Sehr häufig werden wir gefragt, ob man Tomaten befruchten muss. Wie genau funktioniert bei der Tomate die Befruchtung, gibt es Männchen und Weibchen, braucht es einen Befruchter? Hintergrund dieser Lieblingsfragen ist natürlich - Gott bewahre - nicht das genuine Interesse am Sex der Pflanzen, sondern die Sorge um den Fruchtertrag... Meist sind die Antworten glücklicherweise weniger kompliziert, als die Fragen gedacht sind. So auch bei der Tomate: Die Kulturtomate, wie wir sie kennen, ist selbstfruchtbar. Punkt. Damit wären wir ja aller Sorgen enthoben. Aber ganz so einfach ist es mit dem Tomaten befruchten und mit der Selbfruchtbarkeit denn doch nicht...
Tomaten befruchten ist nicht nötig - sie sind selbstfruchtbar
Die Blüten der Tomate sind selbstfruchtbar, sie genügen sich selber, haben einen Stempel als weibliches Aufnahmeorgan und drum herum prall gefüllte Pollensäcke als männliche Organe.
Bilder: Tomatenblüten mit dem geschlossenen Kranz an Staubbeuteln, darin ist der empfängliche Stempel eingeschlossen
Video: Brauchen Tomaten einen Befruchter?
Und der Pollen der gleichen Sorte, ja auch der gleichen Pflanze, genauer noch der gleichen Blüte kann eben diese Blüte problemlos befruchten. Es fehlt also bei der Tomate das auch beim Menschen bekannte Inzuchtverbot. Was bei uns verboten ist und bei sehr vielen Pflanzen gar nicht funktioniert und von der Natur nicht zugelassen ist, das machen die Tomaten andauernd: Tomaten befruchten sich mit sich selber und bilden Früchte und Nachkommen (Samen) aus. Die Selbstfruchtbarkeit der Tomaten hat Gründe und selbstverständlich auch eine Geschichte...
Die Architektur der Tomatenblüte und die Folgen für die Befruchtung
Das sich Tomaten befruchten können, ist in der Struktur der Tomatenblüte begründet. Der Stempel ist zunächst im Kranz der Staubgefässe versteckt, und wenn er endlich seinem Gefängnis entwächst und aus den Staubgefässen herausschaut, ist er meist schon vom Pollen der gleichen Blüte befruchtet.
Bild: Geschlossene Tomatenblüte
Bild: Tomatenblüte mit entfernten Petalen und halb entfernten Staubgefässen und sichtbarem Stempel
Bild: Tomatenblüte überreif mit herausgewachsenem Stempel im Gefässkranz, da ist die Blüte meist schon von soich selber befruchtet worden
Man kann davon ausgehen, dass weit über 90% der Blüten einer Tomatenpflanze sich selber befruchten, auch wenn andere Tomatensorten daneben stehen. Häufig liest man gerade in den umfangreichen und zahlreichen Beiträgen zu samenfesten Sorten und zu den Heirloom Tomaten (also alten, hergebrachten Sorten), dass diese "open pollinated" seien, also offen befruchtet. Na ja, das sind sie eigentlich nur in dem Sinne, dass niemand in den Befruchtungsprozess eingegriffen hat; mit der allergrössten Wahrscheinlichkeit sind sie Blüten aber von sich selber (also nicht offen und frei) befruchtet worden. Der Pollen von anderen Sorten - transportiert vom Wind oder von Insekten - kommt (fast) immer zu spät, es sei denn man greife züchterisch ein und entfernt frühzeitig die Staubbeutel, um dann künstlich den Pollen einer fremden Sorte aufzubringen. Mehr dazu im Beitrag "Tomaten kreuzen bei Lubera®".
