Der Streit zwischen den Freunden fremder Pflanzen und den Feinden der Pflanzen-Immigration ist nicht neu. Ganz wunderschön lässt er sich mit der Lebensgeschichte David Fairchilds erzählen, der für die USDA Ende des 19. Jahrhunderts das Büro für Pflanzenimporte aufbaute und sein ganzes Leben damit verbrachte, neue Pflanzen (man spricht von über 20'000 Pflanzen, die er importierte) in die USA zu bringen.
Das Buch The Food Explorer von Daniel Stone
Auch wenn sie so wunderbar zu mir und zu meiner Haltung gegenüber fremden/einheimischen Pflanzen passt, habe ich die Geschichte von David Fairchild nicht erfunden, sondern gelesen: Garry Grüber (Cultivaris), seines Zeichens auch ein Pflanzenjäger und Pflanzenverrückter, hat mir bei einem kurzweiligen Abendessen in Gouda das Buch empfohlen: 'Ich bin sicher, das wird Dich interessieren', meinte er. Er hatte Recht. Danke, Garry!
David Stone erzählt in The Food Explorer die Geschichte von David Fairchild auf eine Art und Weise, die sich streckenweise so spannend liest wie ein Roman. Wie kommt ein Junge aus Kansas dazu, auf der ganzen Welt neue Pflanzen zu suchen und in die USA einzuführen. Was treibt ihn, was bewegt ihn? Und wie ist das um 1900 möglich? Nebenbei entsteht ein ziemlich lebendiges Bild der amerikanischen Hauptstadt um 1900: Die neue Grossmacht ist selber über ihren Status erstaunt, die Zentralregierung hat noch eine sehr überschaubare Bürokratie. Das Agrarministerium verfügt zu Beginn der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts gerade mal über 80 Mitarbeiter. Der junge Wissenschaftler David Fairchild, sicher sozial sehr begabt, hat schnell direkten Zugang zum Agrarminister, verkehrt nach seinen Entdeckungsreisen in den höchsten Kreisen.
Die einzige kleine Kritik am Buch: Stone konzentriert sich sehr stark auf die erste Lebens- und Arbeitsphase von David Fairchild, eigentlich auf die Zeit, in der er als Pflanzenjäger unterwegs war und später dann für die USDA (das Amerikanische Agrarministerium) das Pflanzenimportbüro leitet. Was aber wurde aus ihm, als die Restriktionen für den Pflanzen-Import zu gross wurden, als er sich von der USDA löste, als Pflanzensammler und Autor selbständig wurde und wieder die Welt bereiste? Und noch interessanter: Wie importierte er jetzt die Pflanzen? Hielt er sich etwa immer an die Vorschriften? Hier ist das Buch sehr kurz und gibt eigentlich keine Antworten auf diese spannenden Fragen. Dafür wird aber die Arbeit bei der USDA und vor allem auch der Kampf der Pflanzenjäger gegen die Angstmacher breit und spannend erzählt.
Das Buch ist bei Amazon erhältlich, ich kann es nur empfehlen. Ist übrigens etwas leichter zu lesen als das oben empfohlene, eher wissenschaftliche Buch von Chris D. Thomas:
Daniel Stone, The Food Explorer - The true adventures of the globe-trotting Botanist who trasformed what america eats, New York 2018
Die Story von David Fairchild, Walter Swingle und Steve Marlatt
In der gleichen Stadt in Kansas und fast gleichzeitig wachsen drei Jungs auf, die die amerikanische Agronomie (die Agronomie überhaupt) im beginnenden 20. Jahrhundert wesentlich mitprägen werden.
Da ist zunächst Walter Tennyson Swingle, der die Zitruswissenschaft begründen wird. Liest man sich in die Zitrusliteratur ein, gibt es keinen Namen, keinen anderen Autor, der so häufig erwähnt und zitiert wird. Ein ganzer Wissenschaftszweig, eine grosse Industrie baut auf ihm und seinen Erkenntnissen auf. Er ist auch der erste, der versuchte, winterhärtere Zitruspflanzen über die Einkreuzung von Poncirus trifoliata zu erreichen. Fast alle Hybriden, die wir aktuell für unsere Zitrusversuche in unserer Baumschule in Buchs sammeln, gehen eine oder zwei Pflanzengenerationen zurück auf seine Züchtungen. Er erreicht züchterisch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr als ganze Forschergenerationen nach ihm.
