Die Süsskartoffel gewinnt mehr und mehr an Bedeutung und Marktanteil. War sie früher nur in wärmeren, subtropischen Gebieten im Anbau, so zeigt sie neuerdings auch im Norden, im gemässigten Klima ihre Robustheit und Resilienz. In unserem Zuchtbetrieb in Buchs, im Rheintal zwischen Bodensee und den Alpen hatten wir im schlechten Sommer und Herbst 2021 einen exzellenten Ertrag, aber auch 2022 zeigte sich die Süsskartoffel von ihrer besten Seite: Weder hat ihr die Trockenheit im Sommer geschadet noch jetzt der kalte und nasse September. Wir haben vor einigen Jahren ein Zuchtprogramm bei Süsskartoffeln gestartet, um diese spannende Art auch für den Norden, für die nördlichen Gärten, noch besser anzupassen. Aktuell ist die Süsskartoffel in der Rangliste der wichtigsten Nahrungspflanzen ca. auf Platz 15. Aber Achtung: sie produziert mehr essbare Energie als Weizen, Reis oder auch Cassava. Da gibt es viel Luft nach oben; das Potential ist riesig. Und wir freuen uns über diesen neuen Gast in unseren Gärten und auf unseren Äckern. In unserem Gartenshop können Sie Süsskartoffeln kaufen und sich direkt nach Hause liefern lassen.
In der folgenden Bildergeschichte, zeigen wir auf, wie vielfältig die Süsskartoffel ist, wie divers auch, und wie wir bessere Sorten zu züchten versuchen:
Bild: Das Versuchsfeld mit den Süsskartoffeln zeigt sich am frühen Morgen fast unendlich, die Reihen sind 700 Meter lang.
Insgesamt sind hier knapp 10 000 Pflanzen zu ernten und zu selektionieren. Das heisst in unserer Züchtung stehen in diesem Jahr 2022 10.000 verschiedenen Individuen, aus denen wir die Fittesten und, im Sinne des Menschen, Besten auszulesen versuchen.
Bild: Am warmen Herbst-Nachmittag sieht das Feld gleich viel freundlicher aus.😉
Bild: Hier sieht man, dass wir den Süsskartoffeln noch nicht so ganz gewachsen sind. In Ermangelung einer anderen, schonenderen Maschine schütteln wir die Süsskartoffeln mit diesem Baumschulschüttler raus.
Um die zerbrechlichen Wurzeln nicht allzu sehr zu gefährden, nehmen die beiden Kollegen die Pflanzen händisch aus dem Schüttler - ein ziemlicher Knochenjob bei 10.000 Pflanzen. Übrigens findet hier gleich die erste Selektion statt: Es ist ein zentrales Ziel der Süsskartoffelzüchtung, Sorten zu erzielen, die bei der Ernte wenig Verletzungen aufweisen und auch möglichst wenig zerbrechen. Verletzte Knollen beginnen im Lager sehr schnell zu faulen. Das gilt natürlich auch bei Ihren Süsskartoffeln zuhause – also möglichst schonend ernten… Zurück zum Selektionsprozess: Natürlich werden wir Sorten, die schon stark verletzt aus dem Schüttler rauskommen, nicht weiter verfolgen…
Bild: Unser Züchter Moritz Köhle läuft durch die Reihen. Er hat jetzt die Qual der Wahl: Aus 10.000 Süsskartoffeln gilt es in einem ersten Schritt diejenigen auszuwählen, die die schönsten und am besten erntbaren Süsskartoffeln produzieren.
Wir gehen übrigens davon aus, dass die alte Bauernregel, dass die dümmsten Bauern die grössten Kartoffeln ernten, auf die Süsskartoffeln und nicht auf die konventionellen Kartoffeln gemünzt ist, denn riesige Süsskartoffeln sind zwar schön für einen olympischen Herbstwettbewerb (wer hat die Grösste im ganzen Land), aber in der Ernte und Verarbeitung eigentlich nicht das angestrebte Ziel. Moritz bezeichnet die ausgewählten Süsskartoffeln, die er weiter testen und vermehren will, mit einem kleinen Bambusstab. Insgesamt wird er von den 10 000 Pflanzen ca. 4% auswählen; über den Winter wird die Zahl dann nochmals mit Zuckermessungen, Degustationen und Lagerversuchen auf 250-300 reduziert. Diese werden dann wieder fürs nächste Frühjahr vermehrt, so dass wir sie in der nächsten Prüfstufe noch intensiver testen können.
