Sabine Reber hat schon viele grosse und kleine Gärten angelegt und über die Jahrzehnte tonnenweise eigenes Gemüse selbst angebaut, auf dem Land, auf dem Balkon und im Stadtgarten. Über ihre Erfahrungen hat sie in zahlreichen Kolumnen und in Gartenbüchern wie auch auf unserer Videoplattform gartenvideo.com berichtet. Zudem hat sie 2016 das Selbstversorger-Buch "Vom Beet in die Küche" veröffentlicht, welches wir in unserem Gartenbuch als Serie erneut publizieren werden. Im vierten Teil unserer Serie geht es darum, dass man auch Kritik an der Selbstversorgung aussprechen darf.
Inhaltsverzeichnis
Erfahrung wächst mit den Jahren
Ein bisschen nerdig ist es natürlich schon, wenn jetzt alle nur noch von ihrem eigenen Gemüse und den selbst angebauten Erdbeeren und Äpfeln reden. Aber hey, lange haben die Menschen vor allem das gegessen, was ihnen in den Supermärkten vorgesetzt wurde. Und das war nun nicht gerade nachhaltig. Jetzt schlägt das Pendel halt in die andere Richtung. Und manche übertreiben es mit ihrem Eifer. Das ist nicht weiter schlimm. Aus ökologischer Sicht muss ich aber manchmal schon ein wenig den Kopf schütteln. Wenn fleissige Neu-Hobbygärterinnen und -gärtner dann Unmengen von Jungpflanzen in Plastiktöpfchen kaufen, diese mit viel energiereich gewonnenem Dünger grossziehen, und sich vielleicht dafür sogar noch ein beheiztes Gewächshaus leisten, dann stellt sich natürlich die Frage nach der Ökobilanz - und ob das kommerziell angebaute Gemüse unter dem Strich nicht sogar umweltfreundlicher wäre. Vieles, was wir selbst im Garten machen, ist aber natürlich aus ökologischer Hinsicht super. Man darf da einfach keine Scheuklappen tragen und muss sich vielleicht auch selbst ab und zu fragen, ob das nun sinnvoll ist, was man da gerade tut.
Den 1., 2. und 3. Teil der Selbstversorgungsserie "Warum selbst anbauen", "Grenzen der Selbstversorgung" und "Selbstversorgung als Lebensstil" gibt es im Gartenbuch zum Lesen.
Was mich persönlich ziemlich nervt, sind die vielen Gadgets, die in den letzten Jahren im Handel aufgekommen sind: Plastik-Hochbeete für den Balkon, Plastik-Gestelle für die Terrassenwand, Plastik hier und Plastik da, Hauptsache bunt und die Leute haben das Gefühl, etwas Gescheites zu tun. Basilikum aus den Plastiktöpfchen in die Plastik-Balkonpflanzwand umtopfen, womöglich noch in Torferde und mit Kunstdünger, für dessen Herstellung Unmengen fossiler Energie verschwendet werden, da hört bei mir das Verständnis auf. Aber im Großen und Ganzen sind die meisten Leute ja recht vernünftig und haben auch ein Gefühl dafür, solche Bullshit-Produkte im Laden oder im Online-Shop stehenzulassen. Denn war wir wirklich brauchen im Selbstversorgergarten, das sind gesunde Jungpflanzen. Und guten Gartenboden, den wir uns mit den Jahren erarbeiten mit eigenem Kompost. Und dann braucht's halt einfach Erfahrung und Know How. Und gute Planung und noch bessere Zeiteinteilung. Das alles kommt mit der Erfahrung. Irgendwann kennt man den Ort und den Boden, den Sonnenstand und die Schattenseiten, und bekommt auch ein Gefühl für das lokale Wetter - nur dass dann manchmal doch alles anders kommt. Der Hagel lässt grüssen.
Bild (Stöh Grünig): Die Planung des Beetes ist das Wichtigste in einem Selbstversorgergarten.
Wenn das Gemüse die Überhand gewinnt
Aber auch das andere Extrem kann einen heimsuchen im Selbstversorgergarten: Nämlich zu viel des Guten. Wenn erst einmal die ersten Hindernisse wie Schnecken und zu wenig Wasser überstanden sind, dann kennt das Gemüse kein Halten mehr. Ab dann heisst es ernten, ernten und nochmals ernten. Wo im Frühling von allem zu wenig war, ist nun bald zu viel von allem, und man weiss der reichen Ernte bald nicht mehr zu wehren und kommt auch mit dem Verarbeiten und Konservieren kaum mehr nach. Das gehört zum Selbstversorger-Leben dazu: Zuerst zu wenig von allem, und dann von allem zu viel. Zu den wüchsigsten Gemüsen gehören die Zucchini, von den Kürbissen ganz zu schweigen. Und auch die Erbsen und die Bohnen sind nicht ohne, wenn sie einmal richtig loslegen. Haben sie erst Fuss gefasst, sind sie bald überall.
