Das Thema Diversität und Züchtung scheint auf den ersten Blick ja kinderleicht. Züchtung bringt neue Sorten, also ist Sie per se ein Beitrag zur Diversität, die sowieso alle lieben. Alles palletti, alle glücklich. Ende gut, alles gut. Bei genauerem Hinsehen stellt sich die Sachlage aber ganz anders dar: Züchtung bedeutet Auswahl und Reduktion, sie ist also genaugenommen so ziemlich das Gegenteil von Diversität. Dies wird verstärkt durch die Mechanismen der agroindustriellen Produktion und des Markts (mehr vom Gleichen ist besser). Und schliesslich passen auch die neuen Züchtungstechnologien ins Bild, die nochmals Varianten des Gleichen produzieren. Und schaut man sich um, so muss man feststellen, dass der Mensch Diversität ziemlich genau in dem Masse verabscheut, wie er das Konzept lobt. Irgendwie schon eigenartig und spannend. Lesen Sie hier einige Überlegungen dazu, wie mehr Diversität in der Züchtung möglich ist. Im Lubera® Shop können Sie über 5000 verschiedene Pflanzen kaufen.
Inhaltsverzeichnis
- Unser Thema: Diversität und Züchtung
- Warum Diversität bei Pflanzen und Kulturpflanzen?
- Menschliches Verhalten in Bezug auf Pflanzen ist – antidivers
- Züchtung ist – antidivers
- Wie ist mehr Diversität in der Züchtung möglich?
- 1. Multicrop-Züchtungsprogramme anstatt Spezialisierung
- 2. Kombinationszüchtung mit der freien Rekombination der Gene vs. Mutationszüchtung und andere Variantenzüchtungsmethoden
- 3. Wider die Versuchung der Hybridzüchtung
- 4. Alte Sorten als Quelle für Diversität? Eher nicht!
- 5. Arthybriden
- 6. Zurück zum Ursprung!
- 7. Der Totwinkelassistent für Züchter
- 8. Wider die Logik der landwirtschaftlichen Märkte – Der bottom-up-Ansatz
- 9. Was Marker Assisted Breeding mit Ostereiersuche zu tun hat?
- 10. Phänotyp vor Genotyp
Diversität ist in aller Munde. Nachdem Begriff und Konzept der Diversität in der Biologie seit Darwin eine wichtige Rolle spielen, wird die Diversitätsforderung aktuell in viele andere Wissens- und Lebensbereiche übertragen, wo Diversität nicht selten zu einem neuen Popanz erhoben wird, der allein definiert, was politisch korrekt ist. Wer Diversität nicht bis in die allerletzten Ritzen seines Lebens lebt und vor allem nicht bis zur Grammatik vorwärtstreibt, der scheint die neuen Gesetze schon zu verletzen. Dass diese Ausgrenzung (des nicht politisch Korrekten) das Gebot der Diversität selber beeinträchtigen, ja sogar dementieren könnte, kommt den Wenigsten in den Sinn. Aber genau dieser Widerspruch, dass Diversität mindestens für Menschen nur schwer zu Ende zu denken ist und dabei gerne auch mal ins Gegenteil umschlägt, ist wahrscheinlich charakteristisch für Diversität – und prägt auch die folgenden Überlegungen.
Unser Thema: Diversität und Züchtung
Natürlich wollen wir uns hier aber nicht im Allgemeinen verlieren, sondern konkret zu unserem Thema berichten: Diversität und Züchtung. Inwiefern ist es möglich, in der Züchtung möglichst viel Diversität zuzulassen? Wenn Diversität ein Grundprinzip des Lebens ist, das das Leben erst nachhaltig möglich macht und wenn Züchtung von Kulturpflanzen wiederum eine Aufgabe ist, die überlebenswichtig ist für eine Zukunft mit 10 Mia. Menschen, dann müssen wir Züchtung und Diversität wohl zusammenbringen. Erfolgreiche Züchtung braucht möglichst viel Diversität, und soll auch möglichst viel Kulturpflanzen-Diversität ermöglichen.
Warum Diversität bei Pflanzen und Kulturpflanzen?
Warum genau soll Diversität in der Natur, im Speziellen bei Pflanzen und Kulturpflanzen, aber eigentlich auch bei Menschen und Tieren gut und produktiv sein? Die Antwort ist ganz einfach: Weil Diversität die Chancen fürs Überleben maximiert. Je mehr Lose du hast, desto grösser ist deine Chance, den grossen Preis zu gewinnen. Je mehr Formen des Lebens sich in Pflanzen und Tieren ausbilden, desto grösser ist die Chance, dass sich darunter anpassungsfähige und überlebensfähige Einheiten befinden, die erfolgreich sein werden und überleben, die sich den je herrschenden Umständen anpassen können.
