Robert, ein Lubera-Kunde seit über 10 Jahren, hatte mich schon lange eingeladen, sein Paradies im Tessin zu besuchen. Schon in den vorbereitenden Mails nannte ich es so, denn es musste, den Bestellungen und Schilderungen nach, ein wahres Paradies sein. Voll von Versuchung stiftenden Früchten, aber immer nahe am Abgrund, denn der Garten sei in einen steilen Hang gebaut, der über Terrassen Garten-fähig gemacht worden war.
Diesen Mittwoch vor Auffahrt also brach ich kurzfristig auf ins Paradies, schon am mittleren Vormittag, um den vielen Südfahrern ein Schnippchen zu schlagen. Ich würde etwas früher als sie im Süden sein, am Abend schon zurückkehren. Gerade nach dem Mittag hoch über dem Luganersee angekommen war ich dankbar für das Bier, das mir die Gastgeber offerierten. Nur so wurde ich nach der langen Fahrt wieder gartenfrisch. Und frisch und munter muss man sein, wenn man diesen Garten rauf und runter läuft, was der Gartenbesitzer mindestens zweimal pro Tag macht. Und man sieht überall seine Arbeit: Kirschessigfliegen werden schon seit Wochen in Fallen gefangen; die eigenen Bienenvölker summen vor den verschiedenfarbigen Kisten, nur Robert selber könnte eventuell noch fleissiger sein als seine Bienen; Versuche mit Strohballen, fast schon wissenschaftlich angelegt, einmal mit Humuseinlage, einmal ohne; hier ist ein neues Pflänzchen gerade dran, Fuss zu fassen (leider nicht von Lubera ;-) und geniesst besondere Aufmerksamkeit, da hat Robert eine schwächelnde Pflanze entdeckt und sucht nun eine Lösung. Gärtnern, so diskutieren wir, ist eben keine Naturwissenschaft, keine Mathematik und Physik, sondern ist Versuch und Irrtum, ist auch Misserfolg und dann auch – manchmal wenigstens – Triumph und Genuss. Ha, halt eben so ein bisschen wie das Leben selber. Im Leben wird man allerdings das Paradies nie kennenlernen, beim Gärtnern aber schon!
Robert hat das Privileg eines grossen und auch wunderschön gelegenen Gartens. Aber der Garten ist kein Geschenk. Er ist dem steilen Gelände, Terrasse für Terrasse, Gartenraum für Gartenraum abgerungen. Und so präsentiert sich der Garten nicht als grosse Einheit, das will er auch gar nicht, sondern als ein Garten voll von Gärtchen, mit einem leichten Hang zur Agronomie. Aber da kommen wir in der Schweiz doch alle her, vom Bauernstand, meinte Robert auf meine Frage. Ein Garten aus Gärtchen: Das Gewächshaus für die Setzlingsanzucht, die Strohballen, die Kiwi-Pergola, die Obstbaumreihen, die Himbeerreihen, zwei Kastanien, ein chinesischer Blütenbaum, der noch nie geblüht hat, immer wieder die Kräuter, die aus den Erdzwischenräumen des Kastanienholzes wachsen, mit dem der Berg verbaut wurde. Dann wieder und wieder Gemüsebeete für die tägliche Grundversorgung – und wohl noch ein bisschen mehr ;-)
Meine beiden Lieblingsgärtchen, meine beiden Augenweiden, je ein Gärtchen für jedes Auge, musste ich mindestens dreimal anschauen: einmal mit der Videokamera, nochmals mit dem Fotoapparat und dann abschliessend, den Schweiss aus den Stirn streichend, auch noch mit eigenen Augen: zwei abgeschlossene, abgezirkelte Paradiesgärtchen mitten im Paradies. Ca. 2.5 x 2.5m gross, vielleicht auch 3 auf 3 m, das ist so steil am Hang nur schwer abzuschätzen. Aussen abgegrenzt von einer niedrigen, viereckigen Hecke, einmal Lavendel und einmal Rosmarin. In beiden Gärtchen mittendrin je ein Feigenbaum, Rosetta und Califfo Blue, am letztjährigen Holz schon frischangesetzte, kinderfäustchendicke Feigen, vielleicht nur noch 6-8 Wochen von der Ernte entfernt.
Genau so, dachte ich, wird wohl das Paradies sein: Eine geradezu keck und offensichtlich präsentierte Versuchung, die Feigenbäume und ihre süssen Früchte noch hervorgehoben durch die Unterbepflanzung von wilden Margeriten. Und so wird das Paradies wohl auch sein: ganz nahe und doch fast unerreichbar. Denn diese entscheidende Frage vergass ich Robert zu stellen: Wie würde er nur die Früchte vom diesem Baum der Erkenntnis am Steilhang ernten können?