Die Vorteile der Selbstfruchtbarkeit
Wie kann das sein, wird sich jetzt der eine oder andere Leser fragen. Das ist doch unnatürlich, das führt letztlich zu Inzucht, führt zu weniger Diversität... Und dennoch kann sich die domestizierte Tomate selber befruchten. Sie hat aber glücklicherweise die Eigenschaft, trotz der Inzucht keine oder fast keine Inzuchtdepressionen zu zeigen. Mit jeder Generation Selbstung tragen die zwei Chromosomenstränge der Tomate immer mehr identische Informationen, und nach ca. 8 Generationen kann man dann mit Fug und Recht von samenfesten Sorten sprechen. Samenfest heisst: Die aus Samen gewonnenen Nachkommen einer Tomatenpflanze sind in sich selber und auch im Vergleich zur Mutter (fast) identisch. Das sich Tomaten befruchten können, hat in der Kultur als Nutzpflanze immense Vorteile: Ist einmal eine schöne und fruchtbare Pflanze mit leckeren Früchten gefunden, und wird sie immer weiter vermehrt, indem man jeweils die schönsten und besten Individuen zur Absaat auswählt, so wird die Sorte immer stabiler und damit auch leicht zu erhalten.
Die Entstehung der Selbstfruchtbarkeit
Die Fragesteller von weiter oben haben natürlich auch recht: Selbstfruchtbarkeit ist bei vielen Kulturpflanzen eher eine Degenerationserscheinung, bzw. ist teilweise dem Eingriff und dem Vorteil des Menschen geschuldet. In der Natur bringt Selbstfruchtbarkeit eher Nachteile: Die Diversität wird kleiner, es gibt weniger Variationen zur Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen... Das Aufkommen der Selbstfruchtbarkeit z.B. bei der Domestizierung der Tomate, kann man sich vielleicht folgendermassen vorstellen: Menschen wählen immer die fruchtbarsten Pflanzen zur Weitervermehrung aus; und eine spontane Mutation, die eine ursprünglich selbstunfruchtbare Pflanze selbstfruchtbar macht, führt natürlich zu fruchtbareren Pflanzen, weil diese dann nicht mehr auf Fremdbestäubung und die entsprechenden Vektoren (sprich Insekten) angewiesen sind... Und genau diese Pflanzen werden dann vom Menschen ausgewählt und weitervermehrt. Selbstverständlich folgen in vielen Fällen auch andere (tierische) Fruchtliebhaber der gleichen Logik: Sie bevorzugen grosse und fruchtbare Individuen und verbreiten ihre Samen.
Braucht es Vibratoren zum Tomatensex?
Funktioniert der Tomatensex also wirklich ganz von selbst? Nun ja, irgendwann platzen die prall gefüllten Staubbeutel und der Pollenstaub ergiesst sich über die Stempel - die Sache ist vollbracht, die Tomate ist befruchtet. Natürlich hilft Befruchten der Tomaten (durch sich selbst) auch die natürliche Bewegung, der Wind. Als man dann dazu überging, Tomaten in windstillen Gewächshäusern anzubauen, wollte man dem natürlichen Tomatensex nicht mehr ganz vertrauen und ging mit Vibratoren durch die Tomatenreihen, um die Staubbeutel zum Platzen zu bringen und zu garantieren, dass die Tomaten auch zu 100% befruchtet werden. Die effizientesten Vibratoren sind jedoch die Hummeln, die heute standardmässig in Tomatenkulturen eingesetzt werden: Wenn sie sich an die Tomatenblüten hängen und den Nektar saugen, vibrieren sie so intensiv, dass die Staubbeutel früher und intensiver platzen als nur bei einem leichten Windhauch oder beim Streicheln von Gärtnerhand. Für Ihre Tomatenkultur im Garten aber gilt: Freuen sie sich über den Besuch von Insekten und Hummeln, aber vergessen sie auch nie, im Vorbeigehen ihre Tomatenlieblinge zu berühren, zu streicheln und leicht zu bewegen. Gärtnerliebe kann beim Tomatensex helfen. Befruchten Sie Ihre Tomaten ;-)
Die Folgen der Selbstfruchtbarkeit bei Tomaten
Die Selbstfruchtbarkeit der Tomaten hat sehr weitreichende Folgen, die wir hier kurz in einer Liste aufzählen:
- Sicherer Ertrag, da die Tomate nicht auf Befruchter und Vektoren und Insekten angewiesen ist.