Diversität ist sicher die vorherrschende Strategie. Ich möchte hier aber auch darauf hinweisen, dass es auch Konzepte der Gleichheit gibt, die gar nicht so schlecht zu funktionieren scheinen: Militärische Organisationen haben auf jeden Fall nicht wahnsinnig viel mit der Diversität am Hut; Expats treffen sich mit Ihresgleichen, um ihre Identität zu stärken; Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit sind mindestens auf kurzer Zeitachse ziemlich erfolgreiche, wenn auch weniger sympathische Konzepte. Und wie viele von uns haben sich schon Klone gewünscht – am liebsten natürlich von sich selber… Auch bei den Pflanzen gibt es offensichtlich Synergie-Mechanismen und Informationsaustausch zwischen gleichen oder gleichartigen Pflanzen, die das Leben im Verbund, als Gleiche unter Gleichen fördern… Vielleicht zeigt sich auch hier – in diesen nur kurz angetönten Gegenkonzepten – die Dialektik, die irgendwie der Diversität innezuwohnen scheint. Diversität ist eindeutig positiv, sie hilft dem Leben zu überleben, aber darunter gibt es viele gegenlaufende Konzepte, die mindestens partiell auch funktionieren – oder sogar diametral der Diversität entgegenarbeiten.
Menschliches Verhalten in Bezug auf Pflanzen ist – antidivers
Sie möchten ein Beispiel hören? Ganz einfach: Unser menschliches oder allgemeiner tierisches Verhalten gegenüber Pflanzen ist grundsätzlich antidivers. Der sprichwörtliche Bär, der zu Urzeiten durch die Fruchtwälder in Kasachstan streifte, und immer nur die grössten und süssesten Äpfel ass und so den heutigen Kulturapfel vorformte – dieser Bär hatte einen Plan, er wollte sich des Apfels zu seinem Vorteil bedienen, und so wählte er eben die grössten und süssesten. Tiere und Menschen wählen aus, sie selektionieren nach bestimmten Vorlieben, die nicht unbedingt im Interesse der Pflanze sein müssen. Sie wählen aus, sie säen aus, sie transportieren, sie verklonen irgendwann auch, sie reduzieren mit ihrem bewussten und unbewussten Tun die Diversität in ganz grossem Ausmass. Dieses tierische Verhalten ist dabei nur die Vorstufe des aktuellen Anthropozäns, in dem der Mensch ganz von seinen natürlichen Sinnen verlassen zu sein scheint, und plündert und zerstört, was die Natur gerade noch hergibt.
Wie immer beim Menschen, der ja ein ziemlich schlaues Tier ist, funktioniert das alles häufig etwas komplizierter und vielleicht auch besser getarnt – nämlich als Selbstbetrug. Gepredigt wird Wasser – getrunken wird der Wein. Nur wenig Konzepte sind in der Politik und Verwaltung aktuell beliebter als der Lobgesang der Diversität. Da werden alte Sorten gesammelt, was das Zeug hält und bis es die Felder sprengt – aber gleichzeitig begrenzen amtlich bewachte Sortenlisten den Zugang zum Anbau. Und wenn sich – im Wesentlichen menschengetrieben – unsere Rahmenbedingungen, Klima und Umwelt verändern, wenn altbekannte Pflanzen gehen und neue einwandern, dann wird flugs zur Jagd auf invasive Neophyten geblasen, als gäbe es nichts Wichtigeres, als jede Hilfe für eine ernstgemeinte Diversitätsstrategie gleich im Keim zu ersticken. Nicht selten wird im gleichen Abschnitt, ja im gleichen Satz die Absurdität auf die Spitze getrieben und man kann dann lesen, dass Neophyten fast naturgegeben die Diversität zerstören würden, was ganz einfach eine volkstümliche Lüge ist. Nicht nur ist grundsätzlich alles Neue, das dazukommt, eine Diversitätsbereicherung, auch unzählige Inselstudien zeigen, dass einwandernde Tiere und Pflanzen die Biodiversität nicht etwa bedrohen, sondern bereichern. Aber vielleicht muss man es zum Abschluss dieses Abschnitts nochmals deutsch und deutlich klarstellen, nur dass da keine Missverständnisse aufkommen: Pflanzenverbote, auf die die Neophytenpolitik in der einen oder anderen Form immer hinausläuft, schaden der Diversität und nützen ihr auf keine Art und Weise. Wer Pflanzen verbietet, verbietet Diversität. Punkt.
Video: Pflanzenverbote sind der falsche Weg, Herr Bundespräsident
Züchtung ist – antidivers
Und jetzt kommen wir unserem eigentlichen Thema schon ziemlich nahe: Natürlich ist auch Züchtung antidivers. Sie ist Auswahl und Vermehrung. Sie vergrössert vielleicht zuerst die Vielfalt (bei der Kreuzung, bei Populationen, bei der Sammlung des Vorhandenen), aber nachher geht es rapide bergab mit der Diversität. Der Züchter, der seine Sämlinge nicht reduziert, wird im Dschungel seiner Pflanzen ersticken, er wird sich in seinen unendlichen Züchtungsfeldern verirren. Ich erinnere mich an einen Besuch bei einem Apfelzüchter in Tschechien, als wir durch 30-jährige Züchtungsanlagen stolperten, voll von Maulwurfshügeln und Fuchslöchern; ich fragte mich permanent, warum der Züchter dieses Material nicht endlich mal entsorgt und reduziert hat. Züchtung erhöht die Diversität – um sie dann möglichst schnell und effizient wieder abbauen… Dies zeigt ein weiteres Mal den dialektischen Charakter der Diversität auf, den wir im bisherigen Gedankengang schon an den verschiedensten Stellen kennengelernt haben.