Bild: Ist eine Pflanze vom Züchter selektioniert worden, werden je zwei Knollen sorgfältig geerntet und etikettiert, jede Selektion erhält eine Nummer, die sie individuell bezeichnet und auch die Information über die Eltern und Herkunft beinhaltet.
Eine Knolle wird benutzt, um die Pflanze sicher zu überwintern und dann ab Januar wieder anzutreiben, so dass man Stecklinge für die nächstjährigen Versuche gewinnen kann. Die andere Knolle kann für weitere Versuche und Messungen benutzt werden: So kann die Stärke, aber auch der Zucker untersucht werden. Zusammen mit einer Degustation helfen diese Resultate, weitere Negativselektionen vorzunehmen und so die Gesamtmenge der zu vermehrenden und zu testenden Sorten zu reduzieren.
Bild: Von jedem Klon, von jeder selektionierten Pflanze gehen 2 weitere Knollen ins sogenannte Curing. Dafür werden sie in ein Netz eingepackt und selbstverständlich ebenfalls wieder fein säuberlich etikettieret.
Beim Curing werden die Knollen eine bestimmte Zeit bei viel Wärme und hoher Luftfeuchtigkeit auf die Lagerung vorbereitet; durch diese Behandlung sollen sie eine dickere und robustere Schale/Haut ausbilden. Die nachfolgende Lagerung bei moderat kühlen Temperaturen und das Verhalten der einzelnen Klone ergibt dann weitere Resultate, die helfen, die Anzahl der weiter zu testenden Sorten zu reduzieren. Was trotz Curing schnell fault, scheidet aus dem «Rennen» aus.
Bild: Hier sieht man gut, dass die Knollen bei den Süsskartoffeln keine speziellen Organe sind, sondern ganz einfach verdickte Speicherwurzeln.
Sicher hätte es unser Züchter lieber gesehen, wenn bei dieser Süsskartoffel alle Wurzeln verdickt ausgefallen wären. Wenn es zu viele solche Bleistiftwurzeln gibt, gibt es keine Zukunft für die entsprechende Sorte/Selektion.
Bilder: Das ist das Ziel: Süsskartoffelpflanzen, die uns solche Wurzeln hinterlassen: mittelgrosse Knollen, 4-6 und mehr an der Zahl, 9-25 cm lang, eher oval, 5-10cm dick, möglichst frei von Seiten-Wurzeln und ganz ruhig, ohne vorzeitig entstehende neue Sprossen.
Nur ganz so leicht macht es uns die Süsskartoffel nicht. Sie ist eine äusserst diverse Pflanze, das ist nicht zuletzt in der genetischen Struktur begründet: Ipomea batatas ist hexaploid, trägt also 6 Chromosomenstränge in sich, die sich je auch wieder neu rekombinieren können. Die Resultate sind einfach unglaublich viele mögliche Kombinationen und eine sich daraus ergebende immense Diversität. Diese Vielfalt ist aber rein zufällig, nicht nach irgendwelchen Kriterien optimiert; genau darum braucht es den Züchter, der die für uns Menschen besten Individuen auswählt, weitertestet und dann vermehrt. Gerne mache ich immer wieder das Gedankenspiel, was die Pflanze denn von unserem züchterischen Tun halten könnte. Ihr geht es ja wohl vor allem um den Erhalt der Art. Wenn also der Mensch die für ihn besten Pflanzen selektioniert und dann deren Vermehrung (im Falle der Süsskartoffel die vegetative Vermehrung) übernimmt, wird wohl auch die Pflanze nichts dagegen haben. Aber immer nur unter der Voraussetzung, dass die Überlebensfähigkeit erhalten bleibt. Die Züchter werden auch im eigenen Interesse gut daran tun, die Diversität der Art möglichst zu erhalten, das heisst auf die züchterische Einengung (man muss sich ja für diese oder jene Sorte entscheiden) auch wieder Phasen folgen zu lassen, in denen die Diversität durch weitentfernte Kreuzungspartner angereichert wird. Bei einer hexaploiden Art muss man allerding nicht so viel Angst vor dem Verlust der Vielfalt haben…
Bild: Hier ist die Diversität gut zu sehen, zwei Geschwister mit gleichen Eltern, total unterschiedliches Aussehen…
Typisch für die Süsskartoffeln ist auch die Diversität der Fleisch- und Schalenfarben, bei denen fast alle Schattierungen von Weiss über Gelb, Orange bis Violett-Rot möglich sind, dazu kommen noch Mischfarben, manchmal auch mit Einsprengseln einer anderen Farbe. Genetisch werden die Schalen und Fleischfarben weitgehend unabhängig voneinander ausgesteuert werden. Für die gesunde menschliche Ernährung sind vor allem auch orange und dunkelrote Fleischfarben interessant, weil sie auf sehr Konzentrationen von Karotinoiden und Anthocyanen beruhen.