- Eine Sorte kann sortenrein angebaut werden, da es keine Befruchtersorten braucht. Sortenvielfalt ist zwar im Tomatengarten erstrebenswert und erfreut den Gärtner, aber ist nicht notwendig fürs Tomaten befruchten.
- Umgekehrt muss man auch bei Mischpflanzungen keine Angst vor Auskreuzungen und Vermischung haben.
- Die Samen einer samenfesten Tomatensorte (Achtung: nicht der Samen von F1 Hybridsorten) können wieder ausgesät werden und ergeben identische Nachkommen. So wurden alte Tomatensorten, Heirloom-Tomaten, Lokalsorten, ja sogar Familiensorten von Generation zu Generation weitergegeben und erhalten.
- Gegen das weitverbreitete Gerücht (alte Tomatensorten sind gut, weil es durch sie mehr Diversität gibt) führt die Selbstfruchtbarkeit der Tomate eher zur genetischen Verarmung: Würde man die Kultursorten, speziell die samenfesten Sorten, sich selber überlassen, würde da nichts Neues mehr herauskommen, sie reproduzieren immer nur sich selber, sind eine genetische Sackgasse. Nur der Zufall, der doch immer mal wieder eine Fremdbefruchtung zulässt (Sie erinnern sich an die 90% plus Selbstbefruchtungsrate oben) führt zu mehr Diversität. Und natürlich auch der Mensch, der ultimative Sexhelfer mit seinen Züchterhänden, der die Blüten sorgfältig emaskuliert (entmännlicht) und dann mit dem Pollen einer ganz anderen Sorte befruchtet. Mehr dazu im Beitrag "Tomaten kreuzen bei Lubera®".
Achtung: Tomatillos sind selbstunfruchtbar!!!
Dass es auch ganz anders gehen kann, dass auch Kulturarten mit Selbstunfruchtbarkeit geben kann, zeigen die nicht nur dem Namen nach verwandten Tomatillos. Sie sind weitgehend selbstunfruchtbar. Wenn Sie also nur eine Pflanze im Garten kultivieren, werden sie keine Tomatillos ernten können.
Bild: Tomatillo 'Aurora' - die Tomatillo mit den grossen, süss-sauren Früchten
Hier müssen Sie also immer mindestens zwei Tomatillos zueinander pflanzen, so dass die Befruchtung funktioniert und Sie in den Genuss einer ansprechenden Ernte kommen. Zum guten Glück ist die Selbstbefruchtungssperre bei Tomatillos nicht ganz so strikt und rigide geregelt, so dass auch der Pollen einer anderen Pflanze der gleichen Sorte akzeptiert wird (siehe den Artikel "Wie werden Tomatillos befruchtet und was bedeutet das für den Anbau?").
Ist die Selbstfruchtbarkeit nun gut oder schlecht?
Nun ja, das kommt auf die Perspektive an. In einer evolutionären Sicht der Natur ist das eher schlecht, weil die Chance auf Veränderung, damit auch die langfristige Anpassungsfähigkeit immer kleiner wird und auf den Zufall (und den Menschen) angewiesen ist. Aus Menschenperspektive ist die Selbstfruchtbarkeit natürlich positiv, weil sie die intuitive Züchtung und dann die Erhaltung von Familien- und Landsorten möglich gemacht hat.
Ach ja, und wir sind ja auch nur Menschen.
Lesen Sie noch mehr über Tomaten:
Resi und Rondobella fruchten wenig
Guten Tag
Wir würden den Frutilizer Instant Bloom Kübelpflanzendünger empfehlen damit die Pflanzen mehr Blüten machen und es zur Fruchtbildung kommt.
Herzliche Grüsse
dein Lubera Team