Kürzlich stand Markus in seinem Garten. Er schaute durch den Eingangsbogen in den Gartenraum, der sich zwischen drei benachbarte Grundstücke schiebt. Damit hatte das Bild einen Rahmen, der es heraushebt. Vorne rechts, noch vor dem Eingangsbogen, schossen der riesige Salbei, daneben der geschlitzte Ahorn und hinten Rose de Resht und Jacques Cartier zu einem Ganzen zusammen.
Denken Sie an die Künstler, die immer und immer wieder den gleichen Berg, das gleiche Sujet malen. Der Mont Sainte Victoire von Cezanne, die heiligen Berge japanischer Künstler, vielleicht auch die Quader der Kubisten … Was ist das Reizvolle daran: Das andere Licht, die immer wieder andere Farbschattierungen, die immer nochmals schönere Form? Eigentlich aber geht es nicht um die Suche nach der Variante, nach den Schattierungen, sondern nach dem perfekten Moment, der das eigentliche Wesen der Sache (des Berges, des Kubus) enthüllt. Die Suche nach dem unerreichbaren Ziel.
Das tönt jetzt natürlich etwas gar mystisch, so dass ich fast vergessen hätte, worauf ich eigentlich hinaus will: Dem Verhältnis des Künstlers zu seinem Berg entspricht das Verhältnis des Gärtners zu seinem Garten. Mindestens ungefähr, geht man nämlich ins Detail, so wird es doch ziemlich viel komplizierter und unübersichtlicher. Der Künstler wagt sich ganz offensichtlich nicht in oder auf den Berg, er bleibt auf Distanz. Das Detail, die Absonderlichkeiten des Einzelnen würden das mystische Rauschen, den Eindruck des grossen Ganzen stören. Und der Künstler belässt es nicht beim Anblick des Bergs, er bildet, er malt ihn ab, so wie er ihm erscheint.
Zugegeben, das können die meisten Gärtner nicht. Aber auch für sie ist der Garten ein Abbild der Natur, vielleicht auch eine unbeholfene Kopie des Bildes, das sich Gärtner vom perfekten Gartenort gemacht hat. Ob der wirkliche Garten aus Pflanze, Staude und Stein dieser Vorstellung je nahekommt?
Kürzlich stand ich in meinem Garten. Meine Leser wissen natürlich, dass es nicht ganz mein Garten ist; Gemacht, gemalt hat ihn nämlich meine Frau. Ich stand also in ihrem Garten, der auch der meine ist, schaute durch den Eingangsbogen in den Gartenraum, der sich zwischen drei benachbarte Grundstücke schiebt. Damit hatte das Bild einen Rahmen, der es heraushebt. Dazu die noch frische Freude, dass die Gefängnisgitter an der Grenze zum linken Nachbarsgarten verschwunden sind. Die Dämmerung war schon vorangeschritten, alle Details zeigten sich ein letztes Mal in einem überdeutlichen Licht, das gerade zu Ende sein würde, und das damit fast alles vergibt. Vorne rechts, noch vor dem Eingangsbogen, schossen der riesige Salbei, daneben der geschlitzte Ahorn und hinten Rose de Resht und Jacques Cartier zu einem unglaublich perfekten Ganzen zusammen. Und gleich darauf gerann alles im Bilderrahmen zur übermenschlichen, übergärtnerischen Perfektion. Noch nie, na ja mindesten noch kaum je hatte ich so etwas Schönes gesehen! Der unterdessen ausladende Prunus Kanzan (obwohl die Blätter etwas gezeichnet sind von den Dauerregen des späten Frühjahrs und frühen Sommers), darunter die Minikletterrose (die nicht wirklich zügig vorwärtswachsen will), das Grün des Rasens (der nicht weiter entfernt sein könnte von seinem perfekten englischen Stiefbruder), die das Rasenstück umfassende Lavendelhecke, deren Lücken plötzlich unsichtbar wurden … alles mutiert zum lieblichsten Gartenort, den man sich vorstellen könnte.
Was ich damit sagen will? Es ist der Moment, der den perfekten Garten macht, es ist das Auge des Betrachters, das das Bild malt, es sind die Glückshormone in unserem Hirn, die die Garteneinzelheiten in unendliches Wohlgefallen auflösen. Und eigentlich, so dachte ich nach dieser Gartendämmerung, könnte man durchaus einmal versuchen, eine Anleitung zum perfekten Gartenmoment zu schreiben:
Die endgültige Anleitung zum perfekten Gartenmoment
Erstens. Üben Sie sich in Geduld, der perfekte Gartenmoment kommt, wenn er will. Aber er kann eingeübt und wahrscheinlicher gemacht werden. Wenn man folgende Ratschläge befolgt.
Zweitens. Ein Garten braucht Zeit, bis er uns seine Perfektion erschliesst. Es ist unwahrscheinlich, solche Momente in jungen Gärten zu erleben. Sagen wir mal: 5 bis 7 Jahre sollten Sie sich schon gedulden. Und das ist ja gar nichts in einem Gartenleben!
Drittens. Künstliche und künstlerische Perfektion ist Gift für perfekte Gartenmomente. Das tönt nach einem Widerspruch. Aber es ist die Differenz, die den perfekten Gartenmoment ausmacht: Wenn die Gartenlücken sich wie magisch schliessen, wenn alles zu einem nie dagewesenen Gartenbild zusammenschiesst, wenn alle Gartensünden plötzlich vergeben sind.
Viertens. Ich empfehle, perfekte Gartenmomente beim Eindunkeln, zu Beginn der Dämmerung einzuüben. Es braucht einen Filter, um den Garten zur Kenntlichkeit darzustellen. Das unbarmherzige Licht des Mittags, die Kühle des Morgens lassen keine Grenzüberschreitungen zu.
Fünftens. Bleiben Sie auf Distanz. Nähe ist Gift. Erinnern Sie sich an die Maler ganz oben? Ja ich weiss, Gärtner neigen dazu, herumzulaufen, Blätter und Unkraut zu zupfen, den einzelnen Pflanzen zuzusprechen – aber das hilft gar nichts für einen perfekten Gartenmoment – im Gegenteil. Der perfekte Gartenmoment, den wir gerne Gartendämmerung nennen wollen, braucht Distanz, dazu Kontemplation, den geduldigen träumerischen Blick. Nicht das hyperaktive Gartenabschreiten mit dem giftgrünen Gärtnerblick, fokussiert auf Unkraut, Schnecken, Sorten, Blüten und Nekrosen. Da geht das Gartenglück gleich auf Distanz.
Sechstens. Hilfreiche Drogen. Nein, Sie brauchen keine Angst zu haben. Eher Tee als Kaffee, eher Rotwein als Weisswein, eher ein schwarzes als ein helles Bier. So meine ich das. Persönlich neige ich dazu, für die Erzielung solcher Momente zu einer hilfreichen und grossen kubanischen Zigarre zu greifen – aber gebe gerne zu, dass das nicht unbedingt notwendig ist ?
Und dann? Ja dann, immer überraschend, und dann, wenn Sie es nicht wirklich erwarten würden, ist er da, der perfekte Gartenmoment, das bildgewordene Gartenglück, von dem Sie noch lange erzählen werden.
Markus Kobelt