Bild: Ja, weisse Süsskartoffeln gibt es auch – sie sind vor allem in Asien beliebt.
In den letzten Jahren hatten wir den Eindruck, dass wir bei weissen Sorten den höchsten Zuckergehalt erzielen können. Aber wir lassen uns gerne immer wieder von neuen Erkenntnissen überraschen. 😉 So ist halt das Züchterleben mit einer zumindest für uns neuen Art wie den Süsskartoffeln.
Bild: Riesenkartoffeln, wir haben es schon erwähnt, sind bei den Süsskartoffeln nicht wirklich das angestrebte Ziel.
Schliesslich sollen die Knollen ja auch mal verarbeitet werden. Jedenfalls ziehen wir Süsskartoffel-Individuen mit 4-6 mittelgrossen Knollen vor.
Bild: Süsskartoffelwürste sind auf den ersten Blick sehr praktisch: Da lassen sich ja ganz einfach bissgerechte Scheiben schneiden – aber in der Ernte und Verarbeitung sind sie viel zu zerbrechlich.
Also werden auch solche Röhrenkandidaten vom Züchter verschmäht.
Bild: In dieser ersten Züchtungsstufe geht es vor allem darum, wegzuwerfen, was wir voraussichtlich bei der Sortenentwicklung nicht brauchen können, also um Negativselektion.
Hier ein weiterer typischer Kandidat, der es in den Augen unseres Züchters Moritz Köhle nicht schaffen wird:
- Es gibt viel zu viele Wurzeln an den Knollen, also sozusagen Seitenwurzeln, die die Reinigung und Lagerung erschweren. Werden sie entfernt, so entsteht auch immer eine Wunde, die zum Ausgangspunkt von Fäulnis werden kann.
- Vor allem beginnen aus den Knollen schon wieder neue Triebe zu spriessen, offenbar hat diese traurige Süsskartoffel noch nicht ganz begriffen, dass sie sich nicht mehr wie in den Tropen und Subtropen in Sicherheit wägen und jederzeit wieder mit neuem Wachstum starten kann. Unser Winter wird das leider nicht zulassen.
Bild: Auch hier sind die neuen Sprosse sichtbar; diese Süsskartoffel ist für die Lagerung nicht geeignet.
Bild: Obwohl die Natur der Süsskartoffeln ja stark für längliche Knollen spricht (bedingt durch die Längsachse der Wurzeln, aus denen die Speicherknollen/Speicherwurzeln entstehen) gibt es auch runde Knollen…
Bild: Diese Süsskartoffel verweigert dem Menschen jegliche Mitarbeit, sie hat nur Wurzeln und Bleistiftwurzeln ausgebildet, keine Speicherknollen.
Wie sie überleben will, wird ihr Geheimnis bleiben; in der mittel- oder südamerikanischen Heimat von Ipomea batatas könnte das allerdings auch ohne Speicherwurzeln gelingen, sonst hätte die Eigenschaft nicht bis heute überlebt. Also mir ist eine solche Arbeitsverweigerung der Süsskartoffel eigentlich ganz sympathisch, aber als Süsskartoffelzüchter können wir das natürlich nicht zulassen, wir möchten ja an den fürs Überleben bestimmten Speicherorganen der Süsskartoffeln teilhaben…
Bild: Das Laub haben wir vor der Ernte weggeschnitten und entfernt. Es sollte aber längerfristig nicht unterschätzt und auch für die menschliche Ernährung benutzt werden.
- Wir suchen laubschöne Selektionen mit gutem Ertrag, die auch einen Zierwert haben. Diese ideale Kombination gibt es noch nicht auf dem Markt, die aktuellen Ziersorten sind zu wenig beständig im Ertrag.
- Ein weiteres Ziel ist es, das Laub kompakter zu halten, das heisst die Internodien zu verkürzen oder aber die Zahl der Nodien zu reduzieren, die für die Ernährung der Speicherorgane notwendig ist. Kurz: die Süsskartoffel soll effizienter werden.
- Das Laub bietet aber noch mehr Möglichkeiten: in anderen Regionen wird es intensiv als Viehfutter genutzt, das proteinhaltige Laub bietet aber auch für die menschliche Ernährung neue Perspektiven. Zero waste auch auf dem Feld oder im Garten!