Mit den Schlagwörtern ist es so eine Sache. Meist steckt schon ein berechtigter Anspruch oder ein richtiger Gedanke dahinter. Aber früher oder später erschlagen sich die Schlagwörter selber (und ihre heavy User gleich mit). Weil sie reduziert, instrumentalisiert und ideologisiert werden.
Zum Beispiel ist es mit der Diversität so eine Sache… Nehmen wir hier die Diversität, von der ich wenigstens ein bisschen etwas verstehe: Pflanzen-Diversität. Sie ist wohl in der Natur ein Wert an und für sich: Je mehr Diversität es in der Pflanzenwelt gibt, desto grösser ist die Überlebenschance einer Pflanzenart, einer Pflanzenfamilie, der Pflanzen überhaupt – letztlich auch der Menschen, die mit Haut und Haar, Magen und Lunge von den Pflanzen abhängig sind. Und letztlich aus den gleichen Gründen sind auch die Menschen gut beraten, ihre Kulturpflanzen zu diversifizieren. Mais und Reis und wie die sogenannten Grundnahrungsmittel alle heissen sind ein Klumpenrisiko. Für den Menschen und letztlich auch für die Pflanzen selber, wenn sie ihre Diversität verlieren…
Also ist es selbstverständlich gut und begrüssenswert, Diversität zu fördern. Diversität wird aber auch schnell ziemlich monoton, sie tönt in allen Parteiprogrammen und Aktionsplänen ziemlich gleich. Kürzlich mussten wir im Rahmen eines Gewächshausneubaus eine ökologische Ausgleichsfläche planen. Gewünscht war zunächst eine möglichst diverse Magerweise. Als wir uns damit befassten, mussten wir lernen, dass wir dafür die oberste Schicht des guten Ackerbodens hätten abtragen müssen, um ideale Voraussetzungen für die gute und wertvolle, ökologisch diverse Magerwiese zu schaffen. Die Idee ist so schräg, dass man eine Minute innehalten muss. (Pause)
Was genau wird da gefordert… Um die gewünschte Diversität zu schaffen, die sich Beamte in ihren Büros und Umweltingenieure (ebenfalls in ihren Büros) ausdenken, hätten wir den Einfluss des Menschen (hallo, das sind wir!) künstlich in einigen Hundert Kubikmetern Erd-Reich wegschaffen müssen, mit dem Resultat, dass auf dieser Fläche auf längere Zeit keine Nahrungsmittelproduktion mehr möglich gewesen wäre… Machen wir natürlich nicht!
Wir befinden uns jetzt übrigens immer noch in der oben erwähnten Minute, in der wir innehalten müssen und unser Hirn brauchen sollen: Was bedeutet eigentlich diese wertvolle Magerwiesendiversität dank weggeführter Ackerkrume? Der menschliche Einfluss wird sozusagen künstlich (menschengemacht) weggezaubert, damit wir dann anderswo umso mehr wüten können. Auch wieder so eine Art 'Ablasshandel'. In diesem Falle möchte ich aber selbstverständlich unser Gewächshaus vehement verteidigen: Es wird unter anderem dazu dienen, unsere Züchtungsprogramme weiterzuentwickeln, die untereinander (über 20 Züchtungsprogramme) und auch in sich immer auf Diversität bauen. Es ist aber zugegebenermassen der innere und unauflösliche Widerspruch der Pflanzenzüchtung, dass sie diese Diversität dialektisch einerseits immer wieder aufbaut, um sie danach durch Selektion wieder zu reduzieren. Sie sehen schon, so ganz schön restlos geht es auch in meiner Argumentation und Gedankenwelt nicht immer auf…
Wie geht es jetzt mit der ökologischen Ausgleichsfläche weiter? Schlussendlich haben wir eine Lösung gefunden, bei der wir eine offene und unterbrochene Hecke mit vielen Randbereichen pflanzen. Selbstverständlich muss diese Hecke auch nach Vorschrift gepflegt werden, Natur kann man doch nicht einfach sich selber überlassen, wenn sie menschengerecht divers sein soll! Gepflanzt wird eine ziemlich beschränkte Auswahl von – wie könnte es auch anders sein – einheimischen Arten und Gattungen. Was bitte an dieser Hecke wirklich divers sein soll, ist mir persönlich ziemlich schleierhaft. Sei's drum! Neben der zukünftigen diversen Hecke erstreckt sich unser Züchtungsgelände von ca. 3.5 ha. Darin wachsen mehr als 30 Kulturpflanzenarten. Auch innerhalb der Arten gibt es auf diesem Feld unendlich viel Diversität: über 100 Feigensorten, über 8000 unterschiedliche Äpfel (Sämlinge), 60 Johannisbeer-/Stachelbeer-Sorten in einem halben Dutzend Arten. Tausende von unterschiedlichen Himbeer- und Brombeersorten, über 40 Granatäpfel, 30-40 Maulbeeren in 4 Arten, ein halbes Dutzend Passiflora-Arten mit einigen 100 verschiedenen Genotypen undsoweiterundsofort. Das heisst: Unser Züchtungsfeld neben der ökologischen Ausgleichsfläche ist um ein Vielfaches diverser als diese – verzeihen Sie mir den altmodischen Ausdruck: tumbe – ökologische Ausgleichsfläche.