Der Pflanzen- und Foodjäger David Fairchild, um den es im Buch vor allem geht, macht es sich in seinem Leben zur Aufgabe, möglichst alle interessanten Pflanzen (vor allem essbare Pflanzen) in die USA zu bringen: Von der Zierkirsche bis zur Sojabohne. Natürlich gehört auch eine gehörige Portion 'Wanderlust' (das Wort wird im Amerikanischen auch gebraucht ;-), eine innere Unruhe, ein stark entwickeltes Fernweh dazu. Sein Ziel: Für die sich entwickelnde Landwirtschaft neue Kulturen, für die Menschen neue Nahrungsquellen zu erschliessen.
Schliesslich der Dritte im ungleichen Bunde: Charles Lester Marlatt. Er interessiert sich schon als Junge für alles, was kreucht und fleucht und wird später zum Chefentomologen der USDA. Er ist auch David Fairchilds Trauzeuge, als dieser nach seinen ersten Reisejahren die Tochter des berühmten Erfinders Alexander Graham Bell heiratet. Eigentlich war Swingle dafür vorgesehen, aber dieser war in wichtiger Zitrusmission unterwegs...
Die Pflanzenjäger des Büros für Plant Introduction
Die USA werden gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Weltmacht. Sie gewinnen den spanisch-amerikanischen Krieg, verleiben sich in ziemlich rüder Manier Hawaii ein und besetzen auch die Philippinen. Amerika strotzt vor Stärke. Und so soll die ganze Welt nach Pflanzen durchforstet werden, die für die heimischen Farmer und Konsumenten interessant sein könnten. Davon ist zumindest David Fairchild - eben auch getrieben von seiner eigenen 'Wanderlust' - zutiefst überzeugt. Zuerst in seiner Karriere begegnet ihm allerdings auch viel Skepsis, dann kann er aber innerhalb der USDA ein Büro für genau diesen Zweck gründen. Ihm geht es aber viel zu langsam, viel zu viel 'Sesselfurzerei', so dass er das Angebot des reichen Weltenbummlers Barbour Lathrop annimmt, mit ihm zusammen durch die Welt zu reisen und auf eigene Kosten (auf Kosten Lathrops) Pflanzen nach Hause zu schicken. Nach einigen Jahren, um 1904 wird Fairchild wieder in Washington sesshaft, heiratet die Tochter von Alexander Graham Bell und baut auch das Büro für Pflanzenimmigration (wie er seine Arbeit selber gerne betitelt) weiter aus. In den besten Jahren sind einige angestellte Pflanzenjäger für ihn und für die USDA unterwegs. Der berühmteste davon ist Frank N. Meyer, der Entdecker der Meyer Zitrone und vieler anderer Pflanzen.
Charles Marlatt: 'Bewahrt unsere amerikanische Heimat!'
Zu Beginn des neuen Jahrtausends und gegen den Ersten Weltkrieg hin ändert sich die Stimmung. Die Isolationisten finden in den USA immer mehr Gehör (siehe heute...) und gegen die ungehinderten Pflanzenimporte beginnt sich Widerstand zu formieren. Charles Marlatt ist es ein Dorn im Auge, dass Pflanzen einfach so frei importiert werden können. Vielleicht sind auch einige persönliche Ressentiments gegen seinen jüngeren Kollegen aus Kansas im Spiele, dem in Washington alle Türen offenstehen und dem alles so leicht zu fallen scheint, bis hin zu Hochzeit in den höchsten Gesellschaftskreisen. Marlatt muss sich seine Karriere regelrecht erkämpfen, hat auch eine persönliche Tragödie zu überstehen, als seine erste Frau auf einem Auslandseinsatz erkrankt und stirbt. Wie dem auch sei: Charles Marlatt fürchtet sich vor invasiven Pflanzen, vor eingeschleppten Krankheiten und Schädlingen, die die schöne Amerikanische Natur bedrohen. Am liebsten würde er eine Chinesische Mauer gegen alle Naturimporte errichten, um die drohende Katastrophe, die wie immer von aussen kommt, abzuwenden. Und natürlich hat Marlatt dabei auch einige gute Punkte, kann einige Beispiele erzählen. Die Diskussion, ja der erbitterte Streit der beiden ehemaligen Kameraden aus Kansas wird hart und öffentlich ausgetragen: Beide veröffentlichen flammende Appelle und Streitschriften im National Geographic. Marlatt startete den rhetorischen Krieg mit dem Beitrag: PESTS AND PARASITS. Why we need a national law to prevent the importation of insect-infested and diseased plants. Fairschild konterte mit dem Titel, der auf die Zusammensetzung der Amerikanischen Nation verweist: NEW PLANT IMMIGRANTS.