Bild (Stöh Grünig): Fühlt sich die Zucchini-Pflanze wohl, ist sie nicht mehr zu bremsen und produziert am laufenden Band Früchte.
Und irgendwann wird es selbst mir zu viel. Mitunter sehe ich vor lauter Zucchini, Erbsenranken, Bohnen und Kürbissen die Wege nicht mehr. Wir essen Zucchini, Zucchinisuppe, Zucchiniauflauf, gefüllte und gratinierte Zucchini, Ratatouille, sogar Pizza mit Zucchini gab es schon, und einmal versuchte ich mich aus lauter Verzweiflung sogar an einem Zucchini-Sorbet. Aber irgendwann kann man sie einfach nicht mehr sehen. Es soll mir bloss niemand mit süss-sauer eingelegten Zucchini kommen! Also auf den Komposthaufen mit den überzähligen Exemplaren, die auch von den Nachbarn längst niemand mehr will. Die besonders grossen Kürbisse und Zucchini lagere ich im Treppenhaus. Sie mögen es nicht zu kalt, dann halten sie bis weit in den Winter hinein. Bohnen und Erbsen lasse ich wuchern, bis der Mehltau sie dahinrafft oder bis sie von selbst dürr werden, was irgendwann in der grössten Sommerhitze sowieso passiert.
Bild (Stöh Grünig): Bohnen sind ebenfalls leicht zu kultivieren und liefern eine reiche Ernte (die auch verarbeitet werden will).
Bloss nicht übertreiben!
Oh, und noch etwas möchte ich an dieser Stelle sagen, der Ehrlichkeit halber: All das gesunde selbst gezogene Gemüse ist natürlich in jeder Hinsicht super. Aber manchmal habe ich auch Lust, einfach zum Kebapstand zu gehen und mir einen fetten Döner mit Fleisch und allem zu kaufen. So frei nach dem Motto: Allzu viel Gesundes ist ja vielleicht auch wieder ungesund. Bei allem, was man macht, und wenn es auch noch so wahnsinnig ökologisch und gut gemeint ist: Bloss nicht übertreiben! Auf dem Boden bleiben, ein bisschen vernünftig bleiben und Augenmass bewahren. Gerade und vor allem auch dann, wenn ihr noch minderjährige Kinder habt. Lasst sie im Gottes Willen auch zwischendurch mal was Ungesundes essen. Bei manchen nerdigen Ökoeltern tut es mir jeweils fast leid, wenn ich sehe, dass die Kleinen nicht mal ein Eis kriegen, weil ach, Industriezucker, und die Hamburgerbuden kennen sie nur von aussen, und haben dann am Ende nur umso mehr Lust, als Erwachsene dorthin zu gehen.
Ich habe meine Tochter jedenfalls nie gezwungen, Gemüse zu essen. Nein ehrlich, sie musste auch nie Spinat essen, wenn sie nicht wollte. Heute kocht sie wunderbare vegane Mahlzeiten, weil sie das cool und lecker findet, und Salat mag sie besonders gerne, auch oder vielleicht gerade, weil sie nie Salat essen musste bei mir. Manchmal kommt sie aber auch mit in die Dönerbude. Ich glaube und bin überzeugt, im Selbstversorgergarten ist es wie überhaupt im Leben: man muss ein bisschen vernünftig bleiben, Gutes tun, wo es möglich ist, aber nicht nur zur Natur und zum Garten, sondern auch zu sich selbst und zu den Kindern freundlich bleiben und Nachsicht walten lassen. Denn eigentlich ist es das, was uns der Selbstversorgergarten lehrt: Nichts ist perfekt, und es muss auch nicht perfekt sein.
Bild (Stöh Grünig): Selbstgezogenes ist lecker und gesund. Wer in der Kindheit bereits ungezwungen Gemüse und Obst gegessen hat, wird es im Erwachsenenalter auch noch gerne essen. Allerdings sollte man sich nicht zu sehr unter Druck setzen und bloss nicht übertreiben.
Lust auf Selbstversorgung
Was gibt es Schöneres, als in einen selbergezogenen Apfel zu beissen? Einen Frühlingssalat aus dem Frühbeet anzurichten, oder von der Sonne warme Erdbeeren direkt im Garten zu geniessen. Eigenes Gemüse, eigene Früchte machen zwar viel Arbeit, aber sie machen noch viel mehr Freude. Und den Genuss der eigenen Ernte kann das teuerste Gourmetrestaurant nicht aufwiegen.
Zum Sommerende zeigt sich der Gemüsegarten in seiner ganzen Pracht. Ich staune selbst, wie viel in nur einer Saison möglich ist. Der farbige Mangold leuchtet, als stünden Scheinwerfer dahinter. Wir essen davon. bis er uns zu den Ohren herauskommt. Und auch Nachbars Kaninchen werden grosszügig damit gefüttert. Rote Beete schmeckt lecker - so süsse Exemplare kann man nirgends kaufen! Auch Salate sind noch viele da. Und die Tomaten im kleinen Gewächshaus sind ebenfalls ganz gut geworden, seit meine Tochter sie ausreifen lässt. Die Knollen des Fenchels sind inzwischen so gross, dass es mich reut, sie zu ernten. Ausserdem leben schone Schmetterlingsraupen darauf. Und die Kohlrabi sind sogar zu gross für die Küche. Besser schmecken uns die Pastinaken, die dank des vielen Regens prächtig gedeihen.