Bild: Welche gesunde Pflanze würden Sie auswählen?
Wie ist mehr Diversität in der Züchtung möglich?
Nochmals: Wenn Diversität ein zentrales Überlebenselement des Lebens ist und wenn Züchtung an Kulturpflanzen eben das gleiche will, nämlich das Überleben der Pflanzen und des Menschen zu fördern, dann ist es wohl folgerichtig, für möglichst viel Diversität in der Züchtung zu sorgen. Im Folgenden zeige ich aufgrund unserer Erfahrungen bei Lubera 10 Strategien auf, wie man die Diversität in der Züchtung steigern kann – dies immer im Wissen, dass am Ende Züchtung auch eine stark antidiverse Note hat. Wenn die Züchtung die Diversitätsseite vernachlässigt, verliert sie nicht nur ihren Reiz als eine Kunst, sie verliert auch ihre Kreativität und am Ende die Chance, wirklich Neues zu schaffen.
1. Multicrop-Züchtungsprogramme anstatt Spezialisierung
Ich bin davon überzeugt, dass Multicrop Züchtungsprogramme einer stärkeren Spezialisierung überlegen sind. Was man an Tiefe verliert, gewinnt man an Breite und Anregung. Bei unseren 20-30 grossen und kleineren Züchtungsprojekten fällt mir immer wieder auf, dass sich die Projekte befruchten, dass sich langsam aber sicher eine Herangehensweise herausbildet, die ganz gut auch bei sehr verschiedenen Pflanzenarten funktioniert. Mir ist das zum ersten Mal sozusagen extern aufgefallen, als ich die Staudenzüchtungsfirma Terra Nova südlich von Portland besuchte: Die ganze Zierpflanzenwelt rätselte und rätselt darüber, wie es die Kollegen schaffen, jedes Jahr 15-30 neue Staudensorten auf den Markt zu bringen. Ganz einfach: Dies gelingt dank einer ausgeprägten Multicrop-Strategie. Jeder Züchter im Züchtungsteam bearbeitet mehrere verschiedene Arten, die Erfahrungen und Herangehensweisen werden ausgetauscht und wenn möglich dupliziert. Ein weiterer Hinweis, dass an meiner Aussage – Multicrop ist besser als Spezialisierung – etwas dran sein könnte, ist eine Erfahrung, die sehr viele Züchter teilen oder mindestens über andere Züchter gerne kolportieren: Ab einer bestimmten Grösse kippt das Aufwands-/Ertragsverhältnis bei der Züchtung (mehr Sämlinge, gleich mehr Resultate gleich mehr Sorten) und entwickelt sich zu einem umgekehrt proportionalen Züchtungsalptraum: Je mehr gezüchtet wird, je grösser ein Züchtungsprogramm wird, desto mehr nähert es sich dem Punkt, wo der mögliche Ertrag laufend abnimmt. Je mehr Diversität ich produziere, je mehr Sämlinge ich auf meinen Feldern stehen habe, desto schwieriger wird es, sie wieder herunter zu selektionieren. Aber es ist nicht nur das Gesetz der grossen Zahl, die nicht mehr (oder eben nur statistisch, oder nur mit Markern) zu meistern ist, es ist meiner Meinung nach wirklich auch die schiere Ideenlosigkeit, die sich in sehr grossen und quantitätsfixierten Züchtungsprogrammen breitmachen kann. Der Züchter wird zum Abbild seiner Monokultur ;-). Na ja, gerne gebe ich zu, dass ich hier ein bisschen übertreibe… aber halt auch nur ein bisschen. Die spannendsten Züchter, die ich kennengelernt habe, haben immer mehrere Arten bearbeitet! Und noch zwei oder drei als Hobby dazu.
Bild: Züchtungsportfolio Lubera
2. Kombinationszüchtung mit der freien Rekombination der Gene vs. Mutationszüchtung und andere Variantenzüchtungsmethoden
Die Apologeten neuerer Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas argumentieren häufig, dass ja schon bisher Mutationszüchtung gemacht wurde, auch mit künstlichen Methoden (Colchicin, Bestrahlung), und dass es damit für sie schwer zu verstehen sei, warum man jetzt diese neuen 'gentechnischen' Methoden nicht zulassen wolle. Wir wollen diese Diskussion hier an dieser Stelle nicht führen, aber ich möchte die Argumentation doch gerne umdrehen: Alle, oder mindestens die meisten der neuen Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas sind Mutationszüchtungsmethoden, sie produzieren nur Varianten des Gleichen. Ja natürlich, werden die Kollegen jetzt entgegnen, das mag so sein, aber wenn wir die wertvolle Sorte x noch wertvoller machen können, indem wir die Resistenzeigenschaft y hinzufügen, dann ist das doch nur zu begrüssen, oder? – Ja, aber wie war das noch gleich mit der Diversität? Alle diese Methoden führen definitiv nicht zu mehr Diversität, sondern zu weniger (oder sagen wir mal zu einer Mikro-Diversität der gesammelten Mutationen). Erfolgreiche Sorten werden noch erfolgreicher, werden noch mehr angebaut, die Monokulturen werden grösser – das geht genauso lange gut, bis die anmontierte Resistenz durchbrochen wird…
Nur die klassische Kombinationszüchtung, die den Pflanzensex als Grundlage nimmt, lässt die Gene frei kombinieren und produziert wirklich neue Pflanzen, Diversität. Ich habe wirklich Angst, dass diese Grundwahrheit vor lauter Methodengeilheit in der Agronomie vergessen geht.
