Die Kirche, der Gott, Ostern waren in der Sowjetunion eigentlich verboten. Aber nur eigentlich oder nur teilweise. Meine Oma in der grossen Stadt ging nicht in die Kirche und dass sie gläubig war, tief gläubig sogar, habe ich erst nach der Perestrojka erfahren. Bis dahin hat sie es mir – der flammenden Pionierin – nicht verraten. Die andere Oma in der kleinen Stadt ging – sogar als Frau des Kommunisten und des Rektors – regelmässig in die Kirche, nahm mich mit und hat mich in der Nacht beim Popen zuhause heimlich taufen lassen.
Richtig schön mit ihr war das Osterfest, das Opa zum Glück geduldet hat. Paska, das traditionelle Ostergebäck (siehe das Foto), wurde gebacken, die Eier gefärbt, alles in den Korb gepackt und nahezu Mitternacht in die Kirche mitgenommen. Alle standen um die Kirche herum, die Körbchen vor sich hin gestellt und warteten auf die Prozession. Nachdem der Priester mit seiner Karawane drei Mal um die Kirche gegangen war, begann die Körbeweihung. Danach gilt der Inhalt der Körbe als heilig.
Was war noch in Omas Korb? Das Wasser, das Wasser war das Wichtigste. Und die Pflanzen. Ganz wichtig war das Immergrün (Vinca), das Symbol des ewigen Lebens und der Unsterblichkeit. Danach wurde die Wohnung damit geschmückt, Teil der Pflanzen getrocknet und zu uns, den Enkelkindern, ins Bett gelegt.
Und der Meerrettich. Der Meerrettich ist eine starke Wurzel, und die Wurzeln, die ein Mensch in das Leben schlägt, werden durch den Glauben an Gott gestärkt … ja, irgendwie so eine Bedeutung hat er. Laut einer Legende versuchte man Jesus mit einer Meerrettichwurzel zu vergiften, weil der Verbrecher dachte, wenn eine Pflanze so schmeckt wie Meerrettich – muss sie sehr giftig sein. Aber genau das Umgekehrte war die Wirkung: Der Meerrettich ist nämlich ein Naturantiseptikum schlechthin und der Verdauung tut er auch sehr gut.
Den geweihten Meerrettich hat Oma bei Zahnschmerzen eingesetzt. Die Zähne taten ihr ganz oft weh, und die Arme hatte eine solche panische Angst vor Zahnärzten. Die Wurzel wurde gerieben, mit Wodka übergossen und bei den Zahnschmerzen als Spülung gebraucht. Über all die Heilmittel von Oma gegen Zahnschmerzen könnte ich ein Buch schreiben!
Und der Mohn, nicht die Pflanze, sondern die trockenen Samen in trockenen Samenkapseln, die wenigen überlebenden aus Opas Garten, waren im Körbchen. Dem Volksglauben nach beschützt der Mohn vor bösen Geistern, weshalb die Samen nach der Weihung vor der Eingangstür verstreut wurden. Schade nur, dass der grüne Mohn in unserem Garten sich selbst vor den drogensüchtigen “Geistern”, die auf seine Milch scharf waren, nicht schützen konnte.
Wie Oma leckerlecken Mohn vor der Tür verschwendete, war richtig traurig anzuschauen… Wer einmal in seinem Leben, vor allem als Kind, den rasselnden Mohn aus einem Loch in der Mohnkapsel direkt in den Mund schüttelnd schütten konnte – MMM – der wird mich verstehen.
Ja, so war es zu Ostern bei Oma.
Später, in Deutschland, habe ich einige schöne Bräuche und Sitten dazu gelernt: Den Tisch mit Osterblumen zu schmücken, die Süssigkeiten im Garten zu verstecken und die Plastikeier an den gedrehten Trieben des Weidenstrauchs aufzuhängen. Und Osterfeuer, Riesenosterfeuer, da freue ich mich schon ganz doll drauf!
Ein friedliches schönes Osterfest für die ganze Familie, geruhsame, frühlingshafte Osterfesttage und viel Ostersonnenschein wünsche ich Ihnen! Möge es vor allen Dingen Freude, Entspannung und Zufriedenheit bringen – und ein gutes Ostereierfrühstück!