Bild (Stöh Grünig): Schmackhaft saftig und süsser als die Rote Beete im Supermarkt ist die aus dem eigenen Garten.
Über den Tellerrand hinaus: Mehr als nur die Früchte verwerten
Im Selbstversorger-Gemüsegarten wird nichts weggeworfen. Die Zwiebeln, die ich im Frühsommer ausdünne, landen mitsamt dem knackig grünen Laub im Salat. Auch Blättchen der pikierten Krautstiele oder Rote Bete geben eine feine Salatbeigabe. Pastinakenblätter schmecken wie Selleriekraut, Rote Bete und Krautstiele geben dem Salat dagegen eine erdig bodenständige Note. Das Laub der Kapuzinerkresse hat wie ihre Blüten ein würziges, scharfes Senfaroma. Die jungen Blätter des Borretsches, der allerorten absamt, verleihen dem Salat ein feines Gurkenaroma. Werden die Blätter grösser, muss man sie allerdings kurz blanchieren, weil sie etwas haarig werden.
In unseren Breitengraden werden traditionell von den meisten Gemüsen nur die Früchte geerntet, von den Karotten die Wurzeln, von den Erbsen nur die Erbsen, vom Fenchel nur die Knollen etc. Ich hatte einmal die Gelegenheit, ein afrikanisches Kochbuch zu lesen - und mir ist ein Licht aufgegangen. Tatsächlich kann man fast alles essen, und vieles, was wir achtlos auf den Komposthaufen werfen schmeckt tatsächlich ganz lecker. Ausserdem spart man Zeit und auch Geld, wenn man von ein und derselben Pflanze möglichst viele verschiedene Teile verwendet. Und es bringt Abwechslung in die Küche. Zum Beispiel die frischen Triebe der Erbsen, sie schmecken nach - na, nach was wohl - Erbsen, und sind eine feine Zugabe zu Salaten. Mitunter ziehe ich die Erbsen sowieso weitgehend nur noch als Salatbeigabe - das gibt viel weniger zu tun als sie dann zu schälen. Die Pflanzen geben viel mehr her, wenn man das Laub isst. Das Laub der roten Bete ergibt gedämpft ein feines Gemüse, so es denn nicht über und über von klebrigen Läusen befallen ist, wie das mitunter vorkommen kann. Auch die Blätter des Kohlrabis sind im Wok gedämpft und mit asiatischen Gewürzen verfeinert eine gute Beilage. Das Kraut des Fenchels brauche ich zum Würzen, es schmeckt weniger penetrant als der üblicherweise zum Fisch verwendete Dill und wächst umsonst.
Faszination für Kräuter
Mit Kräutern habe ich gelernt, auf meine Intuition zu vertrauen und meine eigenen Rezepte zu erfinden - im Garten genauso wie in der Küche. Das Fantastische an Kräutern ist, dass man die meisten von ihnen aus Samen oder Stecklingen ganz einfach selbst ziehen kann, sie kosten nicht viel und sind im Allgemeinen recht anspruchslos - man kann kaum etwas falsch machen. Und wenn doch etwas schiefgeht, fängt man eben nochmals von vorne an. Viele einjährige Kräuter versamen sich und tauchen jedes Jahr wieder von selbst auf, wo es ihnen gerade gefällt. Mir soll das recht sein. Da ich zum Kochen nur wenig Salz verwende, brauche ich umso mehr frische Kräuter.
Auch auf dem Balkon sind Kräuter fantastisch, neben der Eingangstür oder auf dem Fenstersims: Sie sind ein sinnliches Vergnügen. Einige sehen so zart aus, dass man sie immer wieder anfassen muss. Ich kann an keinem Lavendel vorbeigehen, ohne mit der Hand über seine Blätter zu streifen. Ich kann keine Minze anschauen, ohne ein paar Blättchen zu vernaschen. Besonders fein ist der Kerbel, den ich extra ins Rosenbeet gepflanzt habe, weil er so erfrischend schmeckt und ich beim Jäten gerne davon koste. Und auf Petersilie bin ich sowieso ganz schwarz - es gibt wohl zwei Arten von Menschen: Diejenigen, die Petersilie nicht ausstehen können, und die anderen, die an keiner Petersilie vorbeigehen können, ohne sich ein Büschel in den Mund zu stecken. Mit Kräutern wächst die Lust auf Selbstversorgung, das gärtnerische Selbstvertrauen wächst, und je mehr man darüber weiss, desto mehr Freude hat man, sein eigenes Essen anzubauen!
Bild (Stöh Grünig): Mit Kräutern wächst die Lust auf einen Selbstversorgergarten. Hier wächst Oregano und im Hintergrund Thymian.