Natürlich höre ich jetzt schon die Einwände: Das eine sind ja mehrheitlich ausländische, von Weither geholte Arten und Kulturpflanzen, das andere sind echt einheimische, alteingesessene und deshalb wertvollere Wildsträucher… Ist jetzt die Diversität ein Wert an und für sich oder gilt er nur für die guten einheimischen Pflanzen? Genau das haben ich eingangs gemeint: Ideologisierte Schlagwörter erschlagen sich früher oder später selber.
Und dann folgt so totsicher wie das Amen in der Kirche die Insektenargumentation: Wie wollen denn die einheimischen Insekten mit all diesen fremden Pflanzen zurechtkommen, die armen Geschöpfe wissen ja weder aus noch ein, wir überfordern sie doch am Ende mit dieser fremden Vielfalt…
Dieses Jahr stand ein Blühstreifen (ganz zufällig und freiwillig von Robert, unserem Betriebsleiter ausgesät) neben der Passiflorazüchtung, wo unser Züchter Raphael Maier versucht, winterharte, für unser Klima geeignete und reichtragtragend Passionsfrüchte zu züchten. Die Insekten wagten sich trotz des attraktiven Blühstreifens in immer grösserer Zahl in das Dickicht der rankenden Passionsblumen, sie erkundeten sie und fanden offensichtlich nicht selten darin Trost, Vergnügen, Nahrung, vielleicht sogar etwas Passion. Der Blühstreifen hilft, die Anzahl der Insekten zu vergrössern, die sich ihrerseits dann auch immer häufiger weiter umsehen – und so ganz nebenbei die nur einen Tag blühenden Passionsblumen befruchten. Der Fit zwischen Pflanzen und Pflanzen, Pflanzen und Insekten und Insekten und Insekten kann sich auch immer wieder neu einstellen.
Und jetzt wird die Realität noch etwas komplizierter und damit auch etwas weniger eindeutig: Diversität in Pflanzen kann für Insekten in der Tat auch ein Problem darstellen. Nichts ist so einfach und einfältig, wie man es gerne haben möchte… Ebenfalls in dem erwähnten Züchtungsfeld steht eine grosse und sehr diverse Pflanzung von winterharten Baumkohlpflanzen. Offenbar wirkt die Diversität für die Kohlweisslinge ziemlich verwirrlich. Hochnervös fliegen sie immer wieder über die diversen Kohlpflanzen und haben offensichtlich ein Problem, passende Landeplätze und Eiablagestellen zu finden. Die mehrjährigen Baumkohlpflanzen in allen möglichen Farbschattierungen, Wuchstypen und Blatttexturen sind aus der Sicht der Kohlweisslinge schlichtweg zu unterschiedlich, zu divers. Am Ende legen sie ihre Eier nur auf bestimmten, offensichtlich für sie attraktiveren Pflanzen ab. Was den Züchter natürlich freut…
Und zu guter Letzt kommt wie fast immer meine rhetorische Schlussfrage. Was möchte ich Ihnen damit sagen?
Pflanzt Pflanzen, pflanzt mehr Pflanzen und pflanzt um Gottes Willen verschiedene Pflanzen. Auch wenn das nicht nur den Kohlweissling, sondern manchmal auch den Nachbarn und sowieso den Umweltingenieur ziemlich verwirrt.