Ich gebe gerne zu, dass ich die Frage für mich gerade beantwortet habe: mit Kaffee. Schliesslich muss ich jetzt in 60 Minuten ein lesbares Editorial schreiben. Kaffee wirkt schnell, gibt den vielleicht entscheidenden Startkick, macht wach, auch wenn ich noch vor ein paar Minuten mein Mittagsschläfchen gerne bis unendlich weit in den Nachmittag ausgedehnt hätte. Eigentlich weckt schon die Erwartung auf den Kaffee die Lebenskräfte, die schwarze bittere Brühe erledigt dann den Rest. Wie bitte konnte man nur lernen, dieses unmögliche Getränk zu lieben? Auch wenn heute zur Tarnung der eigentlichen Gründe eine regelrechte Pseudowissenschaft um Kaffee und Kaffee Baristas entsteht, muss der Genuss des Kaffeetrinkens doch in Frage gestellt werden: Ist es nicht eher Abhängigkeit und Sucht und – na ja – vielleicht auch Leistungsdruck, der uns dem Kaffee – und wohl auch dem sanfteren Tee – in die Arme treibt? Es fällt schon auf, dass viele Menschen erst gegen 20 Kaffee trinken lernen, meist wenn sie leistungsmässig – im Beruf, in einer weiterführenden Schule – vielleicht zum ersten Mal im Leben etwas Stress haben. Oder habt ihr schon mal versucht – als starke Kaffeetrinker – 2 Wochen clean zu bleiben? Es ist am Ende nicht der ach so gute, in 1001 Röstungen, Sorten und Herkünften diversifizierte Geschmack, der uns zur Kaffeetasse drängt, es ist die psychoaktive Substanz: das Koffein.
Inhaltsverzeichnis
Kaffee versus Tee
Glücklicherweise kann man die Wirkung des Koffeins auch etwas sanfter, dafür länger anhaltender haben… wenn man Tee wählt. Tee ist geschmacklich feiner, sein Duft ist nicht brutal verröstet, sondern vielfach floral und divers. Blumendüfte, Heuerinnerungen, Rhabarber- oder Sauerampferfrische. Das Teein, die psychoaktive Teesubstanz, ist zwar chemisch mit dem Koffein identisch, wirkt aber etwas länger und anhaltender als Kaffee, da es an Gerbstoffe gebunden ist, die nur langsam abgebaut werden. Oder so ähnlich. Jedenfalls braucht der Teetrinker in der Regel nicht jede Stunde, jede Artikelseite einen neuen Becher, sondern zwei Teezeiten pro Tag reichen aus. Wobei es sowieso beim Tee vielviel kultivierter zugeht als beim brutalen Kaffee.
Kulturhistoriker sehen in Teein und Koffein, in Tee und Kaffee, wesentliche Treibstoffe der Aufklärung und der Industrialisierung. Tranken mittelalterliche Menschen in allen Lebensaltern verdünntes Bier, sauren Wein oder süssen Met (die immerhin gesünder waren als fauliges Stadtwasser), so wurde nun Wasser gekocht und mit den aktivierenden Substanzen Teein und Koffein veredelt. Wachheit und Geist waren nicht schon gegen Mittag abgestumpft oder… na ja… leicht besoffen, die aktive und produktive Arbeitszeit konnte ausgedehnt, die Produktivität stark erhöht werden. Vielleicht ist es gar nicht das Geld, das den Kapitalismus treibt, vielleicht sind es Tee und Kaffee… Ohne Kaffee, ohne die Aussicht auf Kaffee, wäre ich vorhin wirklich viel lieber einfach liegengeblieben. Was kümmert mich mein Editorial, wenn ich vor mich hindöse? Wie schön wäre es jetzt auf meiner Lieblingscouch?
Hört die segensreiche Wirkung des Kaffees bereits auf? Jetzt brauche ich unbedingt einen Tee, einen Schwarztee oder Matchatee, das Editorial ist nach einer knappen Stunde noch immer nicht fertig, die Zeit wird knapp.
Kaffee und Tee sind die Paradebeispiele dafür, dass wir Menschen – die Zacken der selbsternannten Krone der Schöpfung – nicht nur aktiv und bewusst Pflanzen verändern, sie anpassen, die schönsten und besten vermehren, geniessen und schliesslich züchterisch reproduzieren – nein, der gleiche Prozess der Umformung und Abänderung läuft auch umgekehrt. Bei nur zierenden Pflanzen kann man das gerne als schöngeistiges Gedankenexperiment abtun. Bei Nahrungspflanzen sind die Verführungskünste der Pflanzen schon viel deutlicher zu sehen, sie bestimmen unsere Diät, wohl auch einen Teil unserer Leistungsfähigkeit und sie machen uns zu Vektoren ihrer Verbreitung. Der Unterschied zwischen dem Getreideanbauer, dem Körnchen-pickenden Vogel und der Wildbiene ist nur ein gradueller.
