Ende Juli durfte ich für eine wissenschaftliche Tagung in die USA reisen. Dort hielt ich einen Vortrag über die Züchtung winterharter Passionsfrüchte. Die Zeit in den USA habe ich auch dafür gebraucht, um verschiedene Unternehmen zu besuchen, mehr über den Gartenbau und die Züchtungsarbeit in den USA zu erfahren und wilde Passionsblumen zu suchen ;-). Hierbei habe ich 9 Dinge über Pflanzen, den Garten und uns Menschen gelernt.
Inhaltsverzeichnis
- Cahokia – Jede Zivilisation ist auf Landwirtschaft und Pflanzenzüchtung aufgebaut
- Florida – Das Ende der Zitruskultur
- Warum kalte Winter auch gut für den Garten sein können
- Avocado – Wie genetische Vielfalt das Überleben sichert und Avocados vielleicht auch in unsere Gärten bringt
- Brombeeren statt Himbeeren
- Weisse Erdbeeren und gelbe Kirschen
- Zitrus wächst auch in reinem Sand
- Alles eine Frage des Geschmacks
- Winterharte Passionsfrüchte sind nicht nur zum Essen gut
Cahokia – Jede Zivilisation ist auf Landwirtschaft und Pflanzenzüchtung aufgebaut
Kennst du die Stadt Cahokia? Wahrscheinlich nicht. Vor ungefähr 1'000 Jahren war sie jedoch grösser und wichtiger als Rom, London oder Paris. Jedoch liegt Cahokia nicht in Europa, sondern in Nordamerika im US-Bundesstaat Illinois. Auch ist Cahokia heute nicht mehr bewohnt, sondern es existieren nur noch Ruinien. Besonders beeindruckend sind die riesigen Erdpyramiden welche von einer erstaunlichen Zivilsation zeugen.
Auf meiner Reise fuhr ich an dieser Stätte vorbei und musste natürlich einen kurzen Abstecher machen. Aber was hat eine 1'000 Jahre alte archäologische Stätte mit uns zu tun? Eine ganze Menge. Eine Stadt welche 40'000 Einwohner hat und riesige Pyramiden baut, kann nur dank Landwirtschaft und Pflanzenzüchtung existieren. Keine Jäger- und Sammler-Kultur kann so etwas hervorbringen. Dabei haben die Bewohner von Cahokia sowohl einheimische Pflanzen wie Chenopodium berlandieri und Iva annua var. macrocarpa domestiziert (welche heute leider wieder verloren sind), als auch Kulturpflanzen aus anderen Ländern eingeführt: Allen voran Mais und Kürbissorten. Ganz persönlich interessierte mich an der Mississippi Kultur, die Tatsache, dass diese Menschen wahrscheinlich bereits vor 1'000 Jahren die winterharte Passionsfrucht Passiflora incarnata angebaut haben. So fand ich in der Region heute wild wachsende Passionsfruchtpflanzen. Wer weiss, vielleicht stammen diese Pflanzen ja von Früchten ab, welche vor Jahrhunderten in Cahokia gegessen wurden? Wenn ich heute diese geniale Frucht in Europa züchte, so ist es auch dank dieser mir unbekannten Menschen aus einem Amerika vor Kolumbus.
Bild: Auf dem Schild am Eingang der Stadt Chahokia wird erklärt, wie die Menschen hier früher gelebt haben.
Florida – Das Ende der Zitruskultur
Der Staat Florida ist bekannt für seinen Zitrusanbau. Bis vor kurzem kam fast jede Flasche Orangensaft in den USA aus Florida und die Orangen sind selbst auf dem Autokennzeichen zu sehen. Jedoch sieht es so aus, dass es in 5 Jahren in Florida keinen Anbau von Orangen mehr gibt. Warum? Die Gelbe Drachenkrankheit. Das ist eine bakterielle Krankheit, welche 2005 zum ersten Mal in den USA auftrat und heute praktisch alle Plantagen betroffen hat. Durch diese Krankheit verkümmern die Bäume, die Früchte bleiben teils grün und werden bitter und schlussendlich stirbt die Zitruspflanze komplett ab.
Aber wie konnte es soweit kommen? Zwar wurde die Krankheit bereits 1929 beschrieben, jedoch interessierten sich wenige dafür, solange sie nicht in den USA war. Und als die Krankheit dann da war, traf sie auf ein gemachtes Bett. Floridas Orangenindustrie ist auf 3 Hauptsorten aufgebaut, welche sehr nahe verwandt sind. Leider sind diese 3 Sorten extrem anfällig für die Krankheit.
Kann man was dagegen machen? Ja es werden zahlreiche Versuche unternommen, um die Zitrusanbauer zu retten. Eine Lösung ist der Bau riesiger eingenetzter Zelte, in welchen die Pflanze geschützt wachsen können. Leider ist es ein sehr teures und fragwürdiges Unterfangen. Für so einen geschützten Anbau braucht es ca. 7 Jahre, bis alle Kosten gedeckt sind. Vorausgesetzt einer der zahlreichen Hurricanes bläst nicht alles weg.
Aber was hätte man machen können und was bedeutet es für uns? Die nachhaltigste Lösung ist die Diversifizierung und Züchtung. Verschiedene Zitruspflanzen, wie die australischen Fingerlimetten sind gegen die Gelbe Drachenkrankheit resistent. Auch arbeitet man jetzt auch an der Züchtung resistenter Orangensorten, leider wird es wahrscheinlich für die Orangenindustrie in Florida zu spät sein. Und das kann man auch für den Hausgarten mitnehmen: Grundsätzlich ist es immer besser auf eine Vielzahl verschiedener Sorten und Arten zu setzten, als vieles vom gleichen anzubauen. Und resistente Sorten sind meist die beste Lösung gegen typische Pflanzenkrankheiten.
Bild: Die Australischen Fingerlimetten (Microcitrus australasica) sind resistent gegen die gefürchtete Gelbe Drachenkrankheit.
Warum kalte Winter auch gut für den Garten sein können
Manchmal wird man als Gärtner schon neidisch, wenn man in tropische Regionen reist. Hier wächst, blüht und fruchtet alles das ganze Jahr über. Und was für eine unglaubliche Vielfalt an Pflanzen zu finden ist! Beim Besuch eines "Pflanzenkrankenhauses" in der Nähe von Miami, wurde ich jedoch eines Besseren belehrt. Die "Pflanzenärztin" meinte: "Ihr habt es gut mit eurem kalten Winter: Da habt ihr viel weniger Probleme mit Krankheiten und Schädlingen". Zuerst war ich etwas schockiert, aber sie hatte sehr recht. Ein frostiger Winter hat den Vorteil, dass der Vermehrungszyklus von vielen Krankheiten und Schädlingen unterbrochen wird. Man kann also gewissermassen im Frühling jedes Jahr wieder mit einem sauberen Tisch anfangen. In tropischen Gegenden geht das nicht. Ist das Problem einmal da, dann bleibt es meist auch. Zusätzlich gibt es natürlich noch viel, viel mehr Krankheiten und Schädlinge, welche in heisseren Gefilden zuhause sind. So können wir uns doch über unseren frostigen Winter glücklich schätzen, auch wenn wir nicht ganz so viele tropische Früchte anbauen können. Dafür arbeiten wir bei Lubera ja, dass Passionsfrüchte, Granatäpfel und Co. auch bei uns im kalten Norden angebaut werden können.
Avocado – Wie genetische Vielfalt das Überleben sichert und Avocados vielleicht auch in unsere Gärten bringt
Eine tropische Frucht, welche vielleicht eines Tages auch bei uns wachsen könnte ist die Avocado. In Florida ist sie im Augenblick auch von einer gefährlichen (tropischen) Krankheit bedroht, der "Laurel wilt disease". Fast die Hälfte der Avocadobäume sind am Absterben in Florida.
Eine der langfristig besten Möglichkeiten um gegen die Krankheit zu kämpfen ist es resistente Sorten zu züchten. Dies wird auch dort in Florida gemacht. Was jedoch ganz wichtig ist, um resistente Pflanzen zu bekommen, ist die genetische Vielfalt. Wenn wie bei Floridas Orangen alle mehr oder weniger gleich sind, so ist es schwer resistente Pflanzen zu finden.
Glücklicherweise gibt es bei Avocados viel mehr Vielfalt als was man in Supermarktregalen findet. Es gibt Riesen Avocados, welche grösser als Handbälle sind, Avocados mit ganz langen Früchten, kernlose Avocados (ohne den grossen störenden Stein in der Mitte) und Avocados mit schwarzer Schale.
Bild: Verschiedene Avocadosorten mit unterschiedlichen Grössen und Farben.
Für uns sind vor allem Sorten aus dem Norden Mexikos und aus Texas interessant. Einige sollen -10°C aushalten. Und wer weiss, vielleicht sogar etwas mehr, dass es bald auch in geschützter Lage bei uns klappt. Anderswo haben es die Avocados schon geschafft. So steht zum Beispiel in London mehrere bis 10 Meter hohe Avocadobäume mit Früchten! Mal sehen was die Zukunft uns bringt.
Brombeeren statt Himbeeren
Ich habe jahrelang in Frankreich gelebt und nie wirklich verstanden, warum dort niemand Kohlrabi kennt oder anbaut. Er wächst dort wunderbar und schmeckt sogar. Manches von dem was wir anbauen und essen kann mit Klima und Standortfaktoren erklärt werden. Aber vieles auch nicht. So gäbe es wahrscheinlich hunderte oder sogar tausende von Obst und Gemüsearten, welche wir anbauen und geniessen könnten, es aber nicht machen.
Dass Johannisbeeren und Stachelbeeren in Amerika praktisch unbekannt sind wusste ich bereits. Und daran ist die Politik schuld. Aber dass Amerikaner ganz deutlich Brombeeren den Himbeeren bevorzugen, war mir neu. Überall wo ich fragte war ganz schnell klar: Brombeeren verkaufen sich viel besser als Himbeeren. In Europa ist es meist umgekehrt. Warum? Keine Ahnung. Aber ich stelle mir schon die Frage: Warum will ich eigentlich eine Obstart lieber in den Garten setzen als die andere? Und mache ich das nur, weil halt alle um mich rum die gleichen Pflanzen anbauen? Aber verpasse ich vielleicht dadurch etwas ganz ausergewöhnliches?
Bild: Überraschenderweise werden Brombeeren von den Amerikanern gegenüber den Himbeeren bevorzugt.
Weisse Erdbeeren und gelbe Kirschen
Welche Farbe haben Erdbeeren und Kirschen? Schon meine 2-jährige Tochter lernt in Bilderbüchern, dass diese Früchte rot sind. Aber stimmt das auch immer? Bei den meisten Obst- und Gemüsearten gibt es viel mehr Farbschattierungen, als was man bei uns in Kinderbüchern oder Supermarkt-Regalen sehen kann. Ich finde es oft schade, dass Himbeeren immer rot sein müssen (dabei gibt es tolle gelbe, orange, weisse, violette und schwarze Himbeeren). Umso mehr habe ich mich gewundert, dass ich in den USA im Supermarkt auch gelbe Kirschen und weisse Erdbeeren gefunden habe. Natürlich gab es auch die "normalen" roten, aber immerhin es gab etwas mehr Vielfalt.
Bild: Die weissen Erdbeeren werden auch Ananaserdbeeren genannt. Dieser Name leitet sich vom botanischen Namen Fragaria x ananassa ab.
Übrigens haben die weissen Erdbeeren richtig gut geschmeckt. Ganz anders als die bekannten Roten und auch anders als die alten "Ananaserdbeeren": Fest, exotisch aromatisch und süss. Mir hat sie gut gefallen. Mein Chef ist (wahrscheinlich zurecht) immer noch skeptisch, ob Lubera-Kunden auch weisse Erdbeeren anbauen würden, aber als Züchter reizt es mich schon, auch einmal ganz andersfarbige Erdbeeren zu züchten.
