Wenn man bei Sturm und zwischen Hagelschauen im Garten steht, die gemeingefährlichen Zweige der Japanischen Weinbeere aufbindet, sich die Hände blutig reißt dabei und gleich danach zwei riesige, alte Johannisbeer-Büsche ausgräbt und mit schmerzendem Rücken in mühsam an anderer Stelle ausgebuddelte Löcher setzt, in denen das Regenwasser steht, alles mit schmierigen Pferdeäpfeln abdeckt und dann, erst dann, pitschenass ins Haus geht um den Morgenkaffee zu trinken, ja, dann ist man eine Gärtnerin im besten Alter. Im goldenen Alter, da, wo alles irgendwie einfacher werden sollte, weil die Kinder aus dem Haus sind und man angeblich mehr Zeit für sein liebstes Hobby hat.
Pustekuchen! Wenn obiges Szenario stattfindet, so wie heute bei mir, dann gehört man zur Sandwich-Generation und da ist nichts Goldenes dran, glaubt mir. Die Kinder, obwohl ausgezogen, brauchen einen noch immer, irgendwie ist immer Not am Mann und man muss los um Umzüge zu wuppen, bei Liebeskummer zu trösten oder um einfach mal nach dem Rechten zu schauen, weil Muttern sonst nicht ruhig schlafen kann. Gleichzeitig hat man Eltern, die jenseits der 80 sind, die auch Hilfe brauchen und diese auch vehement einfordern, zum Beispiel, wenn sie immer noch einen Garten haben, diesen nicht aufgeben wollen und einen ständig herbei telefonieren, weil noch etwas gemacht werden muss. "Und liebes Kind - vergiss nicht, einen von deinen leckeren, selbstgebackenen Kuchen mitzunehmen!" Macht man doch gerne, keine Frage. Aber dazu kommt dann noch der ganz normale Job, um Brötchen zu verdienen, das ewige Regenwetter und die eigenen Zipperlein und voilà, nun wisst ihr, warum ich nur noch bei Sturm und zwischen Hagel- und Regenschauern dazu komme, MEINEN Garten zu pflegen.
Alle anderen brauchen einen irgendwie immer, wenn das Wetter gut ist und die Sonne scheint, komisch, aber wahr. Nun ja, es bleiben dann halt die verregneten Sonntage, wo man vielleicht mal einen halben Tag was draußen machen kann. Wobei wir wieder bei der Japanischen Weinbeere sind.
Wenn ihr gerne mit einem gefährlich stacheligen Monster im Garten kämpfen wollt, bitte, schafft euch eine an! Und wenn ihr so wie ich seid, und immer eure Gartenhandschuhe verlegt und im Herbst nie alles schafft, was runterschneiden und aufräumen im Garten betrifft, dann herzlichen Glückwunsch, denn dann kann man abends seine Wunden lecken und die roten Streifen an den Armen zählen. Ich habe noch nie diese vermaledeiten Weinbeeren-Zweige, die in den Himmel wachsen wollen, ohne Blutverlust schneiden und entsorgen können, geschweige denn die neuen Zweige an der Wand festbinden können. Man braucht eine Schutzausrüstung dafür! Augenschutz wäre auch sinnvoll. Eigentlich, wenn man nicht alles verlegen würde, nun ja...
Und den Kampf mit diesem Ungetüm aufzunehmen, wenn es Orkanböen gibt, nun, das ist denkbar schlecht, dann fühlt man sich im Würgegriff einer Stachel-Krake gefangen! Tja, ich sage nur Sandwich-Generation. Heute gab es nicht nur zerstochene Fingerkuppen, sondern auch Striemen im Gesicht. Dafür können wir morgen denn im Garten meiner Eltern die letzten Apfelbäume schneiden und übermorgen selbiges im Garten der Schwiegereltern tun, nur um dann über-übermorgen zur Tochter zu fahren, die Examen hat und ihren Vortrag vor uns üben will. Bei Sohnemann schauen wir dann am nächsten Wochenende rein, mal schauen, ob er denn wirklich ohne uns klar kommt in seiner WG in der gefährlichen Großstadt. ;-)
Lohnt sich das alles, also das mit dem eigenen Garten, frage ich mich manchmal, wäre nicht ein schöner grüner Rasen besser als überall Beete mit Johannisbeeren, Stachelbeeren, Äpfeln, Stauden und gemeingefährlichen Weinbeeren?

