiche Bild, ein dominierender fremder Einfluss, nur wenig echtes einheimisches Schaffen: Die wichtigste Beere, die Erdbeere (die botanisch übrigens gar keine Beere ist) stammt zu ungefähr gleichen Teilen aus Nordamerika und Südamerika (Virginia und Chile), mit der einheimischen Walderdbeere hat die Kulturerdbeere so gut wie nichts zu tun. Heidelbeeren sind der zweite grosse Beitrag Nordamerikas zur Beerenwelt – blattabwerfend aus den nordöstlichen Staaten rund um New Jersey, wintergrün und low chill aus Florida. Die einheimische Waldheidelbeere liess sich leider nie domestizieren, in Kulturformen zwingen. Die Skandinavier haben es wieder und wieder versucht, mit sehr geringem Erfolg. Auch bei den Brombeeren stammen die dominierenden Züchtungseinflüsse für die Kulturbrombeere aus Nordamerika, meist von der Ostküste. Bei den Himbeeren aber können wir endlich guten Gewissens einen echt europäischen Ursprung vermelden – Rubus idaeus bezieht sich ja auf den sagenhaften griechischen Berg Ida auf Kreta… auf dem aber weit und breit keine Himbeeren zu finden sind. Bei einer genaueren Analyse der Abstammungen der Kulturhimbeeren sind allerdings zu mehr als 50% amerikanische Rubusarten an den Kultursorten beteiligt: Rubus strigosus, Rubus spectabilis, Rubus occidentalis und vieles mehr. Der Einfluss asiatischer Rubusarten dagegen hält sich eher in Grenzen. Es wird also ziemlich eng bei den Beeren, wenn man einen sauber-einheimischen Superfrucht-Mix kreieren und kredenzen möchte.
Aber bei den Früchten könnten wir jetzt doch endlich sicheren heimatlichen Boden gewinnen! Wer würde dem Apfel absprechen, einheimisch zu sein? Aber wieder NEIN! Neuere pflanzengenalogische Untersuchungen sprechen dafür, dass unser Kulturapfel (zusammen mit vielen anderen Früchten) aus den Fruchtwäldern Kasachstans stammt, auch wenn die Einwanderung oder die Einfuhr durch Menschen schon lange zurückliegt. Die Birnen und Süsskirschen stammen aus Westasien und ein bisschen von überall her, Aprikosen und Pfirsiche aus China, gleich wie das Gros der Zitrusfrüchte.
Einheimische vs. ausländische Pflanzen
Ich staunte ja immer, warum bis jetzt noch niemand auf die Idee gekommen ist, neben veganer oder vegetarischer Ernährung und unzähligen weiteren Diätvarianten eine EINHEIMISCHE Superdiät zu formulieren. Aber letztlich erklärt sich jetzt dieses erstaunliche Faktum ganz einfach: Die einheimische Diät müsste sehr stark auf Fleischeslust setzen, bei den Pflanzen wäre die Auswahl nicht sehr üppig.
Aber ist es nicht ein ausgemachter Blödsinn, einheimische und fremdländische Ernährung, fremde und heimische Pflanzen gegeneinander auszuspielen? Aber genau das macht ja das Schweizer Bundesamt für Umwelt und Heimatschutz bei den Kiwis. Und das machen leider auch viele Gärtnerinnen und Gärtner bei den Pflanzen. Einheimische Pflanzen gelten als wertvoll, ausländische Gewächse stehe grundsätzlich unter Generalverdacht. Das Gerede und die Aktionen gegen invasive Neophyten zeigen langsam Wirkung.
Kürzlich fragte ein Lehrer bei uns an, ob wir nicht seinen Schulgarten, eine Art Schulbiotop mit Pflanzen sponsoren könnten. Aber sie müssten halt schon einheimisch sein, sonst gehe das nicht. Als wir dann zurückfragten, ob er denn ausschliesslich einheimischer Kinder (mit schweizerischen oder mindestens europäischen Genen) beschule, kam die erstaune und indignierte Antwort: Er verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun habe. Wirklich?
