Eine Diskussion zwischen den Gärtnern Erwin Meier-Honegger und Markus Kobelt. Erwin Meier-Honegger, Geschäftsführer des Gartencenters Meier in Dürnten, reagiert auf unsere Kritik zur neuen Gesetzesvorlage in der Schweiz. Er weiss nicht so sicher, ob es ohne Regeln, allenfalls ohne Gesetze geht. Markus und Erwin treffen sich schliesslich – so scheint es – in der gärtnerischen Mitte: Unkraut darf selbstverständlich gejätet werden. Wenn man erfolgreiche einwandernde Pflanzen – und nichts anderes sind invasive Neophyten – als Unkraut sieht, dürfen sie auch bekämpft werden. Das ist im Garten, in der Landwirtschaft und allenfalls auch in der sogenannten Natur erlaubt. Neue Gesetze, so mindestens die Meinung von Markus Kobelt, braucht es dazu nicht.
Werter Markus
Du bist wahrlich der Boris Johnson unserer Zunft. Mit Dir lässt sich Empathie und Diskurs besonders eloquent zelebrieren. Und so komme ich als Berufskollege natürlich nicht umher, Deine Einladung anzunehmen, meine Meinung Kund zu tun.
Hurra, das Unkraut ist zurück. So lautet mein Fazit zur nächsten Eskalationsstufe um die Beurteilung von Pflanzen. Wie habe ich mich doch in der Vergangenheit im stillen Kämmerlein geärgert, dass man bei bestimmten Pflanzen nicht mehr von Unkraut sprechen oder – Gott bewahre, – sogar schreiben durfte. Nach einer kurzen Übergangsphase via "unerwünschte Begleitflora", war "Beikraut" plötzlich die politisch korrekte Bezeichnung für Unkraut.
Und jetzt wird das Kind endlich wieder beim Namen genannt: Es gibt offensichtlich – und behördlich legitimiert – wieder "Unkraut". Es ist zwar nicht mehr der Löwenzahn und der Klee, neu sind es Kirschlorbeer und Schmetterlingsflieder. Aber mindestens gibt es endlich wieder einen Konsens, dass Unkraut existiert. Ich bin erleichtert.
Nun bist Du, Markus, natürlich ein Frohgemut. Für Dich ist "jedes Unkraut eine Blume", wie es ein finnisches Sprichwort so schön zusammenfasst. Unsere Behörden siehst Du in der Rolle der "Betrübten", die in jeder (nicht einheimischen) Blume ein (potentielles) Unkraut sehen.
So ist Unkraut immer eine Frage des Blickwinkels. Unkraut ist ja eigentlich einfach die „richtige“ Pflanze am „falschen“ Ort. In meinem eigenen kleinen Garten pflege ich diesbezüglich eine grosszügige Anarchie. Fast ein Bisschen rebellisch kultiviere ich sogar Pflanzen, welche gemeinhin als Unkraut gelten. Erst wenn ich erkenne, dass eine Pflanze die anarchistische Freiheit in meinem Garten schamlos ausnutzt und quasi herrschaftliche Ansprüche stellt, werde ich zum erbarmungslosen Unkrautkiller. Dann ist mir jedes Mittel Recht, um meinen "e pluribus maximus" zu erhalten.
Was sich täglich in meiner eigenen, kleinen Gartenwelt abspielt, wird nun auf eine nationale Ebene getragen. Und auch wenn ich gegen eine (Öko-) Diktatur bin, so lehne ich die völlige Regellosigkeit ebenso vehement ab. Du plädierst für (gärtnerische) Anomie; ich für Anarchie. Meine Frage ist, wer verhandelt über Ordnung; Du lehnst Ordnung generell ab. Und diesbezüglich bin ich nicht mit Dir einverstanden. In einer überforderten Umwelt erlaubt es die von Dir verteidigte Anomie, dass erfolgreiche Pflanzen ihre Nächsten beherrschen. Das widerspricht meinem Anspruch an natürliche Anarchie. Es gilt gewisse Leitplanken zu definieren und durchzusetzen, damit unsere Umwelt nicht von besonders erfolgreichen Profiteuren terrorisiert wird.
Erwin Meier-Honegger
Lieber Erwin
Danke für Deinen Diskussionsbeitrag. Du machst das ganz gut. Zunächst schmeichelst du mir ein bisschen mit Boris Johnson (immerhin ein begnadeter Kolumnist und aktuell Premierminister von England) und versuchst mich wohl so etwas milde zu stimmen und einzuschläfern. Aber ich bin doch so wach, dass ich froh bin, dass du mich dieses Mal wenigstens nicht mit Trump verglichen hast ;-)
Nein, ich bin ein kleiner Pflanzenzüchter und Pflanzenhändler. Und Pflanzen liegen mir am Herzen, weil sie nicht nur unsere Geschäftsgrundlage, sondern unser aller Lebensgrundlage darstellen. Leider vertrete ich keine Mehrheitsmeinung, der öffentliche Diskurs ist pro Pflanzenverbote eingestellt, in unserer Lokalzeitung habe ich in dieser Woche mindestens 3 x das Loblied auf die Bekämpfung der invasiven Neophyten und die Vorteile der einheimischen Pflanzengesellschaft gelesen. So viele Leserbriefe kann ich gar nicht schreiben… Boris Johnson dagegen vertritt übrigens aktuell eine demokratische Mehrheitsmeinung, wenn auch ganz knapp. Die Mehrheitsmeinung bei den Pflanzenverboten hat nichts mit Demokratie, aber deutlich mehr mit political correctness zu tun. Wer könnte allen Ernstes dagegen sein, dass wir invasive Neophyten mit allen Mitteln bekämpfen?
