Sobald es kalt wird, erwacht das Jäger- und Sammlergen in uns Gartenmenschen, dann zieht es einen mit Körben und Säcken in den Wald. Tanntapfen, Nielenranken, silbergraue Flechten, Efeu, alles tragen wir nach Hause. Aber vor allem hab ich es heuer auf die Misteln abgesehen. Ja Misteln, diese Schmarotzer, die üppigen Vogelnestern gleich in den winterleeren Bäumen hängen, eine saftig grüne Verlockung am wintergrauen Horizont, genau die möchte man jetzt haben. Man sieht sie von Weitem, man begehrt sie, man stapft durch Nebel und Matsch, schaut hinauf, schillernde Perlen die weissen Beeren, und das Laub von einem matten Grün, oh so immergrün, ja das möchte man jetzt haben, sofort haben. Man beginnt zu klettern mit klammen Fingern und schweren Schuhen, steigt in die alte Eiche, und reisst den Schmarotzer aus dem Geäst. Denn ja, die Mistel ist ein Schmarotzer, ein richtiges Miststücke eigentlich, das seine Nahrung aus dem Holz des Wirtsbaumes saugt. Aber sie macht das gut, sie ist ein wahrer Überlebenskünstler, und darum umso kostbarer in dieser krisengeschüttelten Zeit. Ja, eine Mistel müsste man sein, warum nicht eine Mistel sein, ein filigranes Knäuel, mit saftigen Beeren und doch so zäh, dass ihr der strengste Winter nichts anhaben kann. Verbreitet wird die Mistel von den Vögeln, die die Beeren sehr gerne fressen, und ihre Samen dann mitsamt Guano-Dünger auf den Zweigen ausscheiden.
Wer nicht in fremden Bäumen herumklettern mag, kann die Misteln auch ganz gut im eigenen Garten ansiedeln. Man fügt einen Schnitt in die Rinde des zu bewachsenden Baumes, und quetscht ein paar der klebrigen Samen hinein. Damit die Vögel sie nicht gleich fressen, kann man die Saat mit etwas Moos abdecken und dieses mit einem Stück Schnur festbinden. Wann man die Misteln säen soll? Ich würde meinen jetzt, wo auch die Vögel sie im Geäst verbreiten.Auf Eichen gewachsene Misteln wurden von den keltischen Druiden verehrt, und ihre Wirkung vervielfachte sich, wenn ein göttlicher Blitz in die Wirtseiche eingeschlagen hatte. Misteln waren die heiligste aller heiligen Pflanzen, ihr klebriger Saft galt als Sperma der Götter, und darum auch als Symbol der Fruchtbarkeit. Noch heute küsst man sich im angelsächsischen Raum unter dem Mistelzweig. Bereits bei den Kelten galt die Mistel als Allheilmittel, das ungeahnte Kräfte verleiht. Das wusste auch Miraculix, der seinen Zaubertrank aus Mistelsaft braute, und damit Asterix im Kampf gegen die Römer stärkte. Im 20. Jahrhundert wurde die besondere Bedeutung von Mistelpräparaten für die Krebstherapie und zur Behandlung von Herzschwäche und Bluthochdruck entdeckt. Verschiedene Studien konnten antikarzinogene und das Immunsystem stärkende Eigenschaften nachweisen. Bei der Mistelernte achteten die alten Kelten übrigens streng darauf, dass die Beeren niemals den Boden berührten, nur so blieben ihre überirdischen Zauberkräfte gewahrt.
Misteln wachsen nicht nur auf Eichen, sondern auch gern in alten Obstbäumen, und sehr häufig auf Tannen, wo man sie halt einfach sehr schlecht sehen kann. Neulich haben wir im Wald haufenweise grosse, alte Misteln gefunden auf geschlagenen Tannen, nur leider waren die Vögel schneller gewesen. Ein paar behangene Zweige konnten wir noch retten, die versteckt unter dem Tannengeäst lagen und erst mühsam herausgesägt werden mussten. Wie wir sie zum Auto schleppten, wurde mir die Redewendung "auf den Leim gegangen" bewusst. Man sagt ja auch "zäher als Mistelleim", und nicht vergebens wird "Viskosität", der Fachbegriff für Klebrigkeit, von der Mistel (Viscum album) abgeleitet. Vogelruten wurden denn auch gern mit Mistelleim bestrichen, das ist natürlich doppelt gemein, weil die Vögel die weissen Beeren ja so sehr lieben.