Kurzfristig gewinnt Marlatt: 1912 wird der Import von Pflanzen beschränkt, die Qurantäne wird eingeführt, das Netz der Regulierungen wird immer enger, so dass Fairchild 1923 ziemlich entnervt den Staatsdienst verlässt und wieder selbständig und privat als Pflanzenjäger und Pflanzensammler (vor allem von tropischen Pflanzen) tätig wird - meist finanziert von Sponsoren und reichen Philanthropen. Nur zu gerne würde ich wissen wollen, ob er schlussendlich zum Pflanzenschmuggler wurde, oder ob er sich immer an die Vorschriften hielt... Er wird sich vermutlich ähnlich verhalten haben wie Steuerbeamte, die zu Steuerberatern mutieren...
Wer hat gewonnen?
Das Buch von Daniel Stone ist der beste Beweis, dass Fairchilds Haltung langfristig gewinnt: Ihm ist die Geschichte gewidmet, seine Erfolge und Misserfolge werden berichtet. Fairchild hat dem Amerikanischen Gartenbau (und der Hauptstadt Washington) die Japanischen Zierkirschen geschenkt, und ohne Sojabohnen wäre die Landwirtschaft weiter amerikanischer Landstriche gar nicht denkbar. Fairchilds Einfluss bis heute ist sehr viel grösser als derjenige von Marlatt. Stellvertretend kann man auch die Wikipediaeinträge nachlesen: Fairchilds Eintrag umfasst 29 Zeilen, der Beitrag über Marlatt 7 Zeilen. Bei Amazon findet man bald 70 Jahre nach seinem Tod 7 Bücher von und über David Fairchild, von Marlatt sind nur 2 alte wissenschaftliche Reprints vorhanden. Und vergessen wir auch Swingle nicht: Seine Forschungen zur Zitruskultur und zu den Zitrusarten und -Sorten (notabene alle in den USA nicht einheimisch...) sind so präsent, als hätte er seine Karriere eben gerade erst abgeschlossen. Es ist fast nicht möglich, über Zitrus zu schreiben, ohne ihn zu zitieren.
Was lehrt uns die Geschichte von David Fairchild?
Die Geschichte von David Fairchild (und von Walter Swingle) lehrt, dass sich Offenheit auch bei Pflanzen lohnt, dass sich Entdeckungslust auszahlt. Natürlich müssen wir als Spätgeborene und Vernunftbegabte zugeben, dass auch der ängstliche Marlatt einige Punkte für sich in Anspruch nehmen kann. Könnten wir wirklich auf Importkontrollen ganz verzichten? Wäre das nicht viel zu gefährlich? Marlatts Haltung ist auch bis heute nicht verschwunden, sie prägt die Pflanzen-Importregulierungen der ganzen Welt. Aber über alles gesehen ist die offene Haltung viel produktiver und hat die grösseren Auswirkungen. Die Pflanzenzöllner führen in den meisten Fällen einen Krieg, der in einer globalisierten Welt nicht zu gewinnen ist. Wahrscheinlich wäre es deutlich produktiver, den Einsatz und den Erfolg (auch den Misserfolg und die Kollateralschäden) der neuen Pflanzen (und Tiere) in den neuen Nischen und Habitaten zu begleiten und zu erforschen. Davon bin ich überzeugt: Die Freiheit der Pflanzen ist langfristig auch unsere Freiheit. Wir sind in einer menschenbeeinflussten, ja menschengemachten Umwelt auf die Gaben, die Anpassungsfähigkeit und auf die evolutionäre Kreativität der Pflanzen angewiesen, woher sie auch kommen mögen.
Die Pflanzenwelt ist voll von Ideen, voll von Möglichkeiten, die erst ganz wenig ausgeschöpft sind. It‘s just day one: Die Entdeckung, Wiederentdeckung und Züchtung neuer Pflanzen hat eben gerade begonnen...