Soviel zur Einleitung und zu Boris und zu Markus
Jetzt zum Unkraut. Ich glaube, damit hast du wirklich das gemeinsame Feld beschrieben, wo wir uns tatsächlich finden. Ich bin nämlich ein totaler Verfechter des Unkrautprinzips (hättest du wohl nicht gedacht ;-)). und ich habe auch nichts dagegen, wenn Unkraut aufgrund praktischer Überlegungen (ich will dieses nicht und jenes doch; ich will ernten und nicht Unkraut wuchern lassen) oder aufgrund eines gesellschaftlich-politischen Konsens bekämpft wird. Ja, das kann dann auch so etwas wie political correctness sein – schlimmstenfalls. Als Gärtner mache ich nichts anderes. Ich setze sogar – oh Schreck – gezielt Herbizide ein. Ich habe auch kein Problem mit dem so manifestierten Anthropozentrismus, dem menschlichen Eigennutz. Nur sollte man sich immer ganz bewusst sein, dass es menschlicher Eigennutz ist.
Wenn jetzt also aufgrund eines Konsens oder aufgrund individueller Entscheidungen irgendwo, hier und dort, Pflanzen bekämpft werden, ist das durchaus in Ordnung (wenn auch nicht immer gut). Das machen wir Menschen seit Tausenden von Jahren. Aber wir sollten nicht so tun, als würden wir damit die Welt oder die Natur retten. Wir denken nur an uns. Wenn die Freiwilligen Neophytenbekämpfer meinen, die Natur zu retten, machen sie nur, was wir Gärtner immer schon tun: Jäten!
Und genau dabei soll es auch bleiben. Es ist nicht auszudenken, was passiert, wenn die freiwillig und beseelt agierenden Neophytenjäger und Pflanzenpolizisten und Blockwartaspiranten eine Gesetzliche Grundlage bekommen, einen Persilschein für ihr immer eigennütziges, meistens unnützes und manchmal auch negatives Tun. Wehe der Pflanze. Und wehe dem Menschen, der Falsches kultiviert.
Die bestehende Gesetzgebung reicht. Basierend auf dem Freisetzungparagraphen ist schon jetzt gesetzlich geregelt, dass die Verantwortung für die Folgen trägt, wer Organismen freisetzt. Und dann kommt der richtige, rechtsstaatliche Prozess: Es muss nachgewiesen werden, dass es einen Schaden gibt und es muss nachgewiesen werden, dass der Schaden von mir, von meinen Pflanzen stammt. Und dann kann der Richter gegebenenfalls seines Amtes walten. Es gilt das gute alte Unschuldsprinzip. Das Pflanzenverbotsgesetz und die sicher folgenden ellenlangen Verordnungen und die ausuferndenden Pflanzenlisten hebeln gerade das Unschuldsprinzip aus: Wenn du diese Pflanze auf der Liste kultivierst, bist du schuldig. Punkt. So beginnen Hexenverfolgungen. Gegen Kirschlorbeer. Gegen…
Anarchie und Anomie. Aua, das ist schwierig. aber ich bin weder ein Anarch noch ein Anom (gibt es das?) . Ich bin ein stinknormaler Liberaler, ein FDPler, dem die Freiheit übers sehr vieles, aber nicht über gar alles geht. Es ist heute sogar notwendig, die Freiheit noch etwas stärker zu gewichten, weil sie überall und immer unter die Räder kommt. Dass ich die Herrschaft der einen Pflanze über die andere zulasse, ist richtig; so funktioniert nun mal 'Natur', im Gegensatz zum Gärtner hat sie nicht das "Ziel" des 'ewigen' und möglichst friedlichen Gleichgewichts – und das funktioniert übrigens letztlich auch nicht im Garten. Das Schöne an der natürlichen Anarchie: auch die Fittesten werden irgendwann gefressen.
Ich fasse zusammen:
- Unkraut und Jäten ist unsere gemeinsame Grundlage. Das ist erlaubt. Das ist aber auch nicht mehr und verfolgt menschliche, nicht irgendwelche wie auch immer übergeordneten Ziele. Es ist nicht einmal immer richtig.
- Eine herrschaftslose Natur gibt's nicht, und wenn man – wie von mir vorgeschlagen – immer auch den Menschen mitdenkt, dann sowieso nicht ;-)
- Am Ende aber ist eine politische Haltung gefragt: Pflanzenverbotsgesetze wie das jetzt vom Bundesrat vorgeschlagene, ritzen einmal mehr unsere persönliche Freiheit und das Eigentum. Sie schaffen einen bürokratischen Apparat, dessen Kosten voraussichtlich nie den möglichen Nutzen rechtfertigen können.
- Der Nutzen der Jäterei, das wissen wir beide, ist tendenziell kurzfristig, langfristig funktioniert das fast nie, dann muss man einfach wieder jäten. Und für's Jäten brauchen wir keine Gesetzte, nur gärtnerische Geduld.
- Mit Vertriebsverboten von Pflanzen kann ich leben, nicht mir Pflanzenverboten.
Wie Boris möchte ich ja schlussendlich Mehrheiten! Ich hoffe du stimmst mir wenigstens im entscheidenden Punkt zu und setzt dich gegen Pflanzenverbote ein.
Dein Gärtnerkollege
Markus Kobelt