Bild: Klassische Kreuzung; die weiblichen Organe der Blüten werden mit männlichen Pollen bestäubt
3. Wider die Versuchung der Hybridzüchtung
Natürlich bin ich nicht ganz so mutig, wie es der Titel dieses Abschnitts verspricht. Natürlich muss auch ich anerkennen, dass die Hybridzüchtung wesentlich zu den Fortschritten der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion im 20. Jahrhundert beigetragen hat (die erste grüne Revolution). Das Grundkonzept der Hybridzüchtung: Inzuchtlinien fixieren Eigenschaften. Durch die Kreuzung von Inzuchtlinien ab der 8.-10. Generation können diese Eigenschaften ideal kombiniert werden und der Heterosiseffekt (sozusagen das Fremdeln der entfernten Inzuchtlinien) führt zu einer Explosion vieler vor allem quantitativer Eigenschaften (Fruchtgrösse, Fruchtbarkeit, Ertrag etc.). Dagegen kann man eigentlich nicht sehr viel sagen, die Resultate sprechen für sich.
Nur: Natürlich arbeitet die Hybridzüchtungsmethode dem Ziel der Diversität diametral entgegen. Alles ist darauf ausgerichtet, Diversität auszuscheiden, Eigenschaften zu vereinheitlichen, die genetische Bandbreite zu reduzieren, um sie dann in einem letztens Schritt, bei der Produktion der sogenannten F1 Generation kontrolliert und geplant teilweise wieder etwas zu verbreitern (aber bitte nicht zu weit…).
Sie haben es sicher gemerkt, ich darf es natürlich als ausgebildeter Ingenieur nicht wagen, gegen die Hybridzüchtung zu wettern, aber ich möchte doch zumindest vorsichtig anzumerken, dass die Umkehrung der Hybridzüchtung bei vielen Arten eben auch eine kreative Züchtung ermöglichen kann. Wir versuchen z.B. bei den Tomaten die Hybridzüchtung zu sprengen, indem wir Hybridsorten aufspalten, danach kreuzen wir wertvolle Individuen, machen Einzelpflanzenselektion und die interessanten Sortenkandidaten werden vegetativ vermehrt. Dadurch brauche ich meine begrenzten Ressourcen nicht für die Aufrechterhaltung der aufwändigen Inzuchtlinien, sondern kann in jeder Züchtungsgeneration immer wieder neue Diversität einkreuzen und über die vegetative Vermehrung stabilisieren (wenn gewünscht). Man sieht, auch erfolgreiche und auf den ersten Blick unschlagbare Züchtungskonzepte können leicht umgedreht werden, nicht selten zum Wohl der Diversität.
Bild: Tomatenzüchtungsanlage bei Lubera in Buchs (CH)
4. Alte Sorten als Quelle für Diversität? Eher nicht!
Die letzten 30 Jahren waren bei vielen Kulturpflanzen und in vielen Regionen der Welt das Zeitalter der alten Sorten. Alt ist gut, und immer förderwürdig. Wahrscheinlich weil man es letztlich schon kennt und nicht mit unliebsamen Überraschungen rechnen muss ;-). In der Schweiz wurden zum Beispiel Stachelbeeren gesammelt, die mit zwei oder drei Ausnahmen alle wegen der starken Mehltauanfälligkeit nicht mehr anzubauen sind… Das Beispiel zeigt auch gut eines der Hauptprobleme der Alten Sorten auf: Sie sind in der Regel alt und vergessen, weil sie schlichtweg von besseren Sorten abgelöst wurden.
Interessanterweise gibt es auch kaum erfolgreiche Züchtungsprojekte, die wirklich auf alten Sorten beruhen, die es sich explizit zur Aufgabe gemacht haben, dem 'Alten' wieder zu seinem angestammten Recht zu verhelfen. Meist sind solche Versuche, alte Sorten gezielt einzukreuzen und damit das Neue zu befruchten, ziemliche Rohrkrepierer: Ich habe das einige Male bei Apfelzüchtungskollegen beobachtet, bei denen nach einigen Jahren die gesamten 'alten' Kreuzungen und Kreuzungsresultate in der Versenkung verschwunden sind. Irgendwie ist das ja auch logisch: Die modernen aktuellen Sorten tragen ja das Erbgut der alten Sorten (die ja meist nur 50-200 Jahre älter sind) auf dem Buckel, da kann in den meisten Fällen nichts wirklich Neues entstehen...