Wenn man meinen Mann fragen würde, würde er aus vollem Herzen und mit Stoßseufzer "Ja!" sagen. Er hatte es nämlich bis vor ein paar Jahren so gut. Ein Haus für sich allein und ein Garten, der ausschließlich aus Rasen bestand. Die Kiesauffahrt wurde bequemerweise mit Unkrautvernichter behandelt und die Abende konnten gemütlich auf dem Sofa verbracht werden. Und dann kam ich, die Gärtnerin, und der Rasen wurde Stück für Stück immer weniger, schleichend sozusagen. Hier noch ein Beet, da noch ein Beet, noch mehr Beeren, noch mehr Obst, Rehzäune bauen, Seegras sammeln (für den Kompost, erst einer, dann zwei, dann drei), händisches Unkrautjäten auf der Auffahrt (ja, auf die altmodische Art und Weise jetzt), und nun hat mein Mann auch ein Hobby, mehrere sozusagen.
Böse Zungen behaupten, ich hätte ihn nur wegen seines Gartens geheiratet, aber das stimmt natürlich nicht. Als ich ihn kennen lernte, wusste ich nichts von dem unberührten Stück Glückseligkeit, das nur auf den grünen Daumen einer Frau wartete, ich schwöre es! Also, ich finde, beide haben von der liebevollen Hand der Gärtnerin profitiert, der ehemals eingefleischte Junggeselle ebenso wie der ehemalige Rasen-Garten. ;-)

Irgendwann werden wir die Früchte der Garten-Plackerei ernten, sage ich meinem Mann immer. Als Rentner sitzen wir dann nur noch gemütlich auf der Gartenbank, lauschen dem Summen der Bienen und lassen uns die Feigen und Pflaumen in den Mund wachsen.
Im Ernst? Heute im Garten, als die Monster-Weinbeere mich zu übermannen versuchte, da dachte ich doch allen Ernstes, ein Lebensabend im Altersheim wäre durchaus erstrebenswert. Da gibt es einen Gärtner, der den Garten ganz alleine pflegt, man muss nur zuschauen, und der Kaffee wird einem auch noch auf der Terrasse serviert.
Aber, wenn ich es recht bedenke, wenn wir erstmal in Rente gehen, geschätzt mit 70, wird ein komfortables Altersheim im Grünen mit Rundumservice für uns nicht mehr erschwinglich sein. Da ist es dann doch wesentlich besser, wenn man weiß, wie man sich selber helfen kann, nämlich sein eigenen Essen anbauen kann, Kohl, Kartoffeln, Tomaten und Paprika wachsen lassen kann, Beeren ernten kann und Äpfel entsaften kann. Ja, Liebe geht durch den Magen und so hat mein Mann (der aus Liebe Unkraut jäten gelernt hat) doch etwas gelernt von mir, was sich im Alter als besonders wertvoll herausstellen kann. Die Japanische Weinbeere werden wir bis dahin aber rausgerissen haben, da bin ich mir sicher, und dafür lieber dornenlose Lubera-Himbeeren gepflanzt haben. ;-)
PS: "Fast forward", spulen wir die Zeit vor auf den Sommer, wenn ich bei Sonnenschein und Wärme die super-leckeren Japanischen Weinbeeren ernte. Sie schmecken himmlisch und sehen auch so aus, wie klitzekleine Perlen aus rotem Glas. Vergessen sind Sturm, Hagelschauer und blutige Hände. Die kleinen Perlen sind es nämlich wert! Und sie werden - als Zeichen der Liebe und Dankbarkeit - auch geteilt mit dem Rest der Familie, jung und alt.