Und bei Genuss und Suchtpflanzen, die neben Zucker auch andere psychoaktive Substanzen aufweisen? Hier kommt es zu einer regelrechten Abhängigkeit, die wir wahrscheinlich darum als ganz normal akzeptieren, weil sie uns – jedenfalls nach unseren Wertvorstellungen – stärker und vor allem leistungsfähiger macht (und nicht schwach und krank). Nein, über Tabak und Cannabis wollen wir jetzt hier nicht auch noch reden.
Tee!
Tee ist kulturell viel stärker und ursprünglich auch viel globaler verankert als Kaffee. Teegenuss ist – ja was denn? – wie das sanfte Streicheln in Gegenrichtung der Barthaare (sorry, mir kommt momentan nichts Besseres in den Sinn), während Kaffee mit seinen dominierenden Röstaromen zwar einigermassen akzeptabel duftet, aber in Mund und Gaumen ein regelrechtes Schlachtfeld hinterlässt. Es gibt ja auch die Trinker von entkoffeiniertem Kaffee, die offenbar darauf vertrauen, dass sie dank der wachmachenden verheerenden Geschmackswirkung des Kaffees auf das nachwirkende Koffein verzichten könnten.
Tee wird seit über 6000 Jahren angebaut, in Tausenden von verschiedenen Sorten. Seine Herstellung wird auf unzählige Arten variiert und Sorten, Anbaulagen und Klima-Regionen sowie die Finessen der Herstellung führen dann zu einer schlichtweg unübersichtlichen Vielfalt der Teearten. Diese wird nochmals überlagert vom Kult, eher von den Kulten des Teegenusses. Es gibt Teezeremonien, Kaffeezeremonien eher nicht. Die kulturelle Verankerung des Tees hatte sicher zunächst die Aufgabe, den Tee überhaupt zu erschliessen, ihn anbaubar, erntbar, lagerfähig und geniessbar zu machen. Aber der Isolationslayer, der sich so zwischen den Menschen und die Pflanze, Camellia sinensis geschoben hat, ist fast unüberwindbar. So wie der Englische Teedieb Robert Fortune im 19. Jahrhundert ziemlich erstaunt war, dass Schwarztee und Grüntee von ein und derselben Pflanze stammen (deren Blätter nur unterschiedlich verarbeitet werden), so mag es den einen oder anderen Leser erstaunen, dass Tee von einer ganz einfachen und eigentlich ziemlich unspektakulären Kamelie stammt, die auch bei uns als Kübelpflanze, in milden Regionen und an schattigen Plätzen sogar ausgepflanzt kultiviert werden kann.
Fresh-T®
Dank der drei neuen Teesorten 'Teabux'®, 'Tearoma'® und 'Bloomtea'®, die wir aus einer Tee-Sämlingspopulation aus Südkorea ausgewählt und selektioniert haben, könnt ihr ab sofort wieder in direkten Kontakt mit der Pflanze treten, die jeden Tag Hunderte von Millionen Menschen aktiviert und sanft auf Trab hält. Und vielleicht könnte ihr sogar vom wilden und brutalen Kaffee auf den Sanften Tee umsteigen, wie ich beim Schreiben dieses Editorials…
Aber halt, der Tee wird doch durch ein ungeheuer kompliziertes Verfahren hergestellt, das wir zuhause in Garten und Küche unmöglich reproduzieren können? Genau das meinte ich mit dem Layer, mit der technischen und kulturellen Pufferzone, die sich zwischen die Pflanze und die von ihr beeinflussten Menschen geschoben hat. Vielleicht ist es ja unsere allzu menschliche Strategie, die Wirkungen des Tees letztlich uns selber (unserer Technik, unserer Kultur) zuzuschreiben, nur damit wir der Pflanze nicht den ihr gebührenden Respekt zollen müssen…
Der Kaiserweg zum Tee
Aber wie mache ich nun auf möglichst einfache Weise Tee aus der eigenen Teepflanze. Vergesst bitte zunächst mal die aufwändigen Produktionsverfahren mit Fermentierung, Röstung, Rollung und Trocknung. Den richtigen Weg weist uns die Sage, ja eher das Gerücht, wie im Jahre 2737 vor Christi Geburt der chinesische Kaiser Shennong den Tee entdeckte. Er hatte Wasser abgekocht (warum wissen wir leider nicht…) und der Wind wehte einige Teeblättchen in das Wassergefäss. Der Duft, der Geschmack, die feine Säure und Bitterkeit des Teewassers gefielen ihm, er erkannte seine heilsamen Wirkungen – der Tee war beim Kaiser und bei den Menschen angekommen.