Markus geht in diesem Artikel darauf ein, warum Sorten auch mal gehen müssen, und was – vielleicht! – der Reiz dieses Verschwindens ausmacht.
Gerne provoziere ich Liebhaber alter Sorten mit der Bemerkung, dass alte Sorten in sehr vielen Fällen nicht darum alt sind, weil sie völlig zu Unrecht vergessen wurden, sondern ganz einfach, weil es irgendwann bessere gab. Und der Ort, der treuherzig und unverzagt Altes beherbergt, das überholt worden ist, wird Museum genannt. Und ja, natürlich gibt es auch viele gute Gründe für Museen!
Weil ich ja meinen grossen Sprüchen auch ab und zu Taten folgen lassen muss, komme ich nicht umhin, auch mal auf lieb gewordene Sorten aus der eigenen Züchtung zu verzichten. Warum? Wie gesagt: Weil bessere gekommen sind oder in Aussicht stehen. Bei den Redloves wartet in den nächsten Jahren eine ganze Pipeline von neuen Sorten auf die Gartenfreunde, als eine der ersten führen wir dieses Jahr den Snackapfel Lollipop ein (schon wieder ausverkauft!), weitere Redloves® mit klaren Alleinstellungsmerkmalen und Vorteilen werden folgen. Übrigens züchten wir auch an Zier-Redloves® mit Blüten, die jede Zierkirsche vor Neid erblassen lassen.
Zugegebenermassen müssen manchmal relativ neue Sorten auch gehen, weil sie ganz einfach die Erwartungen nicht erfüllen konnten, die ich in sie setzte. Im Falle von Redlove Sirena® ist die Sorte, etwas nach Circe reif, für einen Durchschnittskonsumenten (nein nicht für Dich Ranka, und nicht für Deine Smoothies!) ganz einfach zu sauer. Wie konnte einem “erfahrenen” Züchter so etwas passieren? Man entwickelt als Apfelzüchter über die Jahre und Jahrzehnte eine sehr hohe Toleranz, ja eine Wertschätzung für Säure, die ziemlich weit von der Akzeptanz der meisten Apfelesser entfernt ist. Für mich waren die Sirena-Blüten so schön und die Früchte auch so reichlich, dass ich gerne die gewöhnungsbedürftige Säure in Kauf nahm, ja sie geradezu als Sommererfrischung schätzte; ich musste aber schnell erkennen, dass ich mit dieser Sirenen-Liebe ziemlich alleine dastand.
Eine ganz andere Geschichte erzählt der Paradis-Apfel Sierra. Schon seit einigen Jahren hatte ich eine Nachfolgersorte im Blick, die ich sorgfältig testete, etwas schöner in Form und Farbe, fester im Biss, ab Baum essbar und dann trotzdem noch extrem gut lagerfähig. Dieses Jahr sollte das erste Jahr dieser Nachfolgersorte sein (die wirklich auch eingeführt wurde – Paradis® Elegance®), der letzte Herbst war vermeintlich die letzte Saison von Paradis Sierra – bis ich Ende September auf Schloss Ippenburg in Niedersachsen und in Bregenz am Bodensee Apfeldegustationen veranstaltete, bei denen Sierra ganz einfach und wiederholt die Beste war. Sierra ist der Herbst-Apfel in Reinkultur. In ihren besten Wochen, in der zweiten Hälfte September, kurz nach der Ernte Anfang bis Mitte September, kommt keine andere Sorte an Sierra ran. Sie ist saftig, erschliesst leicht ein reiches Herbstaroma mit reifen Muskattönen. Sie ist die fruchtgewordene Verkörperung des Ernteherbstes, der Explosion des Geschmacks vor dem harten und entbehrungsreichen Winter. Und die Explosion, der Höhepunkt ist nur möglich, weil es danach einen Niedergang gibt. Es ist kein Fest mehr, was ewig dauert. Vielleicht ist das auch ein Problem der Lagersorten … Jedenfalls wird Paradis® Sierra® wieder vermehrt und wird ab 2017 oder 2018 wieder im Katalog zu finden sein. Weil ihr Reiz so vergänglich ist, darf Sierra bestehen bleiben … Zugegebenermassen ist es ein gutes Gefühl, Schicksal spielen zu dürfen – zum guten Glück aber nur für Äpfel.
Vielleicht ist das Verschwinden von Sorten ja auch ganz modern: Snapchat lässt die Bilder, die versendet und gesehen sind, gleich wieder zerstören. Auch hier ist offenbar nichts reizvoller als der Höhepunkt kurz vor dem Vergehen. Wohl derjenigen, die dann doch noch das Original bewahren kann und den Genuss jedes Jahr wiederholen kann … Lubera® Fans sei also geraten, möglichst schnell neue Sorten aufzupflanzen und für sich zu sichern, um so eine einzigartige Sammlung aufzubauen! Morgen schon könnte es zu spät sein!
Den letzte Verabschiedungsversuch von Sirena überlassen wir Wikipedia: “Eine Sirene (griechisch ?????? Seir?n) ist in der griechischen Mythologie ein weibliches Fabelwesen (Mischwesen aus ursprünglich Frau und Vogel, später auch Frau und Fisch), das durch seinen betörenden Gesang die vorbeifahrenden Schiffer anlockt, um sie zu töten.” Die Schönheit von Sirena ist unbestritten. Aber ich hatte fast wie Odysseus das Problem, dass Sirena nicht ganz hielt, was ihre Schönheit versprach. In Bezug auf Odysseus ist das ja noch eine ziemliche Untertreibung! Natürlich brachte und bringt Sirena’s Säure niemandem um … Aber erinnern Sie sich ans Gegenmittel, das Odysseus erfand, um den Sirenen zu widerstehen: Er stopfte seinen Gefährten Wachs in die Ohren und liess sich selber an den Mast binden, um den Sirenengesang hören zu können und ihm doch nicht ganz zu erliegen. Auf die Länge war mir das zu mühsam und zu aufwändig. So verbannte ich Sirena schweren Herzens aus meinem Apfel-Hofstaat.
Markus Kobelt
Weitere Infos zum Thema “Redlove-Züchtung” finden Sie in den Videos:
Einblick in die Redlove-Züchtungs-Pipeline
Die Züchtung von Redloves
Neuheiten aus der Lubera Züchtung