Als einzige Ausnahme kommt mir der Rosenzüchter David Austin in den Sinn, der ja explizit den Charme und den Duft der alten Sorten mit der Dauerblühfähigkeit und dem Farbenspektrum der modernen Sorten verbinden wollte. Ich war einige Male auf den Züchtungsfelder von David Austin – und ich vermute wohl zu Recht, das vielleicht in den Anfangsjahren wirklich das Alte mit dem Neuen verbunden wurde, dass aber in den letzten 50 Jahren moderne und immer modernere Sorten gezüchtet wurden, in die ganz gezielt auch neue Resistenzeigenschaften eingezüchtet wurden. Denn gerade bei der Resistenz versagen alte Sorten sehr häufig, entweder weil sich der Krankheitsdruck in der Monokultur verstärkt, oder weil sich unsere Anforderungen ans Produkt (ohne Flecken, für Frischgenuss statt Verarbeitung) geändert haben.
Dennoch: Die Zeit und die historische Menge der Pflanzenindividuen produzieren Mutationen, die dann in alten Sorten sozusagen ‘überwintern’. So uninteressant es ist, von der Einzüchtung alter Sorten einen Boost für die moderne Züchtung zu erwarten, so kann es immer mal wieder spannend sein, einzelne in alten Sorten konservierte Eigenschaften aufzugreifen und in die moderne Züchtung einzubauen. Beim Apfel haben wir vor über 10 Jahren begonnen, alte amerikanische Sorten des 19. und 18. Jahrhunderts einzuzüchten, die samenlosen Äpfel ausbilden. Der zugrundeliegende Mechanismus besteht dabei aus 2 Teilen: Die samenlosen Apfelsorten produzieren keine Blütenblätter, dafür haben sie verstärkte Kelchblätter. Die fehlenden Blütenblätter führen dazu, dass die damit eher unattraktiven Blüten von keinen oder fast keinen Insekten angeflogen werden. Das wäre der erste Mechanismus. Zusätzlich sind diese Sorten ganz oder auch nur teilweise in der Lage, parthenokarp, also ohne Befruchtung Früchte anzusetzen und zu entwickeln. Vermutlich hängt dies wiederum mit der Stärkung der Kelchblätter und des Blütenbodens zusammen.
Bild: Kernloser Apfel 'Faibella' – der samenlose Apfel ohne Kerne und ohne Kerngehäuse, eine botanische Kuriosität – oder die Zukunft des Apfels?
Diese etwas abstruse Diversität würde natürlich in der Natur nicht sehr lange überleben (jedenfalls nicht als dominante Eigenschaft), da die Vermehrungsfähigkeit ziemlich eingeschränkt wäre… Schon wieder so eine Ironie, die uns beim Thema Diversität auf Schritt und Tritt zu begleiten scheint…
Bild: Blütenknospen der samenlosen Sorten, mit verstärkten Kelchblättern aber ohne Blütenblätter
5. Arthybriden
Arthybriden sind – züchterisch und auch in der Natur – ein recht erfolgreicher Weg, mehr Diversität ins Spiel zu bringen, das Spielfeld der Möglichkeiten sozusagen zu vergrössern. Für mich das schönste Beispiel sind die verschiedenen Zitrusarten und -Typen. Aus nur 4 oder 5 Urarten scheint sich die ganze Formenvielfalt ausgefaltet zu haben, die die Zitruswelt kennzeichnet: Denken wir etwa an die Fingerlimetten, dann an die nur 1cm grossen Minikumquats, auf der anderen Seite die riesigen Grapefruits oder Grapefruithybriden. Diversität pur. Eine Bedingung der Möglichkeit dieser Vielfalt ist sicher, dass eine Gattung immer reich mit promiskuitiven Fähigkeiten ausgestattet ist, so dass wenig Barrieren für die Hybridisierung bestehen. Dies ist bei Zitrus in besonderem Masse der Fall, sogar verwandte Gattungen wie Microcitrus oder Fortunella und Poncirus können mit Zitrus gekreuzt werden oder hybridisieren auch selber bei einem natürlichen Aufeinandertreffen.
Dennoch: Wenn man mit Arthybriden versucht, etwas Neues, sozusagen in der freien Mitte zu schaffen, scheitert das meist. Die Jostabeere ist nicht wirklich ein Grosserfolg (obwohl wir da auch züchterisch tätig sind) und auch Taybeeren sowie andere Rubushybriden kranken immer ein bisschen daran, dass sie weder Fisch noch Vogel sind. Bei den Rubus, Brombeeren und Himbeeren, kommt noch dazu, dass sich die Hybriden mit dem Grundproblem aller Rubusarten besonders schwertun: Gehört jetzt dieser komische Zapfen in der Mitte, der die Sammelfrucht stabilisiert, wirklich zur Frucht oder gehört er zur Pflanze?
Erfolgsversprechender als die Produktion einer Neufrucht, sozusagen einer neuen Hybridart, scheint mir das Ziel, einzelne spezielle Eigenschaften aus der einen Art in die andere Art zu bringen. So versuchen wir z.B. die in den letzten 50 Jahren extrem weit entwickelte Herbstträgerfähigkeit der Herbsthimbeeren ein weiteres Mal in die Brombeere einzubringen (dies geschah zufällig-natürlich schon einmal zu Beginn des 20. Jahrhunderts).
