Mit den Gartennachbarn ist das ja immer so eine Sache. Besonders im Herbst. Es liegt nun mal in der Natur, dass nicht alle das gleiche Empfinden von Ordnung haben. Bei mir wird derzeit gewuchert und versamt, was das Zeug hält. Denn ich mag Pflanzen, die von selber auftauchen, die sich ihren eigenen Platz suchen. Borage, Akelei, Kosmeen, Löwenmäulchen, Hornveilchen, Lunaria und Spornblumen lasse ich gewähren. Da ragen dann auch mal ein paar Nachtkerzen, einige riesige Sonnenblumen oder Eselsdisteln ein bisschen über den Zaun. Von den Topinambur ganz zu schweigen, die sich halt zu gerne ausbreiten, in alle Richtungen. Und das gibt Ärger, das ist mir schon klar. Denn meine Lieblinge sind vermehrungsfreudig. Auf der anderen Seite aber wird wöchentlich gemäht und gestutzt und gegiftet, damit "Ordnung" herrscht. Kein Wunder, flüchten die Meisen und die Igel alle zu mir!
Neulich beschwerte sich eine alte Dame vom Block gegenüber, dass sie von ihrem Fenster aus eine Eselsdistel sehe. Und das störe ihre Aussicht. Es störte wohl vor allem ihre Ansichten. Alle Disteln seien Unkraut, sagte sie, und die müssten weg, weil sie sonst absamen. Hehe, hab ich gesagt, genau dafür sind sie doch da! Ebenso wie die Stockrosen und die Karden und die dunkelroten Melden (Atriplex hortensis). Kinderlein mehret euch, bei mir dürft ihr euch ausbreiten! Und was zuviel ist und dann tatsächlich im Weg steht, kann ich im Frühling immer noch ausreissen.
Wo immer es sich durchsetzen lässt, würde ich die Samenstände stehen lassen. Auch das Laub der Stauden schneide ich nicht weg. Denn auch Nützlinge fühlen sich im Garten nur wohl, wenn sie genug Verstecke finden. In einer Studie hat die englische Ökologin Jennifer Owen während 30 Jahren das Wildleben in ihrem Garten untersucht. Sie hatte bewusst nicht nur einheimische Pflanzen gesetzt, sondern eine Mischung aus allen gängigen Blütenpflanzen, wie man sie in durchschnittlichen Gärten findet. Tatsächlich konnte sie über die Jahre tausende verschiedener Insekten zählen! Und sie stellte auch fest, dass Bienen, Schmetterlinge und Co keinen Unterschied machen zwischen einheimischen und ausländischen Pflanzen. Die Forscherin schloss daraus, dass wir unsere Gärten möglichst vielfältig bepflanzen sollen: "Wenn man ein perfektes Biotop für Insekten gestalten möchte, dann würde das tatsächlich aussehen wie ein gewöhnlicher Garten." Wichtig sei, dass stets etwas blühe, und dass man möglichst viele verschiedene Arten von Blumen ziehe, um die Bedürfnisse einer grossen Zahl von Insekten zu befriedigen. Und Andrew Salisbury, Senior Entomologist des RHS-Gartens in Wisley, sagt: "Es gibt keine strikten Regeln, um einen Garten naturfreundlicher zu machen, ausser, dass man auf Gift verzichtet. Auf keinen Fall muss man einen Teil verwildern lassen oder sich auf einheimische Pflanzen beschränken, das wäre kontraproduktiv." Er empfiehlt, sich in kleinen Gärten mit den Nachbarn abzusprechen, damit nicht alle die selben Bäume und Büsche pflanzen. Grundsätzlich gilt: Je grösser die Vielfalt, desto besser für alle!
Vielfältig pflanzen ist das eine, wachsen und natürlich vergehen lassen, das andere. Auch aus Sicht der Pflanzen ist es besser, altes Laub stehenzulassen, denn es schützt ihr Herz vor Kälte. Ich finde es auch ganz hübsch zu sehen, wie langsam die ersten Blätter rot und orange und braun werden, und wie sich die Pflanzen behutsam auf die kalte Jahreszeit vorbereiten. Eigentlich ist ihr jährliches Abschiedsspektakel fast genauso faszinierend, wie im Frühling dann das frische Erwachen zu beobachten! Aber wer mit festgefahrenen Ansichten und der Giftkeule gärtnert, hat wahrscheinlich kein Auge für die Schönheit, die sich gerade auch im Vergänglichen zeigt.
Wer aus dem Teufelskreis mit den Gartengiften aussteigen will, findet bei der Stiftung Praktischer Umweltschutz Schweiz nützliche Tipps: www.giftzwerg.ch