Hier im Gartenbuch, erzählt mein Züchter-Kollege Raphael Maier von seinem Besuch in Kew, den Royal Botanic Gardens bei London. Dabei hatte er das Privileg, vom weltbekannten Pflanzenforscher und Pflanzenjäger Carlos Magdalena empfangen und geführt zu werden. Gerne wäre ich auch in London gewesen… Aber auch ohne Reise hat Raphaels Artikel einige Gedanken bei mir ausgelöst. Lesen Sie selber....
Inhaltsverzeichnis
Darf man Pflanzen entführen, um sie zu retten?
Carlos Magdalena sammelt und klassifiziert unter anderem seltene Seerosen-Arten und versucht sie vor dem Aussterben zu bewahren. Dafür müssen die Samen und Pflanzen zunächst mal nach England gebracht und dort nach allen Regeln der botanischen Kunst bearbeitet werden. Raphael Maier hat hinter den Kulissen erfahren, dass dies alles gar nicht mehr so einfach ist. Darf man Pflanzen aus ihren Ursprungsgebieten 'stehlen'? Darf man sie schlimmstenfalls auch ohne Pflanzenpass und Zertifikat von einem Kontinent zum anderen bringen? Und darf man schliesslich auch ihre Sexualorgane so manipulieren, dass sie am Schluss endlich wieder eine Chance haben, Blüten und Samen zu produzieren? Die grassierende politische Korrektheit würde wohl all diese Fragen mit 'nein' beantworten. Carlos Magdalenas, Raphaels und meine Meinung können Sie sich vorstellen: Wir plädieren im Zweifel für den Angeklagten und der ist in diesem Falle eben nicht Carlos Magdalena, sondern die Pflanze selber. Sie will überleben, sie muss überleben. Und wir können hier und heute als Menschen nicht entscheiden, ob von der kleinsten oder grössten Seerose die Zukunft unserer Welt abhängt.
Die Pflanzen und der Imperialismus
Kew Gardens und andere ähnliche botanische Institutionen hatten einen ziemlich handfesten Hintergrund, als sie vor über 250 Jahren entstanden sind. Es ging darum, die Pflanzen der Welt zu sammeln, um die Welt zu beherrschen. Botanischer Imperialismus! Dafür musste man natürlich im 1800 Jahrhundert kein schlechtes Gewissen haben. Die Frage stellt sich aber, ob das weltweite Sammeln und Erhalten von Pflanzen auch heute noch vom schlechten Gewissen begleitet sein muss? Es wird interessant sein, in einem der nächsten Gartenbriefe Raphael Maiers Besprechung und Hinweise zu den Büchern von Carlos Magdalena zu lesen.
Reiseführer für Pflanzen oder Pflanzen-Schmuggler?
Filmschnitt: Als ich vor einigen Jahren mit meiner Familie im Nordwesten der USA unterwegs war, kaufte ich in einem Supermarkt drei Schalen Brombeeren. Auf der Etikette waren drei unterschiedliche Sorten deklariert, Driscoll 1, 2 und 3. Driscoll ist ein riesiger, internationaler Fruchtkonzern, der vertikal integriert von der Züchtung über den Anbau bis zur Vermarktung Beerenfrüchte anbietet. Driscolls Züchtungen und Züchter sind dabei ein Betriebsgehemins, von dem fast nichts preisgegeben wird. Die Sorten werden über amerikanische Patente geschützt. Jedenfalls konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, die Früchte zur Samengewinnung zu kaufen. Im Hotelzimmer verursachten wir beim Auswaschen der Samen ein wahres Blutbad. Und den Rest müssen Sie sich selber vorstellen… (Leider muss ich hier kurz unterbrechen, da das Bundesamt für Landwirtschaft vermutlich mitliest. Es ist selbstverständlich unklar, was mit diesen Samen weiter geschah. Und wer sie wie eventuell nach Europa brachte und wo sie heute sind.)
Die Früchte der Samen
Wie dem auch sei: ich habe in diesen Tagen neue Brombeerpflanzen selektioniert, die eventuell von diesen Samen stammen könnten. Dabei waren zwei von drei Population (oder waren es vier?) gänzlich unbrauchbar. Aber in einer Familie fand ich Brombeeren, die einen richtigen Züchtungsdurchbruch bringen werden. Grosse Früchte selbstverständlich, aber von einer Festigkeit, wie ich sie bisher nur von Navaho® kannte. Und dann ein Aroma und ein Zuckergehalt, der meiner Meinung nach alle bekannten Brombeersorten schlägt. Natürlich kann ich mich irren, aber das Erlebnis erinnert mich stark an die (Wieder)Entdeckung der Navaho®-Brombeeren vor 30 Jahren. Ich hatte die Navaho®-Versuchspflanzen aus den USA bezogen (damals ging das noch ohne Bundesamt für Landwirtschaft), sie dann aber schlichtweg auf einem Versuchsfeld vergessen. Eines Tages kam meine Tante und berichtete aufgeregt, sie hätte da im Dickicht so wunderbare Brombeeren gekostet. Auch ich kam, sah und ass, und ich wusste, das ist eine neue Brombeerwelt. Genau so fühle ich mich jetzt nach den letzten Tagen Brombeerarbeit in den vermutlich amerikanischen Sämlingen.
Was haben die Seerosen mit den Brombeeren zu tun?
Was haben die Seerosen mit den Brombeeren zu tun? Beide Pflanzen reisen, sie müssen reisen, um zu überleben und sich zu vermehren. Wenn wir diese Reisetätigkeit mit Gesetzen, Pflanzenpässen und moralisch-ethischen Urteilen behindern, dann machen wir aber wahrscheinlich einen entscheidenden Denkfehler. Wir gehen davon aus, dass die Pflanzen uns, den Menschen gehören. Den Menschen in Südamerika darf man ihre Seerosen nicht wegnehmen und den Europäern darf man keine fremden Pflanzen zumuten. Erstrecht nicht solche, die die Frechheit haben, sich auch noch stark zu vermehren.
Wem gehören die Pflanzen?
Die Pflanzen aber gehören…. ja wem denn? Vielleicht sich selber? Jedenfalls ist es immer wieder befreiend, die Perspektive zu wechseln. Nicht wir benutzen die Pflanze, sondern es gibt gute Hinweise darauf, dass es die Pflanze ist, die uns benutzt. Aus der Sicht der Pflanze unterscheidet uns nur wenig von der Biene, die die harte Befruchtungsarbeit leistet.
Aber an diesen Gedanken müssen wir uns vielleicht erst noch gewöhnen.
Gärtnern Sie weiter.
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt