Müsste man nach einen Gartenwort des Jahres suchen, wäre “bienenfreundlich” sicher in der allerengsten Auswahl. “Bienenfreundlich” scheint ein alles entscheidendes Verkaufsargument geworden zu sein. Das wird gedehnt und missbraucht bis zur Lächerlichkeit: Das bienenfreundliche Angebot auf der kleinen offenen Pflanzenverkaufsfläche gleich vor dem Eingang und neben dem riesigen Parkplatz dementiert sich fast schon selber.
Zugegeben: “Bienenfreundlichkeit” ist natürlich auch ein gutes Argument, nur die Häufigkeit und die fast schon gebetsmühlenhafte Intensität, mit der Bienenfreundlichkeit eingefordert wird, macht mich schon ein bisschen stutzig. Was steckt dahinter, welche tieferen Beweggründe steuern diesen Hype. Dass es ein Hype ist und dass daraus schon fast so etwas wie eine Glaubensfrage geworden ist, mögen Sie darin sehen, dass ich mich jetzt einleitend noch folgendermassen erklären muss: Natürlich lieben und leben wir bei Lubera Bienen und Bienenfreundlichkeit, ein Grossteil unserer Obst- und Beerenpflanzen ist geradezu auf Bienen (und andere befruchtende Insekten) angewiesen … Aber – lesen sie doch einfach weiter;-)
Die kompensatorische Bienenfreundlichkeit
Eines ist sicher: Wenn offene Türen (niemand hat etwas gegen bienenfreundliche Pflanzen!) mit solcher Vehemenz eingerannt werden, ist ein kleines bisschen Argwohn angebracht. Und natürlich auch Neugierde: Welches schlechte Gewissen soll da beruhigt werden? Ganz offensichtlich führt unser zivilisatorisches Fehlverhalten, das systematisch mehr Natur konsumiert und zerstört als produziert und erhält, zu einem riesigen Bedarf an Kompensation. Gebt uns endlich die bienenfreundlichen Pflanzen! Am liebsten nur noch bienenfreundliche Pflanzen! Lasst und hier und jetzt die Bienen und die Welt retten!
Und Kompensation funktioniert dann am besten, wenn man entweder den Tatbeweis nicht antreten muss, oder wenn man schnell mal macht, was eh nicht weh tut. Zum Beispiel bienenfreundliche Pflanzen anbieten und kaufen! Allerdings muss ich auch zugeben, dass eine immer grössere Anzahl von Lehrern, Ärzten, Sozialarbeitern und Intellektuellen neben dem naturfremden Tagwerk den Tatbeweis antritt, der auch mal schmerzen und stechen kann: Sie geben sich nicht mehr nur mit bienenfreundlichen Pflanzen zufrieden, sondern steigen in die Bienenzucht selber ein! Das ist lobenswert und fordert Respekt. Und das ist auch heilsam: Indem sie sich dann an den Details, an der Pflege und Biologie der Honigbienen abarbeiten, indem sie die Mühen des früher typisch kleinbürgerlichen Hobbys auf sich nehmen, lernen sie, was wirklich noch zu retten ist: dieses oder jenes Bienenvolk, ein paar Gläser feinsten Honigs, aber nicht die Welt! Und das ist immerhin ein guter Anfang.
Und was ist mit den nicht-bienenfreundlichen Pflanzen?
HMM ja, was ist eigentlich damit, mit den Pflanzen, die nicht bienenfreundlich sind? Wie können sie nur, die undankbaren Pflanzen, ganz auf die Wohltaten der Bienen verzichten. Oder sich gar mit Hummeln, Wildbienen oder banalen Fliegen zufriedengeben. Noch undankbarere und nichtsnutzigere Gewächse begnügen und vergnügen sich gar mit blossem Wind, der für ihre Befruchtung sorgt. Mehr und mehr habe ich den Eindruck, dass der eigentlich gute und sinnvolle Ruf nach bienenfreundlichen Pflanzen (die es immer schon gab) zu einer Ausgrenzungsaktion verkommt. Weg mit den Bienen-Un-Freunden, mit den blütenlosen Hecken, den eh schon scheintoten Buchsbäumchen. Weg mit den fremden Fötzeln, mit den Exoten, die unsere ach so einheimischen Bienen gar nicht kennen können. DA bahnt sich – das schlechte Gewissen braucht ja weiteren kompensatorischen Nährstoff – eine neue Hexenjagd an: Wie lange geht es noch, bis nach den nicht-einheimischen Pflanzen die nicht-bienenfreundlichen Pflanzen dran sind. Wehe den Bienenfeinden, auch wenn man sie zuerst noch fast künstlich schaffen muss! Es ist – gerade auch für uns Gärtner – an der Zeit an das wirklich Wichtige zu erinnern: Lieber Pflanzen als Parkplätze, lieber mehr Pflanzen als moderne Kies- und Steinwüsten mit dazwischen gestellten Grill! Und natürlich freue ich mich, wenn dann auch einige oder auch mehr als einige bienenfreundliche Pflanzen darunter sind! Aber ich freue mich unverdrossen auch an den exotischen, eigenartig fleischfarbenen Blüten der Pawpaw, die auffällig oft von unauffälligen Fliegen aufgesucht werden, ich erfreue mich an den Schmetterlingen an den bald schon verbotenen Buddleja, an den Ameisen am Johannisbeerstrauch und an den Läusen, grau und dicht an dicht, auf dem Holunderstrauch … Aber halt, hört nicht da irgendwo die Freude an den lebenswichtigen Tierchen auf?
Fresskonkurrenz und Todesangst
Ich erinnere mich an die beiden Jahre, als ich als Obstbauer arbeitete, an die aufeinandergepressten Lippen, an die sich vor Angst sträubenden Haare, wenn ich mit Traktor und Mulchgerät am Bienenhäuschen vorbei und auch wieder zurück fahren musste. Ich spüre einen Bienenstich sehr schnell, die Wundstelle schwillt sofort stark an und ich bekomme Schüttelfröste. Das nachfolgende Unwohlsein ist nach zwei Stunden vorüber, und trotzdem verfluchte ich jedes Mal die Bienen, die mir den Angstschweiss auch die Stirn trieben, wenn ich ihnen nur schon zu nah kommen musste. Obwohl ich selbstverständlich wusste und weiss, dass ich mit ihnen und von ihnen lebe?
Diese Angst, die bei vielen Menschen ja noch viel berechtigter ist als bei meiner leichten Sensitivität, schwingt beim Verhältnis von Menschen und Insekten fast immer mit und beruht wahrscheinlich auch auf Gegenseitigkeit. Und wenn uns dann die im Vergleich zu den Bienen nicht ganz so hochgelobten Hornissen, Wespen, Ameisen und Läuse doch zu nah kommen, unsere Pergolatrauben, die Johannisbeere oder gar den heilbringenden Holunder bedrohen, kennt unser Fressneid kein Halten mehr: Die Viecher müssen weg, auch wenn wir sonst natürlich vollständig biomässig gärtnern? (Gerne empfehle ich dazu auch das Video zum Wespenkrieg, das ich mit Sabine Reber gedreht habe. Gut für mich, Sabine und die Hornissen, dass man am Ende des abendlichen Videos fast nichts mehr sieht?)
Menschen, Tiere, Insekten und Pflanzen
Eigentlich ist es sonnenklar, dass wir Menschen uns überschätzen. Und natürlich überschätzen wir auch die Tiere, denen wir uns mit gutem Grund ziemlich nahe fühlen. Wir sind ja letztlich auch - nur Tiere. Und aus diesem anthropozentrischen Weltbild, das auch die Tiere miteinschliesst, kommen wir fast nicht raus. Warum zum Beispiel werden gerade die Bienen so hochgehalten, und aus den übrigen Insekten herausgehoben. Weil sie halt ein so gottgefälliges und vor allem menschengefälliges Werk abliefern: Die Befruchtung der Gemüse und Fruchtpflanzen. Und weil wir sie domestiziert haben (was vielleicht auch der eigentliche Grund für ihre aktuellen Probleme ist). Wir können gar nicht anders, als von uns her zu denken, unsere Interessen zu verfolgen. Auch und gerade, wenn wir zur Rettung der Bienen aufrufen. Warum bitteschön soll nicht die Hornisse, die Hummel oder eine bedrohte Fliegenart gerettet werden? Natürlich bin ich weit davon entfernt, den menschlichen Eigennutz zu verdammen, immerhin lebe ich auch zu einem guten Stück davon.
Aber es ist heilsam und gut, wenn man den Eigennutz auch sieht und durchschaut. Und dann sollte man jenseits der unmittelbaren Selbstbezogenheit das grössere Bild nicht vergessen: Auf die Pflanzen kommt es an! Sie machen den Grossteil unserer Biosphäre aus. Und wenn wir beginnen, die Welt mal mit Pflanzen-Augen zu sehen, dann ändert sich plötzlich auch das Bild. Die Pflanze, in ihrer unendlichen und Jahrmillionen umspannenden Intelligenz hat die Tierchen zu Hilfsarbeitern und Pollenträgern versklavt, sie in den eigenen Dienst gestellt. Und die unterschätzten Pflanzen schaffen es sogar, das vermeintlich intelligenteste Tier, den Menschen zu instrumentalisieren. Die gefüllte Rose, bei der für die Biene kein Durchkommen mehr ist, ja auch die englische Rose mit ihrem Charme und Duft, mit ihrer Sinnlichkeit ist so schön, dass sie gar nicht mehr befruchtet werden muss, um mit Frucht und Samen zu überleben. Der Mensch übernimmt diese pflanzendienliche Funktion und vermehr die Rose weiter und weiter (hoffentlich auch zu Zeiten der bienenfreundlichen Pflanzen).
Natürlich hat - auf den ersten Blick - David Austin die englischen Rosen gezüchtet. Aber auf den zweiten Blick, der immer auch erlaubt ist, ist es vielleicht doch die Rose, die sich des Züchters David Austin bedient hat, um auch ohne Befruchtung, ohne Biene weitervermehrt zu werden. Im neuen Gartenbuch (Lubera Gartenbuch 2017) habe ich die Geschichte der Feige nachgezeichnet, die die eigenen Fortpflanzungsprobleme meisterte, indem sie zunächst ihre Blüten mehr und mehr schützte (die Feigen-Frucht ist nichts anders als ein nach innen zusammengefalteter Blütenboden), dann eine spezielle Insektenart von sich abhängig machte und schliesslich über die Fähigkeit, Früchte ganz oder teilweise ohne Befruchtung anzusetzen, auch den Menschen dazu verführte, sie weiterzuvermehren?
So und jetzt höre ich auf!
Ich weiss, meine haltlosen Spekulationen führen manchmal etwas zu weit. Aber ich wage mich deshalb auf gefährliche Äste hinaus, weil ich hoffe, dass da die Aussicht etwas besser ist.
Als ich gestern Nachmittag unserem Betriebsleiter Robert Maierhofer die Idee zu diesem Artikel schilderte, hat er mich schon gewarnt: "Markus, werde nicht zu radikal, schlage bitte nicht wie wild um dich, übertreibe nicht zu sehr. Und vergiss bitte nicht, dass wir eigentlich regelrecht auf "bienenfreundliche" Pflanzen, nämlich Fruchtpflanzen spezialisiert sind." Aua, Robert hatte ja so Recht. Der polemische Furor ist wieder einmal über mich gekommen. Aber ich widme meine Züchterarbeit vor allem deshalb den fruchttragenden Pflanzen, weil sie menschenfreundliche Pflanzen sind (da bin ich auch ein waschechter Anthropozentrist und stehe auch dazu), nicht etwa weil es bienenfreundliche Pflanzen sind. Und ich bitte inständig darum, nicht-bienenfreundliche Pflanzen nicht zu verdammen. Sie sind ganz sicher nicht weniger wichtig, nicht weniger Wert. Wir kennen nur ihre Geschichte nicht so genau. Und als kurzlebige Menschen sind wir vielleicht auch zu dumm, um die Welt aus ihrem Blickwinkel zu sehen.
Markus Kobelt
Anmerkung der Redaktion: Wir arbeiten daran, Markus dazu zu bringen, für den nächsten Newsletter etwas über besonders bienenfreundliche Pflanzen im Lubera-Sortiment zu schreiben? Und es wird uns sicher auch gelingen, wenn sich der temperamentvolle Autor wieder etwas beruhigt hat … Wir lieben natürlich die bienenfreundlichen Pflanzen. Markus auch, er würde es nur nie zugeben;-)