Zitrus wächst auch in reinem Sand
Man lernt ja so einiges mit der Zeit über den Garten und was Pflanzen brauchen. Dazu zählt auch das ideale Substrat für Pflanzen. Meist wird für Zitrus eine spezielle Erde für Mediterrane Pflanzen empfohlen: Bestehend aus einer Mischung von Torf, Lava und anderen Zuschlagstoffen. Aber stimmt das überhaupt? Wenn man eine Zitruspflanze aus Italien bekommt ist man manchmal erstaunt, denn teilweise sitzen die Wurzeln in steinhartem Lehm und scheinen sich dabei noch wohlzufühlen. In Florida war ich umso mehr erstaunt, als ich gesehen habe, dass die verschiedenen Zitrusbäumen in einem reinen Sandboden wachsen. Und wenn ich Sand schreibe, dann meine ich Sand. So, wie der Sand eines Sandstrandes. Aber wachsen die Pflanzen darin auch? Augenscheinlich wunderbar! Mit gut gesteuerter Bewässerung und Düngung sahen die Grapefruits und Mandarinen top aus!
So lernt man dazu. Nicht alles, was man in Büchern liest (und noch weniger was man im Internet liest), ist für bare Münze zu nehmen. Pflanzen sind oft viel flexibler als wir denken und es schadet nicht, regelmässig althergebrachtes Wissen auf den Prüfstand zu stellen.
Bild: In Florida werden die Zitrusbäume direkt in den Sand gepflanzt, was gut zu funktionieren scheint.
Alles eine Frage des Geschmacks
Vor der Gartenbau Konferenz in Florida nahm ich an einer geführten Tour teil. Dabei besuchten wir unterschiedliche Obstbauern in der Gegend, welche alles Mögliche von Grapefruit bis Pfirsich anbauten. Der Abschluss bildete der Besuch einer kleinen Obstfarm, welche aus Heidelbeeren und Co. Obstweine herstellte. Hier durften wir eine Reihe von Weinen testen: Von trocken bis süss. Was für grosse Augen machte ich, als ich den trockenen Wein testete. In Europa wäre das niemals ein trockener Wein gewesen, schon viel eher ein süffig-süsser lieblicher Wein. Und das war erst der Anfang. Nun wurde es, Wein um Wein, immer süsser. Am Ende hatte ich das Gefühl Sirup zu trinken. Aber naja, Geschmack ist halt unterschiedlich. Und in den USA ist alles süsser: Weine, Ketchup und auch Früchte. Während bei uns auch saure Sorten Abnehmer finden, zählt in den USA nur Süsse. Wenn man dort mit einem Züchter über Obstzüchtung redet (egal ob Brombeere oder Heidelbeere), so zählt vor allem eins: Wie süss ist die Frucht?
Bild: Bild: Nicht nur bei den Früchten, auch beim Wein mögen es die Amerikaner lieber süss.
Aber bevor wir zu schnell über die Amerikaner urteilen, die Entwicklung findet auch bei uns statt. Sowohl in der Sortenzüchtung, als auch im Verhalten der Verbraucher. Die meisten, besonders jüngere Menschen, greifen halt schon gerne zu Obstsorten, die sehr süss sind.
Ich mag süss auch. Jedoch frage ich mich als Züchter schon, ob es hier auch eine Grenze gibt und ob das so gut ist? Am Ende schmeckt jede Frucht fast gleich: einfach neutral süss.
Winterharte Passionsfrüchte sind nicht nur zum Essen gut
Nachdem meinem Vortrag über die Züchtung winterharter Passionsfrüchte gab es auch eine Verkostung von Passionsfrüchten. Was mich dort sehr erstaunt hat, war die Tatsache, dass viele Anwesenden noch nie in ihrem Leben eine Passionsfrucht (egal ob tropisch oder winterhart) gegessen hatten.
Bild: Der Lubera Züchter Raphael Maier, bei seinem Vortrag über winterharte Passionsfrüchte.
Jedoch gab es auch etwas, was ich noch nie getestet habe: Einen Wein aus Passionsfrüchten. Um es genauer zu sagen: 50% winterharte Passionsfrüchte und 50% amerikanische Muskattrauben. Und ich war positiv überrascht. Der schmeckte richtig gut!
Das ist auch mal eine Idee. Statt Gelée kann man aus überzähligen Früchten der winterharten Passionsfrucht 'Eia Popeia' auch einen leckeren Fruchtwein machen.
Bild: Der sehr gut schmeckende Wein bestand zu 50% aus Passionsfrüchten und zu 50% aus Muskattrauben.