Auch zwischen Stachelbeeren und Schwarzen Johannisbeeren wären Transfers denkbar, die beide Seiten bereichern könnten: Die Mehltauresistenz ist bei den Cassis heute viel besser etabliert und breiter abgesichert als bei den Stachelbeeren. Und gerade die grössten Stachelbeeren könnten immer noch zur Grössenentwicklung der Cassisfrüchte beitragen.
6. Zurück zum Ursprung!
Seit Wawilow (Nikolaj Ivanovič Vavilov, 1887-1943) gehört es zur Grundaufgabe eines Züchters, möglichst grundsätzlich oder auch nur zwischendurch zurück zu den Ursprüngen, zur wilden Diversität oder auch nur zur halb domestizierten Diversität zu gehen. Vavilov hatte schon früh im 20. Jahrhundert das Konzept der genetischen Zentren erdacht und erkannte, dass die Ursprünge einer Art meistens dort zu finden sind, wo die grösste Diversität zu verzeichnen ist. Dabei ist die züchterische Realität durchaus zwiespältig: Man möchte und sollte zur ursprünglichen Diversität zurückgehen, aber man hat eigentlich keine Zeit dafür. Als Resultat ist das Pre-Breeding, wie man es auch gerne und symptomatisch nennt, in vielen grossen Züchtungsprogrammen ausgelagert in eine spezielle Organisation und Stelle. Ich halte das tendenziell für einen Fehler: Wenn man das Heranführen der ursprünglichen Diversität nur als Integration einiger spezieller Features versteht (z.B. einer neuen Resistenz), verpasst man wahrscheinlich mehr Chancen, als dass man sie ergreift. Das klassische Bild, das Züchter gerne malen, erzählt ja die Geschichte, dass den wilden Sorten bei der Domestikation zunächst mal die gesammelten negativen Eigenschaften, die Flausen ausgetrieben werden müssen. Aber wahrscheinlich und wohl produktiver gedacht ist das Glas bei der Domestizierung von wilden Arten auch als halbvoll anzusehen (nicht nur als halbleer): Neben den unzähligen negativen Eigenschaften (kleine Früchte, ungleichmässige Abreife, Selbstunfruchtbarkeit etc.) gibt es immer auch ganz neue und spannende Eigenschaften zu entdecken, auf die ein moderner Markt vielleicht gerade wartet. Wir haben z.B. einen Hängewildapfel (eine Malus-Arthybride) mit ca. 10-20mm grossen Äpfeln in unser Zuchtprogramm eingekreuzt – und bereits nach 2 Züchtungsgenerationen sehen wir einen wahren Reichtum von neuen interessanten Apfeleigenschaften:
- gelbes Fruchtfleisch, aber auch alle Schattierungen von Rot bis Orange
- neue Geschmacksrichtungen, super-fruchtig
- Schorfresistenz
- Marssonina Resistenz
- alle Pflanzenarchitekturen von hängend bis normal
Wir sind fast sicher, dass wir schon in dieser Generation neue spannende Sorten für den Hausgarten, vielleicht auch schon für den Nischenmarkt selektionieren können.
Eine weitere wichtige Variante des 'Zurück zu den Ursprüngen' ist die Entwicklung und Domestikation ganz neuer Arten, oder von halbdomestizierten Arten. Dieser Bereich ist in der aktuellen Züchtungslandschaft systematisch unterentwickelt, weil nicht gefördert wird, was es noch nicht gibt auf der Landkarte der Kulturpflanzen…. Auch dies beruht letztlich auf einem antidiversen Kurzschluss: Sowohl firmenintern als auch auf Seiten staatlicher Förderinstitutionen hat das noch nicht Existente keine Chancen. Das ist selber schon ein wichtiger Faktor für die Austrocknung der Kulturpflanzendiversität. Es fallen regelmässig Kulturpflanzen weg, weil sie klimatisch nicht mehr passen, oder weil sich Konsumgewohnheiten entscheidend ändern; aber es kommen, zumindest in den gemässigten Klimaten, auch fast keine neuen Kulturpflanzen hinzu…
In der folgenden Tabelle stellen wir einige der Lubera®-Domestikationsprojekte vor, die wir aktuell bearbeiten. Das entscheidende Problem haben wir gerade oben beschrieben: Was es noch nicht gibt, ist nur schwer einzuschätzen und deshalb ist man bei Investitionen tendenziell eher konservativ. Bei halbdomestizierten Arten wie Lonicera und Amelanchier ist mindestens eine Tendenz zu erkennen.
Art | wild | halbdomestiziert | Zieleigenschaften für Domestikation |
Ribes aureum, Vierbeeren |
x | Selbstfruchtbarkeit, Fruchtgrösse, gleichmässig Abreife, Kulturpflanzenstabilität, Holzstabilität vs. Staudencharakter | |
Lonicera caerulea, Erstbeeren, Maibeeren, Haskaps | x | Fruchtgrösse, Zucker/Aroma, Frühe Reifezeit mit gesundem Laub der späteren Genetik zusammenbringen, Selbstfruchtbarkeit |
|
Oca, Oxalis tuberosa | x | Adaption an mitteleuropäische Verhältnisse, etwas mehr Hitzetoleranz, Langtags-Knollenbildung | |
Amelanchier alnifolia, Saskatoonbeeren | x | Fruchtgrösse, Fruchtigkeit, gleichmässig Abreife, Anzahl Beeren pro Traube, Erntefähigkeit, kein Saften am Stiel |
Ein guter Hinweis auf zukünftige Rising Stars könnte die Erfolgsgeschichte der Kulturheidelbeere sein, die ihre Domestikationskarriere innerhalb von gut 100 Jahren von der Wildpflücke in den amerikanischen Oststaaten bis zur weltweit zweitgrössten Beerenart abgeschlossen hat. Warum war und ist die Heidelbeere so erfolgreich – und warum ist sie drauf und dran, auch die Erdbeere als Königin der Beeren abzulösen?