Die Rolle von Pflanzenvielfalt für die Ernährungssicherheit
Stellt sich die Frage, warum denn so viele ausländische Pflanzen unseren menschlichen Speiseplan bestimmen. Die Antwort ist ganz einfach: Auswahl und Diversität. Der Pool möglicher Nahrungspflanzen ist auf der ganzen Welt nun mal leicht grösser als in der Schweiz, in Deutschland, in Österreich oder in Europa. Man kann den gleichen Effekt übrigens auch umgekehrt feststellen: Auf abgeschlossenen Inseln (Hawaii, Neuseeland, Australien) verarmt längerfristig das Leben, es geht seltsame Wege, letztlich zeigen sich die gleichen Effekte wie im einsamen und unerschlossenen Bergdorf vor dem Einzug der Mobilität. Alle diese Inseln haben durch die Öffnung, durch den freiwilligen und unfreiwilligen Import von fremden Pflanzen, Tieren und Insekten insgesamt stark (bis zu 100%) an Diversität gewonnen. Auch wenn es dabei, aufgrund der Inselverarmung und wegen der mangelnden historischen Konkurrenz zu Verwerfungen kommen kann. Wir werden die Ernährung der Menschheit längerfristig nicht sichern können, wenn wir nicht möglichst frei auf die gesamte Diversität an Nahrungspflanzen zugreifen können. Gerade darum ist das sich anbahnende Verbot von Kiwipflanzen in der Schweiz ein solches Sakrileg: Wir sollen auf die Kiwi verzichten, die als einzelne Pflanze ganz leicht den Vitamin C Bedarf einer ganzen Familie über den Winter decken kann – und die im Notfall auch eine wichtige Rolle in der autarken Ernährung der Schweiz (und Europas) spielen könnte (wenn wir wirklich mal wieder eine Insel wären).
Die knollige Platterbse: Hoffnungsträger der einheimischen Küche
Jetzt könnte natürlich der Eindruck entstehen, dass ich einheimische Pflanzen, notabene einheimische Nahrungspflanzen regelrecht hassen würde – oder sie gar absichtlich mit Missachtung strafe. Was so aussieht wie eine Vernachlässigung, ist lediglich ein statistischer Effekt: Es gibt einfach relativ wenige zukunftsträchtige einheimische Nahrungspflanzen. Darum war ich regelrecht begeistert, als unser Züchter Raphael Maier vor einigen Jahren die knollige Platterbse als neues Züchtungsprojekt vorstellte. Nein, nicht die Erbsen sind bei dieser Pflanze interessant, sondern die Knollen, die sich an den Verzweigungen des flachen Wurzelsystems bilden. Diese Knollen haben einen Proteingehalt bis zu 20% – und überdies ist die Pflanze fast schon ein perpetuum mobile: In Symbiose mit den Knöllchenbakterien kann sie nämlich Stickstoff aus der Luft binden und damit das eigene Wachstum befeuern. Wir sind mit Elan und Begeisterung daran, mit dieser Pflanze weiterzuzüchten, die Knollen werden von 20 bis 30 Gramm auf 100 bis 150 Gramm anwachsen, die Inhaltsstoffe werden optimiert. Insgesamt sollen die Knollen näher bei der Pflanze wachsen und damit die Ernte erleichtern. Denn wenn wir in einigen Jahren die Knollige Platterbse, deren Knollen und Wurzelsysteme den mitteleuropäischen Winter problemlos überstehen, in die Gärten und in die Landwirtschaft einführen, möchten wir ja nicht erleben, dass sie als invasiv erklärt und verboten wird. Bei den Topinambur ist das ja bereits mit der gleichen Begründung geschehen. Aber die sind ja auch – pfui! – echt ziemlich fremdländisch.
Die knollige Platterbse wäre dann im schlimmsten Fall die erste invasive einheimische Pflanze.
Warum nur ist noch niemand auf die Idee gekommen, einheimische Pflanzen als invasiv zu brandmarken?
Es lebe die Diversität