Meine Oma hatte einen großen Garten mit allen möglichen Obst- und Gemüsepflanzen. Im Haus hatte sie ihr Leben lang mehrere Zimmerpflanzen, die alle ohne Ausnahme Rosen waren, genauer gesagt Chinesische Rosen (lat. Hibiscus rosa-sinensis). Sie waren die Babys einer Rose aus dem Zweiten Weltkrieg. Alle ihre vier Kinder haben jetzt auch diese Rosen. Und ich auch, ich habe mir eine aus der Ukraine nach Deutschland mitgenommen. Inzwischen sind es, wie bei Oma, mehrere geworden. Auf dem Foto ist sie, mein Nachfahre der Rose, die den Weltkrieg überlebt hat.
Meine Oma musste im Zweiten Weltkrieg aus ihrem Haus mit drei Kleinkindern fliehen …
Was kann man schon grossartig mitnehmen? Es schmerzt sehr, sich von diesem oder jenem vielleicht für immer trennen zu müssen. Meiner Oma tat die Rose am meisten Weh. Wie Weh es ihr tat, mussten wir, die sechs Enkelkinder, uns sehr oft anhören. Damals hat mich die Geschichte, die ich Ihnen jetzt erzähle, nur genervt: “Oma, das hast du doch schon vor einer Woche erzählt, und eine Woche davor! Hör auf!” Liebe Oma, es tut mir so leid.
Die Zeit war sehr knapp und trotzdem hat sie sich Zeit genommen und entwickelte ein raffiniertes Gießsystem, das aus einer grossen, mit Wasser gefüllten Schüssel und mehreren dicken Wollfäden bestand, die das Wasser aus der Schüssel in den Kübel leiteten.
Irgendwann war die Stadt befreit, Oma kehrte zurück … mit einem Kind. Das Haus war zerbombt. In den Ruinen stand die Rose in der Aluminiumschüssel. Wissen Sie, dass die chinesischen Roseneibische nur ein-zwei Tage blühen? Wenn ja, dann verstehen Sie, dass das Wunder nicht einmal passierte: Die Rose war nicht vertrocknet, das Wunder ist nicht zweimal passiert: Die Rose hat die Bomben überlebt, es war ein dreifaches Wunder: Sie blühte.
Können Sie sich vorstellen, wieviel Freude, aber vor allem Kraft und Mut, die Rose meiner Oma geschenkt hat?
Können Sie sich vorstellen, dass eine einzige Pflanze den Menschen so sehr helfen kann, weiter zu leben, zu kämpfen und alles von vorne anfangen zu können?
Neue Kinder wurden geboren, Enkelkinder, die Rosen trugen neue Blüten … Und jedesmal, wirklich jedesmal wenn die Rose neue, meistens nur eine einzige Blume bekam, setzte sich Oma hin und guckte sie an. Sie sass oft sehr lange, still, in sich gekehrt. Und dann versuchte sie, uns aufs Neue die Geschichte zu erzählen, wie sie die Rose gerettet hat. Von den Zwillingen erzählte sie nie.
Lesya Kochubey