- Heidelbeeren sind Everybody’s Darling, jeder hat sie gerne, sie sind aber auch nicht unglaublich charakteristisch, sie ecken nicht an
- Sie bieten und boten genetisch die Grundlage zum Anbau in fast allen Klimazonen, damit zur Jahrrundversorgung der Konsumenten und des Handels
- Sie sind einfach zu ernten und zu transportieren
- sie sind ‘sauber’, unkompliziert, die zur Pille geformte Frucht, dazu gesund😉
7. Der Totwinkelassistent für Züchter
Züchter kennen ihr eigenes Zuchtmaterial am besten – und wissen es auch am besten einzusetzen. Der Effekt dieses Prozesses wird häufig unterschätzt, (auch ich habe ihn unterschätzt), aber er gewinnt Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt an Kraft. Da hat der Züchter nach 20-30 Jahren seine Zuchtlinien, seine erfolgreichen Eltern, seine Tricks beisammen – und schon droht er betriebsblind zu werden. Auch hier hilft nur Diversität. Wir haben beispielsweise in der zweiten Stufe der Apfelzüchtung ein immer wieder aktualisiertes Apfelsortiment stehen. Dabei legen wir das Hauptaugenmerk nicht auf aktuelle Sortimentssorten, sondern auf möglichst viele aktuelle Neuheiten aus möglichst allen geographischen Regionen. Dies hilft nicht nur bei der Entwicklung des eigenen genetischen Materials, sondern schärft auch das Urteilsvermögen: Bei dieser Eigenschaft sind wir in der Spitzengruppe dabei, bei jener haben wir Aufholbedarf. Ins gleiche Kapitel gehört die Regel, dass 50%, mindestens aber 30% der Kreuzungen mit fremdem genetischem Material erfolgen sollen.
8. Wider die Logik der landwirtschaftlichen Märkte – Der bottom-up-Ansatz
Bild: Blau = "diverse" Kartoffelsorte mit hohem Wildanteil und neuen Eigenschaften, Violett = weiter entwickelte Nischensorten mit verbesserten agronomischen Eigenschaften, Rot = Sorten für den Grossmarkt
Bottom-up-Ansatz: Lubera züchtet zuerst Sorten für den "diversen" Hausgartenmarkt. Bei Äpfeln, Himbeeren, Brombeeren und Kartoffeln sollen dann Nischensorten entwickelt werden.
Die industriell-landwirtschaftlichen Märkte funktionieren nach einer rein industriellen Logik: Mehr vom Gleichen verbessert die Effizienz und erhöht die Gewinnmargen, vor allem im Bereich, der der eigentlichen landwirtschaftlichen Produktion nachgelagert ist. Das gilt für die grossen landwirtschaftlichen Pflanzenarten wie Kartoffeln, Soja, Mais und Getreide, aber auch bin hinein ins Gemüse und Obst. Der Einkäufer, der letztes Jahr 2 erfolgreiche Aktionen mit Gala Äpfeln gemacht hat, wird in seiner Logik versuchen, dieses Jahr 3 Aktionen zu schalten. Er möchte dann diese erfolgreiche Sorte auch im Biomarkt einsetzen, obwohl sie für die Bioproduktion gar nicht geeignet ist und für gute Fruchtqualität 20plus Spritzungen braucht. Schliesslich wird er auch im Biomarkt mit Aktionen beginnen undsoweiterundsofort. (Zur Klarstellung: Gala ist z.B. in der Schweiz wirklich die mit Abstand grösste Sorte im Bioanbau…) Dieses System bewirkt natürlich alles andere als Diversität, wirkt ihr diametral entgegen.
Wir haben dagegen mit unserer Züchtung bei Lubera einen Bottom up Ansatz entwickelt: Wir züchten zunächst für den Hausgartenmarkt, für den Neuheit und auch Diversität und Andersheit ein Wert an und für sich sind. Dabei darf man sich nicht täuschen lassen: Bei vielen Obst- und Beerenarten, aber auch beim Gemüse sind diese Amateurmärkte gross bis sehr gross, in einzelnen Fällen auch viel grösser als der Pflanzenmarkt für den landwirtschaftlichen Anbau. Lubera versucht nur bei einigen wenigen Arten, bei Apfel, Birne, Himbeere, Brombeere und Kartoffel mittelfristig auch Sorten für den landwirtschaftlichen Nischen- oder Grossmarkt zu entwickeln. Wir hoffen, durch den Bottom up-Ansatz (zuerst Hausgartenmarkt, dann erst Nischenmarkt) auch mehr Diversität in die landwirtschaftlichen Märkte hineinzubringen zu können.
Als wir vor einigen Monaten zusammen mit einem landwirtschaftlichen Ausbildungszentrum ein Forschungsprojekt zur Kartoffelzüchtung beim Bund (in der Schweiz) einreichten, kam bald darauf die Absage. Begründung: Wir hätten nicht zeigen können, wie die Resultate unseres Projekts (dass die Einkreuzung von phytophthoraresistenten Wildkartoffeln und von halbdomestizierten Kartoffeln vorsieht) die Qualitätskriterien von Swisspatat (der Kartoffelbranchenorganisation) erfüllen könnten. Punkt. Diese Absage ist genau genommen die exakte Erklärung dafür, warum die Kartoffel immer aussieht wie eine Kartoffel und warum es bis heute, 150 Jahre nach der irischen und europäischen Kartoffelhungersnot (nach dem Einfall der Krautfäule in Europa), noch immer keine wirklich resistenten Sorten auf dem Markt gibt.
9. Was Marker Assisted Breeding mit Ostereiersuche zu tun hat?
Vor zwei Jahren hörte ich an einem Heidelbeerkongress in Trento einer italienischen Züchterkollegin zu: Sie versuchte, zu definieren, was genau gute Fruchtqualität bei Heidelbeeren sei (Festigkeit, Grösse, Zuckergehalt, Säure etc.) und für diese Eigenschaften suchte sie sogenannte molekulare genetische Marker, um in einem frühen Stadium, bei einem kleinen Sämling schon, auf Qualität selektionieren zu können, 2-3 Jahren bevor die Pflanze in der Lage sein würde, Früchte zu tragen. Natürlich ist dieser Ansatz für alle Züchter faszinierend, die schon ab dem 40. Lebensjahr ihr aktuelles Lebensalter in die Berechnung der noch möglichen Zuchtgänge einrechnen: Pro 7-10 Jahre Züchterlebenszeit ist 1 Kreuzungsgang, eine Generation beim Apfel möglich, bei der Heidelbeere vielleicht alle 5 Jahre. Und die Marker-Methode (ich definiere eine gewünschte Eigenschaft und suche mir dann einen genetischen Marker dafür) kann und wird auch funktionieren, bei einfachen Eigenschaften früher, bei komplizierteren langsamer. Das einzige Problem dabei: Man wird nur die Ostereier finden, die man vorher versteckt hat. Man wird definitiv nie eine ganz andere Definition von Fruchtqualität finden können, als sie meine italienische Kollegin für Heidelbeeren definiert hat. Mit anderen Worten: Man wird immer nur das Gleiche finden…
Bild: Züchterhase findet die selber versteckten Eier
Das spricht übrigens nicht gegen den Einsatz von Marker Assisted Breeding in der Züchtung, auch wir benutzen Marker bei Tomaten, Äpfeln, Kartoffeln und vielleicht auch bald bei Himbeeren und Brombeeren. Aber das erkenntnistheoretische Ostereierproblem zeigt auch klar und deutlich auf, dass man nicht zu früh im Selektionsprozess auf Marker setzen sollte.
10. Phänotyp vor Genotyp
Und dies wäre dann die Lösung für das oben unter 9. formulierte erkenntnistheoretische Problem: Phänotyp vor Genotyp. Bevor wir uns der Genetik einer Pflanze zuwenden, muss der Züchter immer schauen, wie sie sich auf dem Feld, und natürlich bei essbaren Pflanzen auch im Gaumen verhält. Das tönt jetzt nach einer Selbstverständlichkeit, ist es aber nicht, dafür ist die Geschwindigkeitsversuchung der Marker für Züchter, vor allem für akademischen Züchter viel zu gross. Als wir vor einigen Jahren mit der Tomatenzüchtung begannen, dachten wir auch, dass wir unsere Züchtungspopulation schnell und auch systematisch mit Makern für die bekannten Resistenzen Arten Ph1, 2 und 3 screenen wollten. Kleine Blattteile aus den Blättern stanzen, einschicken und schon weiss ich, welche Sorten resistent ist und welche nicht. Zum guten Glück haben die Marker und die Tests nicht so gut funktioniert… Jedenfalls hatten wir genug Zeit, alle Pflanzen auf dem Feld zu beobachten. Es stellte sich nämlich heraus, dass eine andere Züchtungslinie gänzlich ohne die schon bekannten Resistenzgene ph1 bis 3 im Freilandanbau viel interessanter und auch viel resistenter war als die gemarkten Gene. Wir hätten diese Erkenntnisse ohne die genaue Untersuchung des Phänotyps auf dem Feld nie gewonnen. Es gibt beim Züchten ganz einfach nicht so viele Abkürzungen, wie es die Züchter manchmal gerne hätten. Dafür gibt es Ablenkungen und Überraschungen zuhauf. Es ist meiner Meinung nach keine sehr guten Idee, den Zufall, den Treiber der Diversität aus der Züchtung auszuschliessen.
Diesen Beitrag hielt Markus Kobelt als Vortrag am Rheinhof in Salez (Regionales Landwirtschaftliches Ausbildungszentrum).
Diversität